Herr Kollhoff, ist es Ihnen schon einmal passiert, dass man Sie auf der Strasse angesprochen hat, nach dem Motto: "Tolles Gebäude, was Sie da gebaut haben, Herr Kollhoff"?
Kollhoff: Ja, das passiert erstaunlich oft! Ich bin offensichtlich so häufig im Fernsehen und in der Zeitung, dass mich viele Leute kennen. Das DaimlerChrysler-Hochhaus am Potsdamer Platz, das kennt inzwischen jeder, da herrscht allgemeine Begeisterung. Je mehr Zeit ins Land geht, desto öfter kommen Leute und sagen: "Naja, am Anfang wusste ich nicht so recht, aber jetzt find ich es super!"
Gibt es auch kritische Reaktionen?
Kollhoff: Nein, beim Potsdamer Platz überhaupt nicht. Beim Walter-Benjamin-Platz kommt manchmal jemand und sagt: "Das ist zu grau". Da kann man sich halt darüber streiten, ob das eine schöne Farbe ist oder nicht. Für mich hat das Grau dieses Pietra Serena einen großen Reiz, es verändert sich mit der Luftfeuchtigkeit und in der Sonne hat es diesen herrlich weichen Flanell-Charakter.
Und was sagen die Leute, die am Walter-Benjamin-Platz wohnen, in den von Ihnen entworfenen Leibniz-Kolonnaden?
Kollhoff: Die wissen, warum sie da wohnen, die fühlen sich wohl. Die kennen mich auch. Wenn ich da hin und wieder auf dem Platz sitze, werde ich oft angesprochen. Manchmal gibt’s Klagen, warum noch nicht alle Läden vermietet sind und man diskutiert über den Unterschied zwischen einem Shoppingcenter und einem Stadtplatz oder die allgemeine Vermietungssituation in Berlin. Der Wirt beschwert sich bisweilen, weil die Kinder zu viel Krach machen am Brunnen bei schönem Wetter. Beobachten Sie das einmal, der Walter-Benjamin-Platz ist der schönste Spielplatz Berlins!
Sie setzen sich also gelegentlich dorthin und betrachten das eigene Bauwerk?
Kollhoff: Ja, im Sommer, wenn die Sonne auf den Platz scheint, gehe ich raus aus dem Büro, nehme meine Sachen mit – das sind ja nur zwei Minuten zu Fuß. Dann trinke ich dort einen Espresso und schreibe oder skizziere. Ich fühle mich dort ausgesprochen wohl.
Würden Sie selbst auch in einem Gebäude wohnen, das Sie entworfen und gebaut haben?
Kollhoff: Ja selbstverständlich. Ich habe eine Zeit lang im Haus am Luisenplatz gewohnt, am Schloss Charlottenburg. Das war eines unserer ersten Projekte in Berlin.
Interessant am Wohnhaus am Luisenplatz ist ja diese großzügige Rundung in der gesamten Gebäudestruktur, die – verglichen mit Ihren anderen Bauwerken – etwas untypisch wirkt. Daher die Frage: Wie würden Sie Ihre eigene architektonische Handschrift beschreiben?
Kollhoff: Das jetzt in einem Satz zu sagen, fällt mir schwer. Ich versuche, rational an die Sache heranzugehen, um mit einer großen Neugierde zu sehen, was aus einer Situation, aus bestimmten Bedingungen heraus entsteht. Und darauf reagiere ich dann ausgesprochen elastisch, allerdings auch so, dass am Schluss immer etwas Ganzes herauskommt. Ich hasse Collagen und Fragmente und all diese vermeintlich kompositorischen Dinge, die nicht so richtig zu Ende gedacht werden. Aus diesem Grund gelte ich inzwischen auch als Klassizist. Ich würde mich allerdings eher als Klassiker bezeichnen, weil es mir nicht um die Kopie eines Stiles geht. Es geht mir vielmehr darum, eine Sache gut zu machen und zum guten Ende zu bringen, zu vollenden. Und das ist letztlich klassisch.
