Gidon Kremer

Ich suche eine Sprache der Versöhnung.

Der Geiger Gidon Kremer spricht im ausführlichen Interview über politische Äußerungen, die Unterstützung Putins durch russische Künstler, Versöhnung im Ukraine-Konflikt, Hinwendung zu tonaler Musik und wie er seinen inneren Frieden findet.

Gidon Kremer

© Kasskara/ECM

Eines der allerersten Interviews (wenn nicht sogar überhaupt das erste), welches wir auf Planet Interview veröffentlicht haben, war ein Gespräch mit Gidon Kremer. Insofern schloss sich ein Kreis, als es im Sommer 2015 zu einer weiteren Begegnung kam. +++ Das Interview erschien zuerst in leicht gekürzter Fassung im Klassikmagazin Concerti.

Herr Kremer, Sie äußern sich in Ihren Interviews nicht selten kritisch, auch zu politischen Themen. Wie vorsichtig muss man heute als Künstler sein, mit den Worten, die man wählt?
Kremer: Das ist eine gute Frage – und ich werde präzise antworten, in dem ich sage: Man muss ehrlich bleiben. Ehrlich und keinesfalls gleichgültig. Wir leben in einer Zeit, in der man sich um vieles Sorgen machen kann oder muss und wenn man die Möglichkeit hat, darüber etwas zu vermitteln, ist es wichtig, dass man dazu steht. In einem totalitären Land könnte das gefährlich sein, aber ich lebe ja in der ganzen Welt und entgehe dadurch dieser Gefahr.
Ich glaube, für einen Künstler ist es eher gefährlich, sich von der Dramatik des Alltags abzuschirmen und in einem Elfenbeinturm zu arbeiten oder zu leben.

Ich stelle die Frage auch, weil im April 2015 das Toronto Symphony Orchestra die Pianistin Valentina Lisitsa auslud, nachdem sie sich im Internet kritisch über die ukrainische Regierung geäußert hatte.
Kremer: Ich kenne die Geschichte, aus meiner Sicht ist sie es aber nicht wert, viel darüber zu sprechen. Weil in dem Lärm von Valentina Lisitsa sehr viele unschöne Worte vorkommen. In diesen Worten, mit denen sie ihre Musik verziert, höre ich mehr Hass als Liebe. Für mich zeigt sich darin die Gefahr, dass sich junge Künstler auf Dinge einlassen, die ihnen viel Erfolg, Publizität, Geld und Ruhm einbringen; dass sie bestimmte Dinge tun oder sagen, weil sie sich gut verkaufen. Es gibt viele Instrumentalisten, die bewundernswert Geige, Cello oder Klavier spielen, die aber nichts zu sagen haben. Trotzdem lauscht ihnen das Publikum voller Euphorie und die Veranstalter verkaufen ihren Namen wie Fast-Food…

weil das Publikum den Namen aus den Medien kennt.
Kremer: Ich verfolge ja auch die Medien, ich bin selbst davon angesteckt und ärgere mich dann manchmal über Dinge, die ich lieber gar nicht wissen will. Zum Beispiel hat sich Valentina Lisitsa auf das Experiment eingelassen, für die große Öffentlichkeit (via Youtube) ihr Üben zu zeigen. Für mich ist das ein Merkmal, dass ihr etwas ganz Anderes wichtig ist, als die Musik. Es ist ein Merkmal dieses ungesunden Narzissmus, der heute sehr verbreitet ist, sei es in offener Kleidung, im Geschwätz oder in Videoclips.

Man könnte aber auch sagen: Klappern gehört zum Handwerk.
Kremer: Da bin ich als älterer Kollege vielleicht etwas zu konservativ, ich stehe für andere Werte. Deswegen ist mir ein junger Pianist wie Daniil Trifonow so sympathisch, weil er dieses Geschäft nicht betreibt. Er spielt zwar auch viel zu viele Konzerte und läuft dadurch Gefahr, sich kaputt zu machen. Aber er verfällt nicht der Masche, sich durch irgendeine politische Äußerung Publicity zu verschaffen. Ich bin bereit, Andersdenkende, anders fühlende Menschen zu akzeptieren, wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, jeder darf seine Meinung haben. Aber auf dem Pferd dieser Meinung zu reiten, finde ich gefährlich, auch für einen Künstler. Weil man sich anderen Dingen widmen sollte.
Ich stehe zu allen Opfern, sowohl in Russland als auch in der Ukraine, ich versuche nicht zu verschönern, was Schlimmes in der Ukraine passiert, wo es sicher auch Menschen gibt, die sehr viel Unglück ins Leben bringen. Aber wenn jemand, anstatt sich künstlerisch zu engagieren, im Wortgefecht badet und Hass verbreitet, ist mir das suspekt.

