Fler

Andrea Berg ist eben keine Bitch!

Patrick Losensky alias Fler über intolerante Berliner, Rap-Texte, Inspiration, Fanta4, seine Pläne auszuwandern und warum es keine schwulen Rapper gibt

Fler

© riva Verlag

Fler, wir sitzen hier in Berlin-Tempelhof – in welchem Berliner Bezirk fühlst du dich momentan zuhause?
Fler: In Tempelhof. Ich wohne zwar in Zehlendorf, aber dort bin ich nur, weil ich einen Rückzugsort brauche, wo nicht jeder weiß, wo du wohnst, gerade auch in meiner Position. Mein Freundeskreis hat sich dadurch aber nicht verändert, deswegen ist es immer noch Tempelhof.

Aber du hast auch mal im Prenzlauer Berg gewohnt.
Fler: Ja, das war 2005, Eberswalder Straße, genau da, wo das Leben tobt. Aber es war mir dann irgendwann zu viel los. Die Menschen, die dort verkehren sind meistens Zugezogene, die haben nicht die gleichen Wertvorstellungen wie ein Typ, der in Berlin aufgewachsen ist. Kreuzberg ist jetzt auch so ein Szene-Bezirk geworden, die Leute dort hätten vor 15 Jahren in Kreuzberg nicht überlebt, da war der Bezirk noch voller Gangs, „Giants“, „36-Boys“…

Was genau stört dich heute an diesen Bezirken?
Fler: Heutige Kreuzberger oder Prenzlauer Berger verlangen immer, dass die Menschen sehr tolerant sind. Aber das ist alles so ein Pseudo-Möchtegern-Toleranz-Umfeld, denn wenn dann mal einer mit einem 7er-BMW vorbeifährt, sind sie auf einmal gar nicht mehr tolerant. Ich wurde im Prenzlauer Berg echt blöde angeguckt, auch von Leuten, die Geld haben, Schwaben, die da hinziehen, damit sie mal „trendy“ oder „ghetto“ sind, oder wie sie das nennen.

Was macht für dich im Positiven Tempelhof aus?
Fler: Es ist Berlin in dem Sinn, dass es nichts Gekünsteltes ist. Die Mieten sind stabil und steigen nicht plötzlich in irgendeiner Straße an, weil auf einmal gewisse Leute meinen, dass es da cool ist. Es ist eine gewisse Mittelschicht, es gibt auch diesen Zusammenhalt. Wir sitzen hier in einem Cafe, aber ich kann den Tee, den ich mir vorhin beim Bäcker geholt habe, hier mit rüber nehmen – im Prenzlauer Berg geht das nicht. Da wird dich der Ladenbesitzer gleich fragen: Wo willst du mit meinem Tee hin?
Das hat was mit Ghetto zu tun, die Leute hier kennen sich, die leben hier in der dritten Generation, die Leute quatschen miteinander, jeder kennt jeden, das finde ich cool. Das hast du auch mehr bei Leuten, die aus dem Ausländer-Umfeld kommen.

Wie findest du Berlin-Mitte?
Fler: Ist mir zu anonym, zu spießig, aber in dem Sinne, dass die Leute, die echte Spießer sind, dir etwas von Toleranz erzählen. Im Endeffekt sind die aber nicht tolerant, denn du musst ja die ganz bestimmten Second-Hand-Klamotten tragen, die aber nicht wirklich Second-Hand sondern voll teuer sind. Das finde ich komisch.

Im Rap gibt es doch aber auch bestimmte Codes, was Kleidung angeht, oder?
Fler: Ach, nicht mehr. Es gibt nur den Code, dass jeder seinen eigenen Style haben muss. Diese Einheitsmode von früher gibt es nicht mehr. Gerade in den letzten sieben, acht Jahren hat sich das von selbst ergeben, weil die ganzen großen HipHop-Klamottenmarken pleite gegangen sind. Die Schublade HipHop war irgendwann nicht mehr cool, weshalb sie diese Mode dann ganz schnell als „Urban“ verpackt haben.

Und heute?
Fler: In Amerika muss ein Rapper halt Gucci und Louis Vuitton tragen, was auch andere reiche Leute tragen. HipHop hat in Amerika viel mit Nach-Erfolg-Streben zu tun, da geht es darum, dass du Marken trägst, die was ausmachen.

Du schreibst in deinem Buch zum Beispiel, dass dir ganz am Anfang die Klamotten von Xzibit gefielen…
Fler: Ja, Helly Hansen.

