Herr Pasko, inwieweit leben Sie als regierungskritischer russischer Journalist mit der ständigen Angst, dass Ihnen etwas Ähnliches passieren könnte wie beispielsweise Ihrer Kollegin und Freundin Anna Politkowskaja, die im Oktober 2006 ermordet wurde?
Pasko: Jeder regimekritische Journalist würde Ihnen – wenn er ehrlich wäre – sagen, dass er mit dieser ständigen Angst lebt. Ich habe es etwas leichter, weil ich viele Ängste schon los bin…
Nachdem Sie 1997als Militärjournalist die Verklappung von Atommüll durch ein russisches Militärschiff ins japanische Meer gefilmt und damit einen Umweltskandal aufgedeckt hatten, wurden Sie wegen Landesverrats verurteilt und saßen insgesamt knapp drei Jahre im Gefängnis, sechs Monate davon in einem Arbeitslager. Inwiefern haben Sie sich als Journalist durch diese Erfahrung verändert?
Pasko: Ich arbeite heute nicht anders als früher. Ich bin mir bewusst, dass ich jederzeit Gefahr laufe, wieder ins Gefängnis zu kommen. Aber dieses Risiko nehme ich als Journalist in Kauf. Wenn sich niemand mit den Themen befasst, um die ein großes Geheimnis gemacht wird, erfährt die Öffentlichkeit nie, was dort abläuft. Und das sind immer Themen, bei denen es um viel Geld geht.
Sie beschäftigen sich zurzeit mit verschiedenen russischen Pipeline-Projekten…
Pasko: Russland realisiert derzeit einige große Projekte. In der Vergangenheit war es regelmäßig so, dass solche großen Projekte – wie zum Beispiel der Bau des Wolga-Don-Kanals – gleichzeitig zu riesigen Affären wurden. Ich interessiere mich dafür, ob sich – was den Umgang mit solchen Projekten betrifft – etwas verändert hat. Derzeit bin ich noch dabei, sehr viel zu recherchieren, doch einige Schlussfolgerungen kann ich bereits ziehen.
Welche?
Pasko: Nehmen wir das Beispiel Nord-Stream-Pipeline. Diese Pipeline wird den Deutschen ganz sicher eine Menge Gas und ein glückliches Leben bringen. Der russischen Bevölkerung hingegen wird sie weder Gas noch Glück bringen, weil die Gewinne vom Erdgasverkauf in den Taschen von einigen wenigen Menschen bleiben. Ein anderer Aspekt ist die Frage, was solche großen Projekte kosten und warum sie beim Bauen meistens immer teurer werden. Wie kann es sein, dass der Bau einer Pipeline erst zwei Milliarden kosten soll und die Kosten anschließend innerhalb kurzer Zeit auf sechs Milliarden anwachsen? Wenn es sich bei dem Geld für den Bau der Pipeline um privates Geld von Wladimir Putin, Gerhard Schröder oder Gazprom-Chef Alexei Miller handeln würde, dann würde es mich gar nicht interessieren. Aber das Geld gehört den russischen Bürgern, die Steuern gezahlt haben und denen das Geld aus der Tasche gezogen wurde. Davon erfährt niemand.
Warum berichten russische Medien nicht darüber?
Pasko: Ich habe mit vielen Journalisten aus den Städten, an denen die Pipeline entlang führt, gesprochen. Ich habe sie gefragt: Warum verdreht ihr die Tatsachen? Warum schreibt ihr nicht das, was ich mit eigenen Augen gesehen habe? Und Sie haben ehrlich geantwortet: „Wir wurden von Gazprom bezahlt…“
Wie beurteilen Sie den Zustand der Pressefreiheit in Russland heute?
Pasko: Während der sechsjährigen Amtszeit von Putin wurden 21 Journalisten ermordet und mehr als 300 Ermittlungsverfahren gegen Journalisten eingeleitet. Journalisten, die kritisch berichten, werden verprügelt oder bekommen keine Informationen mehr, ausländischen Journalisten wird die Wiedereinreise verwehrt. Wenn der Präsident oder ein anderer Vertreter des Kremls eine Pressekonferenz gibt, werden nur bestimmte Journalisten zugelassen, von denen man weiß, dass sie regierungsfreundlich berichten werden. Darüber hinaus dürfen nur Fragen gestellt werden, die vorher mit dem Pressestab des Präsidenten abgesprochen wurden.
