Tommy, Leona, auf eurer Webseite schreibt ihr über die „unterdrückte Welt, in der wir leben“. Was gibt euch das Gefühl, unterdrückt zu sein?
Tommy Hol Ellingsen: Das ist eine große philosophische Frage. Jeder erlebt verschiedene Ebenen der Unterdrückung: persönliche Unterdrückung, Unterdrückung von der Familie, von den Arbeitskollegen, durch das Bildungssystem, durch Religionen. Es gibt so viele Grenzen, die wir uns selbst oder anderen erschaffen. Zum Beispiel in einer Liebesbeziehung: durch Eifersucht und Machtspiele. Anstatt bedingungslos da zu sein für die Person, ihr zu helfen, das Leben einfacher zu machen, macht man es sich gegenseitig schwieriger und komplizierter. Viele Beziehungen verwandeln sich deswegen in Leid. Dann sind wir nicht frei. Es gibt überall diese Grenzen.
Wo denn zum Beispiel noch?
Tommy: Ich kann zum Beispiel nicht mit der Person zusammen sein, die ich liebe. Ich lebe hier, sie lebt in Indien, doch Indien ist nicht Teil des Schengener Abkommens.
Die größte Grenze, die ich in den letzten Jahren erlebt habe ist die zwischen Kulturen – dass wir kein Verständnis und keine Liebe zwischen den Kulturen erzeugen können, wenn Menschen sich einfach nicht mögen, nur weil sie aus unterschiedlichen Kulturen stammen.
Ist die Toleranz in Deutschland groß genug für euch und euer Projekt?
Leona Johansson: Es hängt davon ab, wo du in Deutschland bist. Berlin ist anders als andere Städte. Wenn man nach München fährt ist die Toleranz dort viel geringer.
Tommy: Ich denke die Toleranz ist hier nicht groß genug. Es ist allerdings nicht nur von Ort zu Ort sehr unterschiedlich sondern auch von Mensch zu Mensch. Einige Menschen tolerieren sehr viel. Viele Dinge sind einfach kein Problem, es wird kein Problem daraus gemacht.
Wir haben so viele wirklich ernsthafte Probleme in der Welt und trotzdem gibt es immer noch Debatten, zum Beispiel über die Frage, ob es ok ist, dass Frauen ihre Babys in der Öffentlichkeit stillen. „Ist eine Brust gefährlich für die Gesellschaft?“ „Können Frauen oben ohne herumlaufen?“ Wir krebsen an solchen Dingen herum, dabei gibt es Krieg und Zerstörung. Gleich draußen vor der Haustür gibt es Anzeichen einer destruktiven Gesellschaft.
Was war eure ursprüngliche Motivation Fuck for Forest zu gründen – die Umwelt zu schützen oder eure Sexualität zu befreien?
Leona: Das geht Hand in Hand. Die Befreiung der Natur schließt die Menschen mit ein, denn wir sind auch ein Teil der Natur, auch wenn wir versuchen, uns davon auszuschließen und uns als etwas ganz Besonderes auf diesem Planeten ansehen. Zu sagen, wir sind etwas Anderes als Teil der Natur, ist dumm.
Tommy: Sex ist eines der essentiellsten Dinge der Natur. Für uns hat es Sinn gemacht, unsere Natur zu nutzen, um die Natur zu schützen. Wir waren auf persönlicher Ebene interessiert daran, mit freier Liebe zu experimentieren, wir wollten mehr Menschen in unser Sexualleben integrieren. Wir waren außerdem sehr interessiert an Umweltthemen, aber wir haben keine Gruppen gefunden, in denen wir uns wohl gefühlt haben. Und wir wollten Aktionskunst machen, Dinge die uns beschäftigten, Umweltzerstörung, aber auch Themen wie Krieg und Unterdrückung nach außen tragen und uns ausdrücken.
Wie kam es dann zur Idee, mit Pornovideos Geld für den Regenwald zu sammeln?
Tommy: Wir waren bei einer Show von Annie Sprinkle in Oslo. Sie hat das Konzept des Postporn mitbegründet und hat hauptsächlich eine feministische Perspektive auf Pornographie. Aber sie hat eine viel lustigere und ironische Art und Weise damit umzugehen, als viele andere, extrem feministische Gruppen. Sie hat uns inspiriert, sie hatte sich schon mit vielen Dingen auseinandergesetzt, über die wir damals gerade nachdachten. Da sie einige unsere Ideen schon umgesetzt hatte, mussten wir ein bisschen weiter denken. Und am Ende dieses Prozesses gründeten wir Fuck for Forest.
