Herr Sdunek, glauben Sie an Schicksal?
Schon. Zufälle gibt es immer wieder.
Liest man Ihre Autobiografie, möchte man meinen, die wichtigsten Passagen handelten von Schicksalsschlägen.
Schicksalsschläge in den Bereichen Gesundheit und Familie können einen schon belasten. Meine Eltern sind zum Beispiel verhältnismäßig früh gestorben. Und das immer vor wichtigen Kämpfen. Meine Mutter vor dem ersten Schwergewichtsweltmeisterschaftskampf von Vitali Klitschko. Und ein Jahr später mein Vater vor einem wichtigen Kampf von Wladimir Klitschko. So was kann man nicht vergessen. Ich habe mich am Schicksal aber auch immer wieder hochziehen können, gerade durch die Erfolge im Sport.
Auch Ihre Erkrankung an Hautkrebs schien das Schicksal anzuziehen.
Das war auch Schicksal. Damals bekam ich einen Schlag von Denis Boizow auf die Lippe. Als die Wunde nicht heilte, wurde erkannt, dass es Krebs ist. Hätte sich das unbemerkt weiterentwickelt, wäre es wahrscheinlich in die Lymphe gegangen, und ich hätte nur noch ein paar Jahre gehabt.
Wenn Sie im Buch davon erzählen, erlebt man Sie als sehr gefühligen Menschen. War Ihnen das wichtig? Wollten Sie gezielt Ihre empfindsame Seite zeigen?
Nach außen sieht dieser Sport immer so hart aus, aber auch harte Sportler und Trainer bauen am Wasser. Als ich meinen Jungs damals aus gesundheitlichen Gründen die Trennung von Universum bekannt geben musste, sind bei mir die Tränen geflossen. Ich werde aber auch bei Erfolgen schon mal sentimental.
Allgemein wird Sentimentalität in der Boxwelt aber doch eher unterdrückt.
Auf alle Fälle. Ich darf meine Sportler ja auch niemals Nervosität oder Unsicherheit spüren lassen.
Und die Selbstreflexion? Waren Sie darin schon immer gut?
Von Anfang an, wahrscheinlich hat mir meine Mutter das in die Wiege gelegt. Nach Krankheiten und Unfällen ist sie immer wieder auf die Beine gekommen. Das hat uns stark gemacht.
Auch Ihre Boxer ermutigen Sie dazu, sich selbst zu hinterfragen. Eine eher mühsame Aufgabe?
Bei manchen Sportlern ist es schon schwer, an sie heran zu kommen. Aber in wichtigen WM-Kämpfen ist es mir immer wieder gelungen, sie zu motivieren, sie an der Ehre zu packen, sie an die Familie zu erinnern, an die Kinder, auch an die Nationalität. Ich denke zum Beispiel an den Kubaner Juan Carlos Gómez, der in einem Kampf in Argentinien mal nach der sechsten Runde meinte, er schaffe es nicht. Er wollte aufgeben. Dann habe ich ihm gesagt: Bist du Kubaner? Kubaner geben nicht auf! Und jetzt tanze wie ein Kubaner im Ring, bleib nicht stehen – und denk’ an deine Tochter! Die ist ja auch meine Enkeltochter. Alles kleine Psycho-Tricks.
Als strenger Trainer gelten Sie jedoch nicht.
Ich hatte und habe immer ein offenes, lockeres Verhältnis zu meinen Sportlern. Die können mich alle duzen. Eine Autorität bin ich nicht nur als „Herr Sdunek“, sondern auch als „Fritz“ oder „Trainer“.
Mit Schützlingen wie den Klitschko-Brüdern hatten Sie ja auch das Glück, dass Ihrer Marschroute bedingungslos gefolgt wurde.
Ich wusste, dass bei den beiden Benehmen angesagt ist, dass sie zielstrebig und ehrlich sind. Das waren sie von Anfang an, ich bin bis heute sehr zufrieden damit. Nur Vitali übernimmt sich noch in manchen Phasen. Er arbeitet zu viel. Als wir uns auf seinen letzten Kampf vorbereitet haben, war ich eine Woche lang mit ihm in Kiew. Das Tagespensum, was er dort absolviert, ist für einen normalen Profi-Boxer eigentlich gar nicht zu schaffen. Als ich ihn danach im Trainingslager in Tirol gequält habe, war das für ihn fast schon Erholung.
Nach außen sieht der Boxsport immer so hart aus, aber auch harte Sportler und Trainer bauen am Wasser.