Ich selbst habe einmal erlebt, wie mich die Nachrichtenagentur Interfax nicht an einer Pressekonferenz teilnehmen lassen wollte. Angeblich hatte ich keine Akkreditierung bei Interfax, obwohl im Gesetz für Massenmedien dort gar keine Akkreditierung vorgesehen ist. Weil ich nicht nachgeben wollte, hat man einen weiteren Grund erfunden, weshalb ich nicht zugelassen sei: Ich hätte die Nachrichten der Agentur nicht abonniert. Dazu muss ich sagen: Im letzten Jahr kostete ein solches Abo 300 Dollar pro Monat. Zu der Zeit war ich Redakteur eines Umweltmagazins und hatte nur einige wenige tausend Dollar für das gesamte Jahr…
Die jetzige Duma plant des Weiteren, das Gesetz zur freien Meinungsäußerung zu verändern. Die Rechte der Journalisten werden damit sehr stark eingeschränkt. Schon heute können Journalisten sehr schnell wegen Beleidigung oder Verleumdung von Regierungsvertretern vor Gericht gestellt werden. In 99 Prozent der Fälle bekommt die Anklägerseite Recht. In Folge dessen werden die betroffenen Journalisten verurteilt bzw. die Zeitungen, in denen ihre Artikel veröffentlicht wurden, bekommen hohe Strafen aufgebrummt, die die Existenz der Zeitungen in Frage stellen. Oppositionelle Zeitungen sind vor allem wirtschaftlich abhängig. Deswegen kann man sie sehr leicht erwürgen.
In Bezug auf die so genannten „Märsche der Nicht-Einverstandenen“ im März 2007 nannten die staatlichen Massenmedien und die offizielle Miliz-Presse eine Teilnehmerzahl von 200 Personen. Die oppositionelle und die ausländische Presse sprachen von mehreren tausend Personen.
Pasko: Die bewusste Lüge und deren Verbreitung durch die Massenmedien ist fester Bestandteil von Putins Politik! Ich nehme sehr oft an solchen Veranstaltungen teil, daher weiß ich, dass die oppositionelle Presse näher an die Wahrheit heran kommt. Für den normalen Bürger bleibt es nichts anderes übrig als die größte Zahl zu nehmen und sie durch zwei zu teilen. Das Ergebnis dessen ist der Wahrheit wahrscheinlich oft am nächsten…
Die Journalistin Elena Tregubowa, die als Kreml-Korrespondentin der russischen Zeitung „Kommersant“ arbeitete und nach Erscheinen ihres Putin-kritischen Buches „Die Mutanten des Kremls“ in Russland Berufsverbot hat, bezeichnet Russland als Diktatur. Wie würden Sie das politische System in Russland beschreiben?
Pasko: Wenn man sich eine demokratische Gesellschaft vorstellt, ist die Gesellschaft wie ein Tisch, der vier Beine hat. Die vier Beine stehen für die Merkmale einer Demokratie: Gewaltenteilung, freie Meinungsäußerung, freie Wahlen und unabhängige Gerichte. In Russland hat man diese vier Beine abgeschafft. Es gibt in keinster Weise einen Zweifel darüber, dass es im heutigen Russland überhaupt keine Gewaltenteilung gibt. Stattdessen gibt es ein zentrales Bein, eine zentrale Gewalt – also de facto eine Diktatur.
Vor kurzem wurde die Umfrage eines Forschungsinstituts veröffentlicht, bei der man festgestellt hat, dass Putin bei 80 Prozent der Bevölkerung sehr beliebt ist. 70 Prozent gaben an, dass sie, wenn heute Wahlen wären, für ihn stimmen würden.
