Herr Schätzing, Sie attestieren der RTL-Verfilmung Ihres Roman-Bestsellers „Die dunkle Seite“ Hollywood-Qualitäten. Sind Sie traurig, dass der Film nicht im Kino läuft?
Frank Schätzing: Nein. Wir hatten von vornherein vereinbart, dass er fürs Fernsehen gemacht wird. Er hat Hollywood-Qualitäten, aber wenn man ihn jetzt ins Kino brächte, würde man im Vergleich zu aktuellen Produktionen wie „Michael Clayton“ gerade bei den Special Effects ein Budgetdefizit sehen. Fürs Kino hätte man noch mal mindestens 20 Millionen mehr investieren müssen, fürs Fernsehen jedoch ist der Film überdurchschnittlich.
In „Die dunkle Seite“ geht es um die Detektivin Vera Gemini, die im Auftrag eines Klienten nach einem vor Jahren verschwundenen Bankräuber sucht. Inwiefern hat sich die verfilmte Geschichte gegenüber Ihrer Romanvorlage verändert?
Schätzing: Es hat sich gar nicht so entsetzlich viel verändert. Eine neue Figur ist hinzugekommen, der Privatdetektiv Zander. Der wird gebraucht, weil der Stoff komprimiert werden musste und einige Ermittlungsschritte raus gefallen sind. Es musste also ein anderer Weg gefunden werden, wie Vera Gemini in den Besitz von Informationen gelangt. Dafür bot sich die Figur des Zander an. Das war übrigens eine Idee des Drehbuchautors Nils Morten Osburg, und ich fand sie sehr gut. Wir haben beispielsweise auch am Schluss ein bisschen was gedreht. Im Buch spielt das Ende in einer riesigen alten Lagerhalle und es wäre ein zu großer Aufwand gewesen, das so zu realisieren. Das hätte zu viel Geld verschlungen. Aber die Figuren sind ansonsten alle drin, und Vera Gemini ist genauso getroffen, wie ich sie im Buch angelegt habe.
Der Roman kam bereits 1997 auf den Markt, verfilmt wurde er allerdings erst zehn Jahre später. Liegt das daran, dass Sie erst durch den „Schwarm“ richtig populär wurden und dadurch jetzt auch das Interesse an Ihren früheren Werken zunimmt?
Schätzing: Ja. Die älteren Bücher sind damals ja zuerst nur in Köln erschienen. Allmählich wurden sie dann in ganz Deutschland publiziert. Ich hatte vorher einfach noch nicht den Namen, den ich heute habe. Natürlich sucht ein Sender einen Stoff auch unter dem Aspekt aus, wie gut man ihn vermarkten kann – mit einem bekannten Namen, einem bekannten Ereignis. Bei der „Gustloff“ z.B. war es letzteres.
Was würden Sie RTL in Hinblick auf die Vermarktung Ihrer Romanverfilmungen empfehlen? Der Sender hatte zuletzt ja nicht mit allen Eigenproduktionen Glück, die Serie „Die Anwälte“ wurde nach einer Folge aus dem Programm genommen…
Schätzing: Das Problem heute – und das ist nicht nur ein Sender-Problem, sondern ein grundsätzliches der Industrie – ist folgendes: Alle sind von der Angst getrieben, irgendetwas könnte schief gehen. Man produziert etwas für viel Geld und bringt es auf den Markt. Früher hat man einer Sache dann Zeit gegeben, weil man wusste, dass natürlich nicht jeder händeringend auf genau dieses TV-Ereignis gewartet hat. Allen war klar, dass man abwarten muss und sich mit der Zeit zeigen wird, ob etwas erfolgreich ist oder nicht. Das leistet man sich heute leider zu selten. Man strahlt zum Beispiel die erste Folge aus und stellt fest: „Um Gottes Willen, es hat nicht funktioniert“. Weil die erwartete Quote nicht erreicht wurde. Und dann kippt man die ganze Serie. Anstatt einfach mal vier, fünf Folgen abzuwarten, ob sie nicht doch ein Stammpublikum erobert. Dieses Problem haben heute alle Sender in gewisser Weise. Alles befindet sich unter dem Diktat der Quote. Das führt leider oftmals zu etwas vorschnellen Entscheidungen.
Der Film beinhaltet teilweise recht brutale Szenen. Könnte er auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen laufen oder ist es ein typischer Privatsender-Film?
Schätzing: Die Öffentlich-rechtlichen sind bei ihren Eigenproduktionen eher etwas zahmer, aber wenn man sieht, was sie so einkaufen – man denke nur an die französischen Montagsthriller im ZDF – laufen auch dort recht harte Sachen. Ich könnte mir den Film von daher auch im ZDF vorstellen. Aber auf der anderen Seite: Es ist eigentlich auch kein typischer RTL-Film.
Was ist anders?
Schätzing: „Die dunkle Seite“ ist wesentlich härter, als das, was RTL sonst zeigt. Zwar wird auch bei „Alarm für Cobra 11“ viel in die Luft gesprengt, aber der gnadenlose Blick auf den gefolterten Körper eines Menschen oder auch die beinharten Prügelszenen sind ungewöhnlich für eine TV-Produktion. Wir haben auch zwei Anläufe gebraucht, um durch die FSK zu kommen.
