Herr Janke, Sie sind Fernsehspielchef und stellvertretender Programmdirektor des ZDF. Wie würden Sie Ihr Aufgabengebiet beschreiben?
Janke: Ich darf mit dafür sorgen, dass das ZDF an mehreren Tagen in der Woche ein präsentables, erfolgreiches, qualitätvolles, fiktionales Programm bekommt. Dazu gehört der „Fernsehfilm der Woche“, „Das kleine Fernsehspiel“ mit den Debüts, der legendäre Freitagskrimi sowie Reihen wie „Bella Block“, „Wilsberg“, „Ein starkes Team“, „Das Duo“ und so weiter. In meinen Zuständigkeitsbereich fallen auch die deutschen Kinoproduktionen, an denen sich das ZDF als Co-Produzent beteiligt, also Filme wie „Lichter“ von Hans-Christian Schmid oder Helmut Dietls „Vom Suchen und Finden der Liebe“. Und zum Ressort gehört auch „Aktenzeichen XY Ungelöst“ und eine 19.30Uhr-Serie, „Die Küstenwache“.
Nicht zuletzt kommen auch Mehrteiler wie „Dresden“ oder „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ aus der Hauptredaktion dazu, die ich zu leiten habe. Die macht also viel Programm für sehr viel Geld, und dieses Programm muss ich beschaffen, entwickeln, begleiten – und vertreten.
Das klingt nach einer angenehmen Aufgabe.
Janke: Selbstverständlich. Wenn ich sehe, was man Interessantes machen und in die Hand nehmen kann und mit was für interessanten Leuten man zu tun hat, kann ich nicht klagen! Es ist selbstverständlich nicht ganz leicht, aber das gehört dazu.
Sie gestalten das Programm einer der größten und einflussreichsten Sender in Deutschland. Spüren Sie diese Macht?
Janke: Die Macht spüre ich am ehesten dort, wo einer Sendung eine Entscheidung voraus geht. Nämlich für einen Stoff, für einen Auftrag an einen Produzenten, eine Entscheidung, die mit sehr viel Geld einhergeht. Das kann man nicht anders als eine Machtposition nennen, weil ich damit eine Art Schleusenwärter bin. Ich kann und muss zwischen verschiedenen Angeboten wählen, und damit treffe ich eine ökonomisch wirksame Entscheidung, und davon sind tatsächlich andere direkt betroffen. Man kann überhaupt nicht leugnen, dass sich viele Hälse nach uns recken, dass viele Leute mit hungrigem Blick nach solch einem Entscheider schauen, weil sie sich von dem etwas erhoffen.
Dass man mit diesem Posten verantwortlich und sorgfältig umgehen muss, versteht sich von selbst. Eine Machtposition ist es auf jeden Fall. Und jeder der das abstreitet, macht entweder sich oder anderen etwas vor.
Das heißt, Sie sehen Ihre Macht eher in der Auswahl der Produzenten und weniger in der Meinungsbildung des Publikums durch die Programmgestaltung?
Janke: Ja. Gegenüber dem Publikum würde ich vorsichtiger von Macht sprechen, da sie ja sehr mittelbar wirkt. Es ist am Ende gar nicht so richtig herauszukriegen, welche Wirkungen beim Publikum wir wirklich zu verantworten haben. Das heißt jetzt nicht, dass man für das, was man da sendet, nicht in jeder Hinsicht auch verantwortlich ist. Also die Moral dessen, was da gemacht wird, die Standards, die wir mittelbar oder unmittelbar vertreten und zeigen, für die Demokratie, für das Gemeinwesen, für die Fragen von Erziehung, von Autorität, von Chancengleichheit und alldem – all das muss von uns vertreten und verantwortet werden. Man muss wissen, dass man da nicht liederlich sein darf, dass man zum Beispiel Fragen von Gewalt oder Diskriminierung aller Art sehr ernst zu nehmen hat. Nur darf man sich dabei auch nicht verkrampfen, denn wir müssen die Zuschauer mit unserem Programm auch erreichen. Ich würde das gegenüber dem Publikum also nicht Macht nennen, sondern Wirkung. Und diese Wirkungen sind sehr komplex und kompliziert in ihrer Deutung.
Wenn nun ein Auftrag vergeben ist, in wie weit können Sie ein Projekt dann noch beeinflussen? Können Sie die Geschichten der Reihen beispielsweise selbst mitentwickeln, bis ins Detail mit einsteigen?
Janke: Bis zu einem gewissen Grad schon. Allerdings, bei der großen Anzahl an Projekten, kann ich nicht in die zahllosen Buchgespräche und Entwicklungen einsteigen. Das schaffe ich nicht. Ich bin kein Dramaturg. Aber an den entscheidenden Stellen muss ich wissen, was sich da tut. Und da bin ich natürlich mit meinen Augen drauf, mit meinen Ohren drin, mit meiner Nase und meinen Verstand dabei. Aber ich mache nie etwas allein. Ich kann diese Aufgaben nur zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen erfüllen. Jedes Projekt, was wir machen, hat erst mal eine Redakteurin oder einen Redakteur. Es ist also nie allein meine Angelegenheit.
Steht hinter Ihrer Arbeit mehr eine Kontrollpflicht, oder auch die Lust an versteckten Talenten?
