[Das folgende Interview entstand im Oktober 2012. Leider rutschte unser Autor im Anschluss an das Gespräch auf einer Bananenschale aus, weshalb das Diktiergerät zu Bruch und die Interview-Aufnahme verloren ging. Abweichungen des Gedächtnisprotokolls zum Original-Gespräch können somit nicht ausgeschlossen werden.]
Fraktus, in diesem Tagen erntet ihr Lob von allen Seiten. Auch Künstler wie Marusha oder HP Baxxter von Scooter haben sich als Fraktus-Fans geoutet. Wie fühlt es sich an, von Leuten, die mit Kirmes-Techno reich und berühmt geworden sind, gelobt zu werden?
Dirk Eberhard „Dickie“ Schubert: Das kommt darauf an, auf welche Art von Musik man steht. Für uns sind gerade deren textliche Inhalte sehr interessant. Die Texte von HP sind sehr fortschrittlich. Nur seine Haarfarbe finde ich ein bisschen … anstößig.
Bernd Wand: Um ehrlich zu sein: Ich finde die Texte von Scooter zu wenig deutsch. Fraktus haben ja immer deutsch getextet und wir arbeiten gerade auch einer Renaissance der deutschen Sprache in der Techno-Musik.
Torsten Bage: Also, ich für meinen Teil meine, dass Kirmes oft unterschätzt wird. Ernsthaft.
Was haltet ihr denn von der Filmdokumentation über Fraktus, die gerade die Programmkinocharts stürmt?
Bage: Für dieses Filmdesaster weisen wir jede Verwicklung von uns. Da haben uns Leute mit falschen Versprechungen geködert. Es ging um eine Dokumentation über das Schaffen von Fraktus, doch das Ergebnis ist unterirdisch. Das Bild von uns wurde umgedreht und erscheint nun in sehr negativem, braunem Licht. Ein braunes Licht, das da über uns ausgekippt wurde. Uns als Fraktus bleibt nur Schadensbegrenzung. Deswegen gehen wir auf Konzertreise. Wir müssen bewusste Falschinformationen und Gehässlichkeiten richtig stellen.
Schubert: Ja, mit dem Film versucht man uns bloßzustellen und ein zweites Mal unsere Karriere zu beenden. Der Film sollte unser Grabstein werden. Also mussten wir das Grab verlassen, wir hatten keine andere Wahl. Wir werden jetzt das ganze Europa abfahren, wir werden überall dorthin fahren, wo der Film läuft, um größere Schäden zu vermeiden. Die Leute überzeugen, dass wir nicht die Schweine sind, die im Film dargestellt werden, das ist jetzt unsere Mission.
Wie wird diese Klarstellung konkret aussehen?
Bage: Keiner wird mit seiner Kinokarte zu unseren Konzerten reinkommen, das wird kontrolliert.
Schubert: Alle, die den Film gesehen haben und dann mit dieser verfälschten Meinung zu unseren Konzerten kommen, können direkt nach Hause gehen. Mit denen möchten wir nichts zu tun haben. Wir wollen bei unseren Konzerten nur grundsätzlich unbelastete Leute mit offenen Ohren begrüßen.
Ein Teil der Grundidee von Fraktus war es, Gefühle abzuschaffen.
Welche Idee steht hinter Fraktus?
Schubert: Wir sind keine Band, wir sind ein Kunstprojekt. Seit 25 Jahren eine Art lebendige Ausstellung. Musik ist eines von vielen Ausdrucksmitteln, die wir benutzen, um den Leuten Informationen zu verschaffen. Wir leben in einer Zeit, in der es keine Informationen für die Menschen gibt. In der alle Informationsströme gekappt sind. Wir verstehen uns als eines von wenigen, noch existierenden Informationsmedien.
Wo ist denn für euch die Grenze zwischen Informativer Kunst und Agitation? Suchen Fraktus die Nähe zu Liedermachern wie Walter Mossmann und dessen Flugblattliedern aus den 70er und 80er Jahren?
Bage: Von den Flugblattliedern distanzieren wir uns richtig deutlich stark. Als wir 1979, damals noch unter dem Namen Freakazzé, unsere erste Single „Big Bell“ rausbrachten, konterte Walter Mossmann mit seiner Doppel-LP „Frühlingsanfang“. 1983 hat Mossmann dann gemeinsam mit Heiner Goebbels für das „Unruhige Requiem“ Platz 1 der Lieder-Besten-Liste des SWF erklommen. Der war eigentlich für unseren Hit „Affe sucht Liebe ´83“ bestimmt, aber wir hatten abgelehnt. Lieder-Besten-Listen sind niemals unser Antrieb gewesen.
Doch mit Fraktus habt auch ihr immer am Rande der Kommerzialität agiert, das zeigt sich ja besonders im Song „All die armen Menschen“ in dem ihr euch quer durch deutsche Städte buchstabiert. Billiger kann man sich dem Publikum doch gar nicht andienen…
Bage: Nö…. Also,..
Schubert: Dieses Deklinieren war unsere Hommage an das deutsche Hinterland und seine wohlklingenden Ortschaften. Ich finde, selbst heute hat der Name „Memmingen“ nichts von seinem Charme eingebüßt, oder „Brackenheim“. Mit Kommerzialisation hat das für meine Gefühle nichts am Hut.
Wie wichtig war und ist Provokation für Fraktus?
Schubert: Provokation ist ja auch so ein Wort. Ich habe ja mein eigenes Internetcafé aufgebaut und es „Surf’n Schlurf“ genannt. Da haben viele die Nase gerümpft. Es ist vielleicht keine Provokation, aber es ruft etwas hervor. Insofern ist es dann vielleicht doch eine Provokation.
