French Kiwi Juice

Ich will kein Perfektionist sein.

Vincent Fenton alias French Kiwi Juice (FKJ) zählt zu den kreativsten Multiinstrumentalisten in der elektronischen Musik. Im Interview spricht er über die Arbeit an seinem neuen Album, die Verbindung zu seinen Fans, sein Zuhause auf den Philippinen und wie er ohne Noten komponiert.

French Kiwi Juice

© Jack McKain

Vincent, es gibt nicht viele Musiker, die – wie du – sowohl Gitarre, als auch Klavier und Saxofon spielen. Daher meine erste Frage: Wie wird man Multi-Instrumentalist?

Da gibt es sicher viele Möglichkeiten. Ich selbst habe darauf nicht die perfekte Antwort, denn ich hatte ja nicht geplant, Multi-Instrumentalist zu werden. Ich war einfach verliebt in die Musik und hatte schon in ganz jungem Alter den Wunsch, zu komponieren. Multi-Instrumentalist wurde ich dann nicht, weil ich es wollte, sondern weil ich die verschiedenen Instrumente brauchte, um weiter komponieren, um mit anderen Klängen und Texturen arbeiten zu können.

Wie kamst du denn zum Beispiel zum Klavier?

Meine Eltern hatten meinen zwei Geschwistern und mir mal so einen superbilligen Synthesizer gegeben. Den habe ich zusammen mit der Gitarre benutzt, also mit Keyboard und Gitarre Songs komponiert. Und bald darauf habe ich verstanden, wie ich mich auf der Tastatur zurechtfinde.

Eine Gitarre hattest du also schon vorher…

Ja, weil meine Schwester Gitarre spielte. Irgendwann hab ich die dann auch mal in die Hand genommen und meine Mutter hat mir darauf die ersten Akkorde gezeigt. Ab da habe ich mir das selbst beigebracht. Viele meiner Kindheitshelden waren Musiker – und deren Songs wollte ich nachspielen. Ich bin also auf verschiedene Websites gegangen und habe mir die Gitarren-Tabs angeschaut, um ihre Songs zu lernen. Um Gitarrengriffe zu lernen brauchst du ja kein musikalisches Grundwissen. Meine ersten Songs habe ich auf der Gitarre komponiert, irgendwann wollte ich dann aber auch andere Sounds hinzufügen, habe mich also ans Klavier gesetzt und versucht, auf der Tastatur meine Gitarren-Akkorde nachzuspielen. So habe ich Klavier gelernt.

…ganz ohne Klavierunterricht…

Genau, ich hatte dafür keine Lehrer. Meine Idole waren meine Lehrer.

Und irgendwann hast du dann ein Saxofon in die Hand genommen und dir selbst beigebracht zu spielen? Viele Menschen stellen sich das schwierig vor…

Mit dem Saxofon war es ein bisschen anders. Tatsächlich hatte ich mit sieben Jahren ein paar Stunden Saxofon-Unterricht, aber nur für kurze Zeit, damals hatte ich noch nicht diese Motivation. Intensiv habe ich mich mit dem Instrument erst wieder mit 19 Jahren beschäftigt. Ich habe dann aber nicht sehr lange gebraucht, um es spielen zu können.

Zitiert

Mein Verhältnis zum Musikmachen ist sehr spielerisch und auf gewisse Weise ignorant.

French Kiwi Juice

Du hast einmal erwähnt, dass auch der Jazzpianist Monty Alexander zu deinen Vorbildern gehört. Der sagte mir im Gespräch, dass er keine Noten liest und dass ein ständiger Blick auf die Noten seinem Ausdruck im Wege gestanden hätte. Gilt das für dich genauso?

