Herr Schorlemmer, für das Buch „Was bleiben wird“ haben Sie mit Gregor Gysi und dem Journalisten Hans-Dieter Schütt ein Gespräch „über Herkunft und Zukunft“ geführt. Was war die Motivation dahinter?
Friedrich Schorlemmer: Wir wollten zeigen, dass Menschen mit sehr unterschiedlicher Herkunft und Prägung ihre Unterschiede gut besprechen können. Ich bin Pfarrerssohn, Gysi Funktionärssohn. Unsere Fragen waren: Was wollen wir jeweils aus unserer Vergangenheit für die Gegenwart lernen? Was muss noch einmal diskutiert werden? Was braucht einen neuen Anlauf? Zum Beispiel ‚Nie wieder Krieg, der von deutschem Boden ausgeht‘, das braucht immer wieder neue Anläufe.
Inwiefern wollten Sie denn auch das bisherige Bild von der DDR korrigieren bzw. ergänzen?
Schorlemmer: Ein Auslöser für das Buch war, als ich das Vorwort des „Geo Epoche“-Hefts über die DDR gelesen habe. Dem Autor wünsche ich, wie vielen Westdeutschen, ein Jahr DDR, ohne dass sie wissen, dass sie zu Ende geht.
Warum?
Schorlemmer: Einfach, um zu erfahren, wie Menschen sich verhalten, die in einem eingemauerten Land leben, von dem sie nicht wissen, wie lange das so bleibt und wie man dort für sich und seine berufliche Zukunft etwas macht, wie viel an Anschmiegsamkeit oder auch wie viel Opportunismus oder nüchternes Kalkül sie dann entwickeln.
Unser Buch zeigt, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit an vielen Stellen in Sackgassen geraten ist. Es ist Unsinn, Menschen auf ihre damalige Überzeugung festzunageln, statt ihnen zu ermöglichen, ihre Vergangenheit zu reflektieren. Ich wollte gerne zeigen, dass es Menschen aus der SED gibt, die sich wirklich gewandelt haben.
Gehört Gregor Gysi Ihrer Ansicht nach zu diesen Menschen?
Schorlemmer: Ja, wiewohl er bei bestimmten Denklinien auch eine gute Kontinuität aufweist. Das hatte mit seinem Vater zu tun, der ein sehr scharfsinniger Mensch war. So scharfsinnig, dass ihn die SED niemals in die Führungsgremien genommen hat.
Wir brauchen viel mehr Demokratie von unten.
Hat Sie der Wandel der Menschen nach der Wende auch mitunter überrascht?
Schorlemmer: Ja, ich habe gedacht, dass mehr Leute aus den widerständigen Gruppen, eher links sein würden als im bürgerlichen Sinne rechts. Dass Rainer Eppelmann in der West-CDU unter Helmut Kohl landen würde, habe ich nicht gedacht.
Außerdem habe ich es nicht für möglich gehalten, dass so viele Ostbürger nach 1990 angaben, widerständig gewesen zu sein. Und manche Bürgerrechtler sind später zu Bürgerrächern geworden, die ihr ganzes Leben damit verbringen, sich mit dem toten Drachen auseinanderzusetzen.
Mich hat auch sehr irritiert, dass dieses Volk, das zwischen dem 9. Oktober und 9. November so sprachfähig war, sich wieder entpolitisierte, nur nach seinem persönlichen Vorteil fragte und keinesfalls die Mündigkeit des eigenen Aufbaus wollte, sondern sich „blühende Landschaften“ versprechen ließ.
Und von den politisch Handelnden nach der Wende, sind Sie von denen insgesamt eher enttäuscht?
