Nach dem letzten Garbage-Album, das 2007 erschien, wollten Sie ursprünglich ein Soloalbum veröffentlichen. Allerdings hatten Sie Ärger mit Ihrer Plattenfirma, die Sie in eine Richtung drängen wollte, in der Sie sich selbst nicht gesehen haben. Wie viel von der Wut darüber ist nun in das neue Garbage-Album geflossen?
Eine ganze Menge, denke ich. Mein damaliges Label wollte lediglich schöne Melodien von mir hören. Angepasste Popmusik über Liebe und das Spiel mit weiblichen Reizen – ein absolut seelenloses Unterfangen. Für mich hat Musik aber noch einen Wert. Sie bedeutet mir etwas. Ich habe kein Interesse daran, sie von geldgeilen Plattenbossen verramschen zu lassen.
Majorlabels und deren Bestreben, mit Musik Geld zu verdienen, gibt es aber nicht erst seit heute. Hat sich der Umgang mit Künstlern in den letzten Jahren wirklich so drastisch verändert?
Natürlich liegt das Geschäftsmodell einer Majorplattenfirma darin, massenhaft Tonträger zu verkaufen. Das darf es auch gerne sein. Aber ich bin nicht deren Melkkuh. Das war ich nie und werde es auch nie sein. Dennoch wollte mich mein damaliges Label weder gehen lassen noch meine Musik promoten – das habe ich nicht verstanden, denn davon hat schließlich niemand etwas. Ich kam mir vor wie ein Sklave, gefangen im Käfig und unfähig, irgendetwas dagegen unternehmen zu können. Das war furchtbar.
Wie beurteilen Sie das derzeitige Standing von Frauen in der Popmusik?
Die Position der Frau in der Popmusik wird immer mehr geschwächt. Wir Frauen werden von der Musikindustrie klein gehalten. Weibliche Provokateure, wie es sie Mitte der 90er Jahre mit Leuten wie Courtney Love, Alanis Morissette und mir gab, sind mittlerweile ziemlich rar gesät. Klar, innerhalb subkultureller Kreise gibt es noch ein paar davon, aber sie bekommen kein Podium mehr im Mainstream und werden nicht mehr im Radio gespielt. Das finde ich besorgniserregend.
Haben Sie denn das Gefühl, dass solche Frauen fehlen?
Es fehlt generell an Leuten, die etwas zu sagen haben – für Frauen gilt das aber ganz besonders. Damals gab es noch eine Menge mutiger Frauen, die ihre Aggressionen in Musik verpackt haben. Frauen, die auch mal chaotisch oder abgefuckt aussahen und offen über Sex aus einer weiblichen Perspektive gesprochen haben. Heutzutage habe ich aber das Gefühl, die weiblichen Popstars bekommen von Männern vorgeschrieben, wie sie sich nach außen hin zeigen und in welcher Form sie sich zu bestimmten Themen äußern dürfen. Ihre Stimme mag weiblich sein, aber ihre Inhalte sind es oft nicht.
Aber es gibt doch auch heute noch Künstlerinnen, die erfolgreich sind, ohne deshalb gleich angepasst zu sein. Florence + The Machine, Lana Del Rey,…
Oh, ich liebe Lana Del Rey! Sie bringt diese Düsternis mit, die sie von anderen Sängerinnen abhebt und die sie so einzigartig macht. Aber sie ist ein gutes Beispiel, denn in Amerika wird medial ständig auf sie eingeprügelt, eben weil sie so anders ist. Dabei ist sie ein intelligentes Mädchen, das ihre eigenen Songs schreibt und mit einer wundervollen Ästhetik zu überzeugen weiß. Sie ist charmant, sieht toll aus, ist eine hervorragende Sängerin und hat auch noch tolle Songs in petto – was wollen die Leute denn bitte noch? Anstatt sich über all die oberflächlichen Casting-Weiber aufzuregen, attackieren sie Lana Del Rey und versuchen, sie zu Fall zu bringen. Das ist doch krank!
Sie haben mal gesagt, die gesellschaftliche Schönheitserwartung sei ein Weg, Frauen zu kontrollieren. Was kann eine junge Frau denn tun, um darüber zu stehen und sich genügend Selbstbewusstsein anzutrainieren?
Genau das ist das Problem: Das kann man niemandem beibringen. Man muss von sich aus versuchen, das zu leben. Das Spiel mit der Schönheit ist wie Wasser, das durch deine Finger rinnt – dieses Spiel kannst du nicht gewinnen. Also muss man stattdessen sein eigenes Spiel, seine eigene Welt, seinen eigenen Glauben kreieren, denn alles andere richtet sich gegen dich – gewinnen unmöglich.
