Gloria

Gefühle brauchen Platz.

Vor zwei Jahren gründeten der TV-Moderator Klaas Heufer-Umlauf und der Wir sind Helden-Bassist Mark Tavassol die Band Gloria. Im Interview sprechen sie über den Promibonus, Musikeinlagen im TV, fremdschamfreie Texte, gitarrenlosen Radio-Sound und ihr zweites Album „Geister“.

Gloria

© Erik Weiss

Klaas, wie geht’s dem Fernsehen? Ich habe gehört, dass die Sender die Zuschauer jetzt an die ganzen Youtube-Kanäle verlieren…

Klaas: Ich denke, man verliert sie nicht, sondern Youtube kommt jetzt dazu. Aber man muss schon ein spezieller Charakter sein, um sich 2015 noch ins Fernsehen zu wagen. Ich sehe mich da auch eher als konservativer, jüngerer Mensch, der das Fernsehen erhalten möchte – wie so ein Museumswächter.

Und wie geht es der Popmusik, Mark? Ich habe gehört, davon kann man nicht mehr leben, Spotify sei auch nicht die Lösung…

Mark: Popmusik ist definitiv nicht tot, aber es sterben Teile der Musikbranche. Das ist wahrscheinlich eine evolutionäre Entwicklung. Für viele Musiker ist dadurch das Thema „ich brauche unbedingt einen Plattenvertrag“, in den Hintergrund gerückt – das war für viele ja auch gar nicht gesund, weil sie oft an die falschen Firmen geraten sind. Finanziell haben die Bands jetzt mehr Perspektive im Live-Geschäft – das ist inhaltlich ohnehin näher am Musikmachen. Konzerttickets sind teurer geworden und Bands können überleben, wenn sie auf der Bühne beeindrucken. Ich finde das nicht schlecht, dass man sich auf diesen Bereich nun von Anfang an konzentrieren muss, weil der andere wegbricht.

Wolltet ihr mit eurer Band Gloria also auch von Anfang an auf die Bühne?

Klaas: Ja, das war das erklärte, große Ziel, live zu spielen. Es hat sich mit unserer ersten Tour emotional auch bewahrheitet, dass das ein gutes Ziel war. Wir haben unsere Freude an allen Phasen einer Plattenproduktion, aber auf Tour sein und Konzerte spielen, das macht uns schon am meisten Spaß.

Nun hat man als Musiker ja gar keine Anklatscher im Publikum…

Klaas: Richtig, aber diesen klassischen Anklatscher, mit leuchtendem Applausschild – den haben wir auch bei „Circus Halligalli“ nicht. Sicher gibt es bei manchen Fernsehsendungen Agenturen, die dafür sorgen, dass man ein Publikum bekommt, die doppelt und dreifach Freikarten verteilen und die Leute dort hinbitten. Zu uns kommen die Zuschauer aber freiwillig, das ist ein großer Unterschied.

Erfolgsverwöhnt wart ihr auch mit „Wir sind Helden“, oder habt ihr in eurer Anfangszeit mal vor leeren Hallen spielen müssen, Mark?

Mark: Das gab es auch, ich erinnere mich an eine Tour 2002, wo wir mit drei anderen Bands unterwegs waren, da hatten wir teilweise nur fünf zahlende Gäste. Das war hart, aber auch sehr lustig. Es dauerte allerdings nicht so lange, bis wir dann schon vor 70-80 Leuten spielten.

Mit „Gloria“ werdet ihr, aufgrund eurer Prominenz, so eine Erfahrung vermutlich nicht machen.

Klaas: Warum nicht? Diese Sicherheit „da kommt schon einer“, die hätte ich nie. Für mich ist das ein absurder Vorgang, wenn sich jemand zuhause die Jacke anzieht und zu uns zum Konzert kommt; dass er sich sogar Monate im Voraus die Karten dafür kauft. Wenn ich an die Live-Geschichten denke, die ich mit Jan Böhmermann gemacht habe, da war das für mich auch immer ein Rätsel.

Zitiert

Unser erstes Album wurde auch aus Voyeurismus angehört.

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Klaas, du hast 2013 in einem Interview gesagt, „In den vergangenen Jahren wurde alles immer größer. Jetzt möchte ich den Zustand mal auskosten.“ Wie groß ist dieser Wachstumsdruck, den du erlebst?

Klaas: Beim Fernsehen ist es so, dass man bis zu einem Grad wachsen muss, das gibt die eigene Positionierung und die eigene Haltung auch ein bisschen vor.

Inwiefern?