Du hast dich klamottenmäßig an dem orientiert, was so aus den USA rüberkam?
Fler: Ja, mir wurde damals ganz schnell klar: Wenn du nicht die oder die Schuhe hast, dann bist du nicht cool. Das fing mit den Jones Schuhen an, ging dann weiter zu Helly Hansen Jacke… Ich will nicht sagen, dass ich modebewusst war, aber eine gewisse Äußerlichkeit muss man schon an den Tag legen, damit man in der Gesellschaft akzeptiert wird, besonders in meiner Welt.
Es gibt immer unterschiedliche Dress-Codes, das ist einfach so, das finde ich auch cool, man muss das nicht immer negativ auslegen. Wenn eine neue, coole Sache rauskommt, dann rockt man die. In Amerika ist das so, da sind dann gerade die und die Kopfhörer in, oder das Iphone – ich finde das geil, ich mache da gerne mit. Ich rocke dann eine Sache und irgendwann ist sie halt wieder out, dann kommt die nächste. Das hat für mich auch was mit Leben zu tun.
Genauso ist es mit der Musik: Wenn ein neuer krasser Song rauskommt, dann wird der in anderen Länden einfach gefeiert, durchgerockt, bis er irgendwann wieder out it. Aber in Deutschland kommen dann Leute und sagen: „Nee, der ist jetzt voll in, das höre ich mir nicht an“, eben weil es gerade voll in ist. Die machen es komplizierter als es eigentlich ist.

Warst du am Anfang bei den amerikanischen Rappern von deren Coolnes angetan oder von deren Texten?
Fler: Die Texte habe ich nicht groß verstanden, das war schon die Coolness. Und diese Lebensart, wie HipHop bei denen im alltäglichen Leben stattfindet. Ich habe lieber nachts auf DSF Live-Übertragungen der NBA gesehen anstatt Bundesliga. HipHop ist da auch in der NBA, das ist dieses Schwarzen-Ding. Oder es wird als Schwarzen-Ding falsch verstanden, jedenfalls dieses Höher-Schneller-Weiter: Wenn jemand Erfolg hat, der danach strebt, dann ist es für die Amerikaner nachvollziehbar.

In Deutschland ist es das nicht?
Fler: Nein. Die Leute können hier nicht nachvollziehen, warum jemand einen dicken Wagen fahren möchte und kein Bock auf einen kleinen Wagen hat. Hier wird dir das als Charakterschwäche ausgelegt. Dabei spielt auch der Neid eine große Rolle. Du hast in Deutschland das Problem, das hier alle gleich sein müssen, vom Finanzamt her, von der Steuer, von der Politik. Und daraus entsteht Neid.

Warum?
Fler: Wenn du am Ende des Tages sagst, die Reichen müssen den Armen immer mehr abgeben, und der Arme kann sich immer mehr ausruhen, dann ist das unfair. Dann sind wir ja nicht alle gleich, weil es Leute gibt, die arbeiten, und andere, die nicht arbeiten. Sicher, wenn es Leute gibt, die nicht arbeiten können, oder Familien die viele Kinder haben, dann kann man die unterstützen. Aber generell zu sagen, ‚es gibt Hartz4 und der Spitzensteuersatz wird erhöht’ – das ist Deutschland. Die wollen halt, dass alles schön verteilt ist. Und dadurch, dass alles schön verteilt ist sagt sich irgendwann der Reiche: „Ich verpisse mich aus dem Land. Ich arbeite mehr als andere, muss prozentual aber genauso viel abgeben, wie jemand, der weniger Geld verdient.“ So geht ein Boris Becker oder ein Michael Schumacher dann halt ins Ausland.

Und du gehst in die USA?
Fler: Ja, ich will in die USA. Die Schweiz ist mir ein bisschen grau ist, vom Wetter her ist das nicht so schön.

Du willst weg, weil die Leute hier neidisch auf deinen BMW gucken?
Fler: Nein, weil die Leute generell einfach kleinkariert sind, spießig. Man muss das, was ich mache, hier in Deutschland noch erklären. In Amerika dagegen ist das so alltäglich, dass das gar nicht zur Debatte steht.

Was machst du denn?
Fler: Ich bin Rapper.

Und? Was gibt es da noch zu erklären?
Fler: Boah, da muss man so viel erklären.

Wo fühlst du dich denn missverstanden?
Fler: Ich fühle mich nicht missverstanden, ich kann mich schon sehr gut erklären, meine Musik findet auch da statt, wo sie stattfinden soll und die Leute, die meine Musik kaufen, die wissen es auch so zu nehmen, wie es ist. Der Rest aber nicht. Die Leute in Deutschland können nicht einfach ein Rap-Video angucken und es einfach als Rap-Video hinnehmen sondern es wird dann als sonstwas ausgelegt. Ich habe gerade eine Kritik von „23“ gelesen, dem Sido/Bushido-Album – die Platte wurde zerrissen, weil die zwei Typen einfach Geld damit machen. Allerdings weiß das doch jeder, dass die das wegen Geld machen. Ich finde, da sollte sich die gesamte Medienwelt, wenn sie sich auf das Thema stürzt, es auch so behandeln, wie es gemeint ist. Aber dann kommt die große Empörung und es heißt: „Nein, wie können die nur, die machen das nur wegen Geld und die Musik ist ja gar nicht so toll.“