Pasko: Ich habe selbst einmal ein Experiment gemacht, bin mit dem Taxi und der U-Bahn durch verschiedene Städte gefahren und habe die Menschen nach ihrer Meinung über Putin gefragt. Es waren deutlich weniger Menschen, die sich darüber freuten, dass Putin Präsident ist als solche Zahlen es scheinbar belegen. Es kommt nicht darauf an, wie die Zahlen aussehen, sondern, wer die Umfrage macht. An diese offiziellen Zahlen glaube ich nicht. Zudem beziehen die meisten Russen ihre Informationen aus den staatlich kontrollierten Fernsehsendern wie dem Ersten Kanal oder NTW, die nicht kritisch über Putin berichten. Putin ist ein Produkt, das durch das Fernsehen kreiert wurde. Man zeigt, wie er Ski läuft, wie er Kampfsport macht… – das alles schafft das Image von Putin. Deswegen ist er in Russland so beliebt.
Wenn man die große Zustimmung für Putin zur Kenntnis nimmt, könnte man auch denken: Viele Russen wollen gar keine Demokratie.
Pasko: Wenn die Menschen nicht wissen, was eine Demokratie ist, können sie auch nicht entscheiden, ob sie sie wollen oder nicht. Sie müssen erst einmal die Chance bekommen, es auszuprobieren. Deswegen muss man den Menschen die Möglichkeit geben, bei freien Wahlen darüber zu entscheiden.
Stellen Sie sich vor, auf dem Tisch liegen eine Banane, ein Apfel und eine exotische Frucht. Vielleicht würden Sie ja doch mal die exotische Frucht ausprobieren wollen? Vielleicht wären Sie gar nicht der Einzige, der das möchte? Möglicherweise würden es sogar viel mehr Leute wollen als man denkt…
Während der Amtszeit Putins haben sich die Lebensverhältnisse der Bevölkerung im Allgemeinen verbessert; die Löhne sind gestiegen. Lässt sich damit erklären, warum ein Großteil der Bevölkerung hinter der Regierung steht und mit seinem Präsidenten zufrieden ist?
Pasko: Die breite Masse der Bevölkerung lebt schon seit Jahrhunderten in sehr armen Verhältnissen. Und objektiv gesehen wurde das Leben in den letzten zwanzig Jahren tatsächlich besser. Die einzige Ursache, weshalb das Leben besser geworden ist und es mehr Wohlstand gibt, ist jedoch die, dass die Erdölpreise gestiegen sind. Weder unter Breschnew, Gorbatschow oder Jelzin gab es so hohe Erdölpreise wie heute. Die Erdöl-Dollars fließen in großen Strömen nach Russland. Es ist auch nicht so, dass dadurch nur eine kleine Menge von sehr reichen Leuten noch reicher geworden ist, sondern es geht auch den einfachen Menschen deutlich besser. Wenn man die Menschen befragen würde, würden 50-60 Prozent sagen: Wir wählen denjenigen, unter dem wir am besten leben können. Dabei kommen sie allerdings nicht auf die Idee, dass Putin damit gar nichts zu tun hat…
Putin hatte also einfach das Glück, dass während seiner Regierungszeit die Rohstoffpreise immens gestiegen sind?
Pasko: Ja, genau! Doch die Rohstoffe, um die es geht, haben die Eigenschaft, dass sie nicht unendlich sind. Je weniger es davon gibt, desto teurer werden sie.
Alleine der Umstand, dass die Menschen heute besser leben als gestern, ist entscheidend bei den Wahlen. Doch das ist ein Leben mit dem heutigen Tage. Wer nach vorne in die Zukunft blickt, erkennt, dass Putin der Weg in die Vergangenheit ist. Man kann auch ganz konkret benennen, was sich seit Putins Amtsantritt für die Menschen verschlechtert hat.
Was zum Beispiel?
Pasko: Die Menschen müssen ständig Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren. Zunehmend ist es der Fall, dass sie einen sicheren Arbeitsplatz nur innerhalb der staatlichen Strukturen haben und dass es schwierig ist, einen Kindergartenplatz zu bekommen. Außerdem sind die Nebenkosten für die Wohnungen gestiegen.