Was gehört für euch zur sexuellen Befreiung dazu?
Tommy: Für uns ist es ein Experiment. Als ich und Leona angefangen haben, waren wir in sexueller Hinsicht sehr unerfahren. Wir wollten lernen, mit unserer Eifersucht umzugehen, miteinander Spaß zu haben und dabei ehrlich und aufrichtig miteinander zu kommunizieren und das Gefühl der Abhängigkeit loswerden, das zu Leid führt. Wir haben versucht, an dieser Unsicherheit und den mentalen Hürden zu arbeiten und zu einem Punkt zu kommen, wo wir unsere Beziehung mehr auf Verständnis und tiefer Freundschaft gründen und der Sex eher die Würze ist. So dass wir, selbst wenn die sexuelle Energie verschwindet, immer tief verbunden sind. Ich denke nicht, dass Liebe oder für einander da zu sein, am Ende wirklich etwas mit Sex zu tun hat.
Leona: Eifersucht ist die Hauptursache für sexuelle Unterdrückung.
Sexuelle Befreiung bedeutet also für euch….
Tommy: ….aufzuhören, einander zu unterdrücken. Es geht für mich auch um Gender-Themen, darum, sich gegenseitig als Menschen wahrzunehmen, und nicht als Geschlechter, als das, was du bist und nicht als das, was deine gesellschaftliche Geschlechterrolle ist. Das ist ein Teil. Der andere ist, die Kontrolle aus Beziehungen zu verbannen. Und der letzte Punkt ist: Unser Körper ist Teil der Natur und er ist wunderschön. Ich finde Liebe machen viel schöner als alle Dinge, die ich in der Gesellschaft sehe. Warum kann ich nicht nackt sein, wo ich will? Das ist eines der Rechte, die wir als Menschen nicht haben, weil wir so intelligent sind, das Tiere aber haben. Zu Tieren kann man nicht sagen: „Hey, dass könnt ihr nicht machen!“
Was sagt ihr einem Paar, das monogam lebt?
Tommy: Ich lache sie aus und mobbe sie, bis sie anfangen zu weinen! (lacht) Nein, Spaß beiseite. Ich stelle Fragen, die sie zum Nachdenken anregen. Ich fordere die Leute manchmal heraus und frage: „Du sagt, das ist die einzige Person für dich und du bist gerade mal 22 Jahre alt. Glaubst du wirklich, dass das der einzige Mensch ist, mit dem du in deinem ganzen Leben Sex haben wirst?“ Und die meisten würden dazu nicht sagen: „Ja, daran glaube ich.“ Sie kommen bereits an diesem Punkt in einen Konflikt, denn das bedeutet: Früher oder später werde ich mich von der Person trennen, die ich im Moment sehr liebe.
Aber Monogamie bedeutet doch lediglich, nur einen Partner zur selben Zeit zu haben.
Tommy: Monogamie ist, wenn du dein Leben lang ein und denselben Partner hättest. Das, was ich gerade beschrieben habe, ist nicht Monogamie. (lacht) Das ist eigentlich Polygamie mit einer Psychose. Das bedeutet nämlich einfach Partnerwechsel nach der Art: Ok, jetzt habe ich dich für eine gewisse Zeit geliebt, jetzt kann ich nicht gleichzeitig dich und eine andere Person lieben, deswegen beende ich die Beziehung und wechsle in eine neue. Du fühlst dich von mehreren Menschen angezogen, aber kannst aus gesellschaftlichen Gründen nicht mehr als einen Partner zur selben Zeit haben.
Geht es bei der Idee der Befreiung der Sexualität hauptsächlich um euch selber oder glaubt ihr, dass eure Videos auch einen Einfluss auf den Umgang der Zuschauer mit ihrer eigenen Sexualität haben können?
Leona: Für mich persönlich hat es meine Sexualität weiterentwickelt.
Tommy: Es geht mehr um die Menschen, die Teil des Projekts sind, die ihre Grenzen austesten. Ich glaube, sie lernen mehr, als diejenigen, die sich die Videos ansehen.
Viele Menschen kommen zu uns, bringen ihre Freunde mit und fangen an, Sachen auszuprobieren, für die sie vorher keinen sicheren Ort hatten. Sie sehen zum ersten Mal ihre Freunde beim Sex, sie geben ihren Partnern mehr Freiheit. Es gibt eine größere Offenheit, sowohl negative als auch positive Reaktionen deiner Gefühle auszudrücken.
