Hannelore Elsner

Die Zeit meiner Entwicklung hat sehr lange gedauert.

In Erinnerung an die große Hannelore Elsner: Ein Interview aus dem Jahr 2004, über das Wohnen in Hotels, Schauspieler-Rituale, ihren Film "Alles auf Zucker!" und warum sie sich wie ein Schmetterling fühlt.

Hannelore Elsner

© X-Verleih

Frau Elsner, wo wir hier zum Interview in dieser schönen Hotel-Suite sitzen: könnten Sie sich vorstellen – wie das beispielsweise Udo Lindenberg in Hamburg macht – auf lange Zeit in einem Hotel zu wohnen?
Elsner: Ja, sehr gut sogar.

Auch über mehrere Jahre?
Elsner: Warum nicht, wenn das Zimmer groß genug ist? Ich meine, eigentlich tue ich das ja schon fast jahrelang, jahrzehntelang. Manchmal stelle ich fest, dass ich schon ein halbes Jahr im Hotel wohne, wenn ich irgendwo drehe.

Aber das empfinden Sie dann nicht als störend, sondern es gehört für Sie zum Alltag dazu.
Elsner: Also, Alltag ist das nie, Hotel ist schon immer etwas besonderes. Das genieße ich auch heute erst richtig. Früher, als mein Kind klein war, da mochte ich das gar nicht, da bin ich jede freie Minute nach Hause gefahren.

Verraten Sie, was Sie mitnehmen, um sich im Hotel heimisch zu fühlen?
Elsner: Alles, was ich halt so brauche. Manchmal, wenn ich wieder längere Zeit in einem Hotel bin, dann merke ich, dass ich eigentlich nur das brauche, was ich im Koffer habe. Und es ist egal, ob ich eine Woche, vier Wochen oder sechs Wochen weg bin.

Vor kurzem standen Sie in dem Film „Alles auf Zucker!“ vor der Kamera, ein Film über ein Brüderpaar, dass getrennt in Ost- und Westdeutschland lebte und sich nach der Wende wiedertrifft: der eine streng jüdisch orthodox, der andere ein wilder Zocker (mit Namen Jackie Zucker) und zusammen müssen beide das Begräbnis der Mutter nach streng jüdischem Brauch organisieren. Zunächst eine Frage zum Regisseur Dani Levy, was hatten Sie für einen Eindruck von ihm?
Elsner: Ich kenne Dani Levy ja schon länger, als wahnsinnig liebenswürdigen Menschen. Und zusammenarbeiten wollten wir schon immer einmal. Er war beim Dreh auch so, wie ich mir das immer vorgestellt habe: sehr zärtlich, sehr liebevoll, sehr genau, unterstützend, tragend. Das war eine wunderbare Atmosphäre, wir waren alle glücklich bei den Dreharbeiten, obwohl wir so viele Menschen auf einem Haufen waren. Wir haben auch sehr hart gearbeitet, wir hatten wenig Zeit für den Dreh, aber wir waren irgendwie alle glücklich.

Das wird am Zucker gelegen haben.
Elsner: Wahrscheinlich. Es war so leicht, so schön auch, wie Dani Levy uns all diese Dinge gezeigt hat. All das, was man im Film erfährt, über jüdische Bräuche, den jüdischen Haushalt … – manches wusste ich so genau auch nicht. Das wussten wir alle nicht.

In einem Pressetext hat Sie Dani Levy als die ‚geborene Komödiantin‘ bezeichnet.
Elsner: Ja? Das habe ich noch gar nicht gelesen. „Alles auf Zucker!“ ist aber wirklich eine echte Komödie, im klassischen Sinn: nämlich wahnsinnig lustig, wahnsinnig traurig und wahnsinnig ernst. Diese entzweite Familie, die Brüder, die nicht miteinander reden, die Marlene, die alle wieder zusammenbringt und die auch diesen Jackie Zucker immer wieder zurückkommen lässt.
„Komödiantin“ – finde ich schön, dass Dani so etwas sagt. Er hat nur zu mir gesagt, dass er sich nicht gedacht hätte, dass ich so eine komische Rolle spielen kann. Dabei finde ich ja, dass wir alle ganz ernst gespielt haben, wirklich ernst. Finden Sie nicht?