Was war deine Motivation, als du mit HipHop angefangen hast?
Fler: Fame. Ich wollte berühmt werden. Ich komme ja vom Graffiti und da ging es genauso um Fame. Irgendwann habe ich gemerkt, dass man mit Rap noch bekannter werden und sogar noch Geld damit verdienen kann. Das Geld verdienen war für mich am Anfang aber nie so ein Thema, das kam erst in den letzten drei Jahren, nach dem ganzen Aggro-Berlin-Ding, als ich mit allen fertig war und alles alleine gemacht habe. Da merkte ich, je mehr Geld man verdient, um so mehr Spaß macht es. Klar, Geld macht dich halt frei. Vorher war ich halt immer sehr abhängig. Jetzt bin ich unabhängig, habe ein eigenes Label, eigene Klamottenmarke, eigenen Shop – das geht alles in meine Kasse. Ich kann selber investieren und selber sagen, wie viel ich ins Risiko gehen möchte. Das macht Spaß.

Hast du am Anfang darüber nachgedacht, wofür du stehen willst, als Rapper?
Fler: Nee. Da war auch nicht viel mit Vorbildfunktion. Ich habe mit 18 angefangen und meinen ersten großen Erfolg hatte ich mit 22. Da war nicht viel mit „ich bin der und der“ oder „möchte das und das darstellen“. Ich war halt schon sehr – da bin ich ganz ehrlich – egoistisch und radikal. Man wollte erstmal sein Ding durchziehen und Erfolg haben. Das kann man aber auch ein bisschen nachvollziehen, wenn man weiß, aus welcher Ecke ich komme. Mit dem Background ist man nicht wirklich auf Samariter-Tätigkeiten aus.

Ich habe in deinem Buch relativ wenig gefunden über erste HipHop-Platten, die dich geprägt haben…
Fler: Das war auch nicht viel. Die erste Platte, die ich krass fand, war „Enter the Wu-Tang“ vom Wu-Tang Clan, weil es auch das erste krasse Brooklyn-Ding war. Das war New York, Brooklyn, das war hart, geil, das hat mich fasziniert.
Bei mir war es weniger mit Tupac, mit dem konntest du mich jagen, den habe ich nie kapiert.

Du hast die Texte von Wu-Tang aber auch nicht verstanden.
Fler: Naja, das musstest du auch nicht, bei Wu-Tang ging es viel um Style. Da gab es dann Ol’ Dirty Bastard, der rumgeflaxt hat, im Video waren die mit Strumpfhosen über dem Gesicht und mit Messern auf’m Schachbrett – das war halt voll ill. Als Jugendlicher hast du dir das angeguckt und es verstanden. Du hast gemerkt, die wollen zeigen, wie krass Brooklyn ist.

Hat dich die Gangster-Attitüde gereizt?
Fler: Ja. Aber nicht Gangster in dem Sinn… Da war nicht viel mit Knarren, die hatten die Strumpfhosen über dem Kopf, Messer und Schwerter, da gab es Chess Boxing, Bruce Lee… Ich ging immer viel auf Optik, weil von den Texten hat man ja nicht viel verstanden.

Aber Die Fantastischen Vier hättest du zu der Zeit ja verstehen können.
Fler: Das habe ich sofort, na klar. Aber das sind für mich Hampelmänner gewesen, schon als Jugendlicher.

Warum?
Fler: Wenn ich dir das noch erklären muss, dann wirst du die Antwort auch nicht verstehen.
Es geht um Attitüde. Fanta Vier sind für mich Typen, die irgendwann mit Sprechgesang angefangen haben, aber ohne die Attitüde, die man meiner Meinung nach als Rapper an den Tag legen muss. Es gibt Rap ja nur wegen dieser Attitüde, daraus hat sich diese Musikrichtung entwickelt. Und für mich haben Fanta Vier da nichts verloren. Sie rappen zwar, aber es ist für mich kein Rap. Bei Rap geht es um die Art und Weise, was du rüberbringst und wie du es rüberbringst.

Rap gibt es nur wegen der Höher-Schneller-Weiter-Attitüde?
Fler: Ja, zum einen dieses Höher-Schneller-Weiter-Ding, aber auch das Armuts-Ding, das Zusammenhalten, gegen den Strom schwimmen, das Rebellische, sich nicht unterordnen, nicht den spießbürgerlichen Alltag zu leben, wie es jeder macht, sondern sein eigenes Ding zu machen. Selbstständig zu sein.