Es ist sehr befreiend, wenn man Sex nicht so ernst nimmt, wenn man eine Gruppe von Menschen ist und anfängt, die Dinge zu kommentieren, ohne dass man das Gefühl hat, etwas kaputt zu machen. Wenn die Menschen beim Sex Witze machen und lachen können. Wenn man an den Punkt kommt, gleichzeitig genießen und lachen zu können, kann das viele Glücksgefühle auslösen, es nimmt den Stress aus der ganzen Situation. Wir konnten am Anfang nicht absehen, dass das Projekt einen sehr starken therapeutischen Effekt auf viele Menschen hat.
Wisst ihr auch von positiven Effekten bei euren Abonnenten?
Tommy: Manche Leute haben uns geschrieben, dass sie süchtig nach Mainstream-Porno waren, aber sich nicht wohl gefühlt haben, weil sie die Hintergründe nicht kennen. Deshalb haben sie sich dabei etwas schuldig gefühlt. Bei den Videos von Fuck for Forest kennen sie die Geschichte, den Hintergrund und unsere Intention. Für sie fühlt es sich so an: „Wow, ich kann das erste Mal Pornos schauen und mich gut dabei fühlen. Ich weiß, dass das Geld in eine gute Sache gesteckt wird, ich weiß, dass die Menschen Spaß haben.“
Inwiefern unterscheiden sich eure Videos vom Mainstream-Porno?
Tommy: Der größte Unterschied ist, dass wir es nicht machen, um ein Produkt herzustellen. 95 Prozent der Videos und Fotos auf unserer Webseite sind reale Situationen. Wir sagen den Leuten nicht, was sie machen sollen. Wir planen die Videos nicht. Wir überlegen uns nicht: „Das ist, was die Leute brauchen!“ oder „Das würde gut aussehen!“ Es passiert normalerweise einfach so. Wir nehmen die Dinge, die kommen. Wir wissen nicht, was morgen ist. Wir wissen nicht, wer morgen hierher zu uns kommt. Wir wissen nicht, ob hier heute jemand anfängt, Liebe zu machen oder nicht. Die Idee ist, Spaß zu haben und das zu dokumentieren. Wir machen die Videos nicht für die Zuschauer, wir machen sie für uns selbst. Wir sind eigentlich eine Umweltschutzorganisation. Die Menschen sollten uns Geld geben, weil wir damit gute Dinge tun. Manchmal versuchen wir eine Situation herbeizuführen, indem wir flirten und mit Menschen über Fuck for Forest reden, aber es ist nicht inszeniert.
Gibt es Dinge, die euch bei Mainstream-Pornographie stören?
Tommy: Sicher gibt es in der Erotikfilm-Industrie Leute, die manipuliert und in gewisser Weise missbraucht werden, aber das gibt es in so vielen anderen Berufen auch. Andererseits gibt es auch viele Leute in der Pornoszene, die tatsächlich gerne tun, was sie tun. Die respektieren einander außerhalb des Filmsettings. Wenn sie im Film ihre Rolle spielen, dann ist es einfach ein Spiel. Ich kenne Frauen, die gerne gewürgt werden, und Männer, die gerne geschlagen werden, im Rahmen des sexuellen Spiels. Und dann ist es sehr schwer die Pornoindustrie zu verurteilen. Es hängt von den Leuten ab, die den Film machen. Wenn ich sehe, dass die Menschen Spaß haben , dass das wahre Gefühle sind und dass es eine gute Energie gibt zwischen den Menschen, dann schaue ich mir das gerne an.
Die Kritik der feministischen Bewegung an Pornos teilt ihr also nicht?
Leona: Da ich viele Frauen kenne, die es in einem sexuellen Setting sogar mögen, ein bisschen unterdrückt zu werden, finde ich es unterdrückend von der feministischen Bewegung, andere Frauen in der Ausübung ihrer Sexualität zu bevormunden, und zu sagen: das ist gut und das ist schlecht.
Ich habe gelesen, dass an jedem Arbeitsplatz gemobbt wird und die Menschen sich gegenseitig schlecht behandeln, ihre Probleme auf andere übertragen und sie fertig machen. Das hat nichts mit der Porno-Produktion zu tun, sondern mit den Menschen an sich.
