Herr Meyle, infolge der Ausstrahlung von „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ im Frühling 2014 wurden Sie zum Shootingstar, die Verkaufszahlen Ihrer Alben sind schlagartig nach oben gegangen. Hat Sie das überrascht?
Gregor Meyle: Ja, uns hat durchaus überrascht, dass es so abging. Wir sind ja eher die kleinen Brötchenbäcker, haben aber kurz vor der Sendung sicherheitshalber fast 10.000 Platten in den Läden stehen gehabt. So viel verkaufe ich normalerweise in einem Jahr, wenn überhaupt. Trotzdem gab es eine Woche lang keine CDs mehr zu kaufen. Und wir verkaufen gerade fast das Zehnfache an Karten für unsere Konzerte. Deshalb gehen wir dann auch im Herbst in größere Läden, wo so 800 bis 1000 Leute reinpassen. Aber wir spielen natürlich auch weiterhin in ganz kleinen Locations.
Sie haben eine enge Beziehung zu Ihren Fans. Glauben Sie, dass die besondere Atmosphäre bei Ihren Liveauftritten darunter leiden wird, wenn mehr Leute zu Ihren Konzerten kommen?
Meyle: Nö, ich hatte schon Konzerte wo 700 Leute da waren, und ich glaube, dass das genauso intim war wie immer, die Leute waren auch nur einen Meter von der Bühne weg. Bei uns ist es ja immer so, dass wir, wenn wir eine Zugabe geben, ins Publikum gehen und komplett akustisch spielen. Und das kann man in dem Rahmen auch noch machen. Ab Kölnarena würde das dann ein bisschen schwierig werden (lacht). Was ein bisschen mehr geworden ist, ist die ganze Foto- und Autogrammgeschichte hinterher. Da stehe ich zurzeit nach dem Konzert noch zweieinhalb Stunden da. Da muss man mal gucken, wie sich das in Zukunft einpendelt. Mir ist dieser Kontakt zu den Leuten schon sehr wichtig, aber wenn das Autogrammeschreiben länger dauert als das eigentliche Konzert, ist das schwierig.
Sie wollten vor drei Jahren schon aufhören, professionell Musik zu machen. Gab es einen speziellen Auslöser für diesen Entschluss?
Meyle: Ja, da kam uns das Finanzamt in die Quere und hat versucht, meinen Laden dicht zu machen, und die haben auch nicht mit sich reden lassen. Wir waren zwar auch damals viel unterwegs und haben zirka hundert Konzerte im Jahr gespielt, aber wenn im Schnitt nur 80 Leute kommen, und du dein Team bezahlen musst, dann bleiben ungefähr zwei Euro pro Karte bei dir selbst hängen. Da habe ich mich schon gefragt, warum ich das eigentlich mache. Aber letztlich steckt doch eine zu große Leidenschaft dahinter, ich liebe das, was ich tue.
Es gibt bestimmt zehn Musiker, die mit irgendwelchen Autos von Xavier Naidoo durch die Gegend fahren.
Bei „Sing meinen Song“ ging es um Musik und nicht um Wettkampf. Insofern waren Sie der ideale Teilnehmer, weil Ihnen Konkurrenzdenken fremd zu sein scheint. Ist das vielleicht auch ein Grund dafür, weshalb Ihre Karriere immer wieder ins Stocken geraten ist?
Meyle: Ich glaube, „Sing meinen Song“ kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Wenn es nur ein Album gibt, dann ist es einfach schwierig, dann ist der Hype auch schnell wieder vorbei. Damals, im ersten halben Jahr nach meinem Auftritt bei der Castingsendung von Stefan Raab, war ja auch sehr, sehr viel los, da waren auch 800 bis 1000 Leute auf den Konzerten. Aber dann ging es nach einem halben Jahr relativ rapide wieder zurück. Jetzt ist es so, dass wir mehrere Alben haben und die Leute die letzten sieben Jahre mit unserer Musik auf ihrem Lebensweg begleitet haben. Und deswegen kommen die auch zu den Konzerten, weil sie sich mit den Songs identifizieren und jeder so sein Lieblingslied hat.
Es bringt also mehr, sich treu zu bleiben als die Ellbogen auszufahren?
Meyle: Ich glaube, ich wäre sonst nicht da, wo ich jetzt gerade bin. Ich habe einen sehr großen Gerechtigkeitssinn. Das Live-Geschäft ist die härteste Abteilung in der Musikbranche, wo es wirklich um jeden Cent geht, da musst du ganz klare, coole Deals machen. Für mich ist eine gerechte Verteilung Voraussetzung. Ich glaube, das ist langfristig einfach das Beste, was du machen kannst, weil du sonst verbrannte Erde hinterlässt. Du musst schon auch ein bisschen Ellbogen haben. Aber jeder Bäcker, jeder Metzger, der einen Laden aufmacht, muss sich auch mal ein bisschen durchbeißen. Dann schmeißt er mal ein paar Brötchen weg, weil die keiner kauft, aber am nächsten Tag rennen sie ihm wieder die Bude ein.