Im Zusammenhang mit dem Umbau des alten Metropol-Theaters in Berlin zum Nachtclub "Goya" interessiert uns die Frage: Inwiefern setzen Sie sich bei so einem Umbau auch mit der Geschichte des Gebäudes auseinander?
Kollhoff: Wir setzen uns bei allen Projekten mit der Geschichte auseinander. Wie diese Geschichte bei einem neuen Projekt dann aufscheint, ist immer eine offene Frage. Im Fall des Goya haben wir nicht die Möglichkeiten gesehen und auch nicht die Neigung verspürt, diese verlorengegangenen Räume wieder herauszuarbeiten. Die alte Substanz haben wir sehr sorgfältig erhalten, aber wir haben nicht versucht, sie wieder in den alten Zustand zu versetzen. Vor allem deshalb nicht, weil das ja im Wesentlichen Foyerräume eines Theaters waren, die nach der Kriegszerstörung etwas Düsteres, etwas allzu Wuchtiges hatten. Wir sind schließlich zu der Überzeugung gekommen, gegen diese Tristesse mit geschwungenen Formen anzugehen, mit Weißtönen und dunklem Holz, einem sehr schönen Makassar-Furnier. Allerdings lag uns auch nicht an einem Kontrasterlebnis. Wenn man jetzt von außen das alte Gebäude sieht und hineinkommt, wird man allmählich hineingezogen in diese fließende Formwelt.
Wenn man die vielen geschwungenen Formen im Inneren des Goya sieht, hat man das Gefühl, dass sich der Architekt hier mal so richtig ausleben und mit dem Bauwerk ein wenig spielen konnte. War das so?
Kollhoff: Sicher, wir konnten uns dort ein Stück weit ausleben. Wir sind ja erst vor einigen Jahren auf den Geschmack gekommen, mit Putz zu arbeiten. Die Rabitz-Oberfläche verwendet der moderne Architekt ja nicht so ohne weiteres. Stuck und Putzrelief, das ist ja das Feindbild der Moderne. Allerdings hatte die Moderne nichts gegen das Material an sich, sondern gegen die allzu gedankenlose Verwendung einer Ornamentik, die nur aufgeklebt wurde und die keinen inhaltlichen Bezug mehr zur Architektur fand. Wir wollten nun aus der Struktur des Gebäudes und der Logik des neuen Raumes heraus wieder zu einer Ornamentik kommen, die mit der Nutzung korrespondiert, die Gäste sollen in das Gebäude hineinkommen und von der Architektur in Bewegung gebracht und hochgezogen werden in die oberen Etagen.
Hat Sie das Goya-Projekt auch gereizt, weil es bei anderen Bauwerken weniger möglich ist, so intensiv mit Formen zu spielen?
Kollhoff: Ja, selbstverständlich, zumal das bei den meisten anderen Gebäuden auch falsch wäre. Wer erwartet, unser nächstes Projekt sei eine wilde, gekurvte Skulptur in einer Baulücke, der irrt sich. Im Inneren eines Gebäudes ist das etwas ganz anderes und vor allem für diese spezifische Nutzung. Sie haben aber recht, wir haben beim Goya eine Möglichkeit gesehen, eine barocke Lust auszuleben, für die es sonst kaum Gelegenheit gibt.
Aber Sie bereuen es auch nicht, dass nur wenige Ihrer Projekte solche Möglichkeiten bieten?
Kollhoff: Nein, überhaupt nicht. Wenn Sie ein Bürohaus entwerfen, gibt es ja zunächst gar keinen Grund für eine geschwungene Grundrissgeometrie, vor allem nicht in einer Blockstruktur. Da muss der Kontext und die Bauaufgabe zu ihrem Recht kommen, die Angemessenheit der architektonischen Form.
Sie haben einmal gesagt, Architektur sei nichts Individuelles.
