Herr Werner, die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt bereitet der Bevölkerung und der Regierung schon seit Langem Sorge. Inwieweit trägt auch ein überzogenes Profitstreben der Unternehmen zu den Problemen bei?
Götz Werner: Das eine hängt mit dem anderen zusammen, aber nicht unmittelbar. Der Mensch in seiner Grundveranlagung versucht, Arbeit einzusparen und nicht Arbeit zu schaffen oder zu sichern. Er bemüht sich um einen sparsamen Umgang mit Ressourcen wie Zeit und menschliche Arbeit. Er will in der gleichen Zeit mehr schaffen, das führt zur Streichung von Arbeitsplätzen. Dass wir darin ein Problem sehen, liegt nur daran, dass wir Arbeit und Einkommen miteinander verkoppeln. Wir haben uns daran gewöhnt, Arbeit als weisungsgebundene, sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit zu denken. Arbeit aber umfasst mehr: Immer wenn jemand für andere etwas leistet, ist das Arbeit – also auch Erziehung oder Pflege in der Familie. Wenn wir Arbeit und Einkommen entkoppeln, dann heißt es: Der Mensch braucht ein Einkommen, um zu leben. Arbeit braucht er, weil er seine Fähigkeiten einbringen möchte und über sich hinauswachsen will. Dann hätten wir kein Problem.
Im Streben nach Gewinn sehen Sie also nicht das grundlegende Problem, das Arbeitslosigkeit verursacht…
Werner: Das Gewinnstreben ist nicht die Ursache. Es ist die Begleiterscheinung des Strebens nach einem sparsamen Umgang mit der Zeit.
Seit vielen Jahren werben Sie für das bedingungslose Grundeinkommen. Als Gründer der Drogeriekette dm sind Sie sehr erfolgreich, sind Milliardär geworden. Ihnen könnte es doch egal sein, was mit der Gesellschaft passiert.
Werner: Warum denn? Wenn es der Gesellschaft nicht gut geht, kann ich auch als Unternehmer nicht erfolgreich sein.
Haben Sie ein Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft?
Werner: Wenn man einmal darüber nachdenkt, kommt man zu dem Schluss, dass es das Ziel sein muss, dass es den Kunden immer besser geht. Der Erfolg kommt nicht von mir, sondern von den Kunden, die in den dm-Drogeriemärkten einkaufen. Täglich kommen 1,1 Millionen Kunden zu uns, das ist keine zu vernachlässigende Größe. Unternehmer müssen sich Gedanken machen, wie es ihren Kunden geht, weil es die Menschen sind, die den Erfolg begründen.
Sind das auch die Gründe, warum Sie sich für besonders gute Arbeitsbedingungen für Ihre Mitarbeiter bei dm eingesetzt haben?
Werner: Ganz klar. Je besser sich die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit verbinden können, desto kreativer, initiativer und desto leidenschaftlicher machen sie ihre Arbeit und das ist die Grundlage für den Erfolg.
Wie viel Prozent der Unternehmer in Deutschland, glauben Sie, haben auch solch ein Verantwortungsgefühl für ihre Mitarbeiter?
Werner: Das wird Sie vielleicht überraschen, aber ich glaube fast alle. Viele machen es sich nur nicht bewusst. Sie handeln intuitiv richtig und sind deshalb erfolgreich.
In welchem Verhältnis stehen denn Verantwortungsgefühl und wirtschaftliche Erwägungen? Sie haben immerhin das Image eines Gutmenschen, der sich aus Nächstenliebe um seine Mitarbeiter und die Gesellschaft sorgt…
Werner: Das ist übertrieben. Wir müssen unsere Arbeit gut machen – sonst können Unternehmer auf Dauer nicht erfolgreich sein. Ein Architekt weiß, wie ein Haus gebaut wird, ein Drogeriemarktbetreiber muss wissen, wie seine Filialen erfolgreich sind.
Als Außenminister Guido Westerwelle im Februar in einem viel zitierten Artikel davor warnte, „dem Volk anstrengungslosen Wohlstand zu versprechen“ – fühlten Sie sich da von ihm angesprochen?
Werner: Das sind Verallgemeinerungen, die der Realität nicht gerecht werden. Beim bedingungslosen Grundeinkommen geht es nicht um anstrengungslosen Wohlstand, sondern um die Sicherung einer bescheidenen, aber menschenwürdigen Existenz. Anstrengungslosen Wohlstand erlebt man im Jetset, das hat mit bedingungslosem Grundeinkommen gar nichts zu tun. Wer ein Grundeinkommen hat, der kann zeigen, was in ihm steckt, denn er muss sich nicht an einen unbefristeten Arbeitsvertrag festklammern, er kann Risiken eingehen.
Wie bewerten Sie Westerwelles Äußerungen?
