Fatih Akin, wer bringt bei Ihnen zuhause den Müll runter?
Akin: Das bin dann meistens doch ich.
Und der Müll wird getrennt?
Akin: Er wird getrennt. Nach Papier, Grüner Punkt und Haushaltsmüll. Die drei Container stehen bei uns auch im Hof.
Hat sich Ihr Verhältnis zum Müll durch die Arbeit an Ihrem neuen Dokumentarfilm verändert?
Akin: Das Verhältnis nicht, aber die Wahrnehmung. In dem Film gibt es dieses Bild, wo ein LKW an der Deponie von Çamburnu ankommt. Die ist schon völlig überflutet, aber er steht da und presst noch seinen Müll raus, wie so eine Stange… Hanuta. (lacht) Das sieht wirklich aus, als würde der Müll da hingeschissen werden. Die Laster waren da ja auch nicht zu stoppen, als müssten sie dringend aufs Klo. Da wurde mir klar, dass es sich bei unserem Müll wirklich um den Kot unserer Zivilisation handelt.
Der Titel Ihres Filmes ist allerdings eher poetisch: "Müll im Garten Eden". Das klingt doch mehr nach Kunstprojekt als nach stinkendem Abfall.
Akin: Es gibt ja Leute, die aus Müll Kunst machen. Zum Beispiel habe ich mir während der Vorbereitung auf unseren Film auch "Waste Land" angesehen, den Dokumentarfilm von Lucy Walker, über ein Kunstprojekt auf einer Müllkippe bei Rio de Janeiro. Ich finde unseren Titel sehr gut, aber Müll ist und bleibt für mich unsexy.
Weil er an Verwesung erinnert, an Tod?
Akin: Nein. Er ist einfach schmutzig. Er ist nicht ästhetisch. Obwohl mein Kameramann und ich uns gesagt haben: Lass uns mal im Müll, im Schmutzigsten, Hässlichsten, Vulgärsten, was es gibt, eine Ästhetik und Poesie finden. Das war jedenfalls unser Ansatz für die Bildgestaltung.
Ist man als Filmemacher nicht etwas deprimiert, dass man ein wesentliches Element so einer Mülldeponie, den Gestank, nicht auf Film bannen kann?
Akin: Bei einem Film wie Tom Tykwers "Parfüm" finde ich es sehr schade, dass sich im Kino Geruch nicht vermitteln lässt. Da geht es ja um Wohlgerüche, die so extrem sind, dass sie Menschen zu Sexorgien hinreißen. Wenn das im Kino möglich wäre, das wäre schon interessant. (lacht) Aber in unserem Fall bin ich für diese Einschränkung der Sinnesreize sehr dankbar. Ich habe ja selbst auf dieser Deponie gestanden. Da mischt sich alles, da liegen verwesende Hunde, da gibt es Müll aus den Haushalten und aus dem Krankenhaus…
Haben Sie sich um ihre Gesundheit gesorgt?
Akin: Ich war im Sommer letzten Jahres noch einmal vor Ort in Çamburnu. Plötzlich hat es angefangen, mich am ganzen Körper zu jucken. Ich dachte, ich hätte mir da was geholt. Aber dann hat sich rausgestellt, dass es Windpocken waren. Ich hatte mich bei meinem Kind angesteckt, noch bevor ich losgefahren war. Im Film wird zwar die Vermutung ausgesprochen, dass die Zunahme von Erkrankungen in Çamburnu mit der benachbarten Mülldeponie zusammenhängt, aber das konnte bisher noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.
"Müll im Garten Eden" erzählt nicht auf globaler Ebene vom Müllproblem, sondern porträtiert mit Geduld und genauem Blick einen einzelnen exemplarischen Fall. Er erzeugt gerade dadurch eine sehr direkte Wirkung. Man tritt aus dem Kino und denkt: Okay, wo kann ich jetzt als nächstes Müll vermeiden?
Akin: Das ist ja nicht verkehrt, wenn dieser Effekt eintritt. Ich hatte am Anfang den Ansatz, einen Film über Müll im globalen Maßstab zu machen. Nach und nach habe ich mich aber selbst eingeschränkt, um strenger erzählen zu können. Um auch die Zeit, die verstreicht, erzählen zu können. In dem Dorf gab es bis vor 50 Jahren noch keinen einzigen Plastikbecher. Da wurden Lebensmittel in Papier eingewickelt und verkauft. Meine Großmutter, die aus der Gegend von Çamburnu stammt, hat mir erzählt, wie sie ihren Abfall selbst verbrannte, um mit der Asche ihren Abwasch zu machen. Heute gibt es alles in Plastik. Schließlich muss sich die Plastikindustrie ja in ihrer Existenz rechtfertigen.
Müll ist der Kot unserer Zivilisation.
Wie die Bürokratie und Wirtschaftspartner, die sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben, Problemlösungen im Weg stehen, erzählt Ihr Film sehr anschaulich. Haben Sie eine Ahnung, wie die Welt ihr Müllproblem lösen kann?
Akin: Ich habe keine Antworten, ich bin auch kein Müllexperte. Ich kann nur noch mehr Fragen stellen. Vielleicht sind einige Zuschauer auch enttäuscht, dass der Film diese Antworten nicht bietet. Aber ich glaube, dass es wahrscheinlich doch zwei Elemente gibt, die die Welt verbessern können. Das sind Sport und Kunst. Sie tun es normalerweise nicht, weil sie trotz ihrer zum Teil immensen Breitenwirkung im Alltag eher Exoten bleiben. Aber ich habe gerade "Invictus – Unbezwungen" gesehen, Clint Eastwoods Film über Nelson Mandela und wie der es 1992 geschafft hat, sein zerrissenes Land durch ein Sport-Event zu einen. Das war schon höchst beeindruckend.
