Herr Tempel, Sie haben auf der letzten Hanf-Parade eine Rede gehalten. Kiffen Sie selbst denn auch?
Frank Tempel: Nein. Aber es verändert sich nur etwas, wenn sich auch welche wie ich für eine Legalisierung von Marihuana einsetzen.
Warum fordern Sie die?
Tempel: Unter anderem weil wir der Entwicklung in den USA etwas hinterherlaufen. Dort ist der Verkauf und Konsum von Marihuana in zwei Bundesstaaten legal. Die politische Debatte hierzulande hat sich aber kaum verändert. Das Thema ist für die großen Parteien tabu.
Berlin plant inzwischen Coffeeshops und hatte 2015 erfolglos versucht, dafür eine Genehmigung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu bekommen…
Tempel: In der Umsetzung hätte das gegen das Bundesgesetz verstoßen. Dort steht nämlich immer noch: „Besitz und Erwerb ist strafbar“. Deshalb wollte der Bezirk Friedrichshain eine Ausnahmegenehmigung für die Coffeeshops beantragen. Bloß was passiert, wenn jemand dann dort etwas gekauft hat und später im ICE nach Leipzig oder nach Hannover von der Bundespolizei kontrolliert wird? Hat der dann ein Zertifikat dabei, dass er sein Zeug in diesem einen, legalen Laden gekauft hat?
Wie hoch wären denn die staatlichen Einnahmen, wenn Marihuana überall legal wäre?
Tempel: Das ist schwer zu beziffern. Allerdings kostet auch das Verbot Geld – nämlich etwa 1,6 Milliarden Euro pro Jahr. Die fließen vor allem an Polizei und Justiz. Die meisten Volkswirte gehen außerdem davon aus, dass die medizinischen Kosten einer Substitution von Drogen höher sind als die einer Legalisierung.
Wohin würde das Geld im Falle einer Legalisierung fließen?
Tempel: Es würde im Idealfall in das Gesundheits- und Sozialsystem gehen und jedenfalls nicht mehr für die Strafverfolgung ausgegeben werden.
Wie sollte eine Legalisierung von Haschisch in Deutschland von statten gehen?
Tempel: Die sollte am besten über Cannabis-Vereine organisiert werden. In Belgien gibt es die bereits. Sie sind eine gute Alternative zu den Drogenfachgeschäften in den USA und den Coffeeshops in den Niederlanden.
Weshalb ausgerechnet dieses Modell?
Tempel: Die Vereinsmeierei ist in Deutschland nicht so ungewöhnlich. Da gibt es dann eben einen Club mehr, der entsprechend der Zahl seiner Mitglieder eine bestimmte Menge von Hanfpflanzen anbauen darf. Die Menge und die Art der Pflanzen könnten kontrolliert werden. So ließe sich zum Beispiel nur der Anbau von milden Sorten erlauben, damit die Droge keinen zu hohen THC-Gehalt hat.
Für was für eine Altersgrenze würden sie plädieren?
Tempel: Viele Studien zeigen, dass bei Cannabis die Risiken einer psychischen Erkrankung wesentlich höher sind, wenn man sehr jung mit dem Konsum beginnt. Ab einem gewissen Alter ist er hingegen kaum noch schädlich. Wann dieses Alter beginnt, ist nicht eindeutig und umstritten. Im sozialpädagogischen Bereich sprechen sich viele dafür aus, das Kiffen ab 18 Jahren zu erlauben. Sehr viele andere Experten finden eine Grenze von 21 Jahren sinnvoll. Ich würde es einer unabhängigen Kommission von Fachleuten überlassen, die richtige Grenze zu bestimmen. So richtig entschieden bin ich selbst in der Sache nämlich noch nicht.
Ich habe schon als Polizeibeamter gesagt: Cannabis müsste legalisiert werden!
Jugendlichen wird vermittelt, dass Kiffen eine Abstiegsspirale in Gang setzt, die zu harten Drogen, Kriminalität, Obdachlosigkeit und Tod führt. Eine Legalisierung würde diese Argumentation konterkarieren.
Tempel: Nein. Das mit der Einstiegsdroge wirkt ohnehin nicht. Weil alle immer davon ausgehen, dass sie ihren Konsum im Griff haben und das genau ihnen das alles nicht passiert. Genauso, wie alle immer davon ausgehen, dass genau sie nicht von der Polizei erwischt werden. Davon abgesehen verkennt diese Verteufelung auch die Gelegenheitskonsumenten, die um die dreißig sind und alle vier Wochen bei einer Party mal an einem Joint ziehen und deshalb noch lange nicht ihren Job schmeißen.
Ließe sich der Abstiegsspirale besser vorbeugen?
Tempel: Ja. Ich finde, in Deutschland müsste ein Schulfach eingeführt werden, dass gewissermaßen Lebenstüchtigkeit vermittelt. Im Unterricht könnten dann gesunde Lebensweisen thematisiert werden. Dort könnte auch Suchtprävention stattfinden. Bestehende Präventionsprojekte könnten eingebunden werden.