Haben dann Wohlstandskinder in deiner Auffassung von Rap nichts zu suchen?
Fler: Doch. Es gibt auch Typen, die Geld haben und sich trotzdem diesen Film geben und mit Leuten rumhängen, die von der Straße kommen, aber das sind Ausnahmen. Die meisten aus gutem Elternhaus können diesen Film nicht nachvollziehen und darum leben sie ihn auch nicht.

Und intelligente Texte, wie sie die Fantas mitunter rappen…
Fler: Wenn du intelligent bist kannst du auch studieren gehen, dann kannst du alles machen. Mach deine Schule, mach dein Abi und dann studierst du was.

Rapper sollte so jemand dann nicht werden?
Fler: Nein, weil Rap kommt von den Leuten, die kein Geld hatten und nicht studieren konnten.

Und deswegen passen Fanta Vier für dich nicht in die Rap-Welt?
Fler: Ich gehe doch auch nicht einfach in die Uni und setze mich in eine Vorlesung. Da würden die mich angucken und fragen: „Hast du jetzt Abi gemacht? Wenn du kein Abi gemacht hast, brauchst du dich hier nicht hinsetzen.“ Da würde ich sagen: „OK, ihr habt Recht.“
Mag ja sein, dass die Fantas intelligente Texte haben, voll cool, „MfG, mit freundlichen Grüßen“ – wenn das zufällig mal läuft wenn ich bei McFit bin, höre ich mir das aufmerksam an, das Wortspiel ist doch toll. Aber am Ende frage ich mich: „MfG, mit freundlichen Grüßen“? Was reden die da? (singt weiter) „die Welt liegt uns zu Füßen, denn wir steh’n drauf, wir geh’n drauf für ein Leben voller Schall und Rauch, bevor wir fall’n, fall’n wir lieber auf. Hey…“ – Mach das mal hier in Tempelhof auf der Straße, da kriegst du zwei Schellen und läufst weiter. Mit der Haltung kommt dir hier in der Gegend niemand, aber da wo die Fantas herkommen, ist das cool. Nur kommt Rap nicht von dort.

Rap ist nichts für Softies?
Fler: Könnte man sagen, ja. Weil Rap sich mit der harten Realität auseinandersetzt und Softies haben in der harten Realität nicht wirklich viele Chancen. Du kannst in der Schule was für dein Zeugnis lernen aber auf der Straße lernst du was fürs Leben. Ich bin heute Unternehmer, weil ich etwas fürs Leben gelernt habe. Ich habe aber nicht mal einen Hauptschulabschluss.

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Die Leute in Deutschland können nicht nachvollziehen, warum jemand einen dicken Wagen fahren möchte und kein Bock auf einen kleinen Wagen hat. Das wird dir als Charakterschwäche ausgelegt.

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Bist du als Rapper ehrlich?
Fler: Natürlich! Das ist die Grundvoraussetzung. Sonst erzählst du ja Scheiße. Sonst kann ja jeder kommen und rappen. Wenn du dir zum Beispiel Amy Whinehouse anguckst, warum ist die so krass gewesen? Weil sie authentisch war! Was sie gesungen hat, das hat sie gefühlt, und am Ende ist sie sogar daran zugrunde gegangen. Michael Jackson, die größten Musiker, Rolling Stones, Beatles – die sind authentisch, was die gesungen haben, haben die gelebt. Und genau das erwarte ich auch von einem Rapper. Um mehr geht es gar nicht.

Aber nun gibt es auch Rapper wie beispielsweise Farid Bang, der viel über Waffengewalt rappt, die aber so in seinem persönlichen Leben nicht vorkommt, wie er im Interview sagte.
Fler: Und darum ist Farid Bang für mich auch kein cooler Rapper. Das ist ja genau das Ding, das sind die Nachkömmlinge von uns, die haben früher unsere Musik gehört und denken jetzt, sie müssen von Waffen reden, von irgendeiner Scheiße und dann läuft das. Ja, das läuft dann auch bis zu einem gewissen Punkt. Aber wenn dann irgendwann jemand mit Grips kommt und Interviewfragen stellt, wo es darauf hinausläuft, dass er das gar nicht ist, was er da rappt, dann würde ich als Journalist sagen: „Das Interview war bis hierhin ganz interessant, aber was soll ich noch mit dir reden? Du erzählst mir doch was vom Pferd.“

Die Gangster-Pose verkauft sich eben gut.
Fler: Fanta Vier hat sich besser verkauft als Farid Bang.

Aber es haben sich viele Gangster-Rapper in Deutschland besser verkauft als die Fantas.
Fler: Niemals. Keiner. Glaub mir, ich kenne die Zahlen.

