Frau Aladag, Ihr Film „Zwischen Welten“ erzählt von einem Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. Ursprünglich sollte er „Später im Sommer“ heißen – hat sich Ihre Idee von diesem Film so verändert, wie es diese Titeländerung vermuten lässt?
Feo Aladag: Nein, „Später im Sommer“ war schlicht ein Arbeitstitel. Natürlich verändert sich ein Stoff im Laufe einer so langen Recherche- und Entwicklungsphase. Man verdichtet Dinge, andere lässt man weg oder fügt neue Aspekte hinzu. Mir war aber zunächst einfach kein besserer Titel eingefallen. Ich hatte etwas gesucht, was nicht auf den ersten Blick thematisch ist, wie etwa „Auslandseinsatz“ oder „Der Übersetzer“. Irgendwann saß ich dann während der Dreharbeiten völlig übermüdet in meinem heißen Zimmer in Afghanistan, bereitete etwas für den nächsten Drehtag vor und dachte über die unglaublichen Ambivalenzen nach, die ständig auftauchten, in alltäglichen Situationen, im Team, in den Ansprüchen der Menschen. Und ich dachte: Hier befindet man sich wirklich zwischen den Welten. So geht es auch den Figuren im Film. Das war’s.
Sind Sie im Zuge Ihrer Recherchen auch schon vorher in Afghanistan gewesen, zum Beispiel als „embedded journalist“ bei der Bundeswehr?
Aladag: Ja, wobei ich den Begriff „embedded“ etwas schwierig finde, weil er eine inhaltliche Steuerung impliziert. Das war zwar nicht einfach herzustellen und wäre in den meisten anderen Ländern wohl auch nicht möglich gewesen, aber es gab tatsächlich keinerlei inhaltliche Einmischung in meine Arbeit.
Das heißt, beispielsweise in den USA ist ein inhaltliches Mitspracherecht des Militärs, wenn es einen Film unterstützt, unumgänglich?
Aladag: Ja. Die kriegen aber auch viel dafür. In den USA gibt es ganze Abteilungen innerhalb des Verteidigungsministeriums, die sich nur um so etwas kümmern. Bei uns arbeitet die Bundeswehr erst seit ein paar Jahren intensiver daran, erstmal ihre medienaversen Reflexe abzubauen, während sich wiederum die Medien schwer tun, ihre aversen Reflexe gegen die Bundeswehr abzubauen. Deshalb hat meine Überzeugungsarbeit da auch etwas gedauert. Ich musste viele Gespräche führen, die nichts mit Filmemachen zu tun haben. Die hätte aber jeder führen müssen, auch ein Journalist, der eine Reportage plant, die über das normale Maß hinausgehen soll.
Was wäre in dem Fall „über das normale Maß hinaus“?
Aladag: Ich wollte nicht nur die „kleine Journalistentour“, ich will nicht ständig den Presseoffizier an meiner Backe haben. Ich möchte nicht im Dingo einmal im Kreis gefahren werden…
In einem Dingo?
Aladag: Das ist das standardmäßige, gepanzerte Transport-Fahrzeug der Bundeswehr bei solchen Einsätzen. Ich musste die Zuständigen überzeugen, dass sie mir letztlich alle Freiheiten zugestehen, dass ich machen kann, was ich will. Dann musste ich dafür sorgen, dass ich darauf auch physisch optimal vorbereitet bin. Letztlich war das alles für mich sehr sinnvoll. Ich habe zwar jede Menge Sekundär- und Tertiärquellen durchgelesen, aber ohne vor Ort gewesen zu sein, hätte ich dieses Drehbuch nicht schreiben können. Ich brauche Berührung mit Menschen, ich muss sie riechen, beobachten, fragen, fühlen können, möglichst filterlos.
Wenn es die Situation vor Ort in Afghanistan nicht erlaubt hätte, wenn ich mit meinem Team nicht da hätte runter gehen können, hätte es diesen Film nicht gegeben.
Haben Sie bei der Recherche auch mal gedacht: Das ist mir alles zu komplex, zu anstrengend, ich will das nicht machen?
Aladag: (Lacht) Oft. Aber „ich will das doch nicht machen“ habe ich nur an ganz wenigen Punkten gedacht, wenn ich an Mechanismen der deutschen Politik gescheitert bin, an den Machtstrukturen im Verteidigungsministerium, im Einsatzführungskommando. Wer sagt wem was, mit welchem Ansatz, welchen Interessen, wer springt dabei über die Klinge? Da bin ich ein paar Mal an einen Punkt gekommen, wo ich mich gefragt habe, ob es von hier aus noch weiter gehen kann.
