Henning und Stephan, wenn man wie ihr nach einer langen Studiopause von fünf Jahren neue Songs aufnimmt, welche Rolle spielt dann der aktuelle Rocksound, also das, was heute an Rockmusik im Radio gespielt wird?
Henning Wehland: Ich habe häufig den Fehler gemacht, dass ich dachte, unsere Musik muss jetzt so klingen, wie das, was gerade angesagt ist. Für mich hat Rockmusik immer den Anspruch, dass sie auf einem bestimmten Niveau sehr ehrlich und bedingungslos ist. Wenn man sich zum Beispiel eine Band wie Volbeat anhört, das ist weit davon entfernt, wahnsinnig neu zu sein, aber es ist eben sehr frisch gespielt. Und plötzlich reden Leute von einem neuen Metal-Wunder und sagen „so muss moderne Rockmusik klingen“. Das hat etwas mit Energie zu tun. Und bei uns war die entscheidende Frage: Haben wir die Energie, zusammen Musik zu machen und hört man diese Energie auch in den Stücken? Wir für uns haben diese Frage positiv beantwortet.
Woher kommt die Frische, die Energie?
Wehland: Das kann man schwer erklären. Grundsätzlich ist es der Moment, der stimmen muss…
Stephan Hinz: Wichtig ist, dass man eine Umgebung schafft, in der sich alle wohlfühlen, in der alle Spaß daran haben, Musik zu machen. Am besten ohne große Hintergedanken, wo das jetzt alles hinführen kann und ohne irgendwelche Vorsätze, die einen einengen. Wenn man sich zu viele Gedanken macht, wie das klingen soll und man Angst vor irgendwelchen Erwartungshaltungen von außen hat, dann sind das Faktoren, die das Ganze negativ beeinflussen können. Bei uns war das aber nicht der Fall, wir waren im Studio relativ locker und das hört man glaube ich auch.
Welche Rolle spielt das Älterwerden für euch als Rockmusiker?
Wehland: Mit dem Alter hat das relativ wenig zu tun, aber natürlich mit Erfahrungen die man sammelt, und je älter man wird, desto mehr Erfahrungen sammelt man.
Ich glaube, dass wir schon immer sehr leidenschaftlich dabei waren, jeder einzelne für sich, auf der Bühne sieht man das glaube ich auch, wie das funktionieren kann, dann multiplizieren wir uns.
Funktioniert es immer?
Wehland: Ich selbst bin mit meinem Emotionen und Leidenschaften manchmal schwer zu ertragen, weil nicht immer nachvollziehbar ist, wo ich gerade hin will – das macht den Prozess der Zusammenarbeit manchmal schwierig für mein Umfeld. Ich glaube, dass das auch ein Teil der Probleme war, die wir in der Vergangenheit gehabt haben, den richtigen Fokus zu finden. Da hat wahrscheinlich jeder seinen Teil zu beigetragen – und jetzt war es so, dass keiner von uns sich vorwerfen lassen wollte, derjenige zu sein, der verhindert, dass es nochmal funktionieren könnte. Und ich bin seit 20 Jahren der Überzeugung, dass es nochmal irgendwie klappen muss.
Inwiefern klappen?
Wehland: Ich meine damit nicht nur den kommerziellen Erfolg, sondern dass man einfach alles richtig gemacht hat und sich nichts vorzuwerfen braucht. Wir haben jetzt ein so geiles Setup gefunden, das ist eine Form von Bekenntnis, die für unsere Musik extrem wichtig ist.
Weil wir den Leuten jetzt eben nicht das neue, geile Casper-Album präsentieren können, wir sind auch nicht Linkin‘ Park – die für mich im Prinzip die Bon Jovi von heute sind… Wir sind halt ständig auf der Suche. Und letzten Endes war die Quintessenz, dass unser Produzent gesagt hat: „Ihr müsst versuchen, die Energie, die ihr auf der Bühne habt, in eine CD zu investieren.“
Ich glaube, dass wir live extrem große Qualitäten haben, dass wir eine bestimmte Energie auf der Bühne haben, die dem ein oder anderen Album in der Vergangenheit gefehlt hat. Und ich glaube, dass diese Energie jetzt wieder da ist.
Was meinst du, wenn du von Bon Jovi sprichst, Kommerzialität?
Wehland: Ich glaube, dass er seine Energie darein investiert hat, sehr klare Statements zu finden, sehr klare Hooklines – so wie sich das unsere frühere Plattenfirma auch von uns gewünscht hat. Aber wir sind keine Hit-Produzenten, wir sind keine Hit-Band, sondern bei uns zählt die Energie und die Gesamtheit.