Läuft die Präventionsarbeit bei anderen Drogen besser?
Tempel: Nein. Wir haben zum Beispiel ein Crystalproblem. Denn die Droge ist viel gesellschaftskonformer als Marihuana; passt ganz gut in unsere Welt. Die meisten gehen davon aus, dass sie die Leistungsfähigkeit steigert, dass sie schneller und besser macht. Da müsste das Risikobewusstsein viel stärker werden.
Sollten auch solcherlei harte Drogen legal sein?
Tempel: In meiner Zeit als Polizeibeamter habe ich Leute gesehen, die Crystal oder Heroin konsumiert haben. Denen habe ich immer gesagt: „Ihr seid verrückt!“ Das Zeug ist so gefährlich, das kann man nicht legalisieren.
Aber?
Tempel: Je gefährlicher die Droge ist, desto größer sind die Nebenwirkungen eines Verbots. Heroinkonsumenten zum Beispiel sterben nach Zwangsabstinenz, einer Überdosis, den Nebenwirkungen von Streckmitteln, an Aids oder Hepatitis. Sie sterben also an den Begleiterscheinungen der Illegalisierung. Deshalb müssen wir auch die Politik in Bezug auf harte Drogen grundsätzlich überdenken.
Inwiefern?
Tempel: Crystal beispielsweise wird auf dem legalen Markt nie auftauchen. Weil es nie durch Verbraucherschutzrichtlinien durchkäme. Gerade deswegen aber sollte es dafür legale Alternativen geben. So ähnlich wie bei Heroin: Wer davon schwer abhängig ist, wird schon seit langem in Hilfsprogramme überführt. Die Junkies bekommen dann Diamorphin. Das ist eigentlich nichts anderes als reines, ungestrecktes Heroin.
Ist das nicht letztlich ein staatlich geförderter Raubbau am eigenen Körper?
Tempel: Ich habe als Polizist erlebt, wie Leute sich verändern, die Teile eines solchen Programmes sind. Die also keine Streckmittel mehr mitkonsumieren und unter ärztlicher Aufsicht eine immer geringere Dosis nehmen. Ihre Lebenserwartung erhöht sich deutlich und oft verlassen sie komplett die kriminelle Szene.
Sollte es so etwas also auch für Crystal Meth geben?
Tempel: Ja. Denn wenn wir den Bedarf danach nicht legal abdecken, wird es dafür immer einen Schwarzmarkt geben. Da läuft dass dann so: „Hier probier‘ mal! Das haut‘ voll ‚rein. Kannste drei Tage durchfeiern.“ Weil der Stoff 30 bis 40 Mal mehr Wirkstoff enthält als das ehemals legale, ursprüngliche Produkt. Das hieß Pervitin. Im zweiten Weltkrieg haben das Soldaten bekommen, damit ihre Leistungsfähigkeit steigt. Heute wird es als Crystal Meth in kleinen Privatlaboren zusammengepfuscht. Dadurch ist die Verunreinigung besonders groß. Das lässt sich aber nicht ändern, weil keiner weiß, was genau drin ist oder woher es stammt.
Was ist mit Kokain – auch legalisieren?
Tempel: Mit einer legalen, kontrollierten Verfügbarkeit von Kokain würde zum Beispiel der Bedarf an Crystal zurückgehen. Vielleicht würde sogar der Schwarzmarkt dafür komplett zusammenbrechen. Denn diese Drogen wirken ähnlich. Dann bräuchte es vielleicht gar keine Legalisierung von Crystal und anderen synthetischen Drogen mehr. Die meisten Experten sagen deshalb auch, dass eine Legalisierung bei den Drogen beginnen muss, die auf natürlichen Grundstoffen beruhen. Zu denen gehört neben Marihuana und Heroin auch Kokain.
Würde durch eine nationale Legalisierung dieser Drogen nicht international der Schmuggel gefördert?
Tempel: Deswegen fordern ja auch Leute wie Ban Ki Moon, Javier Solana oder Kofi Annan eine Änderung der internationalen Drogenpolitik.Die hätte insbesondere für Transitländer wie Mexiko und Brasilien erhebliche Auswirkungen.
Welche?
Tempel: Längst kontrollieren Drogenkartelle die Armenviertel von Mexiko und Brasilien – vom Einwohnermeldeamt bis zur Versorgung mit Gas und Strom. Allein in Mexiko sterben im Drogenkrieg jährlich etwa 60.000 Menschen. Diese Zahl würde zurückgehen, der Krieg vielleicht irgendwann enden, wenn illegale Drogen international legal werden würden. Deshalb sagen Vertreter von Transitländern wie Mexiko und Brasilien auf internationalen Gipfeln oft: Wir bezahlen eure Verbotspolitik mit zu viel Blut. Wir können sie nicht mehr mittragen. Denn wenn der illegale Drogenhandel floriert, fließen Drogen in die eine Richtung. In die andere Richtung fließen Geld und Waffen.
Wenn gängige Drogen international legal wären, wer würde sie herstellen?