Klaas: Als wir bei MTV und dann bei ZDFneo unsere Sendung hatten, war der Witz, damit zu spielen, dass es klein ist. Aber parallel dazu gibt es natürlich die Bestrebung, es größer werden zu lassen. Inzwischen sind wir an einem Punkt angekommen, wo das eine Menge Leute schauen, da geht es dann eher darum, Sachen instand zu halten oder auch neu zu beleben.
Als Musiker, wenn man da bei einer wahnsinnig großen Plattenfirma ist, kann es sein, dass es bestimmte Etappenziele gibt, die nicht mit der Musik oder nicht mit dem Gefühl zu tun haben, das man hat, wenn man auf der Bühne steht. Aber wir sind bei keiner großen Plattenfirma, wir müssen uns darüber keinen Kopf machen. Es ärgert sich auch keiner, wenn mal 500 Leute mehr zum Konzert kommen und ein paar mehr Platten verkauft werden. Es entwickelt sich organisch, nicht auf unnatürliche Weise.

Ist es ausgeschlossen, dass Joko auf euren Live-Konzerten irgendwelche bösen Fallen stellt?

Klaas: Nein, ausgeschlossen ist das selbstverständlich nie. Aber für Hochkultur interessiert sich Joko nicht so sehr (lacht).

Steht euch bei Gloria die eigene Prominenz manchmal auch im Weg?

Klaas: Ach, nein. Ich finde, man muss im Reinen sein, mit sich und allem, was man macht und vorher gemacht hat, um tatsächlich glaubwürdig Musik zu machen. Und nicht anfangen, ein neues Bild von sich zu zeichnen, Dinge zu verleumden… Klar hat die Bekanntheit den Effekt, dass die Leute etwas genauer hinschauen, unser erstes Album wurde sicher auch aus Voyeurismus angehört. Nach dem Motto „Jetzt wollen wir doch mal sehen“ oder „warum muss der jetzt noch Musik machen.“ Das kann ich auch gut verstehen. So etwas müssen wir dann erstmal wegarbeiten. Das müsste aber auch jemand bei mir wegarbeiten, wenn ich so eine CD geschickt bekäme…

wie zum Beispiel von Jan Josef Liefers, der ja auch mit Band unterwegs ist.

Klaas: Ja, wenn Liefers eine CD rausbringt, würde ich mir das genau anhören. Da suchen die Leute schon genauer nach dem Haar in der Suppe. Ich finde das aber nicht schlimm, das ist normale Psychologie. Außerdem haben wir dadurch den Vorteil, dass sich die Leute unser Album zumindest mal in Ruhe anhören. Und wenn sie am Ende sagen, unabhängig von allen Umständen, „das ist ja Musik“ – dann ist alles ok.

© Erik Weiss

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Es gibt diese klassische Musiker-im-TV-Situation: Man spielt einen Song, kommt aufs Show-Sofa und der Moderator hält irgendwann die CD hoch und sagt, „bitte jetzt kaufen“. Mögt ihr das?

Mark: Es tut nicht weh. Allerdings sitzt du als Musiker im Fernsehen oft am Katzentisch und hast nichts zu melden. Es gibt sehr viele Reglements, der Song darf nur zweieinhalb Minuten lang sein, Besetzungen werden vorgegeben, es wird mit Einschaltquoten argumentiert und der Musik wenig Bedeutung beigemessen oder sie wird ganz rausgestrichen. Es gibt eine Tendenz zur dezenten Respektlosigkeit gegenüber Musikern, wenn es zur Berührung mit Fernsehsendern kommt.

Auch bei „Circus Halligalli“?

Mark: Bei der Sendung von Klaas und Joko ist die Musik noch wichtig und relevant, die Musiker können ihre Songs spielen…

Klaas: … und es wird bei uns alles live gespielt, genauso wie bei Stefan Raab.

Und das Argument von Fernsehmachern, dass Musik Quote kostet?

Klaas: Ich denke, manchmal stimmt das sogar – wenn du dich nicht ordentlich drum kümmerst. Du musst als Musikplattform natürlich glaubwürdig sein. Bei „Circus Halligalli“ gibt es eine Musikredaktion, wo hundert mal über die Bands diskutiert wird, bevor wir sie einladen. Die sind dann aber auch sehens- und hörenswert. Und mittlerweile stellen wir fest, dass es da gar nicht passiert, dass in dem Moment die Quote absackt, auch bei unbekannten Bands nicht. Sondern im Gegenteil, du kannst nachher sehen, wie die in den itunes-Charts hochschnellen. Das finde ich schön, die Musiker kommen gerne und fühlen sich wohl.