Ihre Fans bezeichnen Sie als ehrlich und glaubwürdig, Ihre Lieder klingen sehr persönlich. Hat alles, worüber Sie singen, einen autobiografischen Hintergrund?
Meyle: Absolut, das sind Themen, mit denen ich mich selbst befasse. Aber natürlich entstehen die Songs auch durch Gespräche mit Menschen, die mir nahestehen und mir wichtig sind.
Bei „Sing meinen Song“ galten Sie als das Nachwuchstalent unter lauter Musikgrößen. Ist das nicht ein komisches Gefühl, wenn man immerhin schon vier Alben veröffentlicht hat?
Meyle: Das stimmt schon, aber das Format gab auch vor, dass ein vermeintlicher Underdog dabei ist. Der Xavier ist da ja extrem für mich in die Bresche gesprungen. Seit Jahren sagt er, ‚Gregor, wenn ich irgendwann Chancen sehe, dir zu helfen, dann mach ich das‘. Und letztes Jahr hat er eben angerufen und gesagt, ich glaube, das ist es. Da musst du mitmachen.
Naidoo hat Ihnen auch noch seinen VW-Bus als Tourbus überlassen …
Meyle: Ja, letztes Jahr hatte mein Tourauto einen Motorschaden, in der Nähe von Mannheim. Da hat mir Xavier einfach eines seiner Autos geliehen, er hat mir sogar noch neue Reifen reingelegt. Jetzt fahr ich schon ein Jahr damit rum. Nach der Fernsehsendung hab ich dann zu ihm gesagt: So, Xavier, zurückgeben kann ich dir’s nicht mehr, weil ich 50.000 Kilometer draufgeknallt hab. Also hab ich’s ihm abgekauft. Und jetzt gibt’s gerade ganz viel Leute, die Fotos von dem Bus machen wollen (lacht).
Kommt so viel Unterstützung im Musikbusiness häufiger vor?
Meyle: Nein, das ist eine extreme Ausnahme. Xavier ist ein ganz großherziger, großzügiger Mensch. Er hilft gern Menschen, die er mag und erwartet keine Gegenleistung dafür. Es gibt bestimmt zehn Musiker, die mit irgendwelchen Autos von ihm durch die Gegend fahren.
Sarah Connors Interpretation Ihres Songs „Keine ist wie du“ ist auf Platz 12 der deutschen Charts eingestiegen, Ihr Original gelangte nur auf Platz 40. Wie fühlt es sich an, wenn jemand anderes mit dem eigenen Song mehr Erfolg hat?
Meyle: Ich bin ja nicht nur Sänger, sondern auch Songwriter, und am Ende des Tages müssen meine Songs für sich stehen. Mir war das relativ klar, dass das ein Erfolg wird, wenn Sarah das Lied singt, gerade weil’s auch ihr erster deutscher Song überhaupt war. Paul Anka, der den Text für „My Way“ geschrieben hat, hat mal gesagt: Ich hab zwar das Lied für Frank Sinatra geschrieben, aber ich hätte es selbst nie so singen können, weil ich nicht das erlebt habe, was er erlebt hat. Wenn eine Identifikation mit dem Lied stattfindet, und das war ja auch bei Sarah der Fall, dann merken das auch die Zuhörer. Und ich freu mich einfach, wenn meine Songs Erfolg haben.
Wenn Sie heute noch einmal Ende 20 und unbekannt wären, gäb’s dann eine Castingshow, an der Sie teilnehmen würden?
Meyle: (überlegt kurz) Also wenn der Stefan noch mal eine machen würde, dann ja! Aber ansonsten, nee. Ich hab ja eigentlich auch nur beim Stefan mitgemacht, weil es um meine eigenen Songs ging. Das war ja das Besondere an der Sendung, dass man – das erste Mal überhaupt in einer Castingshow – eigene Songs präsentieren durfte.
Wie würden Sie denn heute versuchen, Ihre Karriere zu starten?
