Fritzi Haberlandt

Solange einer von beiden noch redet, ist noch nicht alles verloren.

Schauspielerin Fritzi Haberlandt über das Reisen, Touristen in Berlin, den 30. Geburtstag, ihre alte Seele, Theater, Literatur und den Film „Nichts als Gespenster“

Fritzi Haberlandt

© Senator Entertainment AG

Fritzi, in deinem neuen Film „Nichts als Gespenster“ bist du als Touristin in Venedig unterwegs. Wie lernst du einen fremden Ort kennen, wenn du selbst auf Reisen bist?
Haberlandt: Ich laufe gerne herum, sehe mir viel an. Ich gehe in fremden Städten nicht gerne ins Museum. Die mögen zwar interessant sein, aber ich finde es blöd, in geschlossenen Räumen zu sein und zu wissen: da draußen wartet eine unbekannte Stadt. Die würde ich mir jetzt viel lieber anschauen als Gemälde oder Videoinstallationen. Die sind zwar auch nicht unbedingt unwichtig für mein Leben (lacht), aber ich denke dann immer, sie würden mich von wichtigeren Dingen abhalten.

Was ist deine bevorzugte Art zu reisen?
Haberlandt: Am liebsten gar nicht. Ich fahre ungern wohin. Fliegen fällt schon mal aus, das finde ich furchtbar. Ich mag auch keine Hotels.

Wie steht’s mit Trampen?
Haberlandt: Das durfte ich ja Gott sei Dank nie. Da würde meine Mutti schimpfen. Aber doch, einmal bin ich getrampt, zu dritt mit riesigen Rucksäcken. Wir sind eher in die Autos eingefallen, als dass man uns angeboten hätte, mitzufahren. Das war in der Schweiz. Sehr lustig. Wenn man jung ist, macht man das alles.

Und die Mutter machte sich keine Sorgen?
Haberlandt: Wir waren ja zu dritt. Drei auf einmal zu ermorden, das musst du erst mal schaffen (lacht). Aber ansonsten bin ich eigentlich echt nicht der Typ fürs Reisen.

Weil es zu Hause am schönsten ist?
Haberlandt: Ja klar, das sagt man doch so. Und wenn ich mal irgendwo bin, dann miete ich mir lieber ein Häuschen und bin für mich alleine, statt mit Fremden im Fahrstuhl zu stehen.

Die Reise an den Drehort Venedig kann also nicht der Reiz gewesen sein, in „Nichts als Gespenster“ mitzuspielen. Was war es dann?
Haberlandt: Ich fand an den Geschichten spannend, das eigentlich so wenig in ihnen passiert, und doch geschieht für den einzelnen Menschen so viel. Man wird in dem Film eben nicht beim Trampen ermordet, bildlich gesprochen. Man trampt, obwohl man es vielleicht nicht darf. Und das ist für einen selbst schon ein totales Ereignis. Diese eine Geschichte wird in mehreren Episoden erzählt, mit mehren Gesichtern, an mehreren Orten. Das hat mich interessiert. Und dass da Kleinigkeiten passieren, die man erstmal entdecken muss, die aber für die Figuren dann total viel bedeuten.

Manchmal war ich mir in deiner Episode nicht ganz sicher, ob deine Rolle Marion von ihrer Situation etwas verwirrt ist, oder du als Schauspielerin.
Haberlandt: Naja, die Marion hat nicht so viel zu sagen. Sie denkt sich eben ihren Teil, steht viel rum, hört zu. Auf der einen Seite kann man sagen: Gott, wie langweilig; auf der anderen Seite ist das viel anstrengender, weil man herausfinden muss: Was denkt die da gerade, wie findet sie ihre Situation, wie groß ist ihre Verzweiflung? Ich bin schon jemand, der sich etwas bei der Arbeit denkt und versucht alles zu verstehen, was die Figur macht. Was man dann nachher sieht ist nur die Spitze des Eisbergs und erscheint einem meistens müheloser, als es war.