Ja, Noten lesen habe ich nicht gelernt. Allerdings habe ich vor ein paar Jahren mal versucht meine Akkorde zu analysieren. Ich habe mir so eine App heruntergeladen, die dir sagt, wie die Akkorde heißen, die du gerade spielst. Nach einem Tag mit dieser App hatte ich davon aber schon wieder genug, denn dieser Wunsch, alles, was du spielst, zu analysieren – das fühlte sich für mich komisch an. Mein Verhältnis zum Musikmachen ist sehr spielerisch und auf gewisse Weise ignorant. Ich denke, es ist diese Art von kindischer Unschuld, die deine Kreativität ausmacht.

Du hast dich also mit Musiktheorie nie auseinandergesetzt?

Nein, bis heute nicht. Ich sage aber nicht, dass das der beste Weg ist. Im Gegenteil, Musiktheorie ist wunderbar und wichtig, nur habe ich mich eben nie intensiv mit ihr befasst. Trotzdem weiß ich inzwischen ein paar grundlegende Dinge, wie Dur- und Moll-Akkord, Septakkord, Pentatonik, Tempobezeichnungen… Aber ich kann immer noch nicht Notenlesen und könnte mich auch nicht mit einem voll ausgebildeten Musiker über eine Partitur unterhalten…

aber zusammen musizieren könntet ihr, oder?

Ja, klar, das habe ich auch schon oft gemacht. Aber vielleicht will ich ja eines Tages mal ein Orchester dirigieren, dann müsste ich mich natürlich sehr viel mit Noten beschäftigen.

Du arbeitest heute viel mit Elektronik. Wie wichtig war die Musiktechnologie für die Entwicklung deines Stil?

Sehr wichtig. Das war auch etwas, was ich unbedingt lernen wollte. Mit 12, 13 habe ich angefangen zu komponieren und mit 18 wollte ich Sounddesign studieren. Mich hat interessiert, wie Klang entsteht, wie man es schafft, dass etwas gut klingt, ich wollte das Frequenzspektrum verstehen… Auf eine richtige Sounddesign-Schule konnte ich nicht gehen, weil das alles Privatschulen waren. Also war ich auf einer staatlichen, wo ich Film-Ton studiert habe. Und die Toningenieure beim Film müssen ja im Grunde die gleichen Dinge beherrschen wie ein Toningenieur im Musikstudio.
Ich habe dort also gelernt, wie die Werkzeuge funktionieren, Kompressoren, Equalizer, Effektgeräte, Sequencer usw. Und gleichzeitig habe ich mich mit Synthesizern und Musiksoftware beschäftigt.

Du benutzt auch die Software Ableton. Deren Erfinder Gerhard Behles sagte, dass Ableton einige Dinge vereinfacht, Künstler dadurch aber wieder „ein nächstes, anderes kreatives Problem finden, mit dem sie sich befassen.“ Was sind die Schwierigkeiten, mit denen du aktuell beim Musikmachen konfrontiert bist?

Ehrlich gesagt denke ich kaum über technische Schwierigkeiten nach. Bei Ableton sehe ich auch keine Limitierungen, es ist eine großartige Software, die so viele Türen öffnet, so viele Möglichkeiten bietet – und dann gibt es wiederum andere Programme, die nochmal andere Möglichkeiten bieten. Wir haben heute unglaubliche musikalische Werkzeuge und es ist schon sehr verrückt, was wir damit alles anstellen können.

© Terence Angsioco

Und man braucht wenig Vorwissen, um damit anzufangen…

Dieses „jetzt kann jeder einfach einen Song machen“ – ja, das stimmt schon irgendwie, jeder kann einen Beat kreieren, das ist heute viel einfacher als früher. Aber die Software bereichert eben auch die kreativen Genies. Wenn ich mir überlege, was für unglaubliche Dinge jemand wie Chopin – würde er heute leben – mit der heutigen Musiktechnologie erschaffen könnte.
Wobei auch klar ist: Egal wie weit man diese Technologie entwickelt, sie wird nie die menschliche Empfindsamkeit übertreffen.

Künstliche Intelligenz wird also niemals menschliche Emotionen imitieren können?

