Gabriele Rodríguez

„Jesus“ ist in Deutschland immer noch ein Tabu

Vornamenforscherin Gabriele Rodríguez über Cindys und Kevins, Ängste von Akademikern und warum Amerikaner ihre Kinder „Adolf Hitler“ nennen dürfen

Gabriele Rodríguez

© Swen Reichhold

Frau Rodríguez, ganz Großbritannien spekuliert, welchen Namen das Kind von Prinz William und seiner Frau Kate tragen wird. Hätten Sie einen Tipp für die beiden?
Von Paaren, die in der Öffentlichkeit stehen, erwartet man immer besondere Namen für das Kind. Jungen haben als Stammhalter schon immer traditionellere Namen erhalten, in einem Königshaus wird man sicher einen bodenständigen Namen wählen. Bei einem Mädchen könnte es ein ausgefallenerer Name werden.

Das schwedische Königshaus hat mit der Wahl „Estelle“ für die Tochter von Kronprinzessin Victoria für eine Überraschung gesorgt…
„Estelle“ bedeutet „Stern“ und ist wirklich ein sehr schöner Name.

Der Historiker Herman Lindqvist fand, „Estelle“ klänge wie eine Nachtclub-Königin. Wie kommt es zu so unterschiedlichen Assoziationen, wenn wir einen Namen hören?
Jeder Mensch macht im Laufe seines Lebens positive oder negative Erfahrungen mit Namen generell. Es gibt aber auch ein kollektives Empfinden, d.h., dass die Mehrheit einen Namen als altmodisch, modern, jung oder dynamisch empfindet.  

Warum werden denn zum Beispiel „Cindy“, „Mandy“ und „Kevin“ als typische Unterschichtsnamen empfunden?
Menschen, die sich sehr stark an den englisch und amerikanisch geprägten Medien orientieren, gehören tendenziell bildungsferneren Schichten an. Die geben dann englische Namen. Das ist ein Symptom unserer Zeit, dass Namen über die Medien aufkommen und schnell wieder verschwinden. 2002 ist „Shakira“ bekannt geworden, sofort wurden Mädchen nach ihr benannt. Heute findet man den Namen eher selten.

Über Jahre hinweg waren die „Harry Potter“-Bücher und -Filme Millionenerfolge. Warum wird der Name „Harry“ kaum vergeben?
„Harry“ ist ein alter deutscher Name, aber keine Modeerscheinung. Im Unterschied zu anderen Kulturen wählen die Deutschen die Vornamen ihrer Kinder vor allem nach deren Wohlklang aus und nicht nach deren Bedeutung. Vokale wie „a“ oder „i“ klingen im Deutschen eher weiblich, z.B. „Maria“, „Ida“, „Anna“.

Welche Trends beobachten Sie?
Wie in der Mode gibt es Wellenbewegungen. Im Moment sind altdeutsche Namen besonders populär. Es gibt auch einen ganz starken Trend zur Individualisierung, zu selten gewordenen Namen. Selbst die häufigsten Vornamen, wie „Marie“, „Alexander“, „Mia“ oder „Ben“ werden nur noch mit ein bis zwei Prozent vergeben. Das Kind soll auf keinen Fall so heißen, wie die anderen in der Klasse. Und alle hundert Jahre kommen Namen wieder.

Das heißt, 2050 werden wir dann wieder viele „Renates“, „Dieters“ und „Günthers“ haben? Oder sterben manche Namen auch aus?
Alte germanische Namen wie Gangolf oder Hartrud werden nicht mehr vergeben. Höchstens als Zweit- oder Drittname in Anlehnung an Familienangehörige. Günther oder Wilhelm erscheinen jetzt schon wieder häufiger. Es kommt auch auf das Alter der Eltern an. Ganz junge Eltern sind sehr fantasievoll, ältere Eltern machen sich mehr Gedanken darüber, was der Name für das Kind bedeuten könnte.
Manche Eltern sind bei der Namenssuche vom Umfeld überfordert. Sofort kommen verschiedenste Meinungen, und die Eltern sind nicht mehr sicher, ob der Name noch gut ist. Am besten ist es, den Vornamen für das Kind erst nach der Geburt bekannt zu geben.