Laut Verfassung darf Putin bei den Präsidentschaftswahlen im März 2008 kein drittes Mal hintereinander kandidieren. Bislang hat er auch dementiert, dieses Hindernis mit einer Gesetzesänderung umgehen zu wollen. Was erwarten Sie von den Wahlen?
Pasko: Egal, wie der neue Präsident heißen wird: Er wird die gleichen Eigenschaften wie Putin haben. Er wird die gleichen Methoden verwenden und die gleichen Mittel nutzen. Putins Politik wird in jedem Fall fortgesetzt.
Warum sind Sie da sicher?
Pasko: In der Realität wird das Land, von Menschen regiert, die man nicht sieht und nicht hört. Ich kann mir sogar vorstellen, dass Putin zu diesen Menschen überhaupt nicht gehört. Es ist möglich, dass er eine Marionette in fremden Händen ist. Er ist abhängig von seiner Umgebung. An der Schaffung dieser Person sind vor allem die westlichen Politiker wie Schröder, Blair, Bush schuld. Man hat in ihm – wie Schröder es ausdrückte – einen „lupenreinen Demokraten“ gesehen und nicht auf kritische Aspekte aufmerksam gemacht.
Inwiefern hat die hohe Importabhängigkeit von russischem Erdöl und Erdgas Einfluss auf die Kritikfähigkeit der westlichen Politiker gegenüber Russland?
Pasko: Diese Frage wurde nach Schröders Abgang besonders in Deutschland sehr aktuell. Macht man sich von Russland abhängig oder nicht? Ich habe mit westlichen Politikern gesprochen, auch mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages. Weil ich verstehen wollte, wieso man sich gegenüber Putins Politik so unkritisch verhält. Es hat keiner offen gesagt, aber es liegt selbstverständlich daran, dass sowohl Deutschland als auch Italien oder England sehr stark vom russischem Erdöl und Erdgas abhängig sind. Man könnte sagen, dass die westlichen Staaten vom Nicht-Wohlstand der russischen Bevölkerung leben. Es ist allerdings sehr gefährlich in der Frage der Energiesicherheit von Russland abhängig zu sein.
Ich denke aber, dass sich Deutschland mittlerweile dafür entschieden hat, sich von Russland nicht abhängig zu machen. Inzwischen ist es so, dass Deutschland weniger als 40 Prozent Erdgas aus Russland bekommt. Für Deutschland ist Russland nicht der einzige Energielieferant. Parallel zu den Pipeline-Projekten mit Russland werden zudem heute schon auch Projekte eingeleitet, die nicht mit Russland verbunden sind.
Sie meinen beispielsweise das Nabucco-Projekt, das den Bau einer Gaspipeline von Asien über die Türkei nach Europa vorsieht…
Pasko: Richtig. Das Projekt, in das jetzt auch RWE einsteigt, soll komplett ohne russische Beteiligung realisiert werden. Deutschland fährt also zweigleisig und macht sich nicht vollständig von Russland abhängig. Putin ist von diesem Projekt sicher nicht besonders begeistert. Aber für die deutsche Politik ist es aus meiner Sicht ein sehr guter Schritt.
Ich bin mir bewusst, dass ich jederzeit Gefahr laufe, wieder ins Gefängnis zu kommen.
Was hat sich mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin an der deutschen Politik gegenüber Russland verändert?
Pasko: Sie sieht in Putin zumindest keinen „lupenreinen Demokraten“. Sie hat die Menschenrechtssituation angesprochen und sie hat sich gegenüber dem russischen Präsidenten zum Fall Chodorkowski geäußert. Auch das hat Putin sicherlich nicht besonders gefallen. Doch auch Angela Merkel ist schlussendlich nicht selbstständig genug in ihrer Außenpolitik.
Hat Putin eigentlich auch irgendetwas Positives in seiner Amtszeit vollbracht?