Janke: Es ist Beides! Ich habe natürlich viel Liebe zu denen, die im Fernsehen etwas Interessantes, Gutes, Aufregendes machen. Ich verehre Schauspieler, Regisseure, Autoren mit aufregenden Einfällen, und, stellen Sie sich vor, auch Produzenten.
Sie erklärten während einer Presse-Präsentation, dass die Produktionen des ZDF „zeitgemäss“ sein sollen. Wie erfassen Sie die Erwartungen der Zuschauer?
Janke: Das ist ein ungeordneter Prozess und erfordert Erfahrung und Beobachtung. Wir beobachten die Reaktionen der Zuschauer sowohl direkt wie auch durchs Medium selbst. Darüber hinaus sind auch die persönlichen Meinungen der Redaktionsmitglieder entscheidend. Die Erwartungen der Zuschauer zu erfassen, hat etwas Spekulatives und etwas Empirisches. Das ist keine Markt- oder Zuschauerforschung, sondern ein willkürlicher Akt im Vertrauen darauf, dass die Produzenten, Autoren, Regisseure und Schauspieler dafür ein Gespür haben. Wenn sie es nicht haben, zeigt sich das.
Der Erfolg ist also vor allem davon abhängig, wie die Produzenten, Regisseure, Autoren und Schauspieler die Zuschauererwartungen interpretieren.
Janke: Selbstverständlich. Hinterher ist man immer klüger. Es kommt darauf an, vorher im Bilde zu sein. Das ist nicht einfach, man vertut sich auch oft. Man lehnt Sachen ab, die besser nicht abgelehnt worden wären, und man bewilligt Projekte, die man besser abgelehnt hätte. Solange die Summe einigermaßen stimmt, ist das in Ordnung.
Ich habe auch oft erlebt, dass Leuten das Gespür für Zuschauerinteressen abhanden gekommen ist. Es ist für mich auch sehr schwer zu erkennen, wann dieses Talent versiegt. Auch mein eigenes womöglich. Das ist dann ein Moment, wo ich tätig werden muss. Weil, das Gefühl für das Publikum zu bewahren, das schaffen nur wenige.
Stichwort Horst Tappert. Bei „Derrick“ lief der Zeitgeist teilweise auch aus der Spur, wodurch die Serie nachher wiederum zum Kult wurde.
Janke: Ja, auch das gibt es. Man muss nur lang genug durchhalten (lächelt).
Sie müssen ein breites Publikum mit Ihrem Programm ansprechen. Verliert man sich da nicht in Beliebigkeit?
Janke: Diese Gefahr besteht immer, das ist einfach so. Wenn man auf einen Erfolg einen weiteren setzen will, indem man ihn einfach nur reproduziert, also die Masche noch mal nimmt, mit der man so schön gestrickt hat, auf eine erfolgreiche Figur oder einen erfolgreichen Schauspieler setzt, dann kann es passieren, dass man immer das Gleiche produziert. Vor solcher Starre bewahren einen eigentlich nur neue, inspirierende Menschen mit neuen Ideen, neuen Talenten und neuem Stil. Deswegen u. a. ist „Das kleine Fernsehspiel“ so wichtig, weil die Mitwirkenden wirkliche Debütanten sind und damit ihre erste Chance bekommen. Man wird dadurch aufmerksam auf solche Talente und kann sie dann mit einem größeren Budget zusammenbringen. Martin Eigler, Christian Petzold, Mark Schlichter oder Buket Allakus – es sind viele Regisseure zu nennen, die aus dieser Werkstatt hervorgegangen sind.
Vor Jahren schon geisterte das Wort „Unterschichtenfernsehen“ durch die Öffentlichkeit. Was halten Sie von dieser Bezeichnung?
Janke: Die hat Harald Schmidt als eine sehr schöne Chiffre gebraucht, als solche hat sie mir auch gefallen. Er wollte die Tendenz zum „Knall-Fernsehen“, zum TV-Trash beschreiben. Er hat dabei nicht die Leute diskriminiert, die davor sitzen, sondern er hat den Typ Programmangebot und Programmanbieter im Visier gehabt…
…ein Programmangebot, was man bei den öffentlich-rechtlichen Sendern weniger findet als bei den Privaten. Woran liegt das eigentlich? Haben die Privaten ein anderes Publikum?
Janke: Ich glaube, dass sich die Publika so sehr nicht unterscheiden, höchstens, dass ARD und ZDF ein älteres Publikum haben und RTL, ProSieben und SAT1 ein jüngeres. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist ein großes Vielfaltsangebot. Da ist alles vertreten, was das Fernsehen überhaupt machen kann. Das ist beim kommerziellen Fernsehen anders. Kommerzielles Fernsehen ist per se und immer Unterhaltungsfernsehen. Wer vom Fernsehen nur unterhalten werden will, der wird dort in dem Sinne besser bedient als bei uns. Aber es ist nicht so, dass bei dem „feinen“ Angebot auch nur die „feinen Leute“ schauen und bei den weniger feinen Angeboten die weniger feinen Menschen zuschauen. Das ist absoluter Quatsch. So was denken nur kulturblasierte Kritiker, zu denen ich mich ausdrücklich nicht zähle.