Natürlich liegt das Geschäftsmodell einer Majorplattenfirma darin, massenhaft Tonträger zu verkaufen. Das darf es auch gerne sein. Aber ich bin nicht deren Melkkuh.
Als Sie damals erfolgreich wurden, waren Sie mit Ihrer Unangepasstheit ein Vorbild für eine ganze Reihe junger Künstlerinnen. Viele haben profitiert von dem Weg, den Sie eingeschlagen haben. Glauben Sie, dass Sie nun umgekehrt auch von dem Erfolg solcher unangepasster und selbstbestimmter Künstlerinnen wie Lana Del Rey und Florence + The Machine profitieren können?
Fakt ist jedenfalls, dass viele junge Musikhörer wahrscheinlich noch nie von uns gehört haben. Und klar: Dass es gerade ein paar Mädels gibt, die nicht ganz diesem oberflächlichen Pop-Image entsprechen, kommt uns sicherlich entgegen. Aber ob wir davon wirklich profitieren? Ich weiß nicht. Aber wir sind glücklich darüber, dazu beigetragen zu haben, dass einige Bands da draußen ihren Traum vom Musikerdasein verwirklichen. Heute hat sich unsere Rolle in dem ganzen Spiel verändert. Wir fangen wieder bei Null an, und das ist auch in Ordnung so. Wir sind schließlich keine zwanzig mehr. Das Wichtigste ist: Wir sind frei. Wir haben nichts zu verlieren.
Sie haben mal den simplen, aber schönen Satz gesagt, Erfolg sei eine nebulöse Idee. Was bedeutet für Sie denn Erfolg?
Was ich jetzt sage, klingt wahrscheinlich furchtbar abgedroschen, aber Erfolg bedeutet für mich, zu wissen, dass ich ein erfülltes Leben führe. Diese Erfüllung sieht aber sicherlich für jeden Menschen anders aus.
Waren Sie sich darüber auch schon vor zehn Jahren im Klaren?
Nein. Ich bin gerade erst dabei, das für mich zu realisieren – und dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Das, was viele andere Leute als Erfolg bezeichnen würden, bedeutet mir hingegen überhaupt nichts. Es ist mir scheißegal, ob mein Bild auf dem Cover eines Magazins zu sehen ist oder ob ich über einen roten Teppich laufe. Im Gegenteil, so etwas hasse ich, ich finde das albern.
Empfinden Sie diese Erkenntnis als Befreiung?
Auf jeden Fall. Wichtig sind mir heute ganz banale Dinge: Ich möchte eine gute Freundin sein und gute Freunde haben. Ich möchte jeden Tag lachen können. Das ist für mich Erfolg.
Ein Stück auf Ihrem neuen Album trägt den Titel „Control“. Wie wichtig ist Kontrolle für Sie?
Für uns als Band war es eine große Erleichterung, an unsere Produzenten ein wenig Kontrolle abzugeben. Wir leben gerade in einer Zeit, in der ständig Perfektion von einem gefordert wird – in sämtlichen Belangen. Wir wollten unsere Platte daher, wie gewohnt, ein wenig chaotisch und dreckig halten. Wir wollen auch nicht vorgeben, perfekt zu sein – denn das sind wir nicht. Daher zeigen wir den Leuten, dass wir immer noch ein unsicherer und unvollkommener Haufen sind. Wir sind weder cool noch jung. Wir sind nichts von all dem, was man als Band von heute eigentlich sein müsste. Und wissen Sie was? Es ist uns scheißegal. Genau das ist die Message, die wir in unserer heutigen Kultur kaum noch vermittelt bekommen, obwohl sie so wichtig ist. Also übernehmen wir das wieder einmal und posaunen es in die Welt (lacht).
Ein anderes Stück heißt „I Hate Love“. Führt das auch zum Umkehrschluss, dass Sie Hass lieben?
Ja, manchmal. In dem Song geht es aber vor allem um die furchtbare Vorstellung davon, was in unserer Kultur heutzutage unter Liebe verstanden wird. Liebe wird uns durch peinliche Sprüche auf Valentinstagspostkarten verkauft, das abgedroschene Bild roter Rosen gilt als Inbegriff der Liebe, und das finde ich schrecklich. Wahre Liebe ist das genaue Gegenteil davon. Diese klischeeisierte Form der Liebe ist die Hölle auf Erden.