Auch nicht amerikanische Gangster-Rapper?
Fler: Nein. Ich verkaufe mehr, Farid Bang verkauft in Deutschland mehr als Snoop Dogg. Fanta Vier verkaufen in Deutschland heute noch mit am meisten.

Obwohl sie etwas machen, wo du sagst: Passt nicht.
Fler: Wenn die mit witzigen Texten Erfolg haben sei ihnen das gegönnt, und wenn es die größten Vögel sind geht mich das nichts an. Es gibt immer noch mehr Vögel da draußen in dieser Welt und die kaufen halt Musik von Vögeln. Das wird immer so bleiben. Es wird immer irgendein Spinner kommen und Erfolg haben und alle fragen sich, warum. – Weil es da draußen so viele Idioten gibt. Und gerade diese Raps a la „MfG, Mit freundlichen Grüßen, denkst du, du bist was Besseres, weil du einen 7er BMW fährst? Ich fahre Fahrrad und bin voll szene“ – Ey Mann, von denen gibt es im Moment so viele. Die Leute kaufen dann halt Casper featuring Marteria.

Du kannst dieser Art von Rap nichts abgewinnen?
Fler: Mir ist das egal, ich mache mein eigenes Ding, habe meine eigene Fanbase und meine eigene Art und Weise. Ich will nicht, dass jeder so ist wie ich, um Gottes willen. Ich will dir nur erklären: Wenn sich diese Leute wirklich mit der Straßen-HipHop-Attitüde auseinandersetzen müssten, dann hätten die gar kein Bock auf Rap. Die hätten hier eine Woche abgehangen und gesagt: „Oh mein Gott, das ist mir zu anstrengend, ich mache jetzt doch lieber mein Studium weiter.“ Darum kriegen die von mir keinen Respekt, wenn es um Rap geht. Das sind für mich keine Rapper. Aber deren Erfolg ist deren Erfolg, die haben ihre Arbeit gemacht und bekommen ihren Lohn, dagegen kann ich nichts sagen. Auch bei Farid Bang nicht. Du kannst dich aber als Hörer fragen: „Der rappt von Waffen, hat aber keine – muss ich mir das dann antun?“
Fanta Vier haben wahrscheinlich 100 Prozent das erlebt, was sie singen.

Aber auch unehrliche Rapper haben Erfolg.
Fler: Am Ende muss das Produkt gut sein. Wenn du am Ende des Tages von Blümchen rappst und das funktioniert, dann hat das Produkt funktioniert. Nur werden dann auch Leute, die sich noch nie in ihrem Leben mit der Straße auseinandergesetzt haben, in Deutschland als Rapikonen angepriesen. Es muss jetzt nicht jeder Rapper von Straße und Ghetto reden, aber man merkt, dass manche Leute Rap aus einer völlig falschen Perspektive betrachten.
Ein Fußballspieler weiß, dass er auf den Platz spucken darf, die klapsen sich untereinander auch an den Arsch, oder schreien rum – das wird im Sport als normal angesehen.
Wenn jetzt aber ein Rapper kommt und sagt: „Ich fick deine Mutter, du Hurensohn“, dann kriegen die Leute das in den falschen Hals, die wissen dann nicht, dass „Ich fick deine Mutter, du Hurensohn“ oder „du bist eine Schwuchtel“ nichts mit Sexualität zu tun hat. Wenn sie das nicht begreifen, dann haben sie den Sport nicht begriffen, dann haben sie Rap nicht begriffen. Und Leute, die Fanta Vier hören, haben den Sport nicht begriffen. Die sagen dann: „Fler höre ich mir nicht an, weil der ist ja Nazi, der ist ja frauenfeindlich, ich höre lieber Fanta Vier. Mit freundlichen Grüßen“. – Da wirst du richtig aggressiv!

Was ist heute dein Ziel als Rapper?
Fler: Es ist mein Job, es macht Spaß, ich merke, das ist ausbaufähig, nach oben hin ist alles offen, auch dadurch, dass ich mir noch größere Ziele gesetzt habe, noch mehr Erfolg, ich gehe auf Tour. Ich bin seit einem Jahr selbstständig, ich fange jetzt erst an. Action.

Und wann ist man zu alt für HipHop?
Fler: Jay-Z ist 42. Dr. Dre ist 42, Eminem ist 39. Wir sind Musiker.

Du siehst HipHop nicht zu sehr als Jugendkultur-Ding?
Fler: Nein, absolut nicht. Die Fantas sind ja auch alle 50. Mir ist es egal, was die Leute für ein Alter damit verbinden.

Wie sieht heute dein Tagesablauf aus?
Fler: Lange schlafen, weil ich spät ins Bett gehe, dann meistens zum Sport, nach Hause, Emails beantworten… – eigentlich den ganzen Tag nur Emails beantworten. Dann auf Tour gehen, ein Album aufnehmen – und Emails beantworten. Rechnungen schreiben – und Emails beantworten.