Werner: Westerwelles Äußerungen sind eine populistische Pirouette gewesen, die man dem Vorsitzenden einer kleinen Partei zubilligen darf. Eine Volkspartei kann solche Aussagen nicht machen, sie braucht Mehrheiten. Die FDP braucht Randgruppen. Mit solchen Äußerungen begeistert und verführt man Minderheiten. Aber die Gesellschaft wird nicht von Politikern verändert, sondern von der Art und Weise, wie Menschen die Gesellschaft denken.
Warum haben sich bisher noch keine prominenten Politiker für das bedingungslose Grundeinkommen eingesetzt?
Werner: Bisher können sich noch zu wenige Menschen in der Gesellschaft vorstellen, dass das Konzept funktioniert. Ich würde daher auch keinem Politiker empfehlen, sich dafür zu engagieren. Denn damit wird er keinen Erfolg haben, sondern Probleme bei der nächsten Wahl. Als Unternehmer kann ich tolle Ideen haben, wenn sich aber meine Mitarbeiter und Kunden diese nicht vorstellen können, dann tue ich gut daran, meine Finger davon zu lassen.
Dann ist bedingungslose Grundeinkommen politisch gesehen doch eher eine Utopie?
Werner: Es ist eine Utopie, die es zu verwirklichen gilt. Ein Paradigmenwechsel wie die Trennung von Arbeit und Einkommen braucht Zeit. Erst wenn sich eine gesellschaftliche Strömung als nachhaltig herausstellt, dann springen die Politiker auf und stellen sich an die Spitze. Das ist auch ganz legitim.
Wie weit ist die Utopie denn schon auf ihrem Weg zur Verwirklichung?
Werner: Das Interesse und die Zustimmung werden immer größer. Die Menschen merken, dass das bestehende Sozialsystem nicht mehr funktioniert, mit vorhandenen Strickmustern kommen wir nicht mehr weiter. Man sollte auch bedenken: Alles, was heute selbstverständlich ist, hat einmal als Utopie angefangen. Das Internet zum Beispiel war erst eine verrückte Idee und ist heute aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Sehen Sie es als Teilerfolg an, dass aktuell die Regelsätze von Hartz IV neu errechnet werden müssen?
Werner: Ja, das ist ein Beispiel: Das Verwaltungsgericht hat erkannt, dass der Mensch ein Einkommen braucht, um leben zu können. Ein anderes Beispiel ist der Vorschlag von Ministerpräsident Rüttgers, der eine steuerfinanzierte Mindestrente fordert. Damit fordert er quasi ein Grundeinkommen ab 65 Jahren. Wir haben schon viele grundeinkommensähnliche Elemente, Steuerfreibeträge oder Kindergeld zum Beispiel. Wir erkennen langsam, dass wir ein Einkommen brauchen, wenn wir in dieser Gesellschaft leben wollen und dass es unabhängig sein muss von Arbeit.
Ein Paradigmenwechsel wie die Trennung von Arbeit und Einkommen braucht Zeit.
Sie haben einmal gesagt, ein Grundeinkommen von 1000 Euro sei realistisch. Kritiker dagegen behaupten, der Unterschied zwischen Hartz IV und Ihrem Grundeinkommen sei gar nicht so groß.
Werner: Wenn Kritiker das sagen, haben sie sich nicht intensiv mit der Idee beschäftigt. Hartz IV ist ein bedingtes Grundeinkommen, das mich der Willkür anderer ausliefert. Das ist der wesentliche Unterschied zum bedingungslosen Grundeinkommen.
Österreich will im September 2010 eine Mindestsicherung einführen, die „zum Überleben reicht, aber zu wenig ist, als dass ein arbeitsfähiger Mensch die Jobsuche einstellt.“ – Das wäre also keine Lösung in Ihrem Sinne?
Werner: Es setzt die Menschen wieder unter Druck. Aber wenn man die Kreativität der Menschen entfachen will, darf man eben nicht auf Druck setzen. Es ist eine österreichische Variante von Hartz IV, nur charmanter betitelt.
Es gibt verschiedene Konzepte zum Grundeinkommen, inwieweit wären Sie denn bereit Kompromisse einzugehen?
Werner: Das ist gar nicht nötig. Ich habe ja kein Konzept, sondern nur eine Idee. Wie und ob daraus Konzepte werden, wird sich zeigen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Kulturimpuls, kein fertiger Plan, der nur noch umgesetzt werden muss.
Sind Sie optimistisch, dass man die Idee irgendwann umsetzen wird?
Werner: Ich sehe nichts, was dagegen spricht.
Nehmen wir an, es gäbe das bedingungslose Grundeinkommen. Glauben Sie, dass Ihre Mitarbeiter weiterhin fünf Tage die Woche in einem Drogeriemarkt an der Kasse sitzen wollen?
Werner: Wir wüssten dann zumindest, wer bei uns bisher tätig war und die Arbeit eigentlich gar nicht machen wollte. Das wäre doch ein enormer Fortschritt. Kassieren macht übrigens sehr viel Spaß, mir zumindest.
