Gustav Horn

Die Wertschöpfung ist allein bei den oberen Einkommen gelandet.

Gustav Horn über Steuergerechtigkeit, Schuldenkrise und die Finanztransaktionssteuer

Gustav Horn

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Herr Horn, die Bevölkerung ärgert sich ja immer wieder über Boni, hohe Gehälter und Abfindungen für Manager. Hat es das aber nicht schon immer gegeben?
Horn: Im Prinzip hat es immer schon Unterschiede gegeben, aber sie waren selten so groß wie jetzt. Das hat sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren massiv auseinanderentwickelt. Diejenigen, die vorher schon im oberen Einkommenssegment waren, haben sich noch weiter von den mittleren und vor allem von den unteren Einkommen entfernt.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass weite Kreise der Bevölkerung schon seit Jahren vom Wohlstandszuwachs ausgeschlossen sind. Woran bemessen Sie das?
Horn: Wir haben in Deutschland ein Wachstum gehabt, es ist eine Wertschöpfung entstanden. Wenn man sich anschaut, wo sie geblieben ist, dann muss man sagen: nicht bei den unteren Einkommen. Die haben sogar verloren. Die mittleren haben sich in etwa so gehalten. Die Wertschöpfung ist allein bei den oberen Einkommen gelandet.

Wie kam das?
Horn: Es sind eine Reihe von Gründen. Die Beschäftigten sind durch die Arbeitsmarktpolitik sehr unter Druck gesetzt worden, Stichworte Hartz IV und Ausweitung der Leiharbeit. Die Lohnsteigerungen für Beschäftigte fielen eher schwach aus, besonders im Dienstleistungsbereich. Da war die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften besonders in Ostdeutschland gering. Umgekehrt hat es auch damit zu tun, dass Leute, die sehr spezielle Tätigkeiten machten, zum Beispiel im Finanzsektor, extrem hohe Bonuszahlungen bekommen haben.

Der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft werde durch das Auseinanderklaffen der Einkommen immer brüchiger, warnen Sie. Welche Folgen befürchten Sie?
Horn: Wenn sich die Einkommen so unterschiedlich entwickeln, entstehen unterschiedliche Wertvorstellungen. Das schafft Probleme. Meine größte Sorge ist allerdings eine andere, eine ökonomische: Die Leute, die viel Geld haben, müssen es ja irgendwo anlegen. Sie neigen zunehmend auch zu riskanten Anlagen, weil der einzelne Euro nicht mehr so wertvoll für sie ist. Das ist ein relevanter Geldstrom und eine der Quellen, aus der sich diese Finanzkrisen speisen.

Im Zusammenhang mit Griechenlands Schuldenkrise heißt es, das Land habe über seine Verhältnisse gelebt. Auch von Deutschland wird das behauptet. Können Sie das nachvollziehen?
Horn: Bei Deutschland war das definitiv nicht der Fall. Wir hatten Überschüsse in der Leistungsbilanz. Die  haben wir im Ausland angelegt. Deshalb trifft uns die Schuldenkrise auch sehr hart, weil wir als Gläubiger davon betroffen sind. Wenn man sich die Ausgabensteigerung des deutschen Staates ansieht, war sie sehr gering. In den Jahren vor der Krise etwa 1,4 Prozent pro Jahr. Das ist real sogar ein leichter Rückgang, wenn man die Preissteigerung abzieht, und es war viel weniger als in allen anderen Ländern mit Ausnahme von Japan. Der Staat hat in Deutschland kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmeproblem. Denn seit Ende der 1990er Jahre wurden immer wieder die Steuern gesenkt, und dadurch ist die Einnahmebasis stark zusammengeschrumpft.

In letzter Zeit haben sich einige Vermögende zu Wort gemeldet, die gern mehr Steuern zahlen würden. Gibt es über diese Einzelstimmen hinaus Untersuchungen zur Zahlungsbereitschaft der Reichen?
Horn: Mir ist das nicht bekannt, dass es eine systematische Untersuchung gäbe. Es geht ja außerdem um eine wirklich gesellschaftspolitische und verteilungspolitische Frage: Wie viel wollen wir, dass jeder von seinem Einkommen an die Allgemeinheit abgibt? Das ist eine Frage, die es im Bundestag zu entscheiden gilt. Das kann nicht davon abhängen, ob jemand bereit ist, mehr zu zahlen.

