Gerhard Kassner

Eine Minute mit Madonna

Berlinale-Fotograf Gerhard Kassner über sein Fotostudio, wo er im Minutentakt die Stars des Festivals empfängt - und wie er einst als Paparazzo Leo Kirch verfogte

Gerhard Kassner

© Denis Demmerle

Herr Kassner, wie wird man Berlinale-Fotograf?
Kassner: Mit dem Wechsel der Berlinale-Leitung von Moritz de Hadeln zu Dieter Kosslick wurde ich gefragt, ob ich eine Idee hätte, wie man die Berlinale-Portraits anders machen könnte. Ich kam damals gerade von der Photokina und war schon immer sehr digital- und technik-affin. Mein Konzept legte dar, wie viel größer meine Bilder werden konnten, im Gegensatz zur damaligen Polaroid, wo bei 50 mal 60 Zentimetern Schluss war.

Wie wurden die Portraits vorher geschossen?
Kassner: Bis zum Übergang zu Kosslick wurden die Portraits mit einer unheimlich archaischen Technik geschossen, mit einem Ungetüm auf Rädern, so groß wie ein Kleinstwagen. Der Apparat musste von drei Leuten bedient werden, die jedes Bild richtig inszenierten und langwierig einrichteten. So wurden zwar Unikate geschaffen, die aber circa hundert Euro pro Abzug kosteten. Dank des Polaroid-Verfahrens war es aber möglich, das Bild zwei Minuten nach Fotografie dem Star zu präsentieren. Der entschied dann, ob es ihm gefiel und erst dann wurde es im Berlinale-Palast aufgehängt.

Wie groß sind Ihre Portraits?
Kassner: Das Portrait selbst ist 80 mal 120 und wird auf einem Papier mit 92 mal 150 Zentimetern gedruckt.

Wo schießen Sie Ihre Bilder?
Kassner: Das Studio befindet sich in der VIP-Lounge, die im Pressezentrum im Grand Hyatt ist. Dort treffen die Stars circa eine Stunde vor der Pressekonferenz Dieter Kosslick. Nach ein wenig Small-Talk können die Stars ins Schmink-Studio und anschließend gegenüber ist mein kleines, konzentriertes Foto-Studio. In diesem VIP-Bereich geht es zu wie im Bienenstock. Es herrscht ein ständiges Kommen-und-Gehen. Die ganze Prozedur gehört ritualisiert zum Ablauf und ist bekannt. Nachdem alle fotografiert sind, sammeln die sich vor meinem Studio und gehen raus zum Foto-Call, wo sie sich vor dem blauen Hintergrund mit den Bärchen den anderen Fotografen stellen.

Wie viel Zeit brauchen Sie für Ihr Foto?
Kassner: Das geht alles sehr schnell. Das Leben ist kurz! Das sind sehr kurze Begegnungen, die sich im Minutenbereich abspielen.

Wer war Ihr kürzestes Shooting?
Kassner: Nicholson! In einem Team von sechs Leuten, für die ich insgesamt zehn Minuten als Vorgabe hatte. Normalerweise fange ich zum Auflockern mit Ganzpersonen- oder Dreiviertel-Portraits an. Da machte ich nur Nahportraits, die eine höhere Konzentration auf beiden Seiten erfordern. Es ging los mit Diane Keaton, die etwas mehr Zeit brauchte, aber als Person sehr witzig war und ein tolles Outfit hatte, mit ihrem rotem Kleid und den roten Leder-Handschuhen. Dann kam gemütlich Hans Zimmer, der aber auch ganz schnell wieder draußen war, mit dem ich wieder Zeit aufholen konnte. Dann kam Jack Nicholson mit einem Glas Wasser in der Hand herein. Klassisch grinsend, stoisch, auf den Hintergrund in einer Art Kurve zulaufend, vor dem er kurz stehen blieb und ich fünfmal abdrücken konnte, dann war er wieder draußen.