Haben Sie beim Schreiben manchmal Zweifel bekommen?
Aladag: Zum Schreiben gehören die Zweifel immer dazu, wenn man sich fragt, wie man am besten auf den Punkt kommt. Beim Drehen ist das dann wieder anders, aber da kann ich mich auf meinen Instinkt verlassen. Es gibt an einem Set ja auch keine Zeit mehr für ein ewiges Nachgrübeln. Das Drehbuch muss als solide Basis funktionieren, aber dann auch so beweglich sein, dass man vor Ort auf Unvorhergesehenes reagieren kann. Wenn einem in der Früh ein Motiv wegbricht, kann man alles auf die Erde schmeißen, blau anlaufen und brüllen: Ich kann so nicht arbeiten! Oder man muss eben versuchen, eine Lösung zu finden. Und die kann in einem kleinen Bereich inhaltlich etwas verändern, aber meistens wird das eine Szene eher bereichern. Diese Beweglichkeit habe ich auch jetzt erst gelernt. Darin hat mich die Arbeit an diesem Film vieles gelehrt.
Das heißt, Sie haben Ihre Arbeitsweise im Vergleich zu Ihrem ersten Film „Die Fremde“ verändert?
Aladag: Damals habe ich noch fürchterlich orchestriert, alles so festgezurrt. Das durfte nur so und so gemacht werden, so wie ich mir das ausgedacht habe, keinen Millimeter anders. Man sagt mir heute noch, dass ich auch bei „Zwischen Welten“ ein Kontrollfreak gewesen sei. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. (lacht)
Was würde wohl Ihr Regieassistent dazu sagen?
Aladag: Bei „Die Fremde“ hatte ich keinen und jetzt gab es den unglaublich coolen Sherard Jayasuriya. Ich glaube nicht, dass er mich für einen Kontrollfreak hält, weil ich es einfach nicht bin. Sherard war eine tolle Unterstützung.
Gab es einen besonderen Moment, in dem Sie dachten: Jetzt weiß ich, was ich für einen Film machen möchte?
Aladag: Das war gleich auf meiner ersten Patrouille in Afghanistan. Die Dingos hatten vor einem Dorf geparkt, oberhalb von Kunduz. Wir haben abgesessen, man formatiert sich, das hat man alles hundertmal erklärt bekommen. Und dann schiebt sich dieser Tross, der durch ballistische Brillen, Schutzwesten und Handschuhe komplett abgeschottet ist, durchs Dorf. Es fallen kaum Worte, die Kommunikation geht nur über Handzeichen. Am Straßenrand stehen Menschen, Kinder und Männer; ab und an huscht eine Burka vorbei, unter der Plateauschuhe und eine H&M-Hose hervorblitzen. Wenn du von der journalistischen Seite her kommst und keine Waffe, sondern eine Kamera in der Hand hast, beginnst du natürlich irgendwann, da auszuscheren, stehen zu bleiben, dich mal zu den Kindern zu hocken, mit ihnen zu kommunizieren. Haare angucken, Kamera angucken, Fotos machen, Display angucken. Ich habe mich gefragt, warum findet hier so wenig Interaktion statt?
Haben Sie eine Antwort darauf?
Aladag: Weil es teilweise zu gefährlich wäre, zumindest in der Wahrnehmung der Leute. Interaktion ist nicht der Auftrag, was auch immer. Das führt schnell zu politischen Fragen. Wofür ist man da? Was ist eine Begegnung im Sinne des Auftrags, wo beginnt eine echte persönliche Begegnung, wie weit lässt man sich mit wem ein? In dem Moment, wo ich einmal hingeguckt habe – das kennt man ja schon aus „Der kleine Prinz“ – macht es keinen Sinn, so zu tun, als hätte ich da nicht hingeguckt. Was hindert einem am „hingucken“, am „sich-einlasssen“? Es ist ja selten der einzelne Soldat, der das nicht will, es ist ja in der Regel das System, das einem solche Limitierungen vorsetzt. Also habe ich mich gefragt, was macht dieses System zum Beispiel mit den Afghanen, die für die ISAF arbeiten? Die haben ja wiederum auch ihre Limitierung, die werden von ihren eigenen Leuten auch komisch angeguckt, euphemistisch gesagt, wenn sie sich auf eine bestimmte Art als Ortskräfte involvieren.