Mark: Es hat damit zu tun, wie viel Ahnung die Musikredaktion hat. Bei anderen Sendungen werden oft Künstler engagiert, wo man das Gefühl hat, man macht nichts falsch. Jemand hat gerade einen Hit, also muss der hier stattfinden. Diese Nichts-Falschmachen-Geschichten können die Leute aber auch im Radio haben, deshalb führt das dazu, dass die Quote absackt und dass eine Sendung auch nicht dafür bekannt wird, dass man musikalisch etwas Neues, Spektakuläres zu sehen bekommt. Ich finde es gut, wenn eine Redaktion progressiver ist und auch mal in der Subkultur stochert.

Klaas: Wir hatten in unserer Sendung schon Bands, die gar keinen Plattenvertrag hatten, von denen man auch nirgends eine CD kaufen konnte. Da wird bei Meetings viel und wild drüber diskutiert, man ist nicht immer einer Meinung, aber am Ende kommt man zu einem Ergebnis. Und ProSieben schenkt uns da auch das Vertrauen und redet uns nicht rein.

gloria coverEine Frage zu euren Song-Texten, von denen einige sehr assoziativ und vielseitig deutbar erscheinen. Lasst ihr dem Zuhörer diesen Interpretationsspielraum ganz bewusst?

Klaas: Eigentlich gibt es in fast jedem Song von uns eine Stelle, wo wir ein bisschen konkreter werden, die dann der Schlüssel ist, um den Rest zu dechiffrieren. Allerdings habe ich auch kein Problem damit, wenn jemand darin etwas ganz anderes hört, als das, woran wir beim Schreiben gedacht haben. Damit haben wir dann nicht mehr viel zu tun, es ist dann nicht mehr unsere Platte, sondern die hat sich jemand gekauft und der kann damit machen, was er will.
Es gibt hinter jedem Text einen sehr konkreten Gedanken. Wir sind aber beide der Überzeugung, dass diese Sprache in Bildern oft schöner und besser transportiert, was man letztendlich sagen will, natürlich auch in Kombination mit der Musik.

Ich zitiere mal eine Strophe aus „Heilige und Hunde“:
Die Hände in der Tasche, das Feuer im Gepäck
Bis zum Hals in süßem Wasser, und bitter ist der Blick
Beide Beine in den Fluten, sie werden immer schwerer
Und Bitter ist der Blick,
Keiner bekommt was, dann lass die Heiligen weiter ziehen
Wenn keiner was bekommt lass deine Hunde einfach ziehn

Mark: Was wir in dem Moment an Bildern haben, beschreibt schon ganz konkret eine Sache. Dass wir es zur Interpretation freigeben, liegt daran, dass Gefühle Platz brauchen. Wenn du ein sehr enges Bild ablieferst und denkst, es löst Gefühle aus – dann liegst du manchmal daneben.
In dem Song geht es um Menschen, die jemandem folgen, vielleicht aus ideologischen oder religiösen Gründen, was aber kein gutes Ende nimmt. In der zweiten Strophe wird das auch konkreter mit „Hände auf dem Rücken, Feuer im Genick“. Klar, man könnte das noch detaillierter texten, „du wirst einberufen“ oder „du glaubst an den und den…“ Aber ich finde es wesentlich emotionaler, ein Bild dafür zu finden. Wir nehmen auch in Kauf, dass das nicht immer funktioniert und die Leute bei einem Song vielleicht gar nicht wissen, worum es geht.

Gibt es Vorbilder beim Texteschreiben?

Mark: Ja, wobei es nicht so viele Leute gibt, die fremdschamfrei texten können. Ein Song ist immer nur so stark wie sein textlich schwächster Moment. Wenn ein Lied irgendwo einen Fremdscham-Moment auslöst, ist es für mich leider vorbei. Und es gibt einige Sänger, auch sehr bekannte, die glauben, sie könnten sehr intellektuell texten, es aber nicht tun, deren Texte dann eher pseudo-intellektuell wirken, wo sich bei mir die Fußnägel hochklappen.
Es gibt nicht so viele Musiker, die diese Fremdscham-Momente in ihrer Musik ausgemerzt haben. Ein alter Meister ist Rio Reiser, der durch seine schnoddrige Art viele Sachen sagen konnte, die ein anderer nicht sagen kann. Das hat ja auch etwas mit Attitüde zu tun.

Klaas: Wenn man sich Udo Lindenberg anschaut: Jeder andere, der einen Song wie „Cello“ singen würde, würde sich wahrscheinlich zum absoluten Volldeppen machen. Da sind absurde Textzeilen drin, trotzdem berührt Udo die Leute damit, weil er diese Attitüde hat. Da hat jemand sich selbst und seine eigene Wirkungsweise gut verstanden.