Meyle: Ich glaube, das, was man jungen Menschen raten kann, die Musik machen wollen, ist, üben, üben, üben und Konzerte spielen. Wenn du ein gutes Produkt machst, es dir selber gefällt und du selber an das Produkt glaubst, ist das die beste Voraussetzung. Und wenn du dann das Glück hast, dass es noch ein paar anderen Leuten gefällt, dann erspielst du dir dein Publikum. Dann spielt man erst nur für fünfzig Leute und muss alles selbst machen, aber man spielt jeden Abend seine eigene Musik. Das ist das Wichtigste. Ich glaube nicht daran, dass es in irgendeiner Art und Weise eine Referenz ist für das, was man als Musiker drauf hat, wenn man in einer Casting-Sendung mal ein Lied singt, das nicht von einem selbst ist.
Aber es fällt ja auf, auch bei Ihrem neuen Karriereschub, dass das Medium Fernsehen immer noch einen sehr großen Durchschlag hat.
Meyle: Ja, aber solche Fernsehgeschichten und auch Youtube und Vergleichbares sind kein Garant für langfristigen Erfolg. Wenn du mal Glück hast mit einem Song, den du gecovert hast, hat das nichts mit Langfristigkeit zu tun. Junge Musiker müssen hartnäckig sein, müssen spielen, müssen netzwerken, müssen sich gut selbst organisieren. Ich kenne viele Talente, die unfassbar musikalisch sind. Aber die kompletten restlichen Strukturen hauen nicht so hin. Deshalb denke ich auch darüber nach, in Zukunft junge Künstler zu unterstützen.
Ihr aktuelles Album „New York – Stintino“ ist an zwei völlig gegensätzlichen Orten entstanden. Geschrieben haben Sie die Songs in Stintino, einem Dorf auf Sardinien, eingespielt wurden die Lieder in den Avatar Studios in New York. Hat sich diese Zweiteilung zufällig ergeben?
Meyle: Die Idee dazu ist entstanden, als letztes Jahr bei dem großen Hochwasser in Bayern das Studio meines Produzenten Christian Lohr unter Wasser stand. Da haben wir alles raus- und wieder reingeräumt und dabei viele Jazzplatten gehört. Und dann hab ich gesagt, ich fänd’s toll, wenn das neue Album auch Jazzgeschichten enthält. Und der Christian meinte, wenn wir das machen, machen wir das in New York, da sind die Cracks. Christian hat das dann vermittelt, er hat zehn Jahre dort gelebt und kennt die ganzen Leute.
Und Stintino?
Meyle: Stintino ist ein kleiner Ort in Westsardinien, wo ein sehr guter Freund ein tolles Haus hat. Das ist für mich eine Art Rückzugsort, wo ich jederzeit hin kann und meine Ruhe finde. Und es ist der Ort, wo ich mich hinträume, wenn ich viel Stress habe.
Und Sie schreiben dort auch Songs…
Meyle: Ja, entspannen heißt für mich auch Songs schreiben. Ich hab dort das komplette neue Album in zehn Tagen geschrieben. Ich war letztes Jahr fast 200 Tage unterwegs, für Konzerte, Aufnahmen, Interviews, Fernsehgeschichten. Und wenn man dann noch ein paar private Tage abzieht, bleibt relativ wenig Zeit, um kreativ zu sein. Deshalb haue ich dann einfach zwei, drei Mal im Jahr ein paar Tage ab, um für mich alleine zu sein und Songs zu schreiben. Und meistens kommt dabei was raus (lacht). Eigentlich ist die Entstehung eines Albums das Schönste für mich.
Was ist Ihnen von der Zeit in New York am stärksten in Erinnerung geblieben?
Meyle: Woran ich mich sicher ewig erinnern werde, ist: Du steigst aus dem Taxi aus und gehst in das Studio, wo eine Woche vorher Paul McCartney aufgenommen hat. Dort arbeiten Grammy- und Oscar-Besitzer. Das hat man ja auch nicht allzu oft im Leben, dass sich solche Leute einen Tag lang Zeit nehmen, um deine Musik aufzunehmen. Das waren heilige zwölf Stunden für mich.
Xavier Naidoo hat Sie bei „Sing meinen Song“ den deutschen Van Morrison genannt. Bei „Hier spricht dein Herz“ klingen Sie ein bisschen wie Mark Knopfler. Mit wem würden Sie sich am ehesten vergleichen?
Meyle: Das ist schwierig. Ich hab natürlich viele Idole, wie, glaube ich, jeder Musiker. Ich liebe ganz unterschiedliche Musik, bin aber ein sehr großer Beatles-Fan. Mit Paul McCartney würde ich gerne mal ein paar Biere trinken, oder ein Weinchen (lacht). Das wäre das absolute Highlight. Und Mark Knopfler gehört für mich zu den zehn größten Gitarristen auf dieser Welt. Ich hab einfach Respekt vor so großartigen, authentischen Musikern.
[Das Interview entstand im Juni 2014.]