Aber ist das nicht eher ein flüchtiger symbolischer Akt?
Akin: Es ist mehr als das. Hierzulande lief das doch ähnlich. 1990 war die deutsche Nationalmannschaft eine Mannschaft, mit der ich mich überhaupt nicht identifizieren konnte. Im Gegenteil, ich dachte: Hoffentlich verlieren die. Jetzt stehe ich hinter der Mannschaft. Seltsam, hätte ich nie gedacht. Aber es hat mit der Mannschaft zu tun, mit Özil, mit Podolski, Gomez und Khedira. Solche Namen gab es da früher nicht. Und heute denke ich, okay, die repräsentieren schon die Straße da draußen.
Aber ist die harmonieselige Hochglanzästhetik, in der dann TV-Spots die Familien aller Nationalspieler zusammen beim Fußballgucken zeigen und das als gelungene Integration loben, nicht auch peinlich naiv und verlogen?
Akin: Dass das dann so ausgestellt wird, das muss nicht sein. Aber die Wahrheit ist doch, dass Jogi Löw seine Mannschaft nicht so zusammengestellt hat, weil es ein Integrationsbeauftragter ihm geraten hat. Er hat sich einfach die besten Spieler ausgesucht. Alles andere würde im Fußball auch gar nicht funktionieren, dafür ist diese Kuh viel zu heilig.
Um auf das Thema von "Müll im Garten Eden" zurückzukommen: Wohl nichts hat in Deutschland das Bewusstsein für einen Teil des Mülls so schnell radikal verändert, wie das neue Pfandsystem im Jahr 2006…
Akin: Seither durchwühlen die Leute den Müll wie die Tauben.
Bewusstseinsveränderung läuft anscheinend am schnellsten über Geldreize. Könnte auch die Produktion überflüssiger Verpackungen abnehmen, wenn deren Entsorgung für die Privatpersonen teurer würde?
Akin: Das weiß ich nicht. Erstmal finde ich es überhaupt bemerkenswert, wie viele Dokumentarfilme es in den letzten Jahren zu Umweltthemen gab. "Darwin’s Nightmare", "Der große Ausverkauf" (Regie: Florian Opitz), "We feed the World" (Regie: Erwin Wagenhofer), aber auch Naturdokumentationen wie "Unsere Erde", bis hin zu "Müll im Garten Eden" zeigen doch, dass eine Nachfrage nach solchen Filmen besteht, dass es also auch ein wachsendes Publikum mit einem Bewusstsein für solche Themen gibt. Das ist schon mal was Gutes. Etwas Optimismus in der Richtung kann nicht schaden, auch wenn es vielleicht noch Generationen dauert, bis sich wirklich etwas ändert.
Bei der Mülldeponie in Çamburnu war schon in der Planungsphase klar, dass es Probleme geben, dass der Müll zum Beispiel bei starkem Regen durchs Dorf geschwemmt werden würde. Diese Probleme waren offensichtlich, warum wurden sie nicht gelöst?
Akin: Weil es keine Mehrheit ist, die da direkt betroffen wurde. Es gab in der ganzen Region ein Müllproblem, der Müll wurde ins Meer oder einfach an die Straßenränder gekippt. Heute gibt es das nicht mehr. Der Müll landet oberhalb von Çamburnu. Die Mehrheit findet das gut. Das Dorf mit nicht mal 2000 Einwohnern wurde geopfert, um die Wählerstimmen von einer Millionen Menschen, die in der östlichen Schwarzmeerregion leben, zu sichern. Es läuft überall ähnlich. Ich komme aus Hamburg Altona. Da bauen die einen Ikea hin. Es gibt ein großes Volksbegehren dagegen. Ich will da auch kein Ikea haben, vor der Haustür. Was ist das Problem mit dem Ikea an der Autobahn? Da wohnt keiner, da nervt’s keinen, da gibt es riesengroße Parkplätze. Du protestierst mit, du denkst alle sind dagegen. Und dann merkst du, nein, wir sind nur eine Minderheit. Alle anderen, die Mehrheit, sind dafür.
Gibt es ein Beispiel aus Ihrem eigenen Leben, wo gemeinsames Engagement doch was bewirken konnte?
Akin: Ja doch, im Hamburger Gängeviertel. Da gibt es so ein denkmalgeschütztes Gründerzeitviertel in Hamburg in der Neustadt, das umgeben ist von total anonymen Bürohäusern. Die Stadt hatte das verkauft an einen Investor aus Skandinavien, um das schöne alte Viertel platt zu machen und noch mehr Büroräume zu schaffen. Künstler haben dann das Viertel besetzt. "Komm in die Gänge" hieß die Aktion. Die haben sich gewehrt und die ganze Stadt hat die Künstler unterstützt. Sie haben es geschafft, den Senat zum Einlenken zu bewegen und dem Investor sein Geld zurückzugeben.
Letzte Frage: "Müll im Garten Eden" kommt in der Vorweihnachtszeit in die Kinos. Wie feiern Sie eigentlich Weihnachten?
Akin: Bei meinen Schwiegereltern. Das sind Deutsche und Mexikaner, also Christen. Und meine Kinder sind auch noch so klein, dass sie sich noch was aus dem Weihnachtsmann machen.
Und wie kann man an Weihnachten am besten Müll vermeiden?
Akin: Zeitungspapier als Geschenkpapier benutzen! Das finde ich sowieso viel schöner. Und wenn einem das Buch nicht gefällt, was einem geschenkt wird, hat man wenigstens noch was anderes zu lesen.