Wieso ist diese Härte denn überhaupt notwendig?
Schätzing: Weil der Stoff davon lebt. Wenn man das nicht zulässt, muss man eine andere Geschichte erzählen. Hier wird nicht Gewalt um der Gewalt willen dargestellt. Gewalt ist eingebettet in einen Kontext. In den Kontext einer Geschichte, in den Kontext menschlicher Schicksale, menschlicher Obsessionen. Man könnte natürlich den sehr eleganten Weg gehen und in den richtigen Momenten wegblenden und alles der Phantasie überlassen. Aber ich denke, so ein Stoff erfordert einfach auch Schockmomente. Außerdem hat man festgestellt, dass die Schockmomente die Momente sind, die einen zwar hoch peitschen, die aber die Spannung auch wieder lösen. Wie auf einer Achterbahn. Das ist es, was der Film tun soll.
So ein Stoff erfordert einfach auch Schockmomente.
Wie kommen Sie auf die vielen grausamen Dinge, die Sie in Ihren Romanen beschreiben?
Schätzing: Grausamkeit ist ein Bestandteil des Lebens. Man sollte nicht so tun, als sei man fernab von solchen Dingen. Es hat jeder auch eine dunkle Seite in sich. Das ist meine Form, sie auszuleben. Ansonsten bin ich ein überaus friedlicher Zeitgenosse.
Im Vorwort des Romans „Die dunkle Seite“ beschreiben Sie, inwiefern Sie sich von Stimmungen beeinflussen lassen und sie Einfluss nehmen auf Ihre Geschichten. Sie führen die düstere Grundstimmung in dem Buch auf schreckliche Zahnschmerzen während der Zeit des Schreibens zurück…
Schätzing: Das war nicht so superernst gemeint (lacht). Aber ich hatte ´ne dicke Backe, das weiß ich noch genau… Tatsächlich lasse ich mich nicht unbedingt von negativen Stimmungen beeinflussen. Ich bin niemand, der anfängt zu schreiben, wenn er deprimiert ist. Was mich an Stimmungslagen eigentlich eher antreibt, ist Euphorie. Ich werde von Begeisterungswellen getragen, wenn ich auf einmal irgendeine Idee oder plötzlich eine bestimmte Location im Kopf habe und Vorstellungen entwickele, was für eine Geschichte ich dort stattfinden lassen könnte.
Wie kann man sich den Prozess des Schreibens bei Ihnen vorstellen?
Schätzing: Stramm unsoldatisch. Es gibt ja Leute, die neigen dazu, um zehn ins Büro zu gehen und um zwölf, wenn das Mittagessen ansteht, die Löffel fallen zu lassen. Von 14-17 Uhr geht’s dann weiter. Dann gibt’s welche, die brauchen zehn Jahre, weil sie nur unter ganz bestimmten Bedingungen schreiben können. Andere schreiben 24 Stunden am Stück, das drei Monate lang, und hinterher müssen sie ins Krankenhaus. Das alles tue ich nicht. Ich arbeite sehr straff, sehr zügig an einem Stoff – und immer dann, wenn ich wirklich Lust habe. Das ist meistens der Fall. Ich versuche eine Regelmäßigkeit reinzukriegen, indem ich morgens um zehn anfange. Und manchmal höre ich um sechs Uhr auf, manchmal um zehn. Manchmal schreibe ich auch einen Tag nicht, weil ich einfach merke, es läuft nicht.
Sie schreiben also immer dann, wenn Sie sich danach fühlen…
Schätzing: Ja, ich bin jedoch jemand, der Dinge gerne erledigt, wegarbeitet. Wenn ich eine Idee habe und ein Projekt in Angriff nehme, möchte ich nicht gerne jahrelang daran sitzen.
Was bedeutet das für die Hollywood-Verfilmung Ihres großen Erfolgs „Der Schwarm“? Wann kommt der Film ins Kino?
Schätzing: Wir haben mit Michael Souvignier von der Firma „Zeitsprung“ seit letztem Jahr einen Produzenten, seit kurzem haben wir mit Dino de Laurentiis auch den Co-Produzenten gefunden – einer der größten Produzenten der Welt. Ted Tally, der für das Drehbuch zu „Schweigen der Lämmer“ einen Oscar bekam, schreibt am „Schwarm“-Drehbuch – keine schlechten Leute also. Ich denke, dass wir im Laufe des Jahres ein fertiges Drehbuch und einen Studio-Deal haben. Dann könnten wir in 2009 drehen.
Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Schätzing (wie aus der Pistole geschossen): Donald Duck.
Wieso?
Schätzing: Ich liebe Donald Duck. Ich finde Donald Duck ist eine der großartigsten Figuren der gesamten Comic-Geschichte. Er ist der Spießbürger par excellence, fast so etwas wie die Thomas Mann’sche Schilderung in Strichen und Sprechblasen. Einfach ein großartiges Menschenporträt mit Federn und Mütze. Wenn ich Donald Duck wäre, würde ich die Figur insofern ein bisschen drehen, dass ich mehr Glück hätte. Außerdem würde ich versuchen, Dagobert endlich mal die ganze Kohle abzuluchsen.