Pasko: Er selbst hat im April dieses Jahres aufgezählt, was in den sieben Jahren seiner Regierungszeit geleistet wurde. Erstens: Die Löhne sind gewachsen. Zweitens: Es wurden neue Gesetze zu Wald, Wasser und Boden verabschiedet. Drittens: Die Anzahl von Massenmedien ist um 40 Prozent gestiegen. Viertens: Immer mehr Menschen nutzen das Internet. Fünftens: Es wurde eine Stiftung für russische Sprache gegründet. Sechstens: Es wurden viele neue Häuser gebaut. Jetzt schauen Sie bitte auf diese Punkte! Alle diese Errungenschaften wären auch erreicht worden, wenn man überhaupt keine Regierung gehabt hätte…
Welche Chance bei der Wahl hat ein Kandidat der Oppositionsparteien?
Pasko: Es wird nicht einmal einen Kandidaten geben, auf den sich die gesamte Opposition einigt. Die Regierung hat es geschafft, die Opposition zu zersplittern und gegeneinander anzufeinden, so dass sie momentan nicht dazu imstande ist, sich zu vereinigen. Und selbst wenn es eine starke Opposition gäbe, hätte sie keine Chance bei der Wahl.
Im Dezember 2007 finden die Duma-Wahlen statt. Wie schätzen Sie die Chancen der größtenteils von der medialen Berichterstattung ausgeschlossenen Opposition hier ein?
Pasko: Die jetzige Regierung hat einige Gesetze geändert, die es der Opposition unmöglich machen, bei den Wahlen erfolgreich zu sein. Zum Beispiel wurde die Bedingung aufgestellt, dass eine Partei nur dann als solche akzeptiert wird, wenn sie mindestens 50.000 Mitglieder und eine Parteivertretung in mindestens 50 Regionen hat. Zudem wurde die Hürde, die eine Partei überschreiten muss, von fünf auf sieben Prozent angehoben. Die oppositionellen Parteien haben jedoch im besten Fall die Chance, vier Prozent der Stimmen zu bekommen. Also werden es voraussichtlich nur die zwei Parteien, die von der Regierung unterstützt werden, schaffen, über diese Hürde kommen. Damit niemand aus dem Ausland Russland vorwerfen kann, Gesetze zu verletzen, versucht die führende Regierung auf diese Weise, ihre Schritte zu legitimieren. Sie wird nicht auf ihre Macht verzichten.
Wie kann die Opposition denn überhaupt etwas erreichen?
Pasko: Die Opposition sollte unters Volk gehen und sich anhören, was die einfachen Menschen denken. Irgendwann wird dann aus dem Volk eine Führungspersönlichkeit herauskommen. Ich hoffe, dass irgendwann jemand neue wirtschaftliche Konzepte mit sich bringt und es schafft, der Bevölkerung zu verdeutlichen, dass das Volk wieder ärmer wird, wenn man nicht auf neue Konzepte setzt. Man wird früher oder später an der Wirtschaft erkennen, dass die Politik in die falsche Richtung geht. Es wird sich zeigen, dass die jetzige Regierung dabei ist, die Wirtschaft in den Ruin zu treiben.
Russland wird derzeit mehr und mehr zum ´Rohstoffland´. Es gibt kaum verarbeitende Industrie, die Rohstoffe wie Erdöl oder Holz verarbeitet. Auch in Russland sind die Rohstoffvorräte begrenzt und man kann ziemlich genau sagen, wann sie aufgebraucht sein werden. Die Uranvorräte reichen zum Beispiel bis zum Jahr 2015. Ich denke, dass dies die politische Richtung beeinflussen wird. Allerdings wohl weder heute noch morgen. Ich denke, die Situation wird sich ändern, wenn die Öffentlichkeit weiß, was die Regierung will. Solange den Menschen nicht klar ist, wohin sie steuert und was sie überhaupt will, wird sich auch nichts verändern.
Woher soll die Bevölkerung wissen, wohin die Regierung das Land steuert, wenn sie von den größtenteils staatlich kontrollierten Medien nicht aufgeklärt wird?
Pasko: Woher weiß ich auch nicht. Da es in Russland so gut wie keine unabhängigen Medien mehr gibt und die wenigen, die es gibt, einen so geringen Einfluss auf die Bevölkerung haben, bleibt zurzeit nur die Hoffnung auf das Internet und auf westliche Medien.