KI kann sicher wunderbare Musik kreieren. Aber menschliche Emotionen sind sehr komplex, nicht logisch, die Art und Weise, wie wir Musik machen, ist nicht rational – abgesehen von Produzenten insbesondere im Mainstream, die Musikproduktion als eine logische Angelegenheit, als ein Verfahren nach Rezept betrachten.
Aber wenn es darum geht, Neues zu kreieren, Grenzen zu überschreiten – das folgt keiner Logik. Vielleicht liege ich auch falsch und KI kann eines Tages wirklich all die Feinheiten menschlicher Emotionen imitieren, aber das ist schon eine sehr komplexe Angelegenheit.

Wenn du technisch keine Schwierigkeiten siehst – was sind dann im Moment die Herausforderungen für dich als Künstler?

Die große Schwierigkeit für mich liegt darin, dass es so viele Dinge gibt, die ich machen will, aber nicht die Zeit habe, alles zu realisieren. Viele Kompositionen warten darauf, aufgenommen zu werden. Hunderte. Ich weiß aber nicht, wann ich die Zeit dafür finde. Viele Song-Ideen nehme ich zuerst mit meinem Telefon auf, manchmal summe ich sie – es gibt so vieles, was ich aufnehmen will.

Eines deiner bekanntesten Stücke ist die Improvisation „Tadow“, die du mit dem Musiker Masego aufgenommen und uneditiert veröffentlicht hast. Wie ist bei dir das Vehältnis von Improvisation und Perfektion? Wenn du ein Album wie „Vincent“ aufnimmst, hörst du Songs dann immer wieder an, um sie perfekt zu machen?

Das ist tatsächlich das, was ich bei diesem Album gemacht habe, „Vincent“ ist kein improvisiertes Album. Es gibt zwar hier und da improvisierte Saxofon-Passagen, aber die Struktur, die Texte – das ist alles genau konzipiert und ich habe mir das Ergebnis immer wieder angehört und sozusagen perfektioniert. Das war der kreative Prozess bei diesem Album – und um ehrlich zu sein: Am Ende habe ich mich dabei nicht mehr wohlgefühlt.

Albumcover „Vincent“

Warum?

Bei mir kommt der Perfektionismus vor allem daher, dass ich mir Gedanken mache, was andere Menschen über meine Musik denken. Es ist also weniger die Intention, dass ich es für mich persönlich perfekt haben will. Oder anders gesagt: Wäre ich allein auf diesem Planeten, wäre ich kein Perfektionist, sondern würde einfach nur kreieren und spielen.
Am Ende dieser Produktion habe ich verstanden, dass ich eben kein Perfektionist sein will. Ich habe versucht, mit diesem Album musikalisch zurückzufinden zur Unschuld meiner Kindheit, doch diesen Punkt habe ich noch nicht erreicht. Bei der Aufnahme war ich immer noch zu sehr in diesem Perfektionismus-Modus.
Das heißt nicht, dass ich in Zukunft nur improvisieren werde, aber mir ist wichtig, dass die Musik eine gewisse Rohheit hat, kleine Unfeinheiten, Risse – all diese Dinge die einzigartig und das Gegenteil von Perfektionismus sind. Das ist ja am Ende auch das, was Künstler interessant und unterscheidbar macht. Und was eben auch widerspiegelt, dass kein Mensch perfekt ist.
Ich habe mir vorgenommen, zukünftig mehr Musik aufzunehmen, die nicht so poliert ist, wie auf diesem Album.

Für den Song „Greener“ konntest du Santana als Gastmusiker gewinnen, dem du zuvor in einem Brief geschrieben hast, welch großen Einfluss er auf dich hatte. Was sagst du dazu, dass mittlerweile Fans auch dir genau solche Briefe schreiben?