Sie bieten an der Universität Leipzig eine Namensberatung an. Wer ruft bei Ihnen an?
Bei mir melden sich viele Akademiker, die Angst haben, dass der Name, den sie für das Kind gewählt haben, der bildungsferneren Schicht zugerechnet werden könnte. Sie wollen nicht, dass ihr Kind in der Schule benachteiligt wird. Ich schaue mir dann die Tradition des Namens an, wie hat er sich entwickelt, gibt es Tendenzen, einer Gruppe zugeordnet zu werden. Es ist schwierig, Prognosen zu geben, wie ein Name in zwanzig Jahren wirken wird. Früher war eine „Jacqueline Müller“ etwas Exotisches, heute ist er normal.

Jesus“ ist ein spanischer Vorname, taucht allerdings in Deutschland fast nicht auf. Warum?
„Jesus“ ist in Deutschland noch ein Tabu, obwohl eine Mutter 2001 vor Gericht gegangen ist und der Name zulässig ist. Bis ins 16.Jahrhundert wurde übrigens auch „Maria“ nicht vergeben. Heute ist es der am häufigsten vergebene Name in Deutschland überhaupt, meistens allerdings als Zweit- oder Drittname. So ändern sich die Zeiten.

Welche Regeln müssen werdende Eltern bei der Namensgebung beachten?
Generell dürfen die Eltern frei entscheiden, dennoch müssen einige Kriterien beachtet werden: Der Name darf das Kind nicht der Lächerlichkeit preisgeben, muss als Vorname erkennbar sein und sollte das Geschlecht erkennen lassen, wobei das letzte Kriterium schwankt. In Frankreich oder Niederlanden gibt es das gar nicht.

Zitiert

Die Deutschen wählen die Vornamen ihrer Kinder vor allem nach deren Wohlklang aus und nicht nach deren Bedeutung.

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Schokominza“ ist als Vorname durchgegangen. Können Sie das erklären?
Viele Eltern versuchen Namen vor Gericht einzuklagen, und Urteile fallen unterschiedlich aus. Unsere Namensberatung versucht, mit den Standesämtern eine Linie zu fahren. „Minza“ ist ein Name, der seit Jahrhunderten existiert, gekoppelt mit „Schoko“ ist er durchgegangen. „Waldmeister“ geht aber zum Beispiel nicht. „Wald“ ist zwar auch ein Namensbestandteil, z.B. bei „Waldemar“, aber „meister“ nicht. Eine Mutter wollte ihre Tochter „Porsche“ nennen, weil „Mercedes“ ja auch erlaubt ist. „Mercedes“ ist allerdings ein spanischer Vorname, „Porsche“ dagegen ein Nachname.

Wie gehen Sie vor, wenn Eltern einen Namen wünschen, der nicht akzeptabel ist?
Wir versuchen, eine Alternative anzubieten. Eine andere Schreibform oder eine Abwandlung. Wir hatten mal die Anfrage für „Crazy Horse“, eine historische Figur. Der indianische Ausgangsname war allerdings „Taschunka Witko“ und das ging. Die Eltern hatten einen starken Bezug zu Amerika und wollten auswandern.

Wäre „Crazy Horse“ denn in den USA möglich gewesen?
Ja, dort kann man alles eintragen lassen, sogar einzelne Buchstaben oder Ziffern. Dort tragen Kinder „Adolf Hitler“ oder „Stalin“ als Vornamen. Sie können die Namen mit Semikolon, Leerzeichen oder mittendrin mit Großbuchstaben versehen. Da geht alles. Viele Namen von Stars, die bei uns ursprünglich nicht zulässig waren, wie z.B. „Blue“, „Sky“, „Summer“, „Peaches“ oder „Apple“ werden mittlerweile auch in Deutschland eingetragen.