Echo Moskwy ("Echo Moskau") gilt als der einzig verbliebene Radiosender, der noch nicht vom Kreml kontrolliert wird. Warum existiert er noch?
Pasko: Dieser Sender existiert, weil es ihm erlaubt wird zu existieren. Damit die Regierung etwas vorweisen kann, wenn die Frage aufkommt, ob es in Russland unabhängige Medien gibt.
Es gibt mit der „Nowaja Gazeta“ auch eine freie Zeitung. Aber es gibt keinen Fernsehsender, der wirklich kritisch berichtet. Das wäre auch zu viel des Guten, denn der Großteil der Bevölkerung wird über das Medium Fernsehen erreicht und damit manipuliert.
Inwiefern kann das Internet für Aufklärung bei der russischen Bevölkerung sorgen?
Pasko: Nach offiziellen Statistiken gibt es 25 Millionen Internetnutzer in Russland. Wahrscheinlich sind es aber eher weniger. Jeder, der dort nach Informationen sucht, findet sie auch. Doch die Regierung sucht schon nach Methoden, um auch das Internet unter staatliche Kontrolle zu bekommen.
Erwarten Sie, dass dies passiert?
Pasko: Ja. Das Beispiel China ist da sehr bezeichnend.
Inwieweit können Sie sich im Moment mit anderen oppositionellen Journalisten über das Internet austauschen und Netzwerke bilden?
Pasko: Mit anderen Journalisten kommuniziere ich eigentlich nur über das Internet. Im Moment ist das noch möglich. Aber natürlich besteht die Gefahr, dass der russische Geheimdienst FSB mitliest. Es gibt ein russisches Sprichwort, das heißt: Was zwei Leute wissen, das weiß auch ein Schwein…
In Russland gibt es zahlreiche Journalisten, die mit der Regierung zusammenarbeiten und als ´Imagemaker´ für sie tätig sind. Wieso lassen sich so viele russische Journalisten von Putin missbrauchen?
Pasko: Jeder einzige hat die Wahl, zu entscheiden, für wen er arbeitet. Viele haben jedoch Angst, ihren hohen Lohn zu verlieren oder unbeliebt zu werden und dann im Gefängnis zu landen. Oder sie leben mit der ständigen Angst, verhaftet oder gar ermordet zu werden, wenn sie nicht so funktionieren, wie es Putins Regierung will. Es gibt in Russland aber auch sehr viele gewissenhafte, kritische Journalisten, die aber leider sehr beschränkte Möglichkeiten haben, ihre Artikel zu publizieren. Ich sollte zum Beispiel für eine Zeitung einen Artikel schreiben und als der Artikel fertig war, wollte die Zeitung ihn auch drucken – aber nur unter einem Pseudonym. Sie wollte sich selbst beschützen, da ich einen ‚gefährlichen’ Namen habe. Damit war ich aber natürlich nicht einverstanden. Ich finde, dass ich es verdient habe, meine Überlegungen, meine Gedanken auch mit meinem eigenen Namen unterschreiben zu dürfen.
Wer kann Druck auf die russische Regierung ausüben?
Pasko: Der erste Mensch, der gezeigt hat, dass er mit dem Kurs von Putin nicht einverstanden ist, war Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowski. Er war der Erste, der öffentlich Kritik daran geübt hat, dass sich die Regierung regelmäßig in die Privatwirtschaft einmischt und versucht, die Unternehmen dazu zu bringen, nach ihren Regeln zu spielen. Chodorkowski sitzt heute im Gefängnis. Wer sich gegen den Kurs der Regierung wehrt, begibt sich in große Gefahr. Der Fall Chodorkowski hat sehr gut die Natur der heutigen Bedingungen gezeigt. Wo Stalin und Breschnew noch eine Ideologie hatten, geht es der heutigen Regierung ausschließlich darum, Geld zu verdienen.
Welche Rolle spielen die Oligarchen im heutigen Russland noch?
Pasko: Nach der Verhaftung von Chodorkowski rufen sie nur noch Gefühle des Mitleids und des Ekels bei mir hervor. Wie Soldaten wurden sie in eine Reihe gestellt und machen das, was man ihnen aus der unsichtbaren Umgebung von Putin sagt.