Werdet auch ihr kritisiert für eure Art von Pornos?
Tommy: Ja. Uns sagen Leute: „Das ist eine zu männliche Perspektive!“ „Die Frau wird von hinten genommen, sie befriedigt den Mann oral und man hat nicht gesehen, dass die Frau auch oral befriedigt wird. Da hat ja nur der Mann etwas davon!“ Ich sage dann: „Nein, das ist einfach ein Paar, das Sex hat und wir haben ihnen nicht gesagt, was sie machen sollen.“ Manchmal wird das Ganze ein bisschen überanalysiert.
Es gibt auch die Kritik, dass es zu heterosexuell sei. Aber darf man jetzt nichts mehr für heterosexuelle Menschen machen? Ist das politisch unkorrekt? Warum hat die Politik Einzug in unser Schlafzimmer gehalten? – Ich mag auch Männer, bevorzuge aber Frauen und Leona bevorzugt Männer. Also habe ich mit Frauen geflirtet und Leona mit Männern. So haben wir mit Fuck for Forest angefangen, das beruhte auf der Realität. Erst später kamen auch homo- und bisexuelle Menschen dazu.
Ihr habt ja nicht nur hier, in euren eigenen Räumen Sex, sondern auch im öffentlichen Raum, zum Beispiel auf Bühnen. Was ist mit den Menschen, die das nicht sehen wollen? Sollen die einfach die Augen zu machen?
Tommy: Sie können die Augen schließen oder weggehen. Ich glaube nicht, dass das ein Argument dafür ist, so etwas zu verbieten. Wenn wir etwas in der Öffentlichkeit machen, steht es normalerweise auch in Verbindung zu einem bestimmten Anliegen. Wir machen das nicht, um zu schockieren und ich denke nicht, dass Sex in der Öffentlichkeit gefährlich ist für Menschen, dass das psychologische Probleme bei Ihnen hervorruft, auch wenn sie so tun, als seien sie sehr schockiert. Ich habe im Fernsehen zur Hauptsendezeit gesehen, wie Menschen hingerichtet, wie Frauen gesteinigt wurden. Mit solchen Bildern habe ich psychologisch zu kämpfen.
Der menschliche Körper ist wunderschön und Sex sollte mehr gefeiert und gewürdigt und nicht diskriminiert werden. Es zeigt meinen Respekt vor den Menschen, wenn ich so etwas im öffentlichen Raum ausdrücke.
Welches Alter sollte das Mindestalter für Pornos sein?
Tommy: Kinder sollten ab dem Alter Pornos schauen, ab dem sie es wollen. Ich denke, es ist der erste Schritt zur Unterdrückung, wenn man Kindern erzählt, dass Sexualität etwas Schlimmes ist. Sexualität bringt Kinder hervor, sie ist nicht schlimm. Außerdem zeigt man ihnen alles andere: Zerstörung, den Vater, der mit einer Waffe vom Militärdienst zurückkommt, Tiere in Käfigen im Zoo.
Sexualität wird moralisiert von einer kranken Gesellschaft, die ein Bildungssystem schafft, das Kinder auf einem unterbewussten Level in der Hinsicht prägt, dass sie sich in ihrem Körper nicht wohl fühlen und ihre Sexualität nicht ausleben können. Man sollte bei diesem Thema nicht so ängstlich sein und Kindern das Gefühl geben, dass sie selbst ihre Grenzen definieren können. Man muss den Kindern mehr über Sex erzählen. Denn wenn es dazu kommt, dass ein Mensch sie sexuell missbrauchen will, dann werden sie sich der Außenwelt viel schneller mitteilen können.
Sex ist eines der essentiellsten Dinge der Natur. Für uns hat es Sinn gemacht, unsere Natur zu nutzen, um die Natur zu schützen.
Sind manchmal Kinder bei euch in der Wohnung?
Tommy: Nein, wir haben keine Freunde, die Kinder haben.
Leona: Wir haben einen Hund. (lacht)
Möchtet ihr Kinder aus eurem Projekt raushalten?
Tommy: Ich denke, dass es ok ist für Kinder, Sex und nackte Menschen zu sehen, wenn mit Ihnen darüber gesprochen wird, wenn es eine erzieherische Funktion hat. Es ist sogar gesund für Kinder, zu sehen, dass es Sex gibt zwischen zwei Menschen, die das wollen und dass das ein sehr schöner und natürlicher Teil des Lebens ist. Wenn man aber nicht darüber spricht, kann das schockierend und verwirrend sein für Kinder.