Am Ende ist es wichtig, dass dir die Fans das abnehmen. Egal ob sie die aktuelle Platte mögen oder nicht, das größte Kompliment ist für mich immer, wenn Leute über die Musik sagen: „Man hört, dass das H-Blockx ist und man hört, dass ihr Spaß bei der Produktion gehabt habt.“
Aber eure frühere Plattenfirma wollte nicht mit in die Richtung, in die ihr musikalisch wolltet.
Wehland: Wir haben 1991/1992 mit den Produzenten Peter Meisel und George Glueck zusammengearbeitet. Zu der Zeit war deutschsprachige Musik ganz klar im Kommen, deutscher HipHop ist aufgelebt – da wurde alles vom Fleck weg gesignt was irgendwie deutschsprachig war, und im besten Fall etwas mit HipHop zu tun hatte. Genau in diese Phase sind wir mit unserer Musik gekommen. Und das einzige Alleinstellungsmerkmal, das wir damals für unsere Plattenfirma hatten, war, dass sie so einen Sound, wie wir ihn gespielt haben, noch nicht kannten. Wir kamen plötzlich mit Songs und einem Video auf dem Markt, wo die Leute nicht genau wussten, was sie damit anfangen und wie sie es einordnen sollen („Risin‘ High“ und „Move“). Das war ein Phänomen, was aber auch irgendwann vorbei war, wir wollten dann nicht mehr diesen typischen Crossover-Stempel tragen und haben uns in Richtung einer Punk- oder Rockband entwickelt. Uns fehlt halt dieses klare Alleinstellungsmerkmal, und wenn man das nicht hat muss man kompositorisch versuchen, Hörgewohnheiten zu treffen, sich dem Radio anbiedern oder Ähnliches. Und das kann Bon Jovi wesentlich besser als H-Blockx, glaube ich.
Unsere damalige Plattenfirma meinte dann irgendwann zu unserer Musik: „Es ist keine Single da.“
Für einen Musiker ist das sicherlich frustrierend.
Wehland: Es ist einerseits frustrierend, wenn du merkst, dass die Plattenfirma dich nicht versteht – andererseits wusste ich teilweise selbst nicht, was ich will. Und dann hast du ein Problem, weil dann kriegst du die ganze Zeit Kritik zu hören, deinem Gegenüber fehlt was – aber du weißt nicht, ob du ihm das liefern willst und kannst.
Das Setup, das wir jetzt haben, ist genau so, wie wir es wollen – und bei unserer jetzigen Plattenfirma gab es Leute, die gesagt haben: „Finden wir gut, machen wir mit.“
Henning, du sprachst vorhin davon, die Energie vom Live-Auftritt auf ein Album zu bringen. In welchem Verhältnis stehen bei euch die Konzerte und Studioproduktion?
Hinz: Wir haben extrem drauf geachtet, dass alles im Trio spielbar ist. Das ist in alter Van Halen-Tradition gehalten. Es ist alles zu dritt spielbar und genauso bringen wir es auf die Bühne. Da muss man halt nicht die Show absagen, nur weil ein Laptop abgestürzt ist. Diese Ursprünglichkeit war uns sehr wichtig.
Es läuft aber auch mal eine Spur ein Synth mit, wir spielen auch zum Click-Track.
Ohne das Metronom im Ohr geht es nicht?
Hinz: Das ist eine Entscheidung, was man möchte, das ist durchaus eine Generationsfrage und hängt auch davon ab, aus welcher Richtung du kommst.
Ich arbeite öfter mit Jazz-Musikern zusammen – die hassen Click-Track wie die Pest, weil sie dadurch in ihrer Freiheit eingeschränkt sind. Wir sind aber letztendlich eine Rock- oder Popband, die den Song eben so spielt, wie man ihn kennt, maximal in der Mitte kommt ein Mitmachteil fürs Publikum, wo man dann interagiert. Ansonsten ist diese Art von Musik genau dann besonders gut, wenn sie tight serviert wird – deswegen haben wir uns für den Click-Track entschieden und wir fühlen uns wohl damit.
Wir sind keine Hit-Produzenten, wir sind keine Hit-Band, sondern bei uns zählt die Energie und die Gesamtheit.
Der Graf von Unheilig sagte uns in einem Interview, dass viele Zuhörer heute erwarten, dass eine Band live genauso klingt wie auf CD. Würdet ihr dem zustimmen?
Wehland: Im schlimmsten Fall ist das so, dass die Leute es live wollen wie auf CD. Ich will es andersherum, also dass die CD so klingt, wie die Band live ist.
Hinz: Das kommt ganz stark auf die Klientel an. Ich glaube, die Leute, die Unheiligs Musik hören, die erwarten das. Es ist ja oft so, dass der normale Hörer gar nicht weiß, welcher Sound jetzt woher kommt. Es gibt auch immer noch Leute, die glauben, bei „Wetten Dass…?“ spielt die Band live, weil ein Kabel in der Gitarre steckt.
Auf der anderen Seite ist es bei einem Rockpublikum oft so, dass die es gerne haben, wenn es live eben anders ist als auf der CD, wenn es rauer, mächtiger und rotziger daherkommt.
Nun engagiert ihr euch aktuell für die GEMA, im Rahmen der Aktion „Musik ist uns was wert“. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Wehland: Im Prinzip geht es um eine Aufmerksamkeitskampagne, eine Image-Kampagne, damit die Leute verstehen, was und wer die GEMA eigentlich ist und wofür die GEMA da ist. Denn das Einzige was ich momentan sehr häufig höre, ist, dass die GEMA ein schlimmer Verein sei, der dafür sorgt, dass Charity-Projekte nicht stattfinden, Veranstalter pleite gehen und dass man im Kindergarten keine Lieder mehr singen darf.
Warum ich mich engagiere? Zum Einen bin ich ein großer Freund davon, dass das Bessere immer der Feind des Guten ist, und die Leute, die sich beschweren aber trotzdem in der GEMA bleiben und gutes Geld kassieren, die kann ich ehrlich gesagt nicht ernst nehmen. Es gibt viele, die sich nicht engagieren, aber sich trotzdem die ganze Zeit beschweren, wie scheiße der Laden ist. Dabei besteht die GEMA aus Urhebern, die für Urheber kämpfen.
Es steht aber auch ein Riesenapparat dahinter, der Geld kostet, der auch aus den GEMA-Einnahmen bedient werden muss. Häufig zieht sich die GEMA dann eine schlechte Lobby zu, indem sie irgendwo hingeht und sagt: „In deiner Kneipe läuft ein Radio, also musst du jetzt GEMA zahlen.“ Das finden die meisten Leute natürlich doof. Tim und ich haben selber Kneipen gehabt, in denen Musik lief und sicher ist es unangenehm, wenn dann eine GEMA-Abrechnung kommt.
Hinz: Damals war das vergleichsweise albern, was da gefordert wurde. Die Tarife haben sich in den letzten Jahren potenziert, gerade im Veranstaltungsbereich. Diese rasante Entwicklung hat in den letzten Jahren ja auch zum Unbehagen und Ungemach geführt.
Seht ihr denn eine Berechtigung für die Tariferhöhungen der GEMA?
Wehland: Ja und nein. Ich habe nicht den kompletten Durchblick, was die aktuellen Tarife anbelangt.
Es gibt Veranstalter, die in Bezug auf die für 2013 geplante Tarifänderung der GEMA von einer Kostensteigerung von bis zu 500 Prozent sprechen.
Wehland: Es gibt aber auch Veranstalter, die durch die Diskotheken ziehen und die GEMA-Gebühren dem Inhaber der Kneipe überlassen, aber eben selbst Eintrittsgelder abziehen und DJs auflegen lassen, die Musik anderer Künstler spielen und damit wahnsinnig viel Geld verdienen. Das tun sie mit Dingen, die nicht ihnen gehören, sie verdienen Geld mit einer Idee, die nicht von ihnen selber stammt. Das heißt, man muss im Prinzip – wie bei jeder anderen Erfindung auch – Lizenzen zahlen. Das ist ganz normal. Nur ist es bei Musik viel schwieriger zu organisieren, weil Musik sich viel schneller verbreiten lässt, heute vor allem noch schneller als vor 20 Jahren. Es muss ein System geben, mit dem das Recht der Urheber im Bereich Musik in irgendeiner Form geschützt wird.
Aber nochmal zu der angesprochenen Tariferhöhung, hat die in euren Augen eine Berechtigung?
Wehland: Die wird ja beschlossen, bei den GEMA-Vollversammlungen. Und jeder, der sich darüber aufregt und selbst Mitglied der GEMA ist, den ich aber nicht bei den Vollversammlungen sehe, dem sage ich: Sieh zu, dass du zu den Vollversammlungen kommst. Dann kannst du dafür sorgen, dass deine Meinung gehört wird. Du kannst dich auch für den Aufsichtsrat nominieren lassen. Das ist mit Abstand der basisdemokratischste Verein, der mir jemals begegnet ist.
Es gibt so viele Dinge, die in der GEMA geregelt werden müssen – und wenn man sich mit den Verantwortlichen der GEMA unterhält, werden die immer sagen: Helft uns, euch zu helfen.
Seid ihr als Band denn mit der GEMA zufrieden?
Wehland: Ich als Musiker hatte – soweit ich das überblicken kann – nie Grund zur Klage.
Hinz: Man muss sich aber auch massiv mit auseinandersetzen, das ist richtig Arbeit, wenn man es kontrollieren will.
Wenn man in den GEMA-Aufsichtsrat schaut, findet man dort nur wenige aktive Rockmusiker…
Wehland: Das ist in der Tat ein Problem. Ich hatte auch mal vor, mich für den Aufsichtsrat zu engagieren. Wenn du aber aktiver Musiker bist kannst du dich nicht nach der Vollversammlung der GEMA richten. Wenn du dann einen Auftritt hast, der dir vielleicht das halbe Jahr finanziell sichert, kannst du nicht sagen, „sorry, aber ich muss mein Wahlrecht bei der GEMA wahrnehmen.“
Ein Streitpunkt sind ja die Sperrung von Musikvideos bei Youtube. Ich habe mal nachgeschaut, das Musikvideo zu eurem 2000er Song „Ring of Fire“ findet sich dort beispielsweise nicht. Ist das in eurem Sinne?
Wehland: Nein, absolut nicht. Es ist aber auch nicht in meinem Sinne, dass Youtube ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dem Google viel Geld verdient, nur weil sie sagen, sie haben soundsoviele Millionen User und besitzen deswegen die Macht, in Deutschland zu tun, was sie wollen. Die GEMA ist hier der einzige Interessenverband, der sich Google nicht unterwirft und der sagt: „Wir kennen eure Tausender-Klick-Preise“. Wenn ein Musikvideo, egal von welchem Song bei 100.000 Klicks, 2000 Euro Werbeeinnahmen generiert und wir davon 20 Euro sehen, steht das in einem großen Missverhältnis.
Als kürzlich auch ein neues Video von Deichkind auf Youtube gesperrt wurde, rügte die Band die GEMA als „Evolutionsbremse“. Wie seht ihr das?
Wehland: Bei Deichkind könnte ich mich drüber aufregen, weil die im Prinzip die Könige darin sind, Kosten zu vermeiden und ihre Haut momentan so teuer wie nichts anderes zu verkaufen – was ich denen hundertprozentig gönne, ich finde, Deichkind ist eine der innovativsten Bands. Aber wenn die von der GEMA als Evolutionsbremse zu sprechen.. .Das passt dann natürlich in deren Konzept und ist einfach, da schmunzeln intellektuelle Leute drüber und jemand, der nicht wirklich nachdenkt, wird tatsächlich glauben, dass das ein ernstgemeintes Argument ist – das ist es aber nicht.
Aber die Kritik an der GEMA, dass sie sich im Zuge der Digitalisierung nicht ausreichend weiterentwickelt hat, ist doch nachvollziehbar, oder?
Wehland: Ja klar, aber wenn du eine demokratische Struktur ändern willst, brauchst du die Leute, für die diese demokratische Struktur da ist. Das ist der einzige Kritikpunkt den ich ansetze, dass alle meckern, aber diejenigen, die es ändern können, nicht bereit sind, sich dafür einzusetzen.
Bringt die Sperrung eines Videos auf Youtube eigentlich eine Steigerung des Verkaufserlöses beim betreffenden Song?
Wehland: Nein, ich glaube ganz im Gegenteil, dass Plattformen wie Youtube oder Spotify enorm wichtig sind für die Aufmerksamkeit, um PR und Marketing zu betreiben.
Letzten Endes gibt es auf der einen Seite Leute, die nicht einsehen, Geld für einen Tonträger auszugeben oder bei Itunes für einen Download zu bezahlen, früher hat man sich ja auch Platten von Freunden auf Tapes überspielt. Auf der anderen Seite denke ich, dass Fans nach wie vor Musik kaufen werden. Ansonsten würde eine Band wie Unheilig nicht mal eben aus dem Stand drei Millionen Alben verkaufen.
Wenn ich nun euer Video zu „Ring of Fire“ sehen will, geht das nur auf myvideo.de, es öffnen sich dazu zwei Pop-Up-Fenster und vor dem Video kommen 20 Sekunden Werbung. Seid ihr damit zufrieden?
Wehland: Nein, wenn ich selbst zum Beispiel ein Video von Clueso sehen möchte, will ich vorher auch keine Werbung sehen. Das nervt mich tierisch. Deswegen finde ich Youtube auch geil. Aber auch auf Youtube gibt es Werbung und Affiliate-Marketing und es gibt ja auch Möglichkeiten, ohne dass Pre-Rolls und Post-Rolls eingeschaltet werden. Tape.tv ist zum Beispiel auch ein sensationelles Konzept, oder es gibt Websites wo du die Werbung ausblenden kannst und dafür Geld bezahlst, wie bei Last.fm oder vergleichbaren Portalen – das ist auch eine tolle Idee, finde ich.