Nun trifft es aber nicht nur junge aufstrebende Künstler, die vermeintlich nach Publicity gieren. Auch jemand wie Valery Gergiev gerät aufgrund seiner politischen Einstellung häufig ins Kreuzfeuer.
Kremer: Das ist kein Zufall. Jemand, der sich dermaßen klar äußert und eine Regierung unterstützt, die – das ist ja bewiesen – ständig lügt… Musik als solches sollte doch mit der Wahrheit verbunden werden. Ich kann mir kaum eine gelogene Musik vorstellen, oder gelogene Musik genießen. Wir als Interpreten sollten uns eigentlich bewusst sein, dass wir Diener sind von denen, die wahrhaftige Musik geschrieben haben. Und jemand, der sich für einen lügenden Menschen einsetzt, kommt bei mir in den Verdacht, dass er entweder etwas nicht versteht oder dass er selbst zu einem Lügner wird.

Dass die russische Regierung lügt, davon sind Sie offenbar überzeugt.
Kremer: Ich habe mir gestern ein Interview der ARD mit Putin von 2008 angesehen. Damals sagte er: Wir haben keine Ansprüche auf Gebiete in der Ukraine und kein Interesse an der Krim, die Grenzen sind festgelegt, wir stehen dazu, alles andere ist Spekulation. – Hat Putin seine Meinung geändert? Was soll dieses ganze Spiel?

Doch wie erklären Sie sich, dass die Liste der Unterstützer von Putins Krim-Politik aus dem Bereich Kultur 500 Unterzeichner hat?
Kremer: Zu meiner Zeit in der Sowjetunion gab es eine schlimme Tradition, Briefe zu unterschreiben, gegen Pasternak, gegen Solschenizyn oder Sacharow. Die aller bedeutendsten Künstler wurden gezwungen oder fühlten sich verpflichtet, diese Hassbriefe zu unterschreiben. Darunter auch mein Lehrer, der große, wunderbare David Oistrach, auch der große Schostakowitsch.

Sie sehen in den damaligen Umständen eine Parallele zu heute?
Kremer: Natürlich. Es sind auch viele nicht auf dieser Liste, viele außergewöhnliche Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller haben Russland verlassen. Das ist ein Schaden für alle: Für jene, die gehen, genauso wie für das Land, aus dem gegangen wird. Und es ist ein Schaden, sich mit einer Unterschrift einen Freipass für die Bühne und die Öffentlichkeit zu erkaufen. Es ist auch schlimm, zu schweigen, weil man denkt: Ich kann ja sowieso nichts bewirken.

Zitiert

Ich kann mir kaum eine gelogene Musik vorstellen, oder gelogene Musik genießen.

Gidon Kremer

Können Sie den Zwiespalt nachvollziehen, in dem sich manche Kulturschaffende in Russland befinden? Schließlich haben Sie zu Sowjetzeiten selbst auf Parteitagen musiziert…
Kremer: Das kam zum Glück nur selten vor, weil ich nicht zu jener Elite gehörte, die zu Parteitagen eingeladen wurde. Dass Künstler dort spielten, war Sitte, auch meine sehr verehrten älteren Kollegen haben das getan, Oistrach selbstverständlich und sogar auch Swjatoslaw Richter.