Kollhoff: Nicht im Sinne eines "genialen" Einfalls oder eines "Labels". Man wird ja heute als Architekt allzu oft in die Rolle desjenigen gebracht, der ein Kontrasterlebnis herbeizaubern muss, um Aufmerksamkeit zu erregen. Aber weil das nun jeder macht, gibt es heute im Grunde nichts als eine Aneinanderreihung von Projekten, die alle die aufsehenerregendsten der Welt sein wollen. Das Ergebnis ist eine merkwürdige Homogenität bizarrer Einfälle, die im Grunde nur Langeweile erzeugt. Mich interessiert viel mehr, vor allem, wenn ich mich in einer Umgebung mit guter historischer Bausubstanz befinde, dort etwas zu machen, was sich sozusagen im freundschaftlichen Dialog der Überlieferung nähert. Wir versuchen, mit den Mitteln, die uns heute zur Verfügung stehen, diesen Dialog anzustoßen. Ich bin dann am zufriedensten, wenn der Unterschied von einem Haus zum nächsten minimal und fein ist, und erst auf den zweiten Blick wahrgenommen werden kann. Das reizt mich am meisten. Aber dazu gehört natürlich in der Nachbarschaft eine gute Bausubstanz, wenn dort Schrott steht, dann bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig als das Kontrasterlebnis.
Oder Sie bauen dort eben nicht.
Kollhoff: Doch, doch. Gerade in einer schwierigen Umgebung besteht ja die Herausforderung darin, die Sache besser zu machen und damit die Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken, die Latte für den Qualitätsmaßstab etwas höher zu legen.
Können Sie sagen, in welchem Bereich mehr Arbeit steckt – in der Innen- oder in der Außenarchitektur?
Kollhoff: Im Innenraum, ganz eindeutig. Wenn der Innenraum zur Aufgabe für einen Architekten wird, dann steht dahinter meistens der Wunsch nach etwas Besonderem, nach einer höheren Wertigkeit des Materials und der Detaillierung. Sonst könnte man sich ja an einen Dekorateur oder Raumausstatter wenden. Die Trennung von Außen- und Innenarchitektur kam mir aber schon immer absurd vor, gerade weil der moderne Architekt immer als Erzieher oder Geschmacksapostel auftrat und sich nicht wundern musste, wenn ihm bei privaten Häusern oder Hotels ein Innenarchitekt vor die Nase gesetzt wurde. Das hatte ja auch seinen Grund: Das moderne Ideal abstrakter Räume ließ sich allzu leicht von hemmungslosem Profitdenken vereinnahmen und hat schließlich zum Verfall eines entwurflichen Repertoires geführt, das gehobenen Ansprüchen genügen könnte. Die Architekten haben sich dabei allzu bereitwillig auf eine provisorisch wirkende Baukonstruktion eingelassen, deren Toleranzen und Dilatationen ja schon an der Fassade ärgerlich sind. Wie sollen aus diesem Konstruktionsverständnis anspruchsvolle Innenräume entstehen, bei denen es auf eine geschmackvolle Materialwahl, eine feinfühlige Profilierung, eine handwerklich saubere Fügung ankommt, von der Herausforderung, den Charakter und die Atmosphäre des Raumes zu antizipieren, ganz zu schweigen. Das ist ein überaus aufwendiges Unterfangen, das im Entwurf von Möbeln gipfelt. Da fragt sich dann mancher: Wie kann es sein, dass in einen gewöhnlichen Stuhl so viel Arbeit geflossen ist? Einen Stuhl für eine bestimmte Situation zu entwerfen, das gehört zu den größten Herausforderungen überhaupt. Da kommt es auf Millimeter an und auf einen Blick, der langjähriger Erfahrung bedarf.
Und das überlassen Sie auch keinem Innenarchitekten?
Kollhoff: Nein. Es ist gut, dass es Innenarchitekten gibt, aber ich denke, die Architekten haben ohne Not und zu ihrem großen Schaden, die Herausforderung aufgegeben, Innenräume selbst zu entwerfen. Überhaupt glaube ich, dass die problematische Bauqualität unserer Zeit zum Besseren gewendet werden könnte, wenn die Architekten – insbesondere die jungen – öfter private Wohnhäuser realisieren würden und dazu gehören eben auch an vorderster Stelle die Innenräume. Der Architekt merkt dann recht schnell, dass er von seinem hohen Ross herunter kommen muss, dass er zunächst Dienstleister ist und dann vielleicht auch noch Künstler. Vor allem aber, dass es nicht darum geht, die Menschheit zu erziehen, sondern oft nur sehr ungenau artikulierte Bedürfnisse, Wünsche und Träume in architektonische Form zu übersetzen.