Klingt ja spannend.
Fler: Naja… In meiner Freizeit bin ich hier in Tempelhof, da gibt es manchmal SEK-Einsätze, drei bis fünf Mal die Woche, wegen der Hells Angels, die Cafes hier sind ja von denen.

Und solche Erfahrungen kommen dann in deine Texte?
Fler: Ja, das ist wirklich so. Wenn du dich abschottest, verlierst du den Bezug.

Ist das Rap-Business heute weniger gefährlich?
Fler: Für Rapper wie mich ist es nach wie vor genauso gefährlich wie am Tag Eins.

Was für Gefahren sind das?
Fler: Angriffe. „Tätliche Angriffe“.

So wie 2007, als du im Gebäude von MTV angegriffen wurdest?
Fler: Ja, auf jeden Fall.

Brauchst du Bodyguards.
Fler: Nein.

Sido meinte im Interview, jeder Rapper in Berlin bräuchte einen Bodyguard.
Fler: Weil er einen hat (lacht). Moussa, der Dicke. Ich brauche keinen, weil ich mich selber wehren kann. Aber wenn du nicht unbedingt den Background hast, dann musst du ab einem bestimmten Status Bodyguards haben.

Ist denn zuletzt was passiert?
Fler: Nein. Aber es ist allgegenwärtig, es gibt arabische Familien, türkische Straßengangs, Rockerbanden…

Was haben Rapper damit zu tun?
Fler: Die verkehren in den Kreisen, Rapper leben in dieser Welt. Darum ist klar, wenn die eine Clique sich mit der anderen nicht versteht, das dann auch die Rapper betroffen sind.

Sind Beefs weniger geworden?
Fler: Sie sind jetzt weniger attraktiv für die Medien. Und ich selbst habe auch keine Lust mehr auf Beef mit irgendwelchen Opfern, irgendwann ist mal Feierabend.
Du kannst es natürlich als Marketing-Instrument benutzen, aber nur wenn der Zaubertrick noch nicht bekannt ist. Und sobald dir jemand sagt, „Beef ist ein Marketinginstrument“, ist es keins mehr. Mittlerweile weiß das jeder zweite Schreiberling: „Oh, der disst den jetzt nur  wegen der Promo.“ Selbst wenn es nicht als Promo gedacht war. Das ist schon deinstrumentalisiert. Wenn ein Zaubertrick erklärt ist wird David Copperfield den auch nicht mehr anwenden. Beefs werden mittlerweile sogar von der Fanbase als Marketing abgetan. Somit zeigst du als Rapper eher Größe, wenn du dich davon fernhältst und da drüber stehst.

Ist es versöhnlicher geworden? Immerhin bringt Sido nun zusammen mit Bushido ein Album raus.
Fler: Das ist Marketing. Wenn der eine Zaubertrick verraten wurde machst du den nächsten. Die werden gut verkaufen.

Hast du bestimmte Ideale, Werte, die du wichtig findest?
Fler: Ich bin schon konservativ. Ich finde, ein Typ muss ein Typ und eine Frau muss eine Frau sein. Aber das beziehe ich nur auf mich, das ist die Wertevorstellung, wie ich sie für mich selber habe. Wenn der Mann ein Softie ist und die Frau zu emanzipiert, dann geht für mich die Rechnung nicht auf, im alltäglichen Leben. Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass die weibliche Emanzipation für die Frau nach hinten los gegangen ist und dass diese Softie-Art, die Männer an den Tag legen, für die Männer auch nach hinten losgegangen ist. Ich bin schon für Rollenverteilung und ich habe auch eine Frau gefunden, mit der ich das leben kann. Sie sieht es nicht als Unterdrückung an, sondern als gute Eigenschaft, als Entlastung, dass ich jemand bin, der gerne die Kohle nach Hause bringt. Ich bin gerne jemand, der sich um eine Frau sorgt, der ihr aber auch sagt: Dahin darf sie gehen und dahin nicht. Ich empfinde es auch als super Entlastung, dass sie für mich kocht, im Haushalt was macht, fürsorglich ist, deswegen klappt das bei uns. Alles andere in der heutigen Zeit, wenn die Frau sagt, „nee, ich mache nicht den Abwasch, ich mache nicht das Essen“, das ist für mich geisteskrank. Dann geh doch auf’n Bau, wenn du das so geil findest. Männer sind Männer und Frauen sind Frauen.
Auch der Umgang mit Homosexualität und dem ganzen „Ey, ich bin jetzt tolerant, habe die Schwulenfahne auf meinem Auto“ – das macht für mich keinen Sinn. Ich trage doch meine Sexualität auch nicht nach außen. Deswegen habe ich da krass was gegen.