Bei den Klitschkos geht es ja nicht nur ums Boxen und um die Politik. Ihre Auftritte werden detailliert inszeniert und die Show rund um ihre Kämpfe immer größer. Eine gute Entwicklung?
Für mich nicht, ich mag das nicht. Die Show muss im Ring stimmen, die Kämpfe müssen mitreißend und spektakulär sein. Davon hat man doch auch mehr, als von einer großen Show drum herum. Aber natürlich gehen viele Zuschauer auch zum Boxen, um unterhalten zu werden. Das haben die Fernsehsender erkannt und reagiert.
Beeinträchtigt die Show auch die Boxer?
Beim Einlaufen gab es ja schon die verschiedensten Dinge. Schon Dariusz Michalczewski wurde damals im Käfig rein gefahren (Spitzname „Tiger“; Anm.d.Verf.). Aber ob nun so etwas gemacht wird oder ob da eine Band spielt – die Boxer haben zu dem Zeitpunkt schon einen solchen Tunnelblick, dass sie das alles gar nicht richtig mitbekommen.
Sie sagen, die Show müsse im Ring stimmen. Ist Ihnen der spektakuläre Knock Out in der 12. Runde womöglich lieber als ein frühes Ende?
Man lässt natürlich nicht so viele Nerven, wenn schon nach der ersten Runde Schluss ist, als wenn ein Kampf über 12 Runden geht. Aber die Zuschauer bezahlen viel Geld und wollen einen Boxkampf sehen. Für sie ist es immer besser, wenn die Gegner sich ebenbürtig sind und die Kämpfe dadurch länger gehen.
Bei manchen Klitschko-Kämpfen waren jedoch die Gegner so chancenlos, dass ein K.O. bereits in den ersten Minuten möglich war. Sagen Sie in solch einer Situation auch mal zu Vitali, er solle ruhig noch etwas warten – der Zuschauer wegen?
Auf keinen Fall. Das Verletzungsrisiko wäre dabei auch viel zu groß. Es kann ja sein, dass Vitali haushoch nach Punkten führt, dann aber plötzlich umknickt und sich verletzt.
Beim Kampf von Wladimir Klitschko gegen Jean-Marc Mormeck hatte man zuletzt jedoch den Eindruck, dass Wladimir seinen Gegner auch schon in der zweiten Runde hätte ausknocken können. Auf der anderen Seite wusste man ja, was in den Ringpausen noch verdient werden konnte …
Das hat man auch bei Vitalis Kampf gegen Adameck gesagt, da hatte er schon in der ersten Runde einen Wirkungstreffer. Aber das alles sagt sich so leicht. Mit Gewalt lässt sich keine Kuh melken, man muss Geduld haben, ein K.O. kommt von alleine, den muss man nicht erzwingen. Man darf nicht stehen bleiben, muss seine Schnelligkeit und Variabilität ausnutzen. Und man muss seine Nerven im Zaum halten, darf sich nicht provozieren lassen.
Auf Provokationen reagieren die Klitschkos stets gelassen. Ist neben Ihnen noch ein Mentaltrainer im Einsatz?
Nein, den brauchen sie nicht. Das mache alles ich. Ich erinnere mich an ein Presse-Training vor Vitalis Kampf gegen Shannon Briggs. Briggs stellte den Journalisten damals ein Team von 22 Leuten vor. Und dann kam Vitali und sagte: Das ist mein Trainer, Fritz Sdunek, das ist mein Therapeut, Fritz Sdunek, das ist mein Assistent, Fritz Sdunek, mein Bodyguard, Fritz Sdunek. Da lachte natürlich der ganze Laden.
Noch in diesem Jahr könnte es zum lange erwarteten Kampf zwischen Vitali Klitschko und dem Briten David Haye kommen. Sollte Klitschko gewinnen, könnte das Ihr letzter Kampf sein?
Auf keinen Fall! Ich habe noch so viele Anfragen von jungen Boxern, die mit mir trainieren wollen, und so lange ich das kann, mache ich auch weiter. Das Leben ist sonst langweilig! Ohne Boxen kann ich gar nicht leben.
Sie können nicht aufhören?
Nein. Da müsste es mir gesundheitlich schon so schlecht gehen, wie es mir nach meinen Hüftoperationen ging, als ich sehr viele Schmerzen hatte, mich quälte und zu dem Entschluss kam, kürzer zu treten und nur noch Vitali zu trainieren.
Ein Ende also nur durch einen Schicksalsschlag?
Da muss das Schicksal schon hart zuschlagen und es gesundheitlich nicht mehr gehen. Ansonsten gilt für mich der alte Spruch: Wer rastet, der rostet.