Verstehen Sie sich als Künstler?
Kollhoff: Auch. Aber nicht nur. Ich halte es da mit dem österreichischen Architekten Adolf Loos, der gesagt hat, dass nur ein ganz kleiner Bereich der Architektur in die Sphäre der Kunst reicht und das auch nur in glücklichen Fällen.
Was halten Sie dann persönlich von extravaganten Entwürfen wie dem Museumsneubau von Ieoh Ming Pei oder der niederländischen Botschaft von Rem Koolhaas in Berlin?
Kollhoff: Ich schätze die sehr anregende theoretische Auseinadersetzung, die Rem Koolhaas führt und ich finde, dass gerade der polemische Aspekt seiner Arbeit interessant und nicht ohne Grund so einflussreich ist. Leider ist ihm das Bild wichtiger als der Bau. Und bei I.M. Pei: wenn er die Projekte denn selber macht und nicht einem seiner Büros überlässt, dann hat das einen großen Atem und eine bewundernswerte Ausführungsqualität. Ich schaue mir die Arbeit der Kollegen, die ich schätze, schon sehr genau an.
Machen Sie das denn generell, dass Sie sich die Gebäude, an denen Sie vorbeikommen, sehr genau anschauen?
Kollhoff: Es entsteht daraus kein Tourismus. Aber wenn ich mal an einem aktuellen Projekt vorbeikomme oder wo etwas Bemerkenswertes entstanden ist, dann will ich das schon sehen.
Haben Sie dabei bestimmte Perspektiven, Masken, durch die Sie bei der Betrachtung eines Gebäudes hindurchgucken?
Kollhoff: Nein, ich denke nicht. Ich bin ein neugieriger Mensch, ich nehme die Welt, in der ich mich bewege, mit meinen Sinnen zur Kenntnis. Das ist auch die beste Schule für einen Architekten, der man nicht entwächst. Manchmal genügt ein Blick und ich gehe weiter, oft habe ich aber das Bedürfnis, das noch mal ganz in Ruhe anzuschauen und vielleicht sogar Notizen zu machen.
Und wo hatten Sie dieses Bedürfnis zuletzt?
Kollhoff: Meistens sind das alte Gebäude, zuletzt vielleicht die Kirche Sant’Ivo von Borromini in Rom.
Sind Sie dort vielleicht auch auf Idee gekommen, das Goya mit 13 Kronleuchtern mit echten Kerzen auszustatten?
Kollhoff: Nein, solche Räume mit Kerzenlicht habe ich oft in Venedig gesehen. Das ist ein ungeheurer Eindruck, eine atemberaubende Stimmung, da sieht man einfach den Unterschied zum elektrischem Licht. Wissen Sie, wir haben vor etwa 20 Jahren das erste Mal begonnen, eine Lampe selbst zu entwerfen. Nicht weil wir schon immer eine Lampe entwerfen wollten, sondern weil wir gemerkt haben: dieses Licht, das wir uns vorstellen, das gibt es nicht im Laden. Damals haben die Firmen die brutalsten Lampendesigns angeboten und das Hauptkriterium war im Grunde Vandalismussicherheit. Da war dann im Katalog neben der Abbildung immer so ein kleines Hämmerchen und das bedeutete "vandalismussicher". Die siebziger Jahre waren eine hemmungslos funktionalistische, eine trostlose Zeit. Davon entfernen wir uns Gott sei Dank zusehends. Seither haben wir viele Lampen entworfen und sind beim guten, alten Murano-Leuchter angekommen. Das tut unserer Modernität auch keinen Abbruch, weil wir wissen, das ist das beste Licht, gerade in so einem Raum wie dem Goya, bei dem es auf eine eindrückliche Atmosphäre ankommt, gelingt das mit Murano-Leuchtern besser als mit jedem anderen Licht, Böhmische Kristalleuchter vielleicht ausgenommen.