Ist es denn Teil eures Lebensentwurfes, Kinder zu bekommen?
Tommy: Wenn es passiert, dann passiert es. Wenn die Frau sagt, dass sie das Kind will, dann muss ich das akzeptieren. Das ist Teil des Lebens. Ich versuche es aber zu vermeiden und habe geschützten Sex. Bis jetzt hat das auch geklappt.
Es gibt außerdem so viele Kinder, die keine Eltern haben. Wir müssen lernen bedingungslos füreinander da zu sein und verstehen, dass es nicht unser Erbgut ist, dass unsere Kinder prägt, sondern die Philosophie und der Geist. Leider werde ich als Freak angesehen, deswegen ist es schwer für mich, Kinder zu adoptieren. Aber wenn ich nach Südamerika gehe, dann kann ich zumindest Straßenkindern helfen. Ich denke ich werde bald dorthin ziehen, weil ich dort auch mehr in Umweltprojekten arbeiten kann.
Leona: Ich persönlich habe vor langer Zeit entschieden, dass ich eigentlich keine Kinder haben möchte, weil die Erde überbevölkert ist. Ich habe keinen Grund gesehen, warum ich noch mehr Menschen in die Welt setzen sollte, wo es doch schon so viele gibt.
Ich sehe es aber selbstverständlich als etwas Natürliches an, wenn ich schwanger werde. Dann ist das eben so. Traurigerweise kann auch ich keine Kinder adoptieren, weil ich bei Fuck for Forest bin.
Tommy: In den Augen der Gesellschaft sind wir moralisch verwerflich.
Was haltet ihr vom Mindestalter, um Geschlechtsverkehr haben zu dürfen?
Tommy: Ich finde, dass das Mindestalter für sexuelle Aktivitäten zu hoch ist. Ein Freund von mir in Norwegen war Politiker und hat seinen Job verloren, weil er zusammen mit seiner Freundin und einer 15-Jährigen Sex hatte. Sie sah aus wie 19 oder 20. Das Mädchen hat das in ihr Tagebuch geschrieben und die Eltern haben es gefunden. Der Mann hatte dann sofort ein Verfahren am Hals, bekam große Aufmerksamkeit von den Medien und kann nie wieder als Politiker arbeiten. Ich denke mir: Wer war da eigentlich das Opfer? Man fragt sehr selten nach dem Ausweis, bevor man mit jemandem Sex hat, vor allem wenn das Mädchen älter aussieht, sehr weiblich ist und sich wie eine Frau verhält. Das Mädchen wollte das. In diesem Alter testen Mädchen gerne ihre Grenzen aus, sie mögen es, Aufmerksamkeit zu bekommen. Es ist unfair von der Gesellschaft, dass es nicht ein bisschen mehr Toleranz dafür gibt.
Die Politik sollte also nicht bestimmen, ab wann man Geschlechtsverkehr haben darf?
Tommy: Nein, die sollten das nicht entscheiden. Ich denke, es ist richtig, Sex zu haben, wenn man sich dazu bereit fühlt. Aber ich verstehe, warum es dieses Mindestalter gibt, da es ja darauf abzielt, junge Menschen vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Das Ganze ist irgendwie ein Grenzbereich. Aber manchmal dreht sich der Spieß um und der ältere Mensch wurde „missbraucht“. Eigentlich hat das Mädchen den armen Mann getäuscht. Sie hätte sagen sollen: „Ich bin erst 15 Jahre alt. Bist du immer noch interessiert?“
Stichwort Safer Sex – gibt es bestimmte Regeln für eure Videos?
Leona: Wir haben keine Regeln. Die Leute machen das, womit sie sich wohl fühlen. Ich persönlich benutze Kondome, außer wenn ich in einer Langzeitbeziehung bin.
Geschlechtskrankheiten sind also kein Problem bei euch?
Tommy: Nein. Ich bin für geschützten Sex und sage immer: Habt Respekt vor euren Freunden, wenn ihr Sex haben wollt. Es geht nicht nur um euch selbst, sondern auch um eure Freunde.
Leona: Wir haben normalerweise in jedem Zimmer Kondome bereit liegen. Das macht es einfach für Leute, die spontan sind, ein Kondom zu benutzen. Aber ich laufe den Leuten nicht hinterher, wenn sie Sex haben, und sage: „Hey, ihr benutzt kein Kondom!“ Die Leute müssen selbst die Verantwortung übernehmen. Es ist ihr Leben.