(Ein Handy klingelt)

Haberlandt: Peinlich. Aber das ist nicht mein Handy. Ich weiß nicht, wer hier sein Handy hat liegen lassen.

Selbst wenn man sein Handy nicht dabei hat, ist man doch mittlerweile so konditioniert, dass man es permanent irgendwo zu hören glaubt, oder ein Phantomvibrieren in der leeren Hosentasche spürt.
Haberlandt: Auf jeden Fall. Ich finde diese Maschinen, die einen so abhängig machen ganz schrecklich. Ich habe nur ein ganz altes Handy. Ich habe mich auch ganz lange gegen Emails gewehrt. Ich finde blöd, dass man nach Hause kommt und nach der Post, dem Anrufbeantworter und nach seinen Emails gucken muss. Einmal in den Briefkasten zu schauen würde mir als tägliche Zwangshandlung vollkommen reichen.

Du hast eine alte Seele?
Haberlandt: Ja, das ist richtig.

Apropos Alter, Marion trifft ihre Eltern in Venedig, um dort ihren 30. Geburtstag nachzufeiern. Hat dich dieses magische Datum auch an der Rolle interessiert?
Haberlandt: Vom Drehbuch bis zu den Dreharbeiten hat es eine Weile gedauert und in der Zeit war auch mein 30. Geburtstag. Punkt.

Redest du nicht gerne darüber?
Haberlandt: Ich hatte eine echte Krise. Die begann schon im Januar, ein halbes Jahr vorher. Ganz schlimm. Als es dann soweit war, habe ich geheult. Ich hatte Vorstellung in Hamburg, wohnte aber schon in Berlin und ich war enttäuscht, dass ich nicht mal feiern konnte. Die Kollegen waren nett und haben sich Mühe gegeben, aber in der Kantine ein Glas Sekt zu trinken war nicht das, was ich mir unter einem rauschenden Fest vorstelle. Aber nach diesem Geburtstag ging’s wieder bergauf.

Wie sähe so ein rauschendes Fest aus?
Haberlandt: Eine meiner liebsten Filmszenen ist aus „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück.“ Sie wird zu einer Mottoparty eingeladen, verkleidet sich als Playboy-Bunny und dann heißt es: Entschuldigung, wir haben vergessen dir Bescheid zu sagen, es gibt doch kein Motto. Und sie steht als einzige verkleidet da, in einer englischen vornehmen Gartenparty. So hätte ich’s gemacht

Du wärst als Playboy-Bunny aufgetreten?
Haberlandt: Nein. Aber es gäbe ein Motto auf meiner Party, das ich niemandem verraten würde, nur meiner besten Freundin. (lacht)

Deine Rolle Marion feiert ihren 30. Geburtstag und hat das Problem, ihren Eltern nur von oben herab, oder von unten als Kind, aber nicht auf Augenhöhe begegnen zu können. Gab es bei dir einen wichtigen Punkt der Loslösung von den Eltern, einen markanten Moment des Erwachsenwerdens?
Haberlandt: Es gab schon mal einen Punkt, wo ich neben meinen Eltern saß und merkte: Ich liebe die nach wie vor total, sie sind ein ganz wichtiger Anker in meinem Leben, aber es hat sich was verändert. Ich bin eine eigenständige Person mit eigenem Leben und eigenen Entscheidungen. Das war auch ein ganz schmerzhafter Moment. Plötzlich saßen da drei Erwachsene am Tisch, die sich Dinge erzählen, manche aber auch nicht. Das ist ein merkwürdiger aber auch ein wichtiger Prozess. Jetzt ist alles in Ordnung; man lässt sich in Ruhe und gleichzeitig ist man total eng.

Zitiert

Ich habe mich auch ganz lange gegen Emails gewehrt. Einmal in den Briefkasten zu schauen würde mir als tägliche Zwangshandlung vollkommen reichen

Fritzi Haberlandt

Wie alt warst du zu dem Zeitpunkt?
Haberlandt: Etwa 25. Das war nach der Schauspielausbildung, als ich ans Theater ging und mein richtiges Leben begann.