In Ihrem Gefängnistagebuch „Die rote Zone“ schildern Sie sehr eindringlich Ihre Erlebnisse im russischen Gefängnis und lassen den Leser an Ihren Gedanken, die Sie sich während dieser Zeit gemacht haben, teilhaben. Wie präsent ist die Haftzeit heute noch in Ihrem Kopf und inwiefern spielt sie in ihrem Alltag eine Rolle?
Pasko: Ein russisches Gefängnis ist eine sehr harte Erfahrung. Doch ich hatte gegenüber jemandem wie Chodorkowski den Vorteil, dass ich durch die Armeeschule gegangen bin, dass ich lange beim Militär war und auch, dass ich Journalist bin. Deshalb war ich es gewohnt, jeden Tag mit zehn bis zwanzig Leute aus ganz verschiedenen Milieus zu verbringen. Natürlich habe ich die ersten eineinhalb Monate gedacht: Wo bin ich hier eigentlich? Dann sagte ich mir jedoch: Es ist eine neue Aufgabe, etwa so wie eine neue Dienstfahrt.
Ich habe angefangen zu schreiben, Tagebücher zu führen und die Zeit dazu zu nutzen, viel über das Gefängnis zu erfahren, viel zu verstehen, mit anderen Leuten zu sprechen. Da ich immer wieder von Zelle zu Zelle verlegt wurde, habe ich immer wieder neue Leute kennen gelernt. In dem Lager, in dem ich war, gab es keine anderen politischen Gefangenen, überhaupt keine die eine Hochschulbildung hatten. Es war eine Kolonie, wo Schwerverbrecher untergebracht waren.
Im Endeffekt ist es so, dass die Gefängniserfahrung wie jede andere Erfahrung bei mir bleibt. Allerdings würden manche Menschen, mit denen ich mich unterhalte, heute nie ahnen, dass ich im Gefängnis war. Ich erkenne das während eines Gesprächs mittlerweile bereits nach zehn oder zwanzig Minuten. Man kann sagen, dass die gesamte Geschichte des russischen Staates auch eine Geschichte der russischen Gefängnisse ist!
Inwiefern?
Pasko: Jeder vierte Bürger in Russland bzw. in der ehemaligen Sowjetunion hat eine direkte oder indirekte Beziehung zum Gefängnis. Entweder war man selbst im Gefängnis oder der Verwandte oder der Bekannte oder der Bekannte vom Bekannten. Die letzte Statistik über die Anzahl der Gefangenen in Russland ist vom 1. Januar 2007. Demnach gibt es 900.000 Gefangene in Russland – unter Jelzin waren es nur 700.000 Gefangene. Jelzin hat Gefängnisse und Lager schließen lassen. Unter Putin hingegen wurden die geschlossenen wieder aufgemacht, darüber hinaus wurde mit dem Bau von neuen angefangen. In Russland stellt man sich nicht die Frage, ob man irgendwann im Gefängnis landet, sondern man fragt sich: Wann lande ich im Gefängnis? Politische Gefangene gab es lange nicht. Seit Putin an der Macht ist, gibt es sie wieder und ihre Situation ist noch schlechter als bei Stalin und Breschnew. Unter Putin werden sie zusammen mit Verbrechern eingesperrt und auch als solche behandelt. Dass es Gefängnisse gibt, ist allerdings nicht das Problem, sondern vielmehr die Tatsache, dass es keine unabhängigen Gerichte gibt, was man daran sieht, dass beim Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte mehr als 7000 Gerichtsverfahren laufen, die von mehr als 10 000 russischen Bürgern beantragt wurden. Auch die EU-Kommission und Straßburg wenden sich immer wieder an Russland und fordern die Einführung eines besseren Rechtssystems. Nun hat sich Russland überlegt, wie man auf diese Vorschläge reagieren kann und arbeitet jetzt an einem Gesetz, das es den Bürgern verbieten soll, sich an das Straßburger Gericht zu wenden.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie zwischenzeitlich auch ans Aufgeben dachten. Ganz offen sprechen Sie von Ihren Selbstmordgedanken…
Pasko: Ich habe von Menschen aus aller Welt zehntausende von Briefen erhalten. Im Endeffekt muss man ein Idiot sein, wenn man sich bei einer so starken Unterstützung selbst aufgibt.