Das ist unglaublich. Verrückt. Nicht real. Ich bin sehr dankbar dafür, Leute zu haben, die meine Musik so verstehen, wie ich sie verstehe. Für mich ist Musikmachen die beste Beschäftigung, das beste Gefühl, das ich haben kann, wie ein großartiger Freund, wie eine Medizin, die mich heilen kann, von dem, was ich durchmache. Wenn ich musiziere ist das eine Art ekstatisches Gefühl und ich bin froh darüber, dass es Menschen gibt, die dazu einen emotionalen Zugang haben, die ein bisschen davon spüren, was ich im Studio gespürt habe. Für mich sind sie wie Seelenverwandte.

Du kommst aus Frankreich, lebst auf den Philippinen und hast mal in einem Interview den Satz gesagt, „ich habe keine eigene Kultur, ich gehe überall hin“. Wie war das gemeint?

Das war vielleicht etwas komisch formuliert. Natürlich habe ich eine eigene Kultur: die ist dadurch geprägt, wie ich Europa aufgewachsen bin, in einer französischen Mittelschicht-Familie. Was ich mit dem Satz meinte, war eher, dass ich mich nie zugehörig zu einer bestimmten kulturellen Gruppe fühlte, also weder nur HipHop oder nur Rock oder nur elektronische Musik. Ich hatte ganz verschiedene Freundeskreise, die sehr unterschiedliche Musik hörten und zwischen denen ich immer hin- und hergesprungen bin.
Einerseits bin ich ein weißer Man, der in Frankreich aufgewachsen ist, andererseits passe ich mich an wie ein Schwamm. Ich sauge alles auf, egal wo ich hinkomme. Im Moment lebe ich in Südostasien, in einer ganz anderen Umgebung und Kultur und bin hier glücklich. Ich vermisse Frankreich nicht.

Man sieht dich auf Fotos und in Videos oft in dieser traumhaften Natur-Umgebeung. In eine Großstadt ziehen willst du vermutlich nicht mehr, oder?

Ich denke nicht, dass ich in einer Großstadt leben könnte, genieße es aber, hin und wieder dorthin zurückzukehren. Ich war gerade für drei Wochen in Paris – zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie – und das war wunderbar. Es ist ist toll, zwischendurch Kunst und Kultur zu erleben, sich mit Musikern zu treffen. Das habe ich auf den Philippinen nicht, sondern hier lebe ich eher in einer Art Blase. Aber dauerhaft in Paris, London oder New York zu leben, wäre nichts für mich. Hier dagegen kann ich es mir sehr gut vorstellen, mein Leben zu verbringen.

Welche Rolle spielt die Natur für deine Musik?

Sie inspiriert mich auf jeden Fall, ich denke, dadurch hat sich meine Musik auch verändert. Wie gesagt, ich bin wie ein Schwamm, alles um mich herum beeinflusst mich. Die Natur hat die Musik auf meinem neuen Album verlangsamt, vielleicht um bis zu 30 Beats per Minute. Alles ist sehr gemächlich, kontemplativ und ruhig – und das hat sicher auch mit diesem Ort zu tun, wo ich meine Quarantäne verbracht und diese Songs aufgenommen habe.

Zum Schluss: Welches Instrument wirst du als nächstes lernen?

Oh, erst mal habe ich noch so viel auf den Instrumenten zu lernen, die ich schon spiele. Am Klavier zum Beispiel muss ich dringend meine linke Hand verbessern. Im Moment habe ich nicht vor, ein neues Instrument zu lernen. Allerdings habe ich vor einer Weile mit Schlagzeug angefangen, als die Pandemie losging habe ich mir ein Drum-Set besorgt.
Ich fühle mich aber heute musikalisch nicht eingeschränkt, ich habe nicht das Gefühl, dass in meinem Sound ein bestimmtes Instrument fehlt und bin sehr glücklich, mit all den Elementen zu spielen, die ich bereits habe. Und wenn ich zusätzlich Streicher brauche, oder mal eine Trompete oder Posaune – dann weiß ich, wen ich anrufen kann.

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