Wogegen?
Fler: Gegen diese ganze Christopher Street Day Geschichte. Ich gehe doch auch nicht auf den Ku’damm mit meiner Freundin knutschen. Das ist deren Lifestyle geworden, dass die ihre Sexualität zum Thema machen, das hat aber nichts mehr mit Toleranz zu tun.
Die meisten Leute, die Toleranz für sich erwarten sind meistens selbst intoleranter. Und wenn sich Leute im KitKat-Club anpissen möchten – da sage ich, ich glaube an den lieben Gott und sich irgendwo in der Öffentlichkeit anzupissen, ist nicht gut für den Geist. Dieses „hey, wir sind alle voll frei und können machen was wir wollen“, das ist für mich einfach krank, ein Zeichen der Zeit. Da bin ich als Rapper auch sehr religiös.

Was genau stört dich denn daran, dass Schwule das nach außen tragen?
Fler: Mich belästigt das in dem Augenblick. Zwei Menschen zu sehen, die sich ablecken. Die machen das ja auch, um zu provozieren – heterosexuelle Paare machen das nicht. Nicht auf einem Wagen in Lederklamotten mit Dildo.

Warst du schon mal auf der Love Parade?
Fler: Da verkehrten ja generell solche Leute, die sich gerne halbnackt auf einem Wagen zeigen. Und ja, wenn das ein Mann mit einer Frau macht, sage ich genauso: Bist du behindert? Geh mit deiner Frau nach hause in dein Schlafzimmer.

Tauchen diese Wertevorstellungen auch in deinen Texten auf?
Fler: Nein, in meiner Musik geht es um die Attitüde. Das hörst du schon an meiner Stimme, „dass ich keinen Scherz mache, Finger weg, die Scheiße ist zu heiß, Herdplatte“. Da geht es um Lines, cool zu sein, Spaß zu haben, die Mucke, sehr zeitlos. Es gibt auch Songs, wo ich über Weiber und Ficken rappe, Songs, wo ich über Liebe rappe, über Partys…

Gibt es Dinge, wo du sagst, das gehört nicht in einen Rap-Text?
Fler: Ja, wenn es nur Albernheiten sind, finde ich es nicht cool. Aber mal ein witziger Song ist auch gut, Wortwitz ist cool. Aber jetzt nur sarkastisch durch die Blume voll spaßig locker flippig sein ist… – Nee, sag was Sache ist.
Zu politisch sollte man nicht sein, Rap an sich ist ja schon ein politisches Statement, ein Statement an die Gesellschaft an sich.

Wenn man es mit Rebellion verbindet?
Fler: Ja, aber nicht in dem Sinn, dass man jetzt so punkermäßig auf Randale aus ist. Sondern man sagt: Ich brauche keine Schule, ihr wolltet mich damals nicht in dieser Gesellschaft haben, also sage ich mich von dieser Gesellschaft los – aber dann muss ich auch selbständig mein eigenes Leben machen. Da kann ich nicht dem Staat auf der Tasche liegen, das ist das Ding was ich vertrete.

Wie weit kann man mit Rassismus in Texten gehen?
Fler: Wenn es persönlich wird müssen Rapper untereinander halt wissen wie weit sie gegenseitig gehen können, weil sonst kommt es zu solchen Ausschreitungen, wo dann halt mal Messer oder Kugeln fliegen. Aber in der Regel braucht man das nicht, mit Rassismus wird es auch ganz schnell blöde. Das gab es auch noch nicht in Deutschland, dass ein Rapper andere runtergemacht hat, mit „scheiß Kanacke“ oder so.

Wie stehst du zu G-Hots Song „Keine Toleranz“?
Fler: Das war ein Song, der ihm auf jeden Fall das Genick gebrochen hat. Da war klar, dass so etwas nicht geht und da war auch ganz schnell Feierabend.

Du würdest also auch sagen, dass so etwas nicht geht.
Fler: Absolut nicht! Da fängt er an über andere Leute in der Öffentlichkeit zu urteilen – aber ob du dich mit deinem Freund triffst und dich in Arsch ficken lässt ist mir doch egal. Das interessiert mich doch nicht, hat mich auch nicht zu interessieren. Aber bitte mach es nicht da oben auf so einem Wagen mit Musik. Ich gehe mit meiner Freundin auch nach hause.

Und das in der Rap-Musik auszubreiten…
Fler: Das ist blöde. Wenn du mit deinen Freunden so redest und solche Worte fallen ist das eine Sache, aber man kann es nicht in so einem Song machen.