Wenn man Reportagen über die Produktionsgeschichte von „Zwischen Welten“ liest, könnte man fast glauben, so ein Film setzt mehr diplomatische Hebel in Bewegung als die reale Politik.
Aladag: Wenn man zivil unterwegs ist, Reportagen macht, Filme dreht, ist es etwas anderes, als wenn man als militärischer Apparat daherkommt. Ich habe immer mein Ziel erklärt: Ich möchte mit euch einen Film machen. Ich möchte ein afghanisch-deutsches Team, 50/50, ich gehe bewusst nicht nach Marokko oder Indien, in die Länder, die üblicherweise als Kulisse für solche Filme herhalten. Wenn es die Situation vor Ort nicht erlaubt hätte, wenn ich mit meinem Team nicht da hätte runter gehen können, hätte es den Film nicht gegeben.
Sie haben sogar einen ehemaligen Premierminister für sich einspannen können.
Aladag: Das lief ja auf der privaten Ebene und wird immer ein bisschen zu hoch aufgehängt. Es ist eben ein Zufall, dass eine meiner Cousinen da jemanden kennt, in dem Fall Shaukat Aziz, den ehemaligen pakistanischen Premierminister. Dann sagt man eben, frag den doch mal, ob er eine Idee hat, bei wem man in bestimmten Fragen bei den Afghanen um Rat und Unterstützung fragen kann. Aber weiter ging das nicht. Ich musste da genauso rangehen, wie jeder andere, der dort recherchiert. Man versucht, Kontakte zu machen, die richtigen Menschen zu finden, denen man seine Anliegen vortragen kann und nutzt dann natürlich alle Möglichkeiten, die einem einfallen.
Hat Aziz den Film mittlerweile gesehen?
Aladag: Ja, er hat ihn mittlerweile gesehen. Er mag ihn sehr. Das hat uns alle natürlich sehr gefreut, dass er da auch rückblickend dahinter stehen kann.
Kann die reine Tatsache, in Afghanistan einen deutschen Film zu drehen, im binationalen Verhältnis etwas verändern?
Aladag: Zumindest habe ich manchen Leuten in gewissen Positionen, die mein Anliegen nicht verstehen wollten, die meinten, es sei unmöglich, was ich da vorhätte, bewiesen, dass sie falsch lagen. Ein Politiker hatte zu mir wirklich gesagt: Da unten lungern Taliban hinter jeder Ecke und vor den Toren der deutschen Camps und warten nur darauf, alle Westler umzubringen. Man kann sich dann entweder diese Sichtweise bewahren, oder man kann vor Ort hingehen und sich selbst ein Bild machen. Es ist wie überall auf der Welt, in dem Moment wo wir reisen, wo wir uns Sachen angucken, Menschen begegnen, sind sie anders, als man es hier medial vermittelt bekommt. Oder sie sind anders, als das, was politisch opportun ist. Ich glaube, dass es eine Zeit lang auch ein politisches Interesse daran gab, ein gewisses Bild einer Gefahrenlage aufrecht zu erhalten; deshalb war das Interesse an einer Zivilistin, die auch noch mit ihrer kleinen Tochter in dieses Umfeld reist und ihrer Arbeit nachgehen kann, vielleicht nicht so groß.
Nun wird ihre Geschichte aber auch zum Teil einer gewissen opportun erscheinenden Geschichte, wenn man immer wieder betont, dass ausgerechnet Sie als Frau in Afghanistan einen Film machen. Als würde es nicht auch aktive afghanische Regisseurinnen geben.
Aladag: Ja, das sollte man nicht vergessen. Ich werde immer gefragt: Wie war das als Frau sozusagen in einer dreifachen Männerwelt zu arbeiten, beim Film allgemein, mit der Bundeswehr und dann auch noch in Afghanistan. Ich kann dazu nur immer wieder sagen, dass ich nicht einen Moment das Gefühl hatte, ich bekäme weniger Respekt oder hätte besondere Probleme, weil ich eine Frau bin. Eher im Gegenteil. Ich hatte es bei Recherchen zum Teil einfacher, weil ich in Häuser leichter reinkam, weil für mich nicht die Frauen aus dem Haus geräumt werden mussten. Ich bin auch keine Muslima, ich bin da sowieso das Marsmännchen, eine Person dritter Art. Eine afghanische Regisseurin hat es allerdings in ihrem Land mit Sicherheit schwerer als ich. Da kann sie aus einer noch so guten paschtunischen Familie stammen, sie wird von den Männern als Bedrohung angesehen.
