Franka, in deinem aktuellen Film "Blueprint" bist du das erste Mal in einer Doppelrolle zu sehen, als Pianistin Iris und als ihre geklonte Tochter Siri. Nun lassen sich Schauspieler ja sehr gerne in eine Rolle ‚hineinfallen‘ – ist das bei einer Doppelrolle überhaupt möglich?
Potente: Es ist alles ein bisschen komplizierter als sonst, aber man versucht es natürlich irgendwie. Da kann einem eventuell auch ein Drehplan helfen, man versucht, die verschiedenen Rollen nicht an einem Tag zu spielen. Aber in manchen Szenen musste ich auch beide Rollen spielen, also quasi mit mir selbst spielen. Da haben wir mit der Motion-Control-Technik gearbeitet, ich hatte ein Anspiel-Double, eine Schauspielschülerin, die ungefähr meine Größe und Statur hatte. Jede Szene wurde dann zwei Mal gedreht, ein sogenanntes Plate mit mir als Mutter Iris und dann dasselbe noch mal mit mir als Tochter. Die beiden Plates wurden dann später übereinandergelegt und daraus eine Szene erstellt. Mein Double musste immer erst das spielen, was ich im zweiten Plate selbst spiele. Ich musste mir also vorstellen, bevor der Dreh so einer Szene begann, was ich als Tochter spielen würde. Das wiederum musste ich dem Double vormachen, dann hat das Double das einmal mit mir durchgespielt – und für das zweite Plate geschah das Ganze dann noch mal umgekehrt.
So etwas macht man nicht alle Tage, auch der Kameramann oder der Regisseur nicht und das wird dann manchmal chaotisch, aber da muss man sich reinfinden. Ich habe zum Schluss die Dreharbeiten in Kanada, wo ich ja nur noch die Tochter gespielt habe, schon als Erleichterung empfunden. Auch weil mir die Tochter rollenmäßig etwas näher lag, vom Alter her und weil die Mutter eine sehr künstliche, narzisstische Person ist. Ich musste mir aber ein einfaches Konzept ausdenken, weshalb ich das Pferd erst mal von der Mutterfigur her aufgesattelt habe, denn Siri ist ja de facto ein Resultat aus ihrer Mutter.
War für dich die Doppelrolle also auch eine Doppelbelastung?
Potente: Sicher, das ist schon ein unglaubliches Pensum, eine der beiden Rollen wäre schon viel Arbeit gewesen. Ich hatte keinen einzigen Tag frei, wir hatten eine 6-Tage-Woche und sonntags hatte ich Klavierunterricht. Dann wurde auch noch in Münster gedreht, die Familie war also da, Mutter wollte Wäsche waschen … Aber es war vielleicht nicht schlecht, dass ich so beschäftigt war. Nur ist irgendwann die Batterie auch leer, einmal musste ich zwei Tage nur im Bett bleiben, weil es eben nicht mehr ging. Andererseits arbeite ich ja gerne, und mit dem Team war das auch unheimlich schön.
Wie spielt man denn eigentlich einen geklonten Menschen?
Potente: Ich kann keinen Klon spielen, das ist ja etwas vollkommen Abstraktes. Man kann immer nur einen Menschen von innen heraus spielen. Da habe ich mich gefragt, wie übersetze ich das für mich, wie zeige ich so etwas. Ich habe mir gedacht, dass ist so, wie wenn man eine ganz unwirkliche, erschütternde Nachricht bekommt. Nachrichten wie, ‚dein Vater ist nicht dein richtiger Vater‘ oder ‚du hast nur noch eine Woche zu leben‘, Nachrichten die auch viele Ungereimtheiten im Leben beantworten, Sachen, die sich schon immer seltsam angefühlt haben, aber andererseits für Siri auch viele neue Fragen aufwerfen. Da fällt man wie in ein schwarzes Loch, da gibt es nur Flucht, da muss man weg. So ungefähr baut man sich das zusammen. Von solchen theoretischen, abstrakten Drehbuch-Ideen wie dem Klonen muss man sich erst mal lösen.