Der dritte Teil Ihres Buches, der den letzten Abschnitt Ihrer Haftzeit im Arbeitslager thematisiert, wurde in Russland gar nicht veröffentlicht. Die ersten beiden Teile hingegen erschienen bereits im Jahr 2000 unter einem anderen Titel auch in Russland. Welche Art von Reaktionen haben Sie damals auf Ihr Buch erhalten?
Pasko: Das Problem war, dass das Buch beim Leser gar nicht angekommen ist. Auf dem Weg von der Druckerei sind die Bücher verschwunden. Nur einige Exemplare haben ihre Leser gefunden, daher gab es kein großes Echo.
Was konkret haben Sie damals mit der Aufdeckung des Skandals eigentlich erreicht?
Pasko: Fakt ist, dass Russland aufgrund meines Films damit aufgehört hat, Atommüll in die Meere zu schmeißen, nachdem das 30 Jahre lang gemacht worden ist. Dass man Atommüll heute nicht mehr einfach so ins Meer kippen kann, reicht mir, um zu sagen, dass ich meine journalistische Aufgabe erfüllt habe.
Wie schwer war es für Sie, nach der Haftzeit ins normale Leben zurückzufinden?
Pasko: Wenn ich keine Unterstützung gehabt hätte, vor allem von meiner Ehefrau, dann hätte diese Rückkehr ins normale Leben viel länger gedauert. Das ist wie mit einer Krankheit: Wenn man sich alleine behandelt, dauert es länger, als wenn man von einem professionellen und vor allem sehr guten Arzt behandelt wird – ich hatte zum Glück einen sehr guten Arzt… Was ich jedoch immer wieder an mir selbst bemerke, ist die Tatsache, dass ich mir aus der Gefängniszeit viele schlechte Dinge eingeprägt habe: Manche Wörter, manch schlechtes Benehmen.
Wie ging es nach der Haft für Sie journalistisch weiter?
Pasko: Nach meiner Freilassung habe ich eine Stelle bei einer Zeitung bekommen, die ab diesem Zeitpunkt fast täglich Besuch von der Steuerpolizei, dem Staatsanwalt oder der Feuerwehr bekam. Ich musste Wladiwostok dann schließlich verlassen und seit dem lebe ich in Moskau.
Was haben Sie für Ziele für die Zukunft? Was wollen Sie als Journalist noch erreichen?
Pasko: Wenn ich einen festen Job hätte, könnte ich sagen: Ich mache jetzt mal das und danach mache ich dann mal das. Aber da dies bei mir nicht der Fall ist, kann ich nicht allzu weit im Voraus planen. Im Rahmen meiner Tätigkeit als Blog-Korrespondent ist es in jedem Fall mein Wunsch, weiterhin viele spannende Projekte realisieren zu können.
Glauben Sie, dass der FSB Sie auch heute noch beobachtet?
Pasko: Es gibt verschiedene Arten der Beobachtung – sehr genaue oder weniger genaue. Eine Möglichkeit ist, dass geguckt wird, wie sich jemand innerhalb des Landes bewegt. Die zweite, dass zusätzlich genau verfolgt wird, welche anderen Länder jemand bereist und wo er welche Art von Vorträgen hält.
Bei mir ist es so, dass zum Beispiel ein Großteil der Briefe und Päckchen, die ich bekomme – vor allem diejenigen aus dem Ausland – geöffnet ankommen. Die Frauen bei der Post sind es schon müde, sich jedes Mal dafür zu entschuldigen… Von daher bin ich sicher: In irgendeiner Art und Weise werde ich in jedem Fall beobachtet. Aber unter welcher Beobachtungsstufe ich stehe, interessiert mich nicht. Es ist auch egal.
Lieber Grigori Pasko,
perfer et abdura !
Das sei Dir langzeitlich gewünscht …
Hammer!