Wie viele Videos veröffentlicht ihr im Monat auf eurer Internetseite?
Leona: Etwa jeden dritten Tag wird ein neues Video hochgeladen und jeden zweiten Tag kommen neue Fotos raus.
Könnt ihr davon leben oder finanziert ihr euch auch noch durch andere Jobs?
Tommy: Einer der Gründe, warum wir in Berlin leben, ist, dass wir versuchen einen alternativen Lebensentwurf zu verwirklichen. Wir gehen zum Beispiel containern. Und dann finden wir Wege, das Geld zu sammeln, das die grundsätzlichen Verwaltungskosten abdeckt. Wir gehen sexy gekleidet mit Schildern auf die Straße, die Menschen machen Fotos von uns und dann bitten wir sie um eine Spende.
Also hat keiner von euch einen „normalen“ Job?
Tommy: Nein, wir sind alle eher Künstler. Manche sind Musiker, andere machen Shows und Performances. Die Leute organisieren ihre Arbeit selber.
Leona: Durch die Spenden finanzieren wir nur die Fuck for Forest Basis (die Wohnung, in der Leona und Tommy zusammen mit vielen anderen leben, Anm. der Redaktion). Fast alles andere gibt es in Berlin umsonst. Und wenn die Miete für die Basis bezahlt ist, kann sich jeder von uns mehr auf die Arbeit für Fuck for Forest konzentrieren.
Tommy: Wir kümmern uns gegenseitig umeinander, es gibt immer etwas zu essen. Man kann hier also entspannen und kreativ sein.
Wie viel Geld habt ihr schon gesammelt?
Tommy: Wir sammeln ungefähr 100.000 Euro im Jahr, insgesamt haben wir etwa 800.000 Euro gesammelt seit unserer Gründung. Letztes Jahr gingen die Einnahmen etwas zurück auf Grund der wirtschaftliche Situation und weil es immer mehr freie Sachen gibt, die man sich im Internet ansehen kann. Wir sind zwar nicht mehr so finanzstark wie am Anfang, dafür sind wir aber eine viel größere Gruppe geworden. Das Geld ist für uns eigentlich nur ein Werkzeug, um gute Projekte zu machen. Fuck for Forest arbeitet auf der Ebene von zwischenmenschlichen Beziehungen, inspiriert Leute, bringt Menschen dazu, Dinge zu diskutieren.
Nun zeigt der Dokumentarfilm über euch von Michal Marczak, dass es für euch nicht ganz einfach ist, wenn ihr in Südamerika eure Hilfe anbieten wollt.
Leona: Das war ein besonderer Fall, was da zu sehen ist, zeigt nicht, wie wir normalerweise arbeiten.
Tommy: Das war von den Filmemachern manipuliert.
Leona: Zu der Zeit, als die bei uns gedreht haben, hatten wir eigentlich nicht den Plan, nach Südamerika zu reisen, weil wir nicht wirklich ein Projekt hatten, das wir besuchen mussten.
Tommy: Aber die Filmemacher brauchten einfach etwas, was mit unseren Projekten zu tun hat.
Wie läuft es denn normalerweise ab?
Tommy: Normalerweise machen wir die Recherche. Und wir arbeiten eher nicht direkt mit indigenen Völkern, sondern mit Leuten, die eine Verbindung zu ihrer Kultur haben. Es ist sehr schwierig, ihnen zu vertrauen, und sie vertrauen dir auch nicht. Dieses Problem hat jeder mit indigenen Völkern in Südamerika und wir kannten dieses Problem.
Ihr seid trotzdem hingefahren.
Tommy: Die Filmemacher haben unsere Reise bezahlt, sonst wären wir nicht dorthin gegangen. Sie haben erzählt, es gäbe dieses Projekt und die Menschen würden von uns wissen. Wir haben gedacht: „Ok, vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen.“Als wir dorthin kamen, wussten die aber nichts von uns und es gab kein Projekt.
Die Filmemacher haben dann für ihre Dramaturgie entschieden, dass sie zeigen wollen, dass Fuck for Forest am Ende scheitert. Aber das stimmt nicht. Nicht im Film zu sehen ist, dass sich viele später noch einmal zusammensetzen und ein wirklich offenes Gespräch führen. Wir haben darüber diskutiert, dort eine Schule für Permakultur aufzubauen.
