Hanns Zischler

Für Touristen heißt Berlin: Ich kann die Sau rauslassen!

Hanns Zischler über sein Buch "Berlin ist zu groß für Berlin", die Geologie der Hauptstadt, seine Sorge um das Stadtbild und zu viel Tourismus

Hanns Zischler

© Jennifer Fey

Herr Zischler, Sie haben sich der Hauptstadt in Ihrem Buch „Berlin ist zu groß für Berlin“ schreibend und fotografierend genähert. Warum?
Hanns Zischler: Ich lebe mehr als 40 Jahre in Berlin. Der herausragende Zug von Berlin war für mich immer, dass es eine verlandschaftete Stadt ist. Ich würde auch so weit gehen zu sagen, dass Berlin keine Stadt ist. Wenn es einmal eine war, dann ist es schon lange vorbei. Ich habe mir Gedanken gemacht, wie es zu diesen unglaublichen Ausdehnungen der Stadt kommt.

Warum ist „Berlin zu groß für Berlin“?
Hanns Zischler: Die Stadt dehnt sich in die Fläche aus, wie ein Teig, den man immer dünner macht und die Verdichtung, die eigentlich das Ziel einer Stadt sein müsste, findet nicht statt. Diesem Phänomen bin ich nachgegangen.

Welche Gründe haben Sie dafür gefunden?
Hanns Zischler: Einer ist geologischer Natur: Die Stadt muss sich zwischen den vielen Gewässern ausdehnen. Sie verhält sich selber wie der Sand zwischen den Gewässern. Ein weiterer ist, dass eine tatsächliche Verdichtung nur möglich ist, wenn man nicht von einem Zentrum ausgeht, sondern von mehreren. Damit diese sich herausbilden können, bedarf es einer politisch gewollten Struktur- und Stadtplanung. Und da hapert es.

Wie sieht das zur Stadt verdichtete Berlin für Sie aus?
Hanns Zischler: Es sollte auf keinen Fall ein Architekturmuseum werden, sondern eine siedlungsgeographisch sinnvolle Struktur haben. Der so genannte ‚Hundekopf‘, also der S-Bahn-Ring, ist ein Verdichtungsansatz. Den müsste man weiter betreiben, Vielleicht mit einem weiteren Ring. Daneben sollte es etwa vier oder fünf Zentren geben, die über diese Riesenfläche verteilt sind und gleichwertig nebeneinander stehen.

Welche Vorteile hätte das?
Hanns Zischler: Man käme besser durch die Stadt, bräuchte deutlicher weniger Zeit, um von A nach B zu kommen. Außerdem könnte sich die vorhandene Asymmetrie zwischen Ost und West auf eine gesunde Weise stabilisieren könnte. Stadthistorisch gesehen war West-Berlin immer etwas ganz anderes als Ost-Berlin. Die Zentren würden die verschiedenen Städte unter einer Stadt zusammenführen.

Sind Ost- und Westberlin bisher nicht zusammengeführt?
Hanns Zischler: Berlin hat meines Erachtens, auch mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall, noch keine überzeugende Strukturplanung zu Wege gebracht, die die riesigen Brachflächen, die über alle in der Stadt zu finden sind, binden könnte. Ich nenne nur als Beispiel den Flughafen Tempelhof. Das Tempelhofer Feld war 1909 der Ursprung des Berliner Siedlungsbaus. Das heißt, der westliche Teil des Tempelhofer Feldes hatte bis 1914 die besten Siedlungstypen hervorgebracht. Dann kam es zum Verkauf und das Flugfeld ist entstanden. Jetzt ist das Flugfeld wieder nutzlos geworden und was wollen die Leute? Sie wollen eine Verhundertfachung der Schrebergärten.

Was halten Sie davon?
Hanns Zischler: Wenn Schrebergärten gewollt sind, dann macht doch aus ganz Berlin wieder Dörfer. Wenn man das nicht will, dann verdichtet und schafft eine Siedlungsgeographie, die stimmig ist. Zum Beispiel mit Hilfe des Tatlin-Turms.

Zitiert

Berlin sollte auf keinen Fall ein Architekturmuseum werden.