In „Zwischen Welten“ sind jene Szenen besonders faszinierend und auch sehr unterhaltsam, in denen die Tücken des Dolmetschens zwischen den Afghanen und den Deutschen deutlich werden. Könnte man die Übersetzer als die wahren Diplomaten bezeichnen?
Adalag: Ja, das ist wirklich so. Ein guter Übersetzer versucht die Missverständnisse, die ganz schnell entstehen können durch die Art wie wir formulieren, von vorneherein auszubügeln. Wenn es zum Beispiel darum geht: Wie formuliere ich als deutscher Offizier einen Ratschlag an ein afghanischen Kollegen? Wenn ich da was falsch mache und seine Männer stehen daneben, habe ich eventuell ein ganz schönes Problem. Das Thema „Gesichtsverlust“ ist sehr wichtig. Am Ende auch auf beiden Seiten. Also muss entsprechend übersetzt werden.
Wird dieser Umstand in der Regel eher unterschätzt?
Adalag: Es gibt schon ein starkes Bewusstsein dafür. Man merkt das auch an den Gehältern. Ein afghanischer Soldat der für die ISAF zum Teil unter Lebensgefahr Patrouille läuft, bekommt maximal 160 Dollar im Monat, was in Afghanistan natürlich immer noch viel Geld ist. Aber ein Übersetzter, selbst im untersten Rang, wo nur von Hauptmann zu Hauptmann übersetzt wird, bekommt gut 600 Dollar. Klar, da wird er auch als Geheimnisträger bezahlt, weil ein Übersetzer oft Interna mitbekommt, die auf keinen Fall raus sollen. Aber insgesamt verdienen sie so gut, weil ihre Leistung so wesentlich ist. Man kann da auch nicht jeden hinsetzten. Das muss jemand machen, egal wie jung der ist, der schnell denkt und mitbekommt, was in einem Raum und in der jeweiligen Situation passiert.
Wie ist es möglich, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten, wenn schon die alltägliche Kommunikation solche Schwierigkeiten bereitet?
Adalag: Es hilft, wenn das gemeinsame Ziel überschaubar ist. Die Kräfte, die da miteinander arbeiten, wollen ja in der Basis nicht mehr, als dass die Menschen zu essen haben, Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung bekommen und frei ihre Meinung äußern dürfen. Dass Stabilität Einzug hält. Dennoch ist das in diesen Gefilden schwer zu erreichen, zumal es eben auch Kräfte gibt, die dagegen arbeiten und ihre eigenen Ziele verfolgen. Aber jene Kräfte, die dieselben Ziele verfolgen und zusammenarbeiten, ähneln sich im Kern sehr. Wenn wir alle so unterschiedlich wären, hätten wir als binationales, afghanisch-deutsches Team nicht so grandios gut funktioniert, besser oft als ein rein deutsches Team. Wir haben uns gegenseitig sehr bereichert, motiviert und Verantwortung füreinander übernommen. Als es diesen Vorfall an der Universität gab, haben „unsere Afghanen“ gesagt: Wir hätten uns vor euch gestellt! Das sagen die nicht nur, das hätten die gemacht.
Sie haben den Zorn einiger Scharia-Studenten auf sich gezogen, als Sie in deren Universität einige Szenen drehen wollten. Es kam zu Drohungen, aber letztlich zu einem klärenden Gespräch. Wie ist dieses Gespräch verlaufen?
Aladag: In dem Raum saßen: der Polizeipräsident der Provinz, ein ziemlich mächtiger Mann. Dann der Stellvertreter von Gouverneur Atta, mein interkultureller Berater, mein afghanischer Line-Producer, diese acht Anführer des Aufruhrs der Scharia-Studenten und ein Vertreter der Afghan Film Commission. Zunächst war die Stimmung sehr angespannt, der Polizeipräsident hat zusammengefasst, was passiert war. Dann habe ich erklärt, wer wir sind, was wir machen, warum wir das machen. Ich hab erklärt, dass ich ein Problem damit habe, wie Afghanistan international und bei uns in den Medien dargestellt wird. Dann habe ich unsere Vorgeschichte erzählt, was es uns gekostet hat, hier her zu kommen, dass mein Team sehr gerne hier ist.