G-Hots Plattenfirma hat den Song damals als Satire verteidigt.
Fler: Es war Satire in dem Sinne, dass er diesen Song gemacht hat. Dass er dieses Thema in so krasse Worte gefasst hat und sich getraut hat, das auszusprechen. Das war der Fehler. Wenn du in unserer Gesellschaft so einen Song rausbringst darfst du dich nicht wundern, dass die Leute so damit umgehen. Es gibt gewisse Verhaltensregeln in unserer Gesellschaft und deine Meinung über Schwule kannst du für dich behalten.

Man muss sich als Rapper ja auch Gedanken darüber machen, wie Texte beim Hörer ankommen…
Fler: Das sowieso, weil du ja was verkaufen willst. Aber du musst dir natürlich auch bewusst sein, dass du nicht auf den Schwächeren rumhacken darfst. Und in dem Augenblick bist du ein Sprachrohr. Dieses Sprachrohr kann nicht jeder nutzen, deshalb bist du dann halt der Stärkere. Es kann ja nicht jeder Schwule anfangen, zu rappen. Und wenn ein Schwuler so einen Song hört, fühlt der sich natürlich verfolgt.

Gibt es eigentlich schwule Rapper?
Fler: Nein. Es gibt bestimmt irgendwo einen Schwulen, der anfängt, zu rappen, aber es gibt keine schwulen Rapper. Die Rechnung geht nicht auf. Es gibt ja auch keine harten Balladensänger. Es gibt auch keine harten Volksmusiker. Das gibt es nicht, da gebe ich dir Brief und Siegel drauf. Weil es um die Attitüde geht. Andrea Berg ist eben keine Bitch, die kann jetzt nicht singen „Hey, du geiler Typ, bagger mich an, wir gehen in den Club und saufen einen“. Das würde nicht passen, das würde keinen Sinn machen.

In „Kein Kommentar“ rappst du „Ich fick auf Vater Staat“. Was läuft denn so alles falsch in Deutschland?
Fler: Die Jugend hat keine Berechtigung. Die Gesellschaft vergreist, man müsste den Jugendlichen mehr Freiraum geben, sich zu entfalten. Dazu müsste man einfach auch anerkennen, dass die Jugend ihre Berechtigung hat, der Jugend mehr zuhören, weniger darauf achten, ob jeder seinen Strafzettel bezahlt, sondern eher darauf, ob Kinder vergewaltigt oder misshandelt werden. Deutschland gibt einem Kinderschänder zwei Jahre und einem Steuerhinterzieher acht Jahre Gefängnis. Die Gesetzgebung müsste geändert werden, es müsste wirklich wieder mehr Demokratie sein, die Leute gehen ja fast nicht mehr wählen, das sieht man ja an der Piratenpartei. Die bekommen so viel Aufmerksamkeit, weil fast keiner mehr wählen geht. Die Leute glauben nicht mehr an das Wahlsystem, nicht mehr an die Demokratie – es ist alles sehr heuchlerisch in Deutschland.

Und in den USA?
Fler: In den USA ist es Kapitalismus, aber es ist wenigstens ehrlich. Es geht um Kohle. Aber es ist mir lieber, wenn es ehrlich und hart ist, und ich weiß, worauf ich mich einlasse, als dass mir jemand was vom Pferd erzählt. In Amerika hast du was, bist du was.

Hast du schon Pläne, wann du auswanderst?
Fler: Wenn hier alles erledigt ist.

„Erledigt“ heißt?
Fler: Alles Kohle, alles Geld, ein paar Sachen regeln. Aber ich könnte auch in Amerika leben und hier Musik rausbringen. Dafür gibt’s ja das Internet.

Eine Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Fler: Geile Frage, alter. Ehrlich, das ist die beste Frage, die mir jemals gestellt wurde. Damit kannst du ja genau beschreiben, wer du bist. Aber da muss ich jetzt überlegen… Eigentlich würde ich sagen „Captain America“. Ich habe den Film gestern gesehen und der Typ ist am Anfang ja auch ein kleiner Strich. Dann spritzen sie ihm was und er wird zum Helden. Genauso war das bei mir. Ich war auch früher ein kleiner armer Junge und dann bin ich auf einmal groß geworden.
Oder nee, ich hab’s. Wobei, wenn ich das jetzt sage… Ich bin Cartman von South-Park. Der erzählt miese Sachen, der hat was gegen alle, der spricht’s aus. Aber ich mag den, ich lach mich immer tot, wenn ich den sehe.

Das Interview entstand im Oktober 2011.

Fler wurde 1982 als Patrick Losensky in Westberlin geboren. Nach einer angefangenen Lehre als Maler und Lackierer gelangte er über die Berliner Sprayer-Szene zum Rap. Er arbeitete mit Bushido zusammen und war von 2003 bis 2009 beim Hip-Hop-Label mehr

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