Weil die Stars Namen gesellschaftsfähig machen?
Ja. Allerdings könnte man immer noch einwerfen, dass ein Name in Deutschland nicht geeignet ist. Ein neuer Trend aus den USA ist auch die Kombination von Teilen eines zweier Vornamen, da wird dann aus einer „Maria-Viktoria“ eine „Mavi“. Länder wie die USA, wo alles möglich ist, beginnen allerdings langsam, Kriterien aufzustellen, damit nicht mehr alles durchgeht, während man in Deutschland eine Aufweichung bei der Vornamengebung beobachtet.

Wie gehen Sie vor, wenn ein Name verschiedene Bedeutungen haben kann, wie zum Beispiel „Paris“?
Familiennamen und Ortsnamen sind normalerweise nicht zulässig. Im internationalen Handbuch der Vornamen steht „Paris“ aber als männlicher Name drin. Die weibliche Form ist dazu gekommen. Und „Sydney“ oder „Savannah“ funktionieren in Deutschland inzwischen auch.

Welchen Einfluss hat der Vorname auf die Persönlichkeit eines Kindes?
Man fragt sich manchmal wirklich, wie die Kinder damit zurechtkommen, aber es gibt dazu keine Studien. Es gibt nur amerikanische Studien, über die Wahrnehmung von Namen in der Bevölkerung. „Justin“ ist ein weißer Name, kein Afro-Amerikaner würde seinen Sohn so nennen. Es gibt in den USA auch die Tendenz, den Mädchen einen Jungennamen zu geben, damit sie bessere Karrierechancen haben.

In welcher Beziehung steht in Deutschland der Vorname zu den Berufschancen eines Kindes? Hat es „Kevin“ schwerer als „Alexander“?
Wir haben seit diesem Jahr die Möglichkeit, die Namen aller Absolventen der Universität Leipzig seit 1813 zu beobachten, können das aber pauschal nicht bestätigen. „Kevin“ kam in den 50er und 60er Jahren vereinzelt in den alten Bundesländern in der Mittelschicht auf und wurde erst in den 90er Jahren vermehrt von bildungsfernen Schichten vergeben und somit uninteressant für gebildete Familien. Damit wurde der Name abgewertet. Man muss immer die Hintergründe einer Namensgebung kennen.

Wie sieht es bei Einwanderern aus?
Wir können kleine Tendenzen sehen, dass Arbeitgeber auf Grund des Namens Bewerbungen ablehnen. Wenn Einwanderer  nachweisen können, dass sie als „Ali“ keine Aufträge oder keine Arbeit bekommen, können sie den Namen ändern lassen. Auch Personen, die psychisch unter ihrem Namen leiden haben diese Möglichkeit. Allerdings liegen die Erfolgschancen bei Anträgen auf Namensänderung bei nur etwa 20 %.

Sind ausländische Mitbürger freier in der Namensgebung, als Deutsche?
Zum Teil. Generell gilt das Namensrecht nach Staatsangehörigkeit. Wenn Ausländer aber schon länger in Deutschland leben oder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, gilt deutsches Recht unter Berücksichtigung des kulturellen  Hintergrundes. Nachkommen italienischer Einwanderer dürfen z.B. ihren Sohn „Andrea“, „Gabriele“ oder „Simone“, nennen – die in Deutschland als weibliche Namen gelten – wenn sie einen italienischen Nachnamen tragen.

Wie heißen Ihre Kinder?
Meine Kinder sind in der 80er Jahren geboren worden, da war es in der DDR noch üblich, nur einen Namen zu vergeben. Mein Sohn heißt „Dennis“. Das wäre heute ein bildungsferner Name, da sieht man, wie sich die Zeiten ändern können (lacht). Und meine Tochter heißt „Diana“.

Nach der verstorbenen Prinzessin von Wales?
Nein. (lacht) Nein, nach meiner besten Freundin.

Gabriele Rodríguez ist die einzige Namenforscherin Deutschlands, die sich auf Vornamen spezialisiert hat und gehört zum Team der Namenberatungsstelle der Universität Leipzig. Eltern und Standesämter können bei ihr die Zulässigkeit, Schreibweise oder mehr

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