Ihr kauft also nicht nur Land auf?
Tommy: Wir waren nicht interessiert daran, Land zu kaufen.
Leona: Wir machen hauptsächlich das Fundraising. Wir sammeln Geld und geben das an Projekte, die bereits an einem Thema arbeiten, wie zum Beispiel Wiederaufforstung, Projekte, in denen Saatgut gesammelt wird, Bildungsprojekte, allgemeine Umweltschutzprojekte. Dort gibt es Menschen, die wissen, was gebraucht wird und was nicht. Und die kontaktieren uns und sagen: „Wir brauchen Hilfe. Wenn wir keine Hilfe bekommen, wird dieses Land zerstört.“ Oder: „Wir brauchen Geld, um die Menschen vor Ort zu unterrichten, damit sie ihr Land nicht zerstören.“
Tommy: Es geht darum, den Menschen vor Ort zu zeigen, wie sie in der Praxis ökologisch besser ihr Land bewirtschaften können. Es gibt auch eine Organisation mit der wir arbeiten, von jungen Leuten, die Aufforstung betreiben, sich damit auskennen – denen können wir helfen, Land zu kaufen.
Leona: Es gibt dort eine Kultur des Umweltschutzes, aber die wurde aufgebrochen, als das kapitalistische System immer näher rückte. Sie leben an der Grenze zwischen Natur und Gesellschaft. Sie waschen ihre Kleidung jeden Tag im Fluss, aber dann kommt die kommerzielle Gesellschaft und sagt: es ist besser, wenn du deine Kleidung mit dieser Substanz wäschst. Also nehmen sie das, waschen damit und wissen gar nicht, dass sie damit die Umwelt zerstören. Woher sollen sie es auch wissen?!
Wie offen sind die Menschen, die Sie in Südamerika treffen, gegenüber dem, wie ihr hier lebt?
Tommy: Südamerika ist so groß, das ist überall unterschiedlich.
Leona: Brasilien ist auf eine Art verwestlicht und in Rio sind die Menschen sexuell aufgeschlossener. Wenn du zu den indigenen Völkern gehst – die sind auch sexuell offen. Wenn du aber auf dem Land bist, in Regionen, wo die Religion stark verbreitet ist, dort haben die Leute viele Vorbehalte wenn es um Sexualität geht.
Tommy: Viele alternative Leute in Süd- und Zentralamerika sind eher spirituell. Das hängt damit zusammen, dass die ursprüngliche Kultur nicht vollständig zerstört wurde. Es gibt viele alte Leute und Gemeinschaften, die über Pflanzen Bescheid wissen, die eine andere Perspektive auf das Leben haben. Die jungen Alternativen knüpfen daran an, sie sind naturverbundener. Da trifft man auch welche, die sich nackt in der Natur bewegen, für die das ein Gefühl der Freiheit ist. Solche Leute verstehen Fuck for Forest schneller.
Leona: Diese tiefe Verbindung zur Natur ist in Europa völlig eliminiert. Dort gehen die Leute aber immer noch zum Dorfarzt und kaufen auf den Markt heilende Pflanzen, anstatt dass sie das westliche Medikamentensystem nutzen, welches immer noch zu teuer für sie ist. Sie mischen diese alten Dinge mit der modernen Kultur.
Tommy: Wir treffen dort viele junge Menschen, die die moderne Gesellschaft schon erlebt haben, die davon genug haben und deswegen zurückschauen – mit denen kommen wir am besten ins Gespräch.
Habt ihr politische Ideen, Wünsche oder Ziele?
Tommy: (lacht) Wir haben schon mal darüber nachgedacht, die „Porno Partei Deutschland“ zu gründen, aber dazu ist es noch nicht gekommen. Dann gäbe es Gruppensex im Parlament, immer wenn schwierige Debatten anstehen, dann geschieht das mit hoher, sexueller Energie. Wahrscheinlich will dann auf einmal jeder in die Politik (lacht)
Es gab in Norwegen eine Aktion von Fuck for Forest, bei der ihr während eines Gottesdienstes versuchtet, Sex in der Kirche zu haben. War das nicht politisch?