Sie haben emotional argumentiert, obwohl es im Kern um einen eher sachlichen, religiösen Konflikt ging?
Aladag: Ja, ich habe gesagt, dass das ein besonders trauriger Tag für mich und uns alle ist, weil ich so froh war, wie es lief, dass mein Team angefangen hat, Ängste und Vorurteile abzubauen. Ich habe gefragt: Was soll ich denen sagen, wenn ihr die mit Stöcken in der Hand begrüßt? Wie soll ich sagen: Geht morgen mit mir wieder raus, wir drehen den Film weiter, wenn die gerade verängstigt im Militärcamp sitzen? Und diese Angst konnte ich sehr gut nachvollziehen. Es war also sehr ehrlich, sehr filterlos und relativ emotional, weil es wirklich von Herzen kam. Ich war nicht hormongesteuert, nur weil ich auch noch schwanger war (lacht). Ich war sauer, gekränkt, traurig. Und sieben von den acht Studenten, so wahr ich hier sitze, hatten Tränen in den Augen und sagten: Bitte kommt wieder und dreht die Szenen, wir helfen euch.
Was war mit dem achten Studenten?
Aladag: Das war die eine unverrückbare Stimme. Dieser junge Mann sah auch noch genauso klischeemäßig aus, wie man sich das vorstellt und hat uns allen einen fast 20-minütigen Vortrag gehalten, die Zeit hat er sich auch erbeten. Man muss dazu sagen, dass es in Afghanistan eine große Kultur des Diskurses und Redens gibt, die lassen einander reden, egal, wie ranghoch der andere ist.
Der Student hat also Ihre persönliche Ansprache mit einer Grundsatzrede beantwortet?
Aladag: Genau. Er hat davon gesprochen, warum Kultur seines Erachtens unter dem Scharia-Recht zu stehen hat und nicht unter dem afghanischen Staatsrecht und dass es daher nicht akzeptabel sei, was wir da tun, wenn wir zum Beispiel Frauen in einem Film auftreten lassen. Er hat uns seine Meinung dem Westen gegenüber sehr unmissverständlich klargemacht. So jemanden kriegst du nicht verrückt. Mit Worten ist gegen diese Stimme, in der man eben auch das Gewaltpotential spürt, nichts zu machen. Das war ein Moment, da könnte ich sagen, ich habe mich als Frau nicht respektiert gefühlt, aber da habe ich mich vor allem und zuallererst als Mensch nicht respektiert gefühlt. Er hat mir auch mit seinen Blicken unmissverständlich zu verstehen gegeben, wie wenig er von mir als Person aus dem Westen hält. Und so eine ideologische Stimme hat eben durchaus das Potential gegen sieben andere Stimmen Gewalt entstehen zu lassen.
Konnten dieser Student dann demokratisch überstimmt werden?
Aladag: Nein, er hat sein Plädoyer gehalten, alle anderen saßen relativ fassungslos da. Die Studenten wurden dann von einem Adjutanten des Polizeipräsidenten herausgeführt und schließlich fragte mich der Polizeipräsident: Was kann ich für dich tun? Ich habe gesagt: Du musst zu meinen Leuten gehen und denen die Lage erklären, warum es zu dieser Situation gekommen ist, wie ihr das lösen wollt. Hilf mir! Und dann hat er gesagt: Du hast mich sowieso schon den halben Vormittag gekostet, jetzt kann ich auch den Rest des Tages für dich weiter machen. Und dann ist er, erstaunlicher Weise ohne jedes Protokoll, ins Camp gekommen. Mein Team saß da in so einer Kirche in einem riesigen Kreis und er hat eine sehr berührende Rede gehalten und am Schluss auf englisch gesagt: Lasst etwas so kleines nicht etwas so Großes verhindern. Er würde alles tun, dass sich jedes Teammitglied sicher fühlt. Und am nächsten Tag hat er an unserem Drehort seine Leute mit extrem verstärkter Bewaffnung auffahren lassen. Da musste ich ihm dann sagen, kannst du bitte die Waffen woanders hinstellen, die machen uns alle nervös. Aber dann war auch alles gut.
Der achte Student tauchte nicht wieder auf?