Tempel: Man könnte ganz normalen Unternehmen für eine begrenzte Produktionsmenge eine Genehmigung erteilen. Das ist weniger abwegig, als viele meinen: Bayer beispielsweise hat das Heroin erfunden. Es käme also quasi einer Art Rückführung gleich, denen die Produktion zu erlauben. Außerdem sind Pharmakonzerne im Vergleich zur Mafia recht kontrollierbar und regulierbar. Die Produktion müsste natürlich nach strengen Vorschriften ablaufen. Dann müsste es ein Werbeverbot geben. Darüber hinaus müsste die Abgabe kontrolliert werden – durch Apotheker vielleicht. Selbst eine Pflicht zu einer regelmäßigen hausärztlichen Untersuchung als Bedingung für den begrenzten Erwerb – etwa in einer Apotheke oder in Drogenfachgeschäften – ist denkbar. Das alles ist verschiedentlich im Gespräch.
Immer mal wieder wird der Konsum von Drogen im Bundestag in den Medien thematisiert. Wie viele Parlamentarier kiffen, schnupfen oder schmeißen etwas ein?
Tempel: Schade, dass Sie nicht nach der Quote derer gefragt haben, die Alkohol und Zigaretten konsumieren. Dann hätte ich nämlich sagen können: neunzig Prozent. Illegale Drogen nehmen fünf bis sechs Prozent der Mitglieder des Bundestages, schätze ich. Neben Crystal und Kokain kommt sicher auch der ein oder andere Joint vor.
Wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet ein ehemaliger Polizist wie Sie für die Legalisierung von Drogen eintritt?
Tempel: Ich war drei Jahre in der Rauschgiftbekämpfung. Da hatte ich dann junge Leute vor mir sitzen, bei denen ein, zwei Gramm Cannabis gefunden worden war. Andere waren mit einem Joint erwischt worden oder mit einem Tütchen mit Cannabisresten. Allesamt eigentlich normale Jugendliche, die ansonsten irgendwo in die Lehre oder arbeiten gingen, sich vielleicht abends im Jugendclub oder so trafen. Die haben oft gesagt: Warum bekomme ich hier eine Strafanzeige und die anderen, die sich die Hucke vollsaufen, nicht? Die haben nicht verstanden, warum das Saufen legal ist, ihre Joints aber nicht – obwohl sie damit auch niemandem schaden außer sich selbst. Ich hatte dann immer nur ein Argument: „Es steht eben so im Gesetz.“ Deshalb habe ich damals als Polizeibeamter schon gesagt: „Cannabis müsste legalisiert werden!“
Ein anderes Thema: Kennen Sie den Film „Das Leben der Anderen“?
Tempel: Das ist dieser Stasi-Film, oder? Den fand ich sehr beklemmend. Das hat natürlich auch was mit meiner DDR-Vergangenheit zu tun.
Sie haben als Jugendlicher eine Offizierslaufbahn bei den Grenztruppen der DDR eingeschlagen. Weshalb?
Tempel: Ich habe mich mit sechzehn Jahren verpflichtet. Damals wurde mir tatsächlich erzählt, dass das alles Staatsfeinde, Saboteure und feindliche Agenten sind, die da illegal über die Grenze gehen wollen. Denn diejenigen, die ausreisen wollen, hieß es, die könnten ja ganz legal einen Ausreiseantrag stellen. Das habe ich damals geglaubt.
Wenige Jahre später fiel die Mauer…
Tempel: Das war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Ich war am 9. November als Offiziersschüler am Brandenburger Tor eingesetzt. Unter anderem bin ich dort mit Studenten aus Westdeutschland ins Gespräch gekommen. Was die erzählt haben, stand natürlich im krassen Widerspruch zu allem, was ich vorher kannte. Viele Dinge musste ich später neu bewerten; erschienen in anderem Licht.
Wie stehen Sie heute zu Ihrer Vergangenheit?
Tempel: Sie hat unter anderem dazu geführt, dass ich nie wieder sagen werde: „Die da oben werden es schon richten.“ Weil ich nie wieder passiv glauben möchte, was von oben vorgegeben wird. Ich möchte stattdessen eigene Positionen entwickeln und vertreten.
Die Freiheit der Person, die das Grundgesetz als „unverletzlich“ bezeichnet, ist ein so hohes Rechtsgut, daß in sie aufgrund des Gesetzesvorbehalts des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG nur aus besonders gewichtigen Gründen eingegriffen werden darf.
Unbeschadet dessen, daß solche Eingriffe unter bestimmten Voraussetzungen auch in Betracht kommen mögen, wenn sie den Betroffenen daran hindern sollen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen (vgl. BVerfGE 22, 180 ; 58, 208 ; 59, 275 ; 60, 123 ), sind sie im allgemeinen nur zulässig, wenn der Schutz anderer oder der Allgemeinheit dies unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert.
Nach diesem Grundsatz muß ein grundrechtseinschränkendes Gesetz geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen.
Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können (vgl. BVerfGE 30, 292 ; 63, 88 ; 67, 157 ).