Bringen Sie die Stars mit einem Standardtrick da hin, wo Sie sie haben wollen?
Kassner: Diese großen Stars, wie Jack Nicholson, sind einfach große Charaktere. Das drücken sie mit ihrer Physiognomie und ihrem Habitus auch aus. Selbst wenn die einfach nur dastehen, sind sie einfach gut. Da gibt es keinen Trick. Wichtig ist, dass von Anfang an ein Draht zum Gegenüber da sein muss. Der entsteht durch die Konzentration. Daher muss jeder, der nichts damit zu tun hat, draußen bleiben. Das gelingt meistens, nur etwa bei Madonna nicht, die einen ganzen Tross mit hereinschleppt. Sie braucht irgendwie auch dieses Feedback ihrer Vertrauten.

Haben solch große Stars wie eben Jack Nicholson oder Madonna eine besondere Aura? Würden die in einer Gruppe von 200 Menschen auffallen?
Kassner: Deswegen sind die so bekannt. Weil sie so präsent sind! Die Stars nutzen die Festivals als Eigenwerbung. Das führt dazu, dass ihre Auftritte oftmals stilisiert sind. Verfolgt man gerade die weiblichen Stars den Tag über, ist interessant zu sehen, in wie vielen Outfits die auftreten. Das sind Inszenierungen, die zu Hollywood, die zum Filmgeschäft, zum Star-Dasein gehören. Ein Robert de Niro betrachtet diese förmlichen Geschichten eher nachlässig als Pflichtprogramm. Im Sinne von: Ach, schon wieder ein Foto. Da kommt nix rüber. Er ist in einer Minute wieder draußen und das interessiert ihn auch nicht weiter. Da war es spannend ihn abends auf dem Roten Teppich zu sehen, wo er so was von Robert de Niro war: Interaktiv und präsent. Der zeigt Präsenz wann er will. Eine Frage der Befindlichkeiten.

Regisseur Michel Gondry hat auf Ihrem Portrait selbst eine Kamera in der Hand. Was war der Hintergrund?
Kassner: Regisseure sind visuelle Menschen, die ganz viel in Bildern denken. Seine Filme sind skurril, speziell und eigen. Die Begegnung mit ihm war toll, sie verlief nach seinem Konzept. Er brachte die Kamera schon mit herein. Eine Inszenierung seinerseits. Dabei nehmen sich Regisseure sonst eher zurück. Als er zwei, drei Jahre später wieder da war, war er ein total anderer Typ, der sich da vielleicht gerade in einer zurückgezogenen Phase befand.

Zitiert

Stars wie Jack Nicholson sind einfach große Charaktere. Das drücken sie mit ihrer Physiognomie und ihrem Habitus auch aus. Selbst wenn die nur dastehen, sind sie einfach gut.

Gerhard Kassner

Die diesjährige Jurorin Renée Zellweger spielt auf dem Foto in einer Aschenputtel-Pose an ihrem Schuh herum…
Kassner: Renée Zellweger war 2003 eine der ersten, die ich fotografiert hatte. Das zweite oder dritte Portrait und gleich einer dieser ganz großen Namen. Als sie 2009 wiederkam war das ein herzliches Wiedersehen, bei dem sie sehr aufgedreht und inspiriert war. Diese schöne Figur bot sie mir an, als wir experimentierten. Das Ergebnis war etwas ganz anderes als ihr Portrait von 2003, das sehr nahe war. So etwas entwickelt sich: Ich zeigte ihr die Bilder vom letzten Mal, sie fühlte sich wohl und daraus entstand eine entspannte Freiheit unter kreativen Menschen.