Hanns Zischler

Dem Turm, den der russische Avantgarde-Architekt Tatlin 1920 entworfen hat, widmen Sie ein Kapitel in Ihrem Buch. Warum?
Hanns Zischler: Für mich ist der Turm das schönste Bauwerk des 20. Jahrhundert, das nie gebaut wurde. Seit 15 Jahren gibt es einen Verein für den Bau des Tatlin-Turms. Ich könnte mir vorstellen, dass inzwischen bei den technologisch konstruktiven Möglichkeiten, der Turm realisierbar wäre. Warum nicht auf dem Flugfeld Tempelhof? – Aber ich bin kein Stichwortgeber für Investoren.

Jahrelang ging es in Berlin architektonisch nur um den Osten. Am Ku’damm beginnt man jetzt, sich mit der Architektur der alten Bundesrepublik auseinander zu setzen. Wie beurteilen Sie das?
Hanns Zischler: Es ist ein Anfang. Mich interessiert natürlich, was architektonisch entsteht, aber Architektur ist nicht mein Schwerpunkt. Ich finde die Hochhäuser, die gerade um den Bahnhof entstehen richtig. Ich finde es auch richtig, dass eine neue Skyline geschaffen wird, die diesen scheußlichen Jahn-Bau verdrängt. Das war ja eine Ungestalt ohnegleichen. Vorrangig ist nicht die solitäre Architektur, sondern die Stadtplanung.

Was muss geschehen, damit die Stadtplanung vorangetrieben wird?
Hanns Zischler: Es muss eine politische Willensbildung stattfinden, um eine mittel und langfristige Stadtplanung überhaupt zu ermöglichen. Dafür muss eine politische Diskussion beginnen, die langfristig Ziele setzt. Bisher gibt es diesen Diskurs nicht. Weil Berlin föderal organisiert ist und eine schwache Zentralregierung hat.

Sie sind vor allem als Schauspieler und Hörbuchsprecher bekannt. Woher kommt Ihre Ambition sich mit dem Stadtbild Berlins auseinander zu setzen?
Hanns Zischler: „Das Stadtbild gehört uns“, sagt der Kunstkritiker Karl Scheffler. So heißt auch ein Kapitel in meinem Buch. Das ist eine Aufforderung: Es soll doch bitte uns gehören! Wenn ich mich um das Stadtbild kümmere – das ist nicht nur das Bild, sondern, wie will ich meine Stadt entwickelt sehen – ist das natürlich immer chaotisch, irregulär und nie komplett planbar. Aber man muss visionäre Vorgaben haben und die fehlen.

Sie schlagen in Ihrem Buch vor, die unterschiedlichen Stadtbebauungen offen zu legen. Was spricht gegen eine radikale Neubebauungen und Neunutzung von Flächen?
Hanns Zischler: Gegen eine neue Bebauung spricht erst einmal, dass das Vorhandene viel besser genutzt werden sollte. Bevor ich neu baue, muss ich den Bestand nutzen, den Bestand verdichten, den Bestand aufwerten. Der Abriss von halb Kreuzberg in den siebziger Jahren und der Abriss von ähnlichen Vierteln wie Lichtenberg und Marzahn im Osten war zum Beispiel eine Riesensauerei. Die Folgen hat man jetzt: siehe Dresdner Straße. Natürlich muss es Neubebauung geben, aber man kann nicht mit der Neubebauung anfangen.

Trotz vieler Missstände kommen jährlich mehr Touristen nach Berlin.
Hanns Zischler: Naja, Touristen. Entschuldigen Sie, aber für Touristen heißt Berlin: Ich kann die Sau rauslassen. Die Stadt ist ein Attraktionsventil für die eigene Verlottertheit und zieht Touristen an, die sich zuhause nicht so daneben benehmen können wie in Berlin. Mit dem Tourismus in Berlin hat es eine extrem gefährliche Entwicklung genommen. Eine Stadt sollte nicht auf Tourismus bauen, nicht in Deutschland. Das finde ich ganz, ganz gefährlich.

Wie hat sich für Sie das Lebensgefühl in Berlin in den letzten Jahren verändert?
Hanns Zischler: Es hat sich erweitert. Man darf nicht vergessen, dass Berlin der einzige Stadtstaat in Deutschland ist, der wieder vereinigt wurde. Keine einzige Stadt ist wieder vereinigt worden, nur Berlin. Und das ist natürlich eine hochexperimentelle Angelegenheit.

Hanns Zischler, 1949 geboren, ist Schauspieler, Dramaturg, Regisseur, Hörspielsprecher, Fotograf, Übersetzer, Schriftsteller und Publizist. Neben zahlreichen Filmproduktionen ist er für seine kulturhistorischen Bücher bekannt geworden. 2006 gründete mehr

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