Nun ist das auch ein aktuelles, politisches Thema, wo man bei Drehbeginn auch nicht weiß, wie die Situation aussieht, wenn der Film rauskommt. Es gibt bisher so wenig Antworten und es ist schwierig ist, zu dem Thema Stellung zu beziehen. Man muss sich darüber gut informieren. Aber spielbar ist so etwas eigentlich nicht, man muss dabei immer vom Menschen ausgehen.
Welchen Standpunkt hast du selbst zum Klonen?
Potente: Also, beim Klonen gibt es so viele Aspekte. Der löblichste ist das therapeutische Klonen, wodurch man vielleicht die Möglichkeit hätte, bisher unheilbare Krankheiten zu heilen, da finde ich die Debatte auch nachvollziehbar. Ich habe nur nicht das Vertrauen, dass man das trennen kann, dass man sagt: dies machen wir, jenes aber nicht. Und Menschenklonen finde ich, wie wahrscheinlich viele andere auch, widernatürlich und unberechenbar.
Inwiefern würdest du sagen, ist das Klonen mitunter eine logische Konsequenz von gesellschaftlichen Tendenzen, dass sich Leute immer mehr angleichen, Trends hinterherlaufen, kopieren …
Potente: Das wäre mir jetzt zu einfach. Ich denke vielmehr, das sind Zeichen einer Zeit, der Moderne, dass nicht mehr Halt gemacht wird, vor Dingen, die vor Jahren noch undenkbar waren. Oder anders: Einzigartigkeit hat heute eine andere Definition bekommen, oder ist vielleicht auch nicht mehr modern. Individualität hat Konkurrenz bekommen, aber ich glaube, aus anderen Beweggründen, als dass die Leute sich anpassen und kopieren wollen. Wenn man gezielt nur darüber diskutieren würde, würde man sicher auch Überschneidungspunkte finden. Für mich sind das aber einfach Zeitzeichen, dass sich moralisch, ethisch etwas verändert hat. Dass dort, wo man früher ganz rigoros ‚Nein‘ gesagt hat heute anders gehandelt wird. Ich würde eher sagen, es ist die Abwesenheit von Religiosität. Religion war eine Instanz, die vor Jahren noch viel präsenter war, eine größere Macht hatte und einfach für Menschen in unserem Kulturkreis wichtiger war. Aber allein durch ein Ereignis wie den 11. September ist Religion ja etwas geworden, was vielen Menschen Angst bereitet, weil es im Zusammenhang mit Fanatismus zur Bedrohung wurde – aber das würde jetzt wohl zu weit weg vom Thema führen.
Wie bist du selbst nun zufrieden mit "Blueprint"?
Potente: Mit dem Ergebnis bin ich zufrieden. Aber da muss ich auch ganz ehrlich sagen, um ein richtiges Urteil zu treffen, muss ich einen Film mindestens fünf, sechs Mal gesehen haben – ich habe ihn aber erst einmal gesehen. Es ist bei "Blueprint" auch so, dass zur Zeit der Dreharbeiten mein Leben ein bisschen kopf stand. Deshalb ist alles, was mit dem Film und dem Dreh zusammenhängt, in meiner Erinnerung extrem verblasst. Ich kann mich noch gut an andere Dinge erinnern, wie ich manchmal in Münster morgens um sechs mit nackten Füßen auf das nasse Gras gegangen bin mit einem Kaffe in der Hand und gedacht habe: wie schaffe ich diesen Tag nur? Ich war auch erschöpft von mir selber. Insofern war das schon eine Ausnahmesituation und deshalb muss ich den Film wohl auch noch ein paar Mal gucken um darüber richtig urteilen zu können.
Die geklonte Tochter Siri flieht im Film in die kanadische Wildnis – du hattest nach den Dreharbeiten auch mehr oder weniger deine Zelte in Deutschland abgebrochen.