Was hat es mit Keith Richards auf sich, dessen Portrait in Ihrem Kreuzberger-Atelier hängt…
Kassner: Keith Richards von den Rolling Stones war auch ein sehr kurzes Portrait, weil er nicht sehr fokussiert war. Er kam rein in mein Studio, ist dort herumgelaufen und hat sich amüsiert. Er war guter Dinge, aber ihm Anweisungen zu geben wäre unmöglich gewesen. Also musste ich mit der Kamera mit ihm mitgehen, woraus dieser besondere Moment entstand. Ein kurzer Dialog, der anders war. Er schwebt umher, wie man ihn aus Filmaufnahmen kennt.

Und wie bewerten Sie die Fotografie Ihrer Kollegen am Roten Teppich?
Kassner: Ich mache das ja im Prinzip sonst auch. Vor kurzem musste ich bei einer Metro-Eröffnung auch im Schulterschluss mit den anderen um die Bilder kämpfen. Mit meiner Situation bei der Berlinale ist das nicht zu vergleichen. Übrigens auch rechtlich nicht: Bei mir werden die Personen mit ihrer Einwilligung portraitiert, im anderen Fall werden die Schauspieler als Personen des öffentlichen Lebens abgelichtet. Das sind unterschiedliche Bedingungen, die für eine andere Intimität sorgen.

Und Sie bekommen die Einwilligung bei der Berlinale von jedem?
Kassner: Bei der letzten Berlinale kam übrigens auch ein Regisseur zu mir, der sagte, er wolle das nicht. In der Galerie ist er an der Mütze, die er sich vors Gesicht hält, zu erkennen.

Wäre eigentlich ein Job als Paparazzi was für Sie?
Kassner: Ich habe das schon einmal gemacht. Da hat mich ein Verlag auf Leo Kirch angesetzt, der Anfang der 80er Jahre eine der Öffentlichkeit unbekannte Person war. Als Mogul, der im Hintergrund wirkte war er zwar schon groß, aber sehr öffentlichkeitsscheu. Der Verlag lieferte mir detektivisch genaue Details, wann er aus dem Haus, wann und wo in die Kirche geht und wo er einkauft… So folgte ich an einem kalten Wintertag Leo Kirch, um ihn abzulichten, was er auch bemerkte. Das war Paparazzi-Arbeit mit fotografierten, intimen Momenten, im Restaurant oder in der Kirche. Das war zwar spannend, aber mir war klar, dass ich das nicht weitermachen wollte – obwohl ich meinen Auftrag bravourös erfüllt hatte.

Oft hat bei Hollywood-Stars deren Management die Hand über Fotos. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht.
Kassner: Gerade in der Anfangszeit waren es die Repräsentanten der Stars, die die Bilder ausgewählt haben. Nur selten kam der Star selbst noch einmal rein, wie zum Beispiel Catherine Deneuve oder Madonna. Bei Madonna war ich nicht sicher, ob das logistisch klappt, wegen ihrer vielen Termine, aber nein: Direkt nach Ende der Pressekonferenz kam Madonna herein und wollte den Fotografen sehen. Nicht mehr mit kompletter Entourage, sondern nur mit einer Beraterin. Sie setzte sich neben mich und ich zeigte ihr die Bilder. Erst das, welches ich ausgesucht hatte und dann die anderen. Natürlich hatte ich mich darauf vorbereitet. Die Blöße, darauf nicht vorbereitet zu sein, wollte ich mir nicht geben. Wir legten zwei der Bilder nebeneinander und sie entschied. Sie war entzückt. Ihre Assistentin fragte sogar nach drei weiteren Ausdrucken, die wir natürlich gerne ins Hotel geschickt haben. Das hat mich natürlich sehr gefreut, weil alle so hibbelig waren, als sie da war. Selbst Kosslick.