Vor einiger Zeit haben Vorschläge Schlagzeilen gemacht, eine „Ehe auf Zeit“ einzuführen. Wäre das für Marions Eltern, die für den Zuschauer nicht immer leicht zu ertragen sind, eine Lösung gewesen?
Haberlandt: Die beiden habe irgendwann beschlossen: So sind wir eben als Paar, uns tut das beiden ganz gut. Sie haben sich in ihrer Unterschiedlichkeit arrangiert. Aber natürlich gibt es auch Paare, wo es furchtbar ist, wenn die zusammenbleiben und sich nur noch quälen, sich im Schweigen und nebeneinander Leben einrichten. Bei Marions Eltern geht das noch, da plappert die Mutter dauernd. Solange einer von beiden noch redet, ist noch nicht alles verloren. (lacht)

Gibt es ein Patentrezept, um als Paar das Verstummen zu vermeiden? Zusammen in Urlaub fahren zum Beispiel?
Haberlandt: Man sagt doch immer, dass sich im Urlaub immer alle trennen. Plötzlich stellen sie fest: So bist du? Ist ja furchtbar. Es gibt aber kein Patentrezept. Ich glaube, man sollte immer miteinander reden – über Alles. Das ist nicht nur schön. Liebe ist super, klar. Aber Zusammenleben ist total anstrengend. Wenn man das zusammen so empfindet und da zusammen dran arbeitet, könnte es aber durchaus mal klappen, denke ich.

In „Nichts als Gespenster“ gibt es eine weitere Episode, in der eine junge Frau mit dem Schwarm ihrer besten Freundin schläft und ihr das nicht verrät. Hat sie richtig gehandelt?
Haberlandt: Naja, mit den beiden anderen wäre es ja nichts geworden, das sah man ja auch. Ihre beste Freundin war total verliebt, aber er hat sie ein bisschen ausgehalten und hätte wahrscheinlich bald einen andere gehabt. So sind sie doch alle. (lacht) Trotzdem ist das schon ein großer Verrat und wer weiß, ob die Freundschaft das aushält.

Ist also Offenheit um jeden Preis besser?
Haberlandt: Eigentlich würde ich sagen: ja. Ich bin auch dafür, es einer Freundin zu sagen, wenn man mitbekommen hat, dass ihr Freund sie bescheißt. Aber da habe ich mich schon mit vielen gestritten, die sagen: nein, da soll man sich nicht einmischen. Ich finde, das ist kein Einmischen; da sagt man, was man weiß. Schweigen könnte ich in dem Fall nicht ertragen. Ich bin also eher für die Offenheit. Was aber nicht heißt, dass ich das besonders gut kann.

Die dazugehörige Lebensphilosophie wäre: Lebe den Moment und mache dir nicht zu viele Gedanken über das, was kommen könnte?
Haberlandt: Ja? Ob die jetzt auch auf mich zutrifft weiß ich nicht, aber sie klingt doch ganz gut.

Hast du Judith Hermanns Romanvorlage von „Nichts als Gespenster“ gelesen?
Haberlandt: Ich mochte ihr erstes Buch „Sommerhaus, später“. „Nichts als Gespenster“ habe ich erst gelesen, als der Film anstand, vorbildlich wie ich bin. (lacht) Die Episoden im Drehbuch sind recht kurz, da war es gut, dass die Vorlage ein bisschen mehr Material bietet. Bevor ich in „Liegen lernen“ spielte, habe ich den Roman nicht gelesen. Da hatte ich das Gefühl, genug zu wissen.

Judith Hermanns Bücher werden oft zur Popliteratur gezählt. Interessiert dich dieses Genre?
Haberlandt: Die ersten Sachen in der Richtung, die zum Teil auch die Jugend in der DDR zum Thema hatten, fand ich schon ganz lustig, weil man sich in vielen Alltagsbeschreibungen wieder erkannte. Aber letztlich interessiert mich das Literarische mehr, als die Tatsache, dass wir alle mit „Wetten Dass“ aufgewachsen sind. Das ist schon mal lustig zu lesen, aber man muss man es nicht dauernd wiederholen.