Schorlemmer: Der Weg von großartigen Ideen und der Möglichkeit, sie in praktische Politik umzusetzen ist immer mühselig. Ich möchte diejenigen nicht mehr beschimpfen, die Politik machen und dafür als Opportunisten bezeichnet werden. Wenn wir keinen Bürgerkrieg wollen und auch nicht wieder in ein autoritäres System zurück wollen, besteht Politik darin, dass man koalitionsfähig ist. Wir sollten von Parteilinien absehen, aber gleichzeitig denen, die nach einer Wahl sich an einer Koalitionsregierung beteiligen, nicht vorwerfen, dass sie nicht eins zu eins die Dinge umsetzen können, die sie vor der Wahl versprochen haben.
Sie wurden zu DDR-Zeiten bespitzelt und Sie waren als Pfarrerssohn benachteiligt, dennoch wehren Sie sich gegen eine Diffamierung der DDR…
Schorlemmer: Ich habe auch unter nicht glücklichen Umständen ein glückliches, ein gehaltvolles, ein beruflich weiterbringendes Leben führen können. Es gab großartiges Theater in der DDR, großartige Literatur. Es gab diskussionswürdige bildende Kunst. Als ich mehrere Jahre im Dienst war, habe ich 500 Ost-Mark brutto verdient und damit zwei Kinder ernährt, bis meine Frau dann doch als Ärztin arbeiten konnte. Ich musste mit jedem Fünf-Mark-Schein umgehen. Aber war das nicht auch wunderbar? Die sozialen Errungenschaften der DDR, wie die günstigen Grundnahrungsmittel und die geringe Miete darf man nicht nur ironisch betrachten.
Was bewerten Sie auch im Nachhinein als positiv?
Schorlemmer: Wohnen galt als Sozialgut und nicht zuerst als Wirtschaftsgut. Ein im Grunde gutes Prinzip, auch wenn man mit diesen Mieten keine Häuser erhalten kann und einen rasanten Städteverfall produziert. Aber jetzt haben wir die Gentrifizierung, das Auseinanderfallen der Gesellschaft in zwei Teile. Das wird in den nächsten zehn Jahren in allen größeren Städten passieren. Es gibt geteilte Städte ohne Mauern.
Auch wenn es in der DDR diese Klassenunterschiede nicht gab, so waren Sie persönlich dennoch durch das System und die Staatssicherheit eingeschränkt und fühlten sich mitunter bedroht.
Schorlemmer: Wir haben so gelebt, wie wir leben wollten. Wir haben gelebt, als ob es keine Staatssicherheit gäbe. Unter dem Strich kann ich sagen: Ich habe mir das Lebensglück von dieser kommunistischen Welterlösungspartei nicht nehmen lassen. Manches war zwar schwer, aber an Widerstand wächst man auch. Es sei denn, man kommt in die Vernehmungshöllen und Gefängnisse der Staatssicherheit. Das bin ich nicht gekommen, nur zeitweise ein paar Stunden zu einer Befragung. Ich weiß aber natürlich aus der Seelsorge, wie die Menschen dort kaputt gemacht wurden.
Immer wieder wird über die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat diskutiert. Wo stehen Sie in der Debatte?
Schorlemmer: Mir ist wichtig, dass man die DDR nicht beschönigt, sondern klar sagt, dass grobes und unverzeihliches Unrecht geschehen ist. Vor allem im politischen Strafrecht. Zivilrechtlich sieht das aber anders aus. Die DDR zu einem Unrechtsstaat zu erklären und das gesamte Leben zu delegitimieren, das geht nicht. Den Unrechtsstaat sollten wir uns für die Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 9. beziehungsweise 8. Mai 1945 aufheben.
Auch 2015 gibt es wieder Montagsdemonstrationen, nun allerdings gegen die vermeintliche Überfremdung. Wie sehen Sie diese nationalistischen Tendenzen?
Schorlemmer: Ich möchte über die Leute reden, die dafür auf die Straße gehen, dass wir ein weltoffenes und für Flüchtlinge offenes Land sind. In Leipzig waren 20.000 Leute auf der Straße, bevor Legida überhaupt da war. Aber jetzt muss die Politik aufgerüttelt werden, nachdem der Bürgermeister in Tröglitz in Sachsen-Anhalt zurückgetreten ist, weil eine Demonstration an seinem Haus genehmigt wurde. Ein Landrat, der so etwas zulässt, müsste zurücktreten.