Das schmeichelt natürlich auch…
Kassner: Ja, denn es war auch nicht einfach mit ihr. Als Madonna hereinkam ging sie direkt zum Hintergrund. Ich aber bat sie vor vollem Studio doch bitte erst den Hauptdarsteller ihres Films zu fotografieren. Während sie also vor dem Hintergrund stand erklärte ich ihr, dass sie so den Ablauf sehen und ich ihr danach mehr Zeit widmen kann. Sie erwiderte spitz, an ihre Entourage gerichtet: „Wie sie wünschen. Wenn der Fotograf das sagt.“ Sehr zickig. Das fanden natürlich alle sehr witzig, da Madonna ja sonst das Sagen hat und das im ersten Moment ein Affront meinerseits war. Doch sie verstand, dass ich so die Zeit ihr widmen konnte. Mit ihr ging es dann letztenlich sehr rasch. Anhand meiner Aufnahmen, die akkurat mit Datum und Zeit versehen sind, lässt sich rekonstruieren, dass es ziemlich genau eine Minute war, die ich mit Madonna verbrachte. 

Wie empfangen Sie die Stars?
Kassner: Ich gehe offen auf die Leute zu, was in der Regel auch so zurückkommt. Aber es gibt Personen bei denen das nicht so ist, wie bei Guillaume Depardieu, dem Sohn von Gerard Depardieu. Der kam rein und ich spürte die Wand dazwischen. Der war in seinen Bemerkungen auch sehr abweisend und kontrollierend, wollte gleich alles sehen. Da hoffe ich, dass noch irgendwas passiert. Das war bei Keanu Reeves so, der total eigen war, als er rein kam und sofort den ersten Schuss sehen wollte, als er etwas ausprobiert hatte. Wo ich mir dachte: Oh, schrecklich. Da müssen wir was anderes machen. Das wiederholte sich noch einige Male, in denen er das Bild immer direkt sehen wollte. Dann kam der Moment, in dem er sagte: Na gut, dann stehe ich eben einfach. Danach war er entspannt. Betrachtet man das Bild mit der Geschichte, erzählt es etwas. Einige Jahre zuvor hatten er oder sein Management entschieden kein Foto machen zu wollen.

Was machen Sie in den anderen elf Monaten des Jahres?
Kassner: Genau genommen sind es sogar 355 Tage, wenn das Jahr 365 Tage hat. Wobei, mit Vor- und Nachbereitung der Berlinale bin ich sicher eineinhalb Monate beschäftigt. Es gab mal die Überlegung die Portraits auch für das Filmfestival Dubai zu machen, aber die merkten dann, dass das doch nicht ganz so einfach ist, weil das Verfahren doch ganz spezielle Rahmenbedingungen erfordert. So wie ich für die Berlinale mittlerweile seit sieben Jahren arbeite, bin ich für einen anderen Kunden schon 16 Jahre aktiv. Bei einem Festival ist das schon ungewöhnlich, da sicher andere mit den Füßen scharren und denken das besser machen zu können. Aber da ist Dieter Kosslick ein ganz treuer Mensch – so lange ich gut arbeite. Sonst arbeite ich lokal in Berlin für große Firmen, Kongresse und Versammlungen, die ich Reportage-artig, dokumentarisch begleite. Überregional nur für Kunstdokumentationen. Nicht mehr für Magazine, das habe ich vor 15, 20 Jahren gemacht. Dieses Tagesgeschäft ist mir zu unruhig. Ich habe zwei Kinder und kümmere mich um die, da bin ich nicht mehr ganz so flexibel. Mit Firmen-Portraits und Firmen-Reportagen bin ich das Jahr über beschäftigt. Neben dieser angewandten Fotografie, mit der ich mein Geld verdiene, bin ich künstlerisch tätig. So ist in dieser Woche bei Dumont das Buch „Flower Power“ erschienen, wo Matthias Harder, der Kurator des Newton Museums, eine Blumen-Serie zusammenstellte. Da bin ich auch mit dabei.

Ein Kommentar zu “Eine Minute mit Madonna”

  1. Anne Floriane |

    Danke für die spannenden Einblicke in den Ausschnitt „Portraits an der Berlinale“.

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