Hätten Sie als Musiker denn Nein sagen können?
Kremer: Ich wäre zu der Zeit wahrscheinlich nicht fähig gewesen, öffentlich Nein zu sagen. Doch es gab auch andere Beispiele, wie die Pianistin Maria Yudina, eine fantastische Person. Vor kurzem sind all ihre Briefe erschienen, die auch zeigen, wie viel Kraft sie aus dem Glauben geschöpft hat und was für eine starke Persönlichkeit sie war. Das war ein Mensch gegen einen ganzen Staat. Aber sie ließ sich nicht zermahlen durch die Mühle der Ideologie, sie blieb eine anständige, eine gläubige und große Künstlerin, sie blieb ein Mensch.

Wenn Sie heute mit russischen Kollegen zusammen sind, diskutieren Sie dann viel über Politik oder sagen Sie: Wir machen Musik, die Politik bleibt draußen?
Kremer: Mir bedeutet die russische Kultur und die russische Sprache sehr viel. Ich habe in meinem Leben wahrscheinlich mehr Russisch gesprochen als meine Muttersprache Deutsch und ich bewundere Komponisten wie Alfred Schnittke, Victor Kissine und ebenso Künstler wie die russischen Regisseure Oleg Dorman und Juri Norstein. Es sind Persönlichkeiten, die zu ihrer Meinung stehen, egal ob still oder laut.
Es gibt aber auch jene, bei denen ich die Spekulation durchschaue, die mit den Mächtigen der heutigen Zeit liebäugeln und die unter den 500 Unterzeichnern sicher zu finden sind. Denen gehe ich lieber aus dem Weg.

Sie musizieren dann nicht mehr zusammen?
Kremer: Mit einigen von denen, die auf der Liste der 500 stehen, war ich früher befreundet, ich habe gerne mit ihnen musiziert. Aber seit sie sich für so einen radikalen Weg entschieden haben, die Regierungsmacht zu unterstützen, tue ich das nicht mehr. Ich will mit dieser negativen Energie nicht in Berührung kommen und mit ihnen nicht auf einer Bühne stehen. Es ist ganz klar, dass Valery Gergiev enorme Energien hat, ich habe mit ihm viele Konzerte gespielt und wir konnten in der Vergangenheit eine gemeinsame Sprache sprechen. Aber heutzutage will ich nicht in dieses Energiefeld kommen, das er verbreitet. Ich habe genug andere, wunderbare Kollegen, mit denen ich meine Sicht der Welt teile. Und wie gesagt: In der Musik kann ich weder Unehrlichkeit, noch Lügen, noch Aggression Platz lassen. Ich suche eine andere Sprache, eine Sprache des Verständnisses, des Brückenbaus und der Versöhnung.

Bräuchte es für Russland und die Ukraine heute so etwas wie das West-Eastern Divan Orchestra, mit dem sich Daniel Barenboim für die Versöhnung im Nahen Osten engagiert?
Kremer: Das könnte mit den Jahren etwas sehr Wichtiges werden. So ein Gemeinschaftsprojekt müsste sich auf die Suche nach einer gemeinsamen Sprache begeben. Und wenn diese Sprache nicht politisch gefärbt wird, sondern eine menschliche Substanz und menschliche Wurzeln hat, wäre ich dabei. Wenn es aber eine Institution ist, die von oben herab gegründet wird, um zu zeigen, wie einig man ist, gegen den Imperialismus, gegen die Junta in Kiew oder gegen sonstwas, dann wäre ich nicht dabei.

© Kasskara/ECM

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Sie organisieren Benefiz-Konzerte wie „To Russia with Love“ in Berlin, Sie beziehen politisch Stellung. Doch als wir vor 15 Jahren schon einmal miteinander sprachen, bezeichneten Sie Ihr Engagement in diesen Dingen nicht als politisches sondern als ein humanistisches.