Aladag: Wir haben keinen der Studenten wiedergesehen. Allein weil wir nicht wieder an das selbe Motiv zurückgegangen sind. Was mit den Studenten passierte weiß ich nicht. Das ist eben die afghanische Lösung. Man regelt die Dinge, ohne dass jemand sein Gesicht verliert. Wir sind ja auch bestohlen worden, plötzlich fehlten Motorräder, die wir dringend brauchten, weil die auch schon vorher im Film aufgetaucht waren. Aber wenn du das dann sagst, erklärst, was passiert ist und dass du das wieder brauchst, dann tauchen auf irgendeine Weise die Motorräder wieder auf. Und darum geht es dann ja. Du willst ja auch niemanden dafür im Gefängnis sehen.
Noch zwei abschließende Fragen: Wenn man jetzt zum Beispiel auf Spiegel Online eine Besprechung zu „Zwischen Welten“ und die Kommentare der Leser dazu liest, fällt auf, dass der Kritiker schreibt, Ihr Hauptprotagonist agiere nicht souverän genug. Dann wird kommentiert, die Bundeswehr sei eben „voller Weicheier, genau wie der deutsche Film“. Der nächste schreibt: Genau, Bundeswehr sofort raus aus Afghanistan und dann meint jemand noch, er sei selbst in Afghanistan gewesen, er hätte es genauso erlebt, wie Sie es im Film schildern. Anscheinend geht es da weniger um Ihren Film oder um einen Diskurs über die Fragen, die er aufwirft, sondern nur darum, ob er die vorgefasste Meinung der Rezipienten bestätigt, oder nicht. Fragen Sie sich da nicht manchmal: Warum mache ich das eigentlich?
Aladag: Also traurig macht mich das nicht. Auch nicht die Kritiken; das sind halt Meinungen. Ich merke eben, dass so ein Film verschiedene Reflexe bei den Kritikern auslöst. Den bundeswehraversen Reflex, besonders bei Teilen des Feuilletons, den Beißreflex der Kritik, erst recht, wenn der Film auf der Berlinale im Wettbewerb läuft. Und dann ist es auch noch mein zweiter Film und auf zweite Filme wird ohnehin in Deutschland sehr gerne gedroschen, wenn der erste ein Erfolg war. Das ist aber auch okay. So ist das eben. Ich kann das in Relation setzen.
Das sagen Künstler in solchen Fällen gerne: „Ich stelle mein Werk hin und dann sieht es sowieso jeder auf seine Weise. Alles okay.“ Aber nähren solche Reaktionen nicht manchmal doch Selbstzweifel, ob man seine Geschichte erzählerisch nicht in eine andere Richtung hätte fokussieren sollen?
Aladag: Selbstzweifel gehören, wie gesagt, immer dazu. Aber in dem Fall habe ich sie rückblickend nicht. Ich bekomme jetzt zum Beispiel oft zu hören: Warum ist der Film keine Kritik am Einsatz? Ich kann mich erinnern, wie ich ganz zu Anfang an deutsche Politiker geschrieben habe, um meine Recherchen voranbringen zu können. Da habe ich wörtlich geschrieben: Ich möchte keine Rechtfertigung oder Generalkritik an dem Einsatz machen. Darum ging es mir nie, in dem Fall hätte ich einen ganz anderen Film gemacht. So eine Kritik kann mich gar nicht treffen, weil sie mein Anliegen verfehlt. Ansonsten finde ich ernsthafte, filmformale Kritik sehr wichtig, auch wenn sie negativ ist. Da ziehe ich auch was raus.
Regen Sie sich nicht über manche Kritiken einfach nur auf?
Faladag: Wirklich schwierig finde ich es, wenn es unsachlich wird und plötzlich vom „Damenkränzchen“ die Rede ist oder ich beschrieben werde als „Regisseurin (sehr blond)“. Da frage ich mich, wo wird die Glatze von Dominik Graf oder der Hintern von Dietrich Brüggemann erwähnt? Aber ansonsten reiben sich die Menschen an einem Film, an einem Thema und gehen dabei auch in der Reflexion von ihrer Welt aus. Dafür ist der Film ja auch ein Stück weit da, ein Angebot zum Dialog.. Und wenn ich bei dem Thema von „Zwischen Welten“ nicht damit gerechnet hätte, dass es dafür auch ein Bashing von allen möglichen Seiten geben würde, dann wäre ich wirklich sehr blond.
Dabei sind Ihre Haare doch nur blond getönt…
Aladag: Ja genau. 1,5 Prozent Wasserstoff, gemischt mit Ölfarbe. (Lacht)