Mark: Auch jemand wie Gisbert zu Knyphausen kann durch seine schnoddrige Art veredeln, was er sagen möchte. Die Hälfte ist Attitüde und die andere Hälfte ist das Wort, das gewählte Wort, welches einen dann auch immer ins Mark trifft.

Klaas: Ich würde auch Annen May Kantereit dazu zählen.

Mark: Sehr gut ist auch Enno Bunger, den wir nicht ohne Grund gecovert haben. Und Herbert Grönemeyer ist einer der wenigen Großen, wo man sagen muss: Der macht richtig gute Texte.

Gab es Fremdscham-Momente bei Judith Holofernes?

Mark: Nein, nie. Sie war für mich auch ein wichtiger Einfluss, mit ihr habe ich zehn Jahre gearbeitet.

Zweifelt ihr selbst noch viel, wenn ihr schreibt?

Klaas: Es gibt oft genug Momente, wo man merkt: Das hier wird nichts, ab in den Mülleimer – und dann macht man den nächsten Song. Man muss sich auch trauen, mittendrin zu sagen: es geht in eine falsche Richtung.

Mark: Ich glaube, wir brechen beim Schreiben viel mehr ab als andere Künstler. Andere haben dann lieber 18 Songs auf einem Album, für uns zählt eher das Motto „just Killers, no Fillers“, also lieber wenig Songs, die aber etwas zu sagen haben, anstatt auf Masse zu setzen.

Wollt ihr im Radio gespielt werden?

Klaas: Klar!

Mark: Wenn du nicht im Radio stattfindest, hast du einen langen, beschwerlichen Weg und wirst wahrscheinlich vorher an Altersschwäche sterben. Du musst eine gewisse Radiopräsenz haben, ich habe schon so viele Bands gesehen, die sehr gut sind, die aber nicht im Radio gespielt werden – und die haben immer nur ihre 70-80 Zuschauer.

Habt ihr denn eine Radiosingle geschrieben?

Klaas: Nicht absichtlich. Beim Schreiben spielt das keine Rolle, man guckt eher im Nachhinein und überlegt, was könnte jetzt die Single sein, wo treffen sich die X- und die Y-Achse. Unsere Achse ist eh festgelegt.

Mark: Wir machen zwar keine sperrigen 12-Minuten-Songs aber eben auch keine Sachen die nur aus Beats und Vocals bestehen. Und damit fährt man im Radio natürlich immer etwas besser – kompaktes und eingängiges Songwriting vorausgesetzt. Gitarrenmusik hat es immer etwas schwerer. Da gibt es hin und wieder Coldplay, die sich durchmogeln, oder auch jemanden wie Bosse, also Leute, die die Fahne noch hochhalten und im weiteren Sinne einen Bandsound haben. Aber ansonsten funktioniert das Radio im Moment recht gitarrenlos. Damit will ich deshalb nicht zu hart ins Gericht gehen, weil ich weiß, dass auch diese Dinge einer Entwicklung unterliegen. Und wir wissen selber nicht, wie wir in fünf Jahren klingen. Wir haben mit „Geister“ einen Song veröffentlicht, der jetzt nicht hundertprozentig Radio ist, der aber eine gewisse Chance hat, ein bisschen die Runde zu machen. Das Schöne ist ja, dass es immer Ausnahmen gibt.

Noch zwei Schlussfragen. Klaas, welches Instrument würdest du gerne spielen?

Klaas: Fagott. Das ist handlich, man kann es am Lagerfeuer spielen und es kommt gut an bei den Girls…

Mark: …und es ist symbolträchtig.

Und letzte Frage: Wenn ihr zuhause Hintergrundrauschen braucht, Fernsehen oder Radio?

Mark: Ich hasse Hintergrundrauschen. Auf der Autobahn liebe ich Radio und Fernsehen benötige ich dringend zur Muskelentspannung.

Klaas: Radio. Wobei ich eher Playlisten höre. Diese Musikbedudelung, wenn die ganze Zeit irgendwelche Lieder unwürdig in meine Küchenecke geplärrt werden, kann ich nicht ertragen. Ich höre auch gerne Laber-Radio, Reportagen oder manchmal auch Call-In-Sendungen.

Hast du einen Fernseher zuhause?

Klaas: Klar, aber der läuft eigentlich nur, wenn ich zu faul bin, Netflix anzumachen.

[Das Interview entstand im Juni 2015.]

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