Kremer: Ja, so sehe ich das. Für mich ist es wichtig, Mensch zu bleiben. Die Musik, die ich spiele, muss menschliche Töne haben, und nicht eine Musik sein, die Komponisten für Komponisten komponieren. Ich plädiere dafür, dass man mit Musik etwas Gutes bewegen kann. Aber ich bin nicht dabei, wo Musik für politische Zwecke ausgenutzt wird. Wenn ich früher eventuell dabei gewesen bin, weil ich als sowjetischer Künstler in irgendeinem politisch gefärbten Konzert spielen musste – dann ist es heute etwas Anderes. Wenn ich Konzerte mit einem politischen Unterton veranstalte, wie in Straßburg „Musica Liberat“, so ist das eine Deklaration für die Freiheit. Das Konzert „To Russia with Love“ war der Versuch, die guten Seiten von Russland zu zeigen, damit Russland immer noch glaubwürdig ist. Nicht weil ich engagiert wurde von der russischen Regierung, sondern weil es mir wichtig war, gegenüberzustellen, was die Politik tut und was die Kunst kann. Das hat einen humanistischen Hintergrund, damit folge ich großen Künstlern wie Yehudi Menuhin, Pablo Casals, Rostropowitsch oder Bernstein, die mir immer wichtig gewesen sind und die ebenfalls humanistische Werte verbreitet haben.

Darf ein ein Künstler Ihrer Ansicht nach dem Staat dienen?
Kremer: Ich denke, man kann die besten Absichten haben, seinem Staat zu dienen. Als sowjetischer Bürger hatte ich dem sowjetischen Staat zu dienen, aber als ich sagte, ich will im Ausland wohnen, bekam ich die Antwort: Dann sind Sie kein sowjetischer Bürger mehr und können auch kein sowjetischer Künstler sein. Ich konnte in acht Jahren der Perestroika nicht in Russland spielen, ich wollte gerne dem russischen Staat dienen, aber ich durfte nicht.
Heute versuche ich mit der Kremerata Baltica der Region meines Heimatlandes nützlich zu sein. Ich freue mich, dass es die Kremerata schon 18 Jahre gibt und sie in der ganzen Welt einen Namen hat, auch bei Menschen, die gar nicht wissen, wo sich die baltischen Staaten befinden. Wir sind mit der Kremerata Vertreter des Baltikums.

Dienen ist ja etwas anderes als „nützlich sein“.
Kremer: Also, dienen… Ich diene der Musik. Ich versuche den Komponisten zu dienen und frage nicht, wo sie ihren Wohnsitz haben. Ich diene nicht nur Komponisten eines bestimmten Landes oder einer bestimmten Schule, sondern ich versuche, denen nützlich zu sein, an deren Schaffen ich glaube. Und all dem, was mir fremd ist, gehe ich aus dem Weg. Ich gehe übrigens auch Dirigenten aus dem Weg, die ihre Musiker unwürdig behandeln. Lorin Maazel hat mich einmal mit seinem Verhalten bei einer Probe dermaßen irritiert, dass ich später nie wieder mit ihm spielen wollte. Ich wollte einfach nicht in dem Energiefeld stehen, in dem er sich bewegte.

Was die verschiedenen Schulen von Komponisten anbelangt: Auf Ihrer CD „New Seasons“ haben Sie Werke von Glass, Pärt, Kancheli und Umebayashi versammelt, die weitgehend tonal sind. Ihre Worte dazu im Booklett lesen sich so, als würden Sie sich für die Hinwendung zu tonaler Musik entschuldigen…
Kremer: Das sollte keine Entschuldigung sein, eher eine Erklärung, weil ich vermute, dass es sehr viele Menschen geben wird, die das verwundert. Ich habe mich gar nicht zu entschuldigen, allein aufgrund der Tatsache, dass ich sehr komplexen Partituren – von Nono, Saariaho, Reimann. Adams oder Gubaidulina – nie aus dem Weg gegangen bin.
Mir war wichtig, mit dieser Veröffentlichung zu zeigen, dass man mit wenig Tönen immer noch viel sagen kann. Und ich stehe zu dieser Musik, es ist Musik, die ankommen kann, zu der man als Hörer nicht eine Universität abschließen muss, sondern die ihre Gültigkeit auch für Menschen hat, die sich im großen Bereich der Musik nicht so auskennen.

kremer new seasonsLiegt Ihnen als Interpret der Minimalismus besonders nah?
Kremer: Der Minimalismus ist nur eine Facette von vielen Dingen, die mir wichtig sind. Mindestens genauso wichtig sind mir die vielen Einspielungen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe und mit der Kremerata Baltica zum Glück auch heute noch mache.
Jemand wie Arvo Pärt hat sich für das Idiom der wenigen Töne entschieden, genauso wie Victor Kissine, den ich bei ECM eingespielt habe. Ich habe inzwischen eine Aversion gegen zu viele Töne – weil viele davon so leicht ersetzt werden könnten. Da stehe ich schon eher zu Anton Webern, wo jeder Ton an seinem Platz ist.