Potente: Ich habe jetzt ein Jahr primär in Amerika gelebt, das war für mich einfach wie so ein Betriebsurlaub, ein verlängerter Urlaub, ich wollte einfach mal weg. Das hört sich jetzt viel zu banal an, aber das ist so ein Mikrokosmos, den man schlecht nacherzählen kann. Jeder, der mal in einer langen Beziehung war, die Arbeit und Privates verbindet, die sehr intensiv war und die es dann plötzlich nicht mehr gibt, kennt dass. Wenn man sich getrennt hat, dann macht man das nicht nur einfach so, sondern das muss man ein bisschen nachbearbeiten. Ich brauchte mal ein Päuschen und musste mich dazu auch geografisch wegbewegen, um wieder in Richtung mir selbst zu steuern. Ich wollte mich allerdings nicht verstecken, wie es die Siri im Film macht. Ich habe auch immer noch Sachen in Berlin gehabt und ich kannte auch Los Angeles gut genug, um zu wissen, dass das nicht ein Ort ist, wo ich längerfristig leben möchte. Aber es war auch ein Ort, der fremd genug war, weit genug entfernt, wo ich aber Freunde hatte und die Sprache gesprochen habe und potentiell arbeiten konnte, was ich ja mit einem Film in der Zeit getan habe. Allerdings war die Schauspielerei eher sekundär, ich wollte einfach mal meine Ruhe haben. Los Angeles ist landschaftlich gesehen auch klasse, du bist in anderthalb Stunden beim Snowboarden, in einer Dreiviertelstunde am Strand. Und dadurch, dass es eine sehr amerikanische Auto-Stadt ist, ist es auch anonym. Du kannst einerseits deine Ruhe haben aber andererseits auch viel unternehmen, diese Mischung hat mir gut getan.
Es gibt in "Blueprint" eine Szene, in der Siri im Konzert am Klavier versagt – wann würdest du sagen, hast du in deinem Leben schon mal richtig versagt?
Potente: Ich kenne das oft vom Set, es gibt manchmal Szenen, wo man vorher denkt, die sind total einfach, aber dann hat man auf einmal ein totales Brett vorm Kopf. Es gibt zum Beispiel eine Szene in "Der Krieger und die Kaiserin" wo ich mit Benno Fürmann in einem gepolsterten Raum sitze, die Kamera im Kreis um uns herumfährt und ich so einen abstrakten Text rede – ich habe damals nicht gewusst, wie wir diese Szene hinkriegen sollen. Wir haben es zwei, drei, viermal gemacht, immer die Kamera um uns rum, wir mussten auch ganz komisch knien … Da habe ich irgendwann angefangen zu heulen. Ich war völlig überarbeitet, das war die 16. Stunde Dreh, du weißt ganz genau, jeder will nach Hause gehen, du hältst den ganzen Verkehr auf, würdest selber auch am liebsten nach Hause gehen. Aber so etwas gehört eben zum Film-Alltag dazu.
Wie hilfst du dir in so einer Situation?
Potente: Ich bin dann total angewiesen auf den Regisseur und darauf, dass mal einer kommt und für mich denkt. Und einer muss dann sagen: das drehen wir jetzt zu Ende. Aus Erfahrung will ich dann auch selbst immer weitermachen, weil man durch so eine Situation manchmal so eine Porosität erreicht, die für den Film gar nicht so schlecht ist. Nur ist es total anstrengend, du willst nichts lieber machen als dein Gesicht waschen, eine Zigarette rauchen und ins Bett gehen. Aber auf der anderen Seite hast du auch eine Grundverantwortung gegenüber deinem Job.
Mit welchen Schwierigkeiten hast du bei deinem Job heute besonders zu kämpfen?
Potente: Nach zehn Jahren muss ich sagen, fällt es mir immer schwerer, eine Balance zu finden, zwischen der eigentlichen Arbeit und dem ganzen anderen Zeugs, was da so mitkommt, Publicity etc. Vielleicht kommt das auch durch zunehmendes Alter, ich weiß es nicht. Man guckt sich mit der Zeit einfach anders an, es gibt bestimmte Aspekte, die inhaltlich nichts mit dem Beruf des Schauspielern zu tun haben, die aber auch gemacht werden müssen. Damit habe ich manchmal ein Respektsproblem. Aber gleichzeitig weiß ich natürlich, dass das, was mir eigentlich zuwider ist, ein Teil der Branche oder eines Star-Systems ist. Und da bin ich letztlich ein Teil davon, ob ich will oder nicht. Leider gewinnen diese Dinge manchmal überhand und sind dann nicht mehr im Gleichgewicht mit meiner Arbeit. In solchen Momenten denke ich dann schon mal darüber nach, mit der Schauspielerei aufzuhören.