Aber der Fortschritt wäre nicht so groß, wenn dann nur noch ein Bruchteil der Angestellten zur Arbeit…
Werner: Es könnten endlich diejenigen kommen, die kommen wollen. Dann würde niemand mehr einen Arbeitsplatz blockieren, der die Arbeit gar nicht machen will. Würden wirklich nur noch ganz wenige Menschen arbeiten wollen, dann müssten sich die Unternehmen dramatisch verändern. Sie müssten eben attraktivere Arbeitsplätze gestalten.
Gehen Sie davon aus, dass die Menschen auch ohne Grundeinkommen gerne zur Arbeit bei dm gehen?
Werner: Zumindest ist es das oberste Ziel. Das Ziel eines jeden Verantwortungsträgers ist es, Arbeitsplätze zu schaffen, in denen Menschen Sinn sehen. Wenn das gelingt, macht man auch Gewinn. Denn der ist ja nur die Folge und nicht die Ursache.
Nun gibt es unterschiedliche Modelle, wie man das Grundeinkommen gegenfinanzieren könnte, über eine Konsumsteuer oder eine Einkommenssteuer…
Werner: Das ist eine Frage, wie wir unsere Gemeinschaftsaufgaben finanzieren: Finanzieren wir sie über einkommensbasierte Steuern oder konsumbasierte Steuern? Wo werden die Steuern getragen?
Wenn Sie den wirtschaftlichen Prozess anschauen, sehen Sie, dass jede Steuer in den Preisen landet. Ein Unternehmen bezahlt zwar seine Steuern, verkalkuliert sie aber in die Preise, so dass die Steuerlast immer der Konsument, der Kunde trägt. Deswegen ist es vernünftiger, die Steuern erst anzusetzen, wenn die Leistung oder das Gut konsumfähig geworden ist. Die Hälfte unserer Steuern setzt schon heute am Konsum an.
Welche Steuern würden dann die Unternehmen in Zukunft zahlen?
Werner: Die Unternehmen zahlen die Steuern, zum Beispiel die Mehrwertsteuer, die sie vorher in die Preise verkalkuliert haben. Sie meinen aber, welche Steuern Unternehmen dann tragen und da wird sich nichts ändern: Keine, denn wenn sie die Steuern nicht in die Preise verkalkulieren können, machen sie keinen Gewinn. Wenn sie keinen Gewinn machen, sind sie pleite.
Sie haben zur Konsumsteuer die Idee eingebracht, eine niedrige Konsumsteuer auf Grundnahrungsmittel zu erheben und eine hohe Steuer auf Luxusartikel…
Werner: Ich würde so nicht mehr vorgehen, sondern Güter hoch besteuern, die die Umwelt stark belasten. Denn was für den einen Luxus ist, kann für den anderen Notwendigkeit sein. Die Belastung der Umwelt, der CO2-Footprint eines Produkts, wäre ein objektives Kriterium.
Wie wichtig wäre es, dass auch die Nachbarländer ein Grundeinkommen einführen? Schließlich könnten die Menschen die teuren Produkte dann einfach im Ausland einkaufen.
Werner: Die Steuersysteme konkurrieren miteinander, das ist heute schon so. Wenn Sie aber im Ausland einkaufen, müssen Sie immer die Fahrtkosten und den Zeitaufwand einrechnen. Oft rentiert sich das dann nicht. Die Situation würde sich nicht verändern.
Sie werben schon viele Jahre für das Grundeinkommen. Ist es nicht unheimlich ermüdend, immer wieder die gleichen Argumente vorzutragen?
Werner: Ich treffe immer wieder neue Menschen mit neuen Argumenten. In den letzten dreieinhalb Jahren habe ich ungefähr 350 Vorträge gehalten. Immer wieder kommen neue Facetten in der Diskussion zum Tragen. Auch die eigenen Gedanken bilden sich immer weiter.
Sie sind jetzt 66, wie lange wollen Sie sich noch für das Thema Grundeinkommen einsetzen?
Werner: So lange, wie eine Nachfrage besteht. Ich bin ja kein Sektierer. Das Grundeinkommen ist mit zwar ein Herzensanliegen, aber ich reagiere trotzdem nur auf Nachfrage, ich agitiere nicht. Wenn mich jemand einlädt oder ein Interview haben will, dann mache ich das. Mehr nicht.
Jetzt klingen Sie aber sehr leidenschaftslos.
Werner: Die Idee muss nicht mir zuliebe, sondern aus sich heraus eine Kraft entwickeln. Wenn ich keine Zustimmung in der Bevölkerung finden würde, dann würde ich auch dahinter kommen, dass die Idee nicht trägt.
Sie sagen, jeder Mensch hat das Bedürfnis zu arbeiten. Jeder Mensch hat aber auch das Bedürfnis nach Auszeiten und Entspannung. Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
Werner: Dann denke ich nach. Das Trennen zwischen Arbeit und Freizeit ist ohnehin künstlich. Ein Unternehmer trennt da nicht. Wenn die Aufgaben weniger werden, sucht man sich neue.