Wird das Goya denn ‚vandalismussicher‘ sein?
Kollhoff: Das Goya ist mit Sicherheit nicht vandalismussicher. Es gibt am Eingang vier junge Damen, die sich die Gäste sehr genau anschauen und darauf trainiert sind, potentielle Vandalen auszusondern.
Besteht darüber hinaus nicht die Gefahr, dass auch andere ‚draußen bleiben‘ müssen, dass das Goya ein Club für eine bestimmte, sehr wohlhabende Klientel wird?
Kollhoff: Die Gefahr besteht ganz und gar nicht, dafür spricht schon die Größe des Clubs. Uns und vor allem Herrn Glückstein war dieses Problem von Anfang an bewusst. Natürlich ist es so, dass nicht jeder Aktionär sein kann. Aber das Goya ist keine Luxusklasse und es wird ganz entschieden Wert darauf gelegt, dass es eine Durchmischung gibt, durch alle Einkommens- und Altersklassen hindurch. Das wird auch gelingen.
Ist es aber auch so, dass Architektur manchmal ausgrenzen kann?
Kollhoff: Natürlich kann Architektur ausgrenzen, Architektur ist Ihrem Wesen nach ausgrenzend. Sie trennt Innen von Außen, den privaten vom öffentlichen Raum. Diesem Prinzip verdankt sich die europäische Stadt, deren typologische Vielfalt allerdings Gebäude für die unterschiedlichsten Ansprüche bereithält.
Wie würden Sie unter diesem Aspekt z.B. den Potsdamer Platz bewerten?
Kollhoff: Da kann jeder hin. Da kann jeder flanieren oder konsumieren, in das Shopping-Center gehen, seinen Hamburger essen oder sein Kebab. Man kann sich sogar, etwas abseits, ganz entspannt in die Sonne setzen und dabei die Füße im Wasser baumeln lassen.
Dennoch haben Kritiker die Formulierung geprägt, der Potsdamer Platz sei tot.
Kollhoff: Das stimmt doch überhaupt nicht. Der brummt. Gehen Sie doch jetzt zur Mittagszeit hin, das Shopping-Center ist voll und die Menschen scheinen sich wohlzufühlen.
Das Problem war ein ganz anderes: die meisten Politiker und auch die Architekten, ich eingeschlossen, waren gar nicht daran interessiert, dass dort ein Shopping-Center realisiert wird. Wir wollten doch alle, dass eine Stadtstruktur entsteht, die wie jede normale städtische Situation funktioniert. Doch ohne Shopping-Center-Prinzip, das mussten wir wohl oder übel zur Kenntnis nehmen, ist heute ein Projekt dieser Größenordnung auf der grünen Wiese, und das war der Potsdamer Platz, nicht zu realisieren.
Würden Sie denn sagen, der Potsdamer Platz hat heute jenes Großstadtflair, was viele von ihm erwartet haben?
Kollhoff: Welches Großstadtflair meinen Sie? Das aus den Filmen der 20er Jahre?
Ich denke da eher an andere große Metropolen wie London oder New York.
Kollhoff: Mit der Einschränkung, dass es dort städtische Situationen gibt, die schon seit 100 Jahren oder länger gut funktionieren und aufgrund der schmerzlichen Erkenntnis, gerade in unserer zerbombten und zerplanten Stadt, dass man so etwas nicht über Nacht aus dem Hut zaubern kann – mit der Einschränkung würde ich schon sagen, dass am Potsdamer Platz eine ebenbürtige Situation geschaffen worden ist. Das gelingt heute nirgends in der Welt besser. Wenn Sie an der Nordseite des Platzes stehen, zwischen dem Ritz Carlton und unserem Delbrück-Haus und nach Süden schauen, da werden Sie staunen, das ist belebt und für etwas, das aus dem Nichts heraus entstanden ist, geradezu ein Wunder. Das ist zweifellos die großstädtischste Situation in ganz Berlin.
Auch wenn das DaimlerChrysler-Hochhaus am Potsdamer Platz ihr vielleicht bekanntestