Hans-Christian Schmid

Glaube ist ja nicht nur schlecht.

Regisseur Hans-Christian Schmid über seinen Film "Requiem"

Hans-Christian Schmid

© Gerald von Foris/X-Verleih

Herr Schmid, Ihr Film „Requiem“ bezieht sich auf den authentischen Fall einer jungen Katholikin, deren Krankheitssymptome als dämonische Besessenheit verstanden wurden und die nach einer Reihe von Exorzismus-Versuchen an Unterernährung und Erschöpfung starb. Warum erklären Sie diesen Fall nicht medizinisch ausführlicher?
Hans-Christian Schmid: Der Drehbuchautor Bernd Lange hatte schon darauf verzichtet und ich wünschte mir keinen Film mit Ärzten, die irgendwas erklären. Vielleicht ist der Aspekt so ein bisschen zu kurz gekommen. Aber der Fall, auf den wir uns beziehen, beinhaltet so viele Themen, dass es wichtig war, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Erklärungen von Halluzinationen von Epileptikern, manischer Besessenheit, Magersucht hätten sehr schnell ausufern können. Wichtig war uns zu zeigen, dass Michaela Klingler, wie unsere Hauptfigur heißt, etwas brauchte, was sie von Ärzten nicht bekam. Und Epilepsie war in den 70ern mit Tabletten nur schwer zu kontrollieren.

Was haben die Ärzte versäumt?
Schmid: Sie als Menschen zu verstehen. Der Neurologe muss das wahrscheinlich auch nicht. Der macht ein EEG und schaut sich Messkurven an. Ein Psychiater oder Psychologe müsste das vielleicht, aber dagegen hat sie sich ja gewehrt. Wenn ich mir überlege, wie man ihr hätte helfen können, dann denke ich, dass die Personen mit denen sie zu tun hatte, sich hätten zusammensetzen müssen. Da haben Mediziner ihre Grenzen und auch dieses Elternhaus, in dem man lieber im Verborgenen blieb, aus Angst ausgelacht zu werden.

Wie denken Sie über die religiöse Dimension dieses Falls?
Schmid: Ich glaube, dabei geht es sehr stark um Angst. Eine bestimmte Glaubensauslegung funktioniert, indem sie Angst macht: Wenn Michaela bestimmte Erwartungen nicht erfüllt, nicht genug betet, wenn sie nicht fest genug ist in ihrem Glauben. Wie sie den Aufbruch in die neue Welt des Studiums erlebt, die erwachende Sexualität. Michaela leidet ja an Epilepsie und damit sind oft Halluzinationen verbunden. Meist geht es in diesen Wahnvorstellungen um eben diese Ängste und Schuldgefühle, die im Kontext ihrer Erziehung und dem religiösen Umfeld stehen.

Sie behelfen sich hilflos mit dem für sie naheliegendsten Erklärungsmuster.
Schmid: Man kennt auch das auch von Menschen, die nur an die Schulmedizin geglaubt haben. Wenn eine Krankheit nicht besiegt wird, wendet man sich allen mögliche Heilsversprechen zu, weil man einfach will, dass die Person gesund wird. Und was ich natürlich aus Altötting kenne, ist dieser einfache Glaube, der auch viel mit Volksfrömmigkeit und Aberglauben zu tun hat. Wenn Beten nicht mehr hilft, erkennt man darin schnell eine Strafe für etwas, was dem lieben Gott nicht gefallen hat und auch das hat sehr viel zu ihren Problemen beigetragen.

Auf der anderen Seite hat der Glaube ihr Kraft gegeben.
Schmid: Glaube ist ja nicht nur schlecht. Aber sie hat in ihrer Familie nichts mehr gefunden, was ich als positiv bewerten könnte. Das positivste am Glauben habe ich beim Dreh zu meinem Dokumentarfilm „Die Mechanik des Wunders“ über Altötting kennen gelernt. Da war eine Frau, die pflegte das Grab ihres Mannes. Sie weiß für sich, dass der eigene Tod keine Rolle mehr spielt. Sie hat keine Angst und das finde ich bemerkenswert. Aber es ist schwer eine Grenze zu finden, wo das Gute des Glaubens zu seiner schlechten Seite wird. Wenn man dem ganzen Geschehen im Film einen übergeordneten Sinn gibt, dann nur dadurch, dass man es überhöht und sagt: Gott hat dich hervorgehoben, an dir wird ein Exempel statuiert, du bist für uns wie eine Heilige.

Mit dieser Tendenz endete auch der US-Film „Der Exorzismus der Emily Rose“, der sich erst vor wenigen Wochen die Geschichte Anneliese Michels zum Vorbild nahm. Könnte man etwas zynisch vom neuen Traumberuf „Märtyrer“ reden?
Schmid: Wir leben ja in einer Zeit, in der Glaubensfragen sehr vehement behandelt werden. Zum einen ist da so ein großes Wohlwollen für den deutschen Papst, und auf der anderen Seite werden die Richtungen, in denen sich die Religionen orientieren, eher extremer. Man sucht es sich nicht aus, in welche gesellschaftliche Strömung so ein Film hineingerät. Das passiert einfach. Ich habe mich irgendwann einmal für diese Geschichte interessiert und er wird im Kino auf irgendein Interesse oder Desinteresse stoßen. Ich kann dem Gedanken zustimmen, dass es eine Sehnsucht zu geben scheint, in einem größeren Ziel aufzugehen oder der eigenen Persönlichkeit und Befindlichkeit einen anderen Wert zu geben aber ich bin kein Freund von fundamentalistischen Tendenzen. Ich finde das alles sehr bedenklich.

Trotzdem endet „Requiem“ wie „Emily Rose“ mit der bewussten Annahme des Schicksals – ein weniger glückliches Ende wäre vorstellbar.
Schmid: Ein Happy End stelle ich mir schon anders vor. Ich will nicht, dass die Botschaft am Ende des Films lautet, findet euch mal damit ab, es könnte Dämonen geben und dämonische Besessenheit. Das ist nicht meine Haltung. Am Ende von „Requiem“ kann man doch nur beschränkt sagen, dass sie ihren Weg gefunden hat. Sie hat eine gewisse Stärke in dem, was sie da denkt. Das wollten wir so zeigen. Sie ist diejenige, die aus ihren Wertvorstellungen heraus glaubt, besessen zu sein und dass nur ein Pfarrer sie heilen könnte.

Dieses Ende ist besonders für die Familie, die keinen Ausweg sieht, sehr beklemmend.
Schmid: Ich habe mir das Grundthema immer als extreme Konstellation von Menschen oder als Familiengeschichte vorgestellt. Diese Zeit war voller starker Spannungen, in der eine junge Generation das starke Bedürfnis hatte, sich Loszulösen von der Generation, die noch den Krieg miterlebt hatte. Vor diesem Hintergrund ist für mich am faszinierendsten gewesen, dass jemand von Menschen umgeben ist, die ihm nur helfen wollen. Und es führt trotzdem zum Schlimmsten. Wie kann das sein, dass es da kein Zurück gibt? Sie ist wie in einem Strudel, der sie nicht mehr hochkommen lässt. Man hofft ja immer mit ihr, das es einen Ausweg geben möge.

Kann man nicht zuletzt wegen seines Titels „Requiem“ als Trauerarbeit verstehen?
Schmid: Ich kann mir das so hinbiegen. Es ist immer schwer, einen Titel zu finden und diesen hatte sich der Autor schon überlegt. Das Requiem ist auch ein bestimmter Abschnitt in einer Trauermesse, ein Nachruf und vielleicht ein Gedenken an jemanden, der verstorben ist.

Ein Ritual der Verarbeitung, gegen Verdrängung.
Schmid: Ja. Es geht auch darum, dahin zu gucken, wo es weh tut.

Welche eigenen biografischen Bezüge gibt es dazu?
Schmid: Das Interesse an so einer Geschichte und Figur ist für mich viel stärker, als zu sagen: ich komme eben aus Altötting. Mein Aufwachsen dort war relativ normal, wie man eben in einer Kleinstadt aufwächst. Ich bin nach sieben Jahren in der Münchener Filmhochschule für den Dokumentarfilm zurückgekehrt, mit einem analytischerem Blick. Aber so groß sind die Zusammenhänge mit der eigenen Biographie nicht. Ich erkenne in dem Umfeld nur ein wenig meine Großeltern, die stark katholisch waren, diesen etwas milden Vater und diese strenge Mutter.

Was bedeutet Religion für Sie?
Schmid: Ich beschäftige mich damit. Ich bin vor 1 ½ Jahrzehnten aus der Kirche ausgetreten; das hatte mit meinem Film „Himmel und Hölle“ zu tun, in dem es um eine innerkirchliche Sekte ging, die der Vatikan unterstützt.. Privat habe ich mir meinen Glauben so zusammen gezimmert wie es viele machen. In erster Linie glaube ich, dass jeder selbst für sein Leben verantwortlich ist.

In der Hinsicht hatten alle Ihre Filmfiguren schwierige Herausforderungen zu meistern.
Schmid: Wenn meine Figuren nicht in Grenzsituationen kommen, was soll ich dann über sie erzählen? Eine Geschichte muss besonders sein, wenn man sich zwei Jahre damit beschäftigt. Ich würde aber nicht sagen, dass ich nur nach Grenzgängern suche. Ich weiß nur, dass man als Autor auf eine bestimmte Geschichte stößt, sie erzählen möchte und sich überlegt, inwieweit man sich von diesem konkreten Fall entfernt und wie sehr der mit dem Hier und Jetzt in Verbindung steht.

Das Interview entstand im Februar 2006 auf der 56. Berlinale.

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