Steuergerechtigkeit ist vom Grundgesetz gewollt. Welche Modelle schlagen Sie vor?
Horn: Steuergerechtigkeitsfragen sind immer Streitfragen, über die man lange diskutieren kann. Aber aus meiner Sicht sollten diejenigen, die ein hohes Einkommen und ein hohes Vermögen haben, überproportional zum Steueraufkommen beitragen. Das spricht dafür, den Spitzensteuersatz nach oben zu bewegen. Es spricht auch für eine Vermögensbesteuerung und vor allem eine Besteuerung von Finanztransaktionen. Sie werden ja im Gegensatz zu realen Transaktionen, die wir im Lebensmittelgeschäft machen, überhaupt nicht besteuert.

Von einer Finanztransaktionssteuer war schon lange die Rede, kürzlich hat die EU-Kommission sie ihren Mitgliedsstaaten vorgeschlagen. Warum erst jetzt?
Horn: Es wurden immer wohlfeile Entschuldigungen gesucht, dass alle mitmachen müssten, damit die Steuer überhaupt effektiv wird. Das stimmt aber nicht. Wenn allein die Länder der EU oder auch nur der Europäischen Währungsunion es jetzt machen würden, wäre das ein klares Signal. Ausweichen in andere Länder kostet ja auch Geld, und Sie können den Europäischen Markt nicht einfach vernachlässigen. Wenn dann alle, die Risiken suchen, ausweichen, dann soll es so sein, dann haben diese anderen Länder auch die Probleme der nächsten Finanzmarktkrise.

Apropos ausweichen: Laut dem noch nicht in Kraft getretenen Abkommen mit der Schweiz soll Schwarzgeld ab 2013 besteuert werden. Die Schweizer würden die Abgaben an den deutschen Fiskus überweisen. Was halten Sie von der Vereinbarung?
Horn: Wenig. Man darf ja nicht vergessen: Diejenigen, um die es hier geht, haben Steuern hinterzogen. Etwas, das jedem Arbeitnehmer nahezu unmöglich  ist. Mit ihnen geht man sehr großzügig um. Es dient sicherlich nicht dem Rechtsfrieden, wenn diejenigen, die sich offenkundig strafbar gemacht haben, die offenkundig über viel Geld verfügen, mit besonderer Milde behandelt werden.

Wie liegt Deutschland im internationalen Vergleich? Zahlen Gutverdiener bei uns relativ wenig Steuern?
Horn: Die Deutschen sind bei der Besteuerung unterdurchschnittlich. Allerdings zahlen wir relativ hohe Sozialabgaben. Das ist in anderen Ländern anders, in denen die Sozialleistungen steuerfinanziert sind. Darum sind die Steuern dort höher und ein Vergleich ist nur bedingt aussagefähig. Aber insgesamt ist die Abgabenbelastung in Deutschland nicht besonders hoch.

Wie viel würden höhere Steuern für Gutverdiener oder die Wiedereinführung der Vermögensteuer bringen?
Horn: Die Anhebung des Spitzensteuersatzes brächte so um die fünf Milliarden Euro. Bei der Vermögenssteuer hängt es natürlich davon ab, wie man die Sätze festlegt und wie man die Vermögensarten besteuert. Da können schnell zehn, fünfzehn Milliarden zusammenkommen, und bei der Finanzmarkttransaktionssteuer noch so ein Betrag. Zusammen ist das über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts und schon eine relevante Größe.

Was sollte man damit anfangen?
Horn: Erstmal muss der Staat überhaupt auf eine solide Finanzbasis gestellt werden, damit wir ihn über die Konjunkturzyklen hinweg und vor dem Hintergrund der Schuldenbremse finanzieren können. Das ist im Moment noch nicht der Fall. Wir brauchen, ohne dass wir Staatsausgaben in irgendeiner Form ändern, höhere Einnahmen, sonst kommen wir einfach nicht hin. Und was dann übrig bleibt, muss man in investive Bereiche stecken, das heißt Bildungssystem, das heißt Energiewende. Da werden sicher erhebliche Beträge fällig werden.

Abgesehen von den Steuern: Wie sollte man der Umverteilung von unten nach oben entgegenwirken?
Horn: Das Wichtigste ist natürlich, dass man auf dem Arbeitsmarkt wieder faire Verhältnisse einkehren lässt. Das heißt, das Ausbüxen aus Tarifverträgen zu verhindern. Und man muss einen Mindestlohn einführen, um die skandalös niedrigen Löhne zu bekämpfen. Das hilft ja schon einer Menge Leuten und es hilft auch dem Staat selbst. Er profitiert am meisten davon, weil er die Löhne nicht mehr mit  Sozialleistungen aufstocken muss.

Gustav A. Horn leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. 2008 inmitten der Finanzkrise wurde Horn von der Financial Times Deutschland als „Prognostiker des Jahres" ausgezeichnet. Kürzlich erschien sein mehr

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