Wand: Zu meiner Zeit galt ein Arschgeweih ja noch als Provokation. Ich glaube, diese Zeit kommt jetzt wieder. Und dann ist es doch nicht schlecht, wenn das gute Stück noch da ist. Ein weggelasertes Arschgeweih hat keine Kraft mehr. Das ist peinlich.
Bage: Ich für meinen Teil meine, man muss mit der Zeit gehen, denn die Zeit ist einem immer voraus.
Was ist heute euer Begriff von elektronischer Musik?
Schubert: Das, was wir machen. Musik und Klang gehen über das reine musikalische Ergebnis hinaus und es wird zur Kunstausstellung.
Wand: Du musst erkennen, dass nicht nur du das Instrument spielst, sondern umgekehrt auch dich das Instrument. Wer deine Musik anstellt, stellt dich an. Wir sind beides und nennen Ross und Reiter.
Schubert: Und wir machen uns als letzte Band für Atomkraft stark. Wir sind von ihr abhängig, ohne Atomkraft wären wir nur eine Straßenband. Wir wollen Strom und brauchen sehr viel Strom. Das ist auch ganz klar unser politisches Ziel.
Eine Genderfrage: Warum wurden in der Dokumentation über Fraktus Frauen ausgespart? Gab es keine?
Bage: Doch. Die Mütter hatten Bedeutung. Durch Geburt. Eindeutig. Wir alle drei hatten in unserem künstlerischen Schaffen nie Kontakt zu Frauen. So ist ja auch das sehr männliche Bild der Gruppierung Fraktus entstanden, das können wir nicht von der Hand weisen.
Schubert: Ein Teil der Grundidee von Fraktus war es, Gefühle abzuschaffen. Wir haben keine Gefühle mehr gehabt. So kam damals ja auch „Affe sucht Liebe“ zustande. Ich glaube, Frauen hätten der Erfolgsgeschichte von Fraktus auch nur im Weg gelegen.
Yoko Ono soll ja für das Ende der Beatles verantwortlich sein. Wobei Paul McCartney das kürzlich dementiert hat. Wie denken Fraktus darüber?
Schubert: Ich würde die Gegenthese formulieren wollen, dass sich Lennon eingeschmuggelt hat, um die Plastic Ono Band zu zerstören.
Wand: Ich habe nie behauptet, dass Yoko Ono die Beatles auseinander gebracht hat. Ich war immer dicke mit Yoko Ono. Auch wenn wir uns nicht kennen, habe ich immer ein starkes Sympathiegefühl von ihr gespürt. Und die Platten mit der Plastic Ono Band stehen bei mir ganz weit vorne im Regal. Fraktus hat nie gesagt, dass Yoko Ono in die Trennung verwickelt war.
Schubert: Viel wichtiger ist: Yoko Ono hat die Scorpions zusammen gebracht. Selbst wenn sie für die Trennung der Beatles verantwortlich wäre, hätte sie damit alles wieder gut gemacht!
Nach eurem Absturz mit Fraktus habt ihr damals ja noch versucht, die Band in ein Comedyprojekt mit dem politisch nicht unstreitbaren Titel „Studio Braun“ umzuwandeln. Warum hat diese Transformation nicht funktioniert?
Bage: Studio Braun ist tot. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Wand: Dem habe ich nichts hinzuzusetzen.
Schubert: Ich glaube wir waren damals nicht humorig genug. Wir haben uns backstage immer über die eigenen Witze scheckig gelacht, aber wenn wir die auf der Bühne gebracht haben passierte gar nichts.
Wand: Für den Humor des Publikums fehlten uns die Spürnasen, ganz einfach. Wir haben unsere Witzsprüche dann aufgespart und ganz subtil in Songs verpackt, so dass die Leute es nicht mehr mitgekriegt haben.
Schubert: Es soll aber inzwischen einige erfolglose Coverbands geben, die auch „Studio Braun“ heißen und die heute unsere gescheiterten Gags von damals abfeiern. Aber auch davon distanzieren wir uns ganz aufdringlich.
Im Moment liegen 90er Jahre-Partys im Trend. Was haltet ihr von solchen Retro-Wellen?
Wand: Ultra Ätzend. Alte Sachen wieder aufwärmen ist das langweiligste.
Bage: Eine Bankrotterklärung sondergleichen.
Wand: Es muss neu sein. Komplett neu aus dir herauskommen.
Bage: Wir sehen uns in keiner Tradition. Wir haben damals in unserem Proberaum ein Experiment gestartet, das blubbert immer weiter.
Schubert: Wie ein Chillum. Wo immer einer reinbläst. Wie ein Didgeridoo. Ich habe nie verstanden, wie das funktioniert. Die blasen rein und es wird laut.
Wie steht ihr zu Comebacks?
Wand: Comebacks sind furchtbar langweilig. Comebacks stinken. Sie sind das überflüssigste überhaupt. Ich finde Bands, die ein Comeback anstreben überaus verachtenswert.
Bage: Würden wir auch nie machen.
Zum Schluss: Wenn ihr jetzt wieder auf die Bühne geht, wie werden sich eure Konzerte weiterentwickeln?
Bage: Das ist ähnlich wie mit einer Kerze, das kann nicht weiterentwickelt werden.
Wand: Oder wie das Rad.
Bage: Wir haben zwei Maximen: So laut und so hell wie möglich. Alles andere gehört verboten. Alles was wir nicht auf unserer Show machen gehört verboten. Wir gehen bis zum Rand der Legalität. Unsere Konzerte sind Komplettüberforderungen. Für das Publikum, für die Räumlichkeiten, für das technische Gerät. Mehr geht nicht.