Von wem lässt du dir in solchen Problemsituationen helfen?
Potente: Schwierig, ich habe mich da vielleicht schon ein wenig gebessert, aber ich bin tendenziell jemand, der sich schwer jemand anderem zumuten kann. Ich funktioniere so, dass ich die Dinge erst mal mit mir ausmachen muss und wenn dann das Puzzle so halbwegs wieder zusammengesetzt ist, kann ich das nehmen und damit zu anderen Leuten gehen. Dazu gehört nach wie vor Tom, der für mich eine enge Beraterfunktion hat, wir kennen uns einfach wahnsinnig gut und wir haben diese Funktion auch gegenseitig füreinander. Dann ist es auch die Nessie, meine beste Freundin seit über zehn Jahren, die mich damals entdeckt hat, in der Münchner "Wunderbar" für den Film "Nach 5 im Urwald" – sie ist eine wichtige Ratgeberin für mich, sie ist eine sehr weise Frau.
Meinen Eltern allerdings mute ich mich nicht mehr so richtig zu, das muss dann schon etwas durchdachter sein. Vor allem als ich ein Jahr weg war, da macht das den Eltern Angst. Das Kind ist sonst wo, da ruft man da nicht heulend an und sagt "mir geht es gerade nicht gut". Das mache ich dann eher, wenn ich sagen kann "mir ging’s nicht so gut, weil … aber es ist schon wieder in Ordnung". Manchmal lege ich mich auch einen Nachmittag ins Bett und hoffe, wenn die Decke wieder zurückgeschlagen wird, ist wieder alles gut.
Und – das mag sich jetzt vielleicht esoterisch anhören – ich bin zur Akupunktur gegangen, zu einer tollen, alten russischen Frau, die bei mir in Los Angeles Akupunktur gemacht hat. Ich habe das erst für totalen Schwachsinn gehalten, aber es hat mich tatsächlich – warum auch immer – ein bisschen ausbalanciert.
Siri hat im Film ein großes Identitätsproblem zu bewältigen. Wer und was, würdest du sagen, hat deine Identität am meisten geprägt?
Potente: Ich bin sicher davon geprägt, wie und wo ich aufgewachsen bin, die Erziehung, das Umfeld. Ich glaube auch, das ist etwas anderes, so wie ich in einer Kleinstadt aufzuwachsen, als in einer Großstadt. In der Kleinstadt war alles sehr viel einfacher, hat aber trotzdem Spaß gemacht. Wenn man am Wochenende mit dem Fahrrad in die Bauernschaft gefahren ist, dort einen halben Kasten Bier getrunken hat bis einem schlecht wurde, dann war das eine super Fete. Auch mit den Freundschaften war das super, man wohnt halt enger zusammen, man verbringt viel mehr Zeit mit seinen Freunden. Es ist alles ein bisschen familiärer und das prägt einen sicher.
Welche Personen haben dich denn besonders geprägt?
Potente: Meine Eltern natürlich, von Kindheit an, die auch immer Talente gefördert haben, lesen, malen … Meine Mutter hat ihren Job auch eine ganze Zeit lang aufgegeben für meinen Bruder und mich. Und auch meine Freundin Nessie hat mich geprägt, Tom ganz sicher auch.
Eltern projizieren sehr oft die eigenen Wünsche auf ihre Kinder – was denkst du, sollte man Kindern mit auf den Weg geben?
Potente: Ich glaube erst mal, dass man das, was man von seinen Kindern verlangt, auch selber einhalten sollte. Man sollte sie zu mutigen Menschen erziehen, Mut ist wichtig und Klarheit. Ich würde mich immer bemühen, mit Kindern sehr klar zu sprechen, das fängt schon bei der Sprache an. Sensibilität in Bezug auf andere ist wichtig – wahrscheinlich sind das aber sowieso die offensichtlichsten Dinge. Aber vor allem Mut ist in diesen Zeiten, glaube ich, echt wichtig.
Unsere Schlussfrage: das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Potente: Ich kenne mich mit Comics leider überhaupt nicht aus, ich stehe auch überhaupt nicht auf Comics. Ich weiß nur, dass ich als Kind immer die "Knax"-Hefte von der Sparkasse gelesen habe.