Dass das Dumpfe in Dresden und anderswo wiederkommt, das tut sehr weh. Ich habe ja mit einigen Leuten auch gesprochen, die mir gesagt haben, dass sie einfach Frust haben und Ohnmacht fühlen. Aber dann laufen die dieser Idiotenparole „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ hinterher.
Vorhin zeigten Sie sich aber auch enttäuscht von jenen Bürgern, die sich entpolitisierten und nicht mehr auf die Straße gehen….
Schorlemmer: Wir brauchen viel mehr Demokratie von unten, auch viel mehr Widerstand von unten, das ist richtig. Zum Beispiel gegen die Kriege an denen Deutschland beteiligt ist. Wir brauchen auch wieder Straße, jedoch für die Einhaltung unserer demokratischen Grundordnung, unseres Grundgesetzes. Dafür brauchen wir eine Repolitisierung. Und das geht womöglich nicht ohne Streit ab mit denen, die wieder deutschnational denken. Im Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Des Menschen generell – nicht des deutschen, syrischen, nicht des amerikanischen oder des polnischen Menschen. Und diese Würde zu schützen, dazu sind die Staatsorgane da.
Wie erreicht man, dass die Menschen dafür wieder auf die Straße gehen?
Schorlemmer: Da darf keiner sagen: Ich bin ein kleiner Mann, was kann ich schon tun? Man muss sich zusammentun und zum Beispiel die Gewerkschaft fragen: Warum rührt sich meine Gewerkschaft nicht? Ich bin in der Kirche, was können wir in der Kirche machen? Großartig zum Beispiel in Tröglitz ist, dass die Kirchgemeinde wach geworden ist. Wir brauchen die Wachheit von Demokraten und die Erkenntnis, dass Demokratie schneller verloren ist als wiedergewonnen.
[Das Interview entstand im März 2015.]
Wie kann es sein, dass Pfarrer IM werden konnten? Ich dreh’s mal herum, warum ausgerechnet sie nicht? Ich lebte im Westen und nicht in der DDR, hatte aber das Glück in der Jugend regelmäßig hinfahren zu können in einem Alter, in dem ich noch nicht völlig festgelegt gewesen war. So konnt‘ ich mich fragen, welche Hinweise ich habe, dass ausgerechnet ich nicht der DDR-Ideologie aufgesessen wäre?
Und um es neutraler zu fragen, verlagerte ich die Frage in das Dritte Reich: Was wäre meine Rolle in jener Zeit gewesen? Wohin hätte ich mein Bedürfnis nach Idealen gepackt? Die Antwort ist schlicht, ich kann es nicht entscheiden – und damit ist klar, ich habe keinerlei Recht zu werten! Alles andere empfände ich als selbstgefällig und billig. (Helmut Kohls ‚Gnade der späten Geburt‘ wollte ich nicht folgen, weil es trivial ist, was ich tue, nicht aber , was ich in der Situation des anderen getan hätte.)
Doch egal – danke für die Anregungen – und in meiner Gedankenwelt ist jedes Schaf der anderen Hirte –
Solche Theologen wie Schorlemmer würden bewirken,daß sich meine beiden Goßväter im Grabe umdrehen!Die gleichen linken Typen,die sich schämen von Oberst Klaar Spendengelder für ihre maroden Kirchen angenommen zu haben.Ich habe noch Pfarrer kennen gelernt,die sich als Deutsche nicht im Patriotismus übertreffen ließen.Wie kann es sein,daß soviel Pfarrer,Bischöfe und andere kirchliche Mitarbeiter (Stolpe!) IM der Stasi waren?Warum sind die Krchen so leer?Pastor eißt Hirte,diesen Hiren snd die Schafe längst weg gelaufen!
Herr „Dr.“ , erst schreiben lernen, dann kotzen.