Hast Du Lieblingsautoren?
Haberlandt: Ich lese sehr verschiedene Autoren immer wieder gerne. Theaterautoren nicht so, aber Erich Maria Remarque zum Beispiel und ich hatte gerade eine starke Walter Kempowski Phase. Nach der tollen Ausstellung über ihn in der Akademie der Künste habe ich „Tadellöser & Wolff“ gelesen und dann fast alle Bücher von ihm, wurde ein völliger Fan. Ich finde toll, wie er Geschichten aus dem Leben schrieb. Und so habe ich immer mal wieder jemanden, den ich verehre und viel von ihm lese. Bei lebenden Autoren liest man allerdings oft ein Buch, denkt: Oh, das ist es! Du freust dich auf das nächste Buch und wirst dann eher enttäuscht.

Manchmal wünscht man sich, Autoren würden nach ihrem Debüt eine Pause einlegen und erst wieder mit ihrem großen Alterswerk zurückkehren.
Haberlandt: So ist das eben in der Kunst. Man kann Dinge nicht wiederholen, aber das ist ja auch nicht die Aufgabe. Wer es schafft, nach einer ersten tollen Platte, eine noch bessere zweite aufzunehmen, ist der Größte, klar.

Gilt das auch für Schauspieler?
Haberlandt: In gewisser Weise ja. Es gib Dinge, bei denen man feststellt: Ach, die kann ich ja wohl besonders gut. Aber die darf man dann nicht dauernd wiederholen. Das würde auch nicht funktionieren, weil man sich verändert, älter wird und irgendwann würde das auch keiner mehr sehen wollen.

Theaterregisseure lassen dich zum Beispiel auffallend oft mit selbstvergessener Haltung Popsongs auf der Bühne singen, zuletzt in „Die Leiden des jungen Werther“.
Haberlandt: (Lacht) Genau. Da wird es dann wichtig, eine neue Ecke finden, die die Leute noch nicht kennen und die man selber auch noch nicht kannte.

Wie sieht die nächste neue Ecke aus?
Haberlandt: Ich habe meistens Figuren gespielt, die jünger sind als ich. Das tue ich gerne, aber auf Dauer bringt es nichts, nur „nach unten“ zu spielen. Da wird man ja unglücklich. Man wird ja schließlich älter.

Du bist seit einem Jahr fest am Berliner Maxim-Gorki-Theater, mindestens ein Jahr hast du noch vor dir. Was ist dein Fazit auf der Hälfte der Strecke?
Haberlandt: Das erste Jahr fing super an, dann wurde es schwieriger. Wir mussten uns alle gegenseitig erstmal finden. Das zweite Jahr ist jetzt entscheidender. Aus den guten und weniger guten Erfahrungen wird gelernt, jetzt weiß man mehr, mit wem man gerne arbeiten möchte, was einen interessiert, welche Projekte man vielleicht selbst anregen möchte. Das ist wichtig, um als Haus noch besser zu werden.

Eine letzte Frage zu deiner Heimatstadt Berlin. Wie erlebst du den Wandel Berlins, seine anscheinend immer größer werdende Anziehungskraft auf Touristen?
Haberlandt: Mir ist auch aufgefallen, dass das immer mehr werden. Ich finde es eigentlich ganz schön. Leute kommen von überall her, haben hier eine gute Zeit.

Wenn man selbst schon nicht in die Fremde reisen mag…
Haberlandt: Dann kommt die Fremde eben her. Genau. Und ich kann mein Englisch praktizieren, wenn mal wieder jemand fragt, wo es zum Brandenburger Tor geht. Das ist völlig in Ordnung. Aber wie die Stadt an sich verändert wird, finde ich eher fies. Bei jeder Baulücke denke ich: Oh, weia – noch ein Bürogebäude aus Glas und Beton! Das finde ich eher traurig.

Wenn Du zu einer Reise deiner Wahl gezwungen würdest, was wäre dein Reiseziel?
Haberlandt: St. Petersburg. Da wollte ich immer schon mal hin.

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