Tommy: Vieles an „Fuck for Forest“ kann als politisch analysiert werden. Für mich war das eher eine aufklärerische Aktion, die nicht so gut rüberkam, weil uns die norwegische Regierung die Luft abgeschnitten hat. Weil es ihnen peinlich war, dass sie etwas Illegales getan haben. Denn vorher war dort der Pfarrer gefeuert worden, weil er ein Buch über Sex in der Bibel geschrieben hatte. So etwas geschieht in einem Land wie Norwegen, wo das Nobel-Friedenszentrum eine Ausstellung über die Meinungsfreiheit macht, nach dem Motto, dass man in Norwegen alles publizieren kann, nichts befürchten muss.
Dieser Pfarrer war nicht gegen die Kirche, er hat nur in seiner Freizeit über Sex geschrieben. Das war zu viel für die Kirche. Da habe ich gedacht, es kann doch nicht sein, dass die Kirche immer noch mit ihrer sexuellen Unterdrückung weitermacht.
Wie reagieren die Sicherheitsbehörden in Berlin auf euch? Welche Erfahrungen macht ihr mit der Polizei?
Tommy: Ich vermute, sie haben darüber schon beraten und sind zu dem Schluss gekommen, dass „Fuck for Forest“ ein künstlerischer Ausdruck ist. Wir hatten mit ihnen nie Probleme.
Leona: Nur einmal wurden wir angehalten, bei einer Demonstration. Sie sagten uns: Ihr könnt hier nicht nackt herumlaufen. Nur wenn ihr angemalt seid, dann dürft ihr nackt sein.
Tommy: Sobald es Kunst ist, ist es offenbar erlaubt. (lacht) Das ist so dumm! Oder wenn man ein Schild dabei hat, wo irgendwas draufsteht, dann gilt es als Protest.
Einmal waren wir beim Mauerfall-Jubiläum am Brandenburger Tor, und Natty und Leona hatten ihre Brust, Po und den Schambereich nicht bedeckt. Die Polizei stoppte uns, aber wir hatten ein Schild, auf dem stand „Klamotten sind auch Mauern“. Da meinte ein Polizist: „Nehmt das Schild runter, es blockiert unsere Sicht.“ Sein Kollege sagte: „Aber die sind nackt“ – da meinte der andere nur „ja ja“, und ließ uns in Ruhe. Also, wenn sich niemand bei ihnen darüber beschwert, dann tolerieren sie es.
Leona: Nacktheit ist in Berlin nicht so sehr ein Problem. Ich bin auch mal hier um die Ecke oben ohne in einen Laden reingegangen. Dann sagte mir jemand, das könne ich doch nicht machen, aus hygienischen Gründen. Da denke ich aber, dass sie einfach nur Befürchtungen haben, dass andere Leute das nachmachen könnten. Ich habe es schon an verschiedenen Orten ausprobiert, die meisten Leute scheinen damit kein Problem zu haben.
Seht ihr euer Engagement für Fuck for Forest nur als Phase in eurem Leben, oder ist es mehr?
Tommy: Ich denke es gibt viele Dinge, die ich mit dem Projekt machen kann, die ich dabei lernen kann. Und es hat mir bereits geholfen, ein besserer Mensch zu werden. Fuck for Forest ist für mich eine Lebenseinstellung. Die meisten Menschen spielen eine Rolle für ihre Eltern, eine für ihre Freunde, eine für ihren Partner, eine für den Arbeitsplatz. Dagegen war unsere Philosophie von Anfang an, die Rollen, die man in der Gesellschaft spielt, zu verbinden. Warum kann man Arbeit und Vergnügen nicht verbinden? Für uns ist Arbeit auch Vergnügen. Warum sollte man etwas tun, wenn es einen nicht inspiriert? Freundschaft, Liebe und Arbeit miteinander zu teilen und sich gegenseitig voranzubringen – dafür ist Fuck for Forest eine Plattform.
Und der Film, der jetzt in die Kinos kommt, kann der der Organisation helfen oder kann er euch auch schaden?
Tommy: Warum sollte er uns schaden?
Weil er manches auf eine Art und Weise zeigt, die ihr als falsch empfindet.
Leona: Die Menschen haben immer viele unterschiedliche Ansichten über Fuck for Forest. In der Hinsicht verändert der Film nichts.
Tommy: Die Leute lieben und hassen uns. Und beides ruft Diskussionen hervor. Das ist das Beste für Fuck for Forest, dass die Leute darüber reden. Durch dem Dokumentarfilm erfahren noch mehr Menschen von Fuck for Forest.
Super
Hey sehr gut zu lesen und eigentlich alle wichtigen Info?´s drin! :) Gibt es das Interview auch irgendwo auf englisch?