Ist das auch eine Frage des Alters?
Kremer: Ja, das könnte sein. Aber das bedeutet nicht, dass ich heute mit weniger Begeisterung Bach, Schubert oder Schumann spiele. Die späten Beethoven-Quartette zum Beispiel sind etwas, dem man sich ein Leben lang nähern kann.

Sie schreiben „Es ist ein großes Glück für mich, dass Werke vieler Komponisten mit mannigfaltigsten Konzeptionen und Idiomen meine Arbeit prägen und mein Leben bereichern.“ Was haben Sie selbst komponiert?
Kremer: Ich habe nichts komponiert und werde auch nie etwas komponieren.

Was ist mit Kadenzen bei Violinkonzerten?
Kremer: Das habe ich nur in kleinem Umfang gemacht. Wobei ich eigentlich eher zeitgenössische Kadenzen benutzt habe, wie die von Schnittke oder Kissine zum Beethoven-Konzert. Ich habe selbst auch die Rekonstruktion einer Beethoven-Kadenz unternommen, aber ich bin kein Komponist. Genauso wie ich mich auch nicht als Schriftsteller ansehe, obwohl ich schon einige Bücher veröffentlicht habe. Ich bin und bleibe Musiker. Ich versuche auch kein Dirigent zu sein. Mir wurde das unlängst angeboten, aber nein, ich bin dem treu, was ich gelernt habe und will kein Amateur werden.

Anne-Sophie Mutter sagt, sie bereue es, nicht komponieren zu können.
Kremer: Ich habe immer bereut, nicht wirklich Klavier zu spielen, weil ich Pianisten sehr mag. Aber man kann in einem Leben nicht alles machen. Ich habe ja auch so, mit all meinen Aktivitäten, schon etwa fünf Leben gelebt.
Wenn ich etwas komponiere, dann sind es Konzeptionen von Konzert-Programmen, die ich auf die Bühne bringe, wie „Being Gidon Kremer“, „Alles über Gidon“ oder als nächstes das Programm „Russia: Masks and Faces“, das ich mit der Kremerata und dem Maler, Schriftsteller und Philosophen Maxim Kantor auf die Bühne bringe.

Ich bin stets von meiner Berufung getrieben“, sagten Sie vor 15 Jahren. Sind Sie auch heute noch ein Getriebener?
Kremer: Ja, das kann man so nennen. Aber fruchtbar Getriebener, nicht aus der Not Getriebener und auch nicht Vertriebener. Ich bin getrieben von dem Wunsch, zu meiner Lebzeit etwas in die Welt zu rufen. Ich will mich nicht wichtig machen, aber ich habe diesen Drang – der leider seine negativen Auswirkungen darin hat, dass ich nie Ruhe finde und sehr schlecht schlafe.

Wir Musiker sollten uns als Friedensstifter verstehen“ schrieben Sie 2014 in einem Appell anlässlich Ihres Konzerts „Mein Russland“ in Dresden. Was ist mit Ihrem inneren Frieden?`
Kremer: Meinen inneren Frieden finde ich, wenn ich die Sprache des Komponisten errate, und der Komponist zufrieden ist, also zu-Frieden. Ich habe das Glück gehabt, dies bei vielen Komponisten zu erleben. Ich finde meinen inneren Frieden, indem ich stillen Tönen nachlausche, aber nicht im Proberaum oder für mich selbst im Zimmer, sondern wenn ich diese stillen Töne in einem überfüllten Saal weitertragen kann. Oder wenn ich sie durch eine Aufnahme so auffangen kann, wie es manchmal mit der Hilfe von guten Partnern wie Manfred Eicher
oder mit meinem langjährigen Toningenieur Helmut Muehle gelingt, dass sie auch dann eine Wirkung haben können, wenn ich nicht mehr da bin.

[Das Interview entstand im Sommer 2015.]

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