Es gibt ein paar Szenen, die wirken schon etwas klamaukig.
Elsner: Ja, klar. Die Szene zum Beispiel, wo Henry Hübchen in das Grab fällt. Aber ich schwöre, Henry ist so in das Grab gefallen, dass wir dachten, der hat sich jetzt alles gebrochen. Ich glaubte erst, er wäre ausgerutscht, ich habe überhaupt nicht verstanden, wie der da so reinfallen kann. Und er hat die Szene immer wieder so gemacht.

Würden Sie der Behauptung zustimmen, dass sich ein Witz nur über die Dinge zu machen lohnt, die man auch ernst nimmt?
Elsner: …(überlegt) Ja. Sonst wäre der Witz doch uninteressant. Der Sinn eines Witzes ist ja gerade diese Übertretung. Und natürlich sind die jüdischen Witze die besten. Mir fällt gerade dieser ein: Laufen zwei Freunde auf der Strasse, fragt der eine den anderen: „Kannst du mich zum Essen einladen?“ Der andere verneint. „Kannst du mich zum Eis einladen?“, der andere verneint wieder und so geht das eine Zeit weiter, bis der eine fragt: „Hast du wenigstens eine Mark für mich?“ Und als der andere erneut verneint, sagt er: „Ja, dann trag mich a Stückl.“ Das ist ein echter Witz, wunderbar. Und eigentlich ist er auch traurig, weil der eine einfach nur irgendetwas haben wollte, eine Art Zuwendung…

Haben Sie selbst besondere, persönliche Erfahrungen mit der jüdischen Kultur gemacht, bevor Sie „Alles auf Zucker!“ drehten?
Elsner: Nein, eigentlich nicht. Ich kenne natürlich viele jüdische Menschen, ich bin auch in dem Verein gegen das Vergessen des Holocaust. Aber mit diesem Engagement, damit hat der Film nichts zu tun. Ich finde es auch komisch, wenn mich jemand fragt, warum es jetzt so einen Film gibt, wieso man sich früher an dieses Thema nicht herangetraut hätte. Denn die Woody Allen Filme zum Beispiel hat es ja schon immer gegeben. Und warum hier noch nie jemand so einen Film wie „Alles auf Zucker!“ gemacht hat? – Das weiß ich nicht.

Die Begegnung von Jackie Zuckers Ehefrau Marlene mit der ihr völlig fremden jüdischen Kultur – kann man das vergleichen, mit einer Nachwuchsschauspielerin, die gerade erst in den Schauspiel-Betrieb hineinwächst und sich die ganzen Bräuche, Riten und Verhaltensweisen erst einmal antrainieren muss?
Elsner: Nein, also zumindest nicht, wenn man so jung ist, wie ich es war, als ich angefangen habe. Als Kind in einer jüdischen Familie wächst man in diese Bräuche hinein. Die Marlene im Film dagegen hat zwar schon 20-30 Jahre mit dem Jackie zusammengelebt, aber in der DDR von seiner Herkunft und seinem jüdischem Bruder nie etwas mitgekriegt.
Ich finde diese jüdischen Riten auch ziemlich anstrengend: dass man am Sabbat die Spiegel verhängen muss, dass man nur zu Fuß gehen darf, dass sie in der Küche immer milchig und fleischig trennen… Aber für einen streng gläubigen Juden ist das normaler Alltag.

Was gibt es denn unter Schauspielern für Bräuche, Rituale?
Elsner: Es gibt ja überall Rituale. Und bei den Schauspielern hat natürlich auch jeder sein eigenes Ritual. Man ist ja sehr einsam als Schauspieler, man muss sich mit seiner Phantasie und dem Text erst mal ganz alleine beschäftigen. Da gibt es verschiedene Rituale des Lernens, das Drehbuch unters Kopfkissen legen, dann gibt es das vorher „Toi, Toi, Toi“ sagen aber sich nicht dafür bedanken dürfen… oder, dass man niemals pfeifen soll im Theater.

Sind Sie denn bei so was abergläubisch?
Elsner: Nein. Ich kenne diese Bräuche nun schon sehr lange und inzwischen denke ich mir: warum soll da einer nicht pfeifen dürfen im Theater?

Ihre Filmografie umfasst weit über 100 Kino- und Fernsehfilme – sehen Sie für sich heute da überhaupt noch Spielraum für eine Weiterentwicklung, vom einen zum nächsten Film?
Elsner: Schauen Sie, ich entwickle mich doch ununterbrochen weiter. Im Moment sogar mit Siebenmeilenstiefeln, weil ich sozusagen endlich meine Quelle entdeckt habe. Das dauert ja lange im Leben, bis man zu sich findet. Das meine ich jetzt ernst. Wenn ich zurückschaue, dann habe ich das Gefühl, dass die Zeit der Entwicklung, der Ent-Wicklung, in der man sich endlich ausgewickelt hat, wie ein Schmetterling aus einer Raupe – diese Zeit hat bei mir sehr lange gedauert. Aber heute, da kann ich Ihnen sagen: das ist für mich eine sehr schöne Zeit.

Seit wann sind Sie dieser Schmetterling? Etwa seit Ihrem Film „Die Unberührbare“?
Elsner: Ja, so ungefähr, vielleicht auch schon ein bisschen länger, denn sonst hätte mich ja der Regisseur Oskar Roehler nicht gesehen, für diesen Film. Und der Kreis der Verbündeten wird seitdem auch immer größer. Mit Oliver Hirschbiegel oder Oskar Roehler zu arbeiten, oder mit Rudolf Thome oder Dani Levy ist wunderbar – bei denen fühle ich mich zu Hause…

… zu denen haben Sie Vertrauen aufgebaut.
Elsner: Ja.

Es ist nicht auszuschließen, dass es in Ihrer Filmlaufbahn auch Projekte gab, mit denen Sie nicht zufrieden waren. Wenn ein Film nicht gelingt, liegt das dann vor allem daran, dass ein Schauspieler kein Vertrauen zum Regisseur hat?
Elsner: Sagen wir es mal so: ich versuche natürlich immer das Beste zu geben und zu machen, das ist eine Sache von Energie und Magie. Aber es gibt natürlich Filme, die sind einfach misslungen, weil vielleicht das Drehbuch nicht so toll war und wir uns schon im Vorfeld gequält haben ohne Ende. Ich versuche ja nicht etwa, schlecht zu spielen oder die ganze Zeit zu denken, „das interessiert mich jetzt nicht“. Ich mache ja schon sehr lange keine Filme mehr, die mich nicht interessieren.
Also, was soll ich sagen, wenn ich das Ergebnis dann hinterher sehe? Zum Beispiel bei der „Unberührbaren“, da habe ich gedacht, ich werde wahnsinnig: da sah ich im Film das erste Mal in meinem Leben wirklich das, was ich beim Dreh gedacht und gespürt habe. Das hat mich umgehauen. Sonst war es oft so, dass mir bewusst war, was ich bei einem Dreh in mir hatte, was ich alles gespürt, gedacht, von mir gegeben habe – und dann schaue ich das Resultat an und das ist dann irgendwie unbefriedigend. Das kann am Kameramann liegen, am Licht, das kann natürlich auch an der ganzen Inszenierung liegen. Wenn ich mich selbst nicht öffnen kann, dieses – im wahrsten Sinne des Wortes – Verbündetsein mit dem Regisseur nicht vorhanden ist, auch im Herzen, wo man auch gar nicht mehr viel reden muss… Wenn das nicht da ist, dann muss ich mich nach innen begeben und einfach schauen, wie ich da durch komme. Mir fehlt dann diese Energie, die Magie dessen, der mich anschaut.

Gab es denn auch den umgekehrten Fall, wo die Dreharbeiten ganz furchtbar waren, Sie der Film am Ende aber positiv überrascht hat?
Elsner: Nein, wenn die Arbeit an einem Film ganz furchtbar war, dann wurde der Film auch ganz furchtbar. Es geht halt nicht immer so gut, wie bei einem Film wie „Alles auf Zucker!“, es gibt auch manchmal wahnsinnige Kämpfe.

Der Schmetterling Hannelore Elsner wird also auch weiterhin über die Fernsehbildschirme fliegen?
Elsner: Ja, klar.

Aber haben Sie jetzt – nach der positiven Erfahrung mit der „Unberührbaren“ – nicht größere Angst vor negativen Filmerfahrungen?
Elsner: Nein. Fernsehen ist ja nicht immer schlecht, Dominik Graf hat die wunderbarsten Fernsehfilme gemacht, der sagt auch, dass das Kino in Deutschland im Moment im Fernsehen stattfindet. Das finde ich nun nicht, weil es momentan auch im Kino ganz tolle Sachen gibt. Aber man erreicht natürlich im Fernsehen viel mehr Menschen, daher finde ich dieses Medium auch sehr wichtig.

Wo, oder wann haben Sie Ihre Angst verloren?
Elsner: Ich habe immer Angst, vor jedem neuen Projekt, bei allem, was ich mache. Ich habe vor jedem winzigen Auftritt Angst, wenn ich jemandem einen Preis überreichen soll, da kriege ich wirklich Lampenfieber.

Haben Sie das auch bei den Lesungen, die Sie hin und wieder machen?
Elsner: Bei den Lesungen geht das, da habe ich ja meinen Text, da kann mir nichts passieren. Diese Lesungen, die liebe ich, das ist meine Liebhaberei, meine Leidenschaft. Da bin ich wie eine Art Medium für den Text, ich bin eigentlich gar nicht da. Und ich liebe das, zu spüren, wie ich die Zuhörer mit meiner Stimme einfangen kann, wie die alles sehen, was ich da gerade erzähle.

Sind die Lesungen auch gewissermaßen beruhigend für Sie, weil Sie sich nicht bewegen müssen, wie sonst vor der Kamera?
Elsner: Also, ich sage Ihnen was: wenn ich anderthalb Stunden lese, wissen Sie, was das heißt? Was das für eine Konzentration ist? Da stehe ich manchmal am Ende auf und denke, ich werde gleich ohnmächtig. Unglaublich anstrengend ist das.
Für mich ist das Lesen eine ganz besondere, andere Form der Darstellung, ich schaffe Räume, wo jeder seiner eigene Phantasie freien Lauf geben kann. Das ist was anderes als im Film, wo ich spiele und mir das Publikum dabei zusschauen kann. Wenn ich lese, dann stehe ich selbst nicht im Vordergrund und jeder kann sich etwas ganz eigenes vorstellen.
Übrigens: ich behaupte ja immer, dass ich von meinem Sohn das Lesen gelernt habe, vom Vorlesen. Als der klein war, habe ich ihm immer jeden Abend vorgelesen. Und wenn ich dann selbst dabei müde wurde, habe ich immer ganz übertrieben gelesen, viel lauter – und dann ist der irgendwann wieder aufgewacht aus seiner Trance und hat diesen entscheidenden Satz gesagt: „Bitte Mama: nicht spielen, nur lesen.“

Interview veröffentlicht am 01.10.2004

Ein Kommentar zu “Die Zeit meiner Entwicklung hat sehr lange gedauert.”

  1. Forex Review |

    Der Tod von Hannelore Elsner schockierte die Filmwelt. Nun gab der Hessische Rundfunk den Sendetermin ihrer letzten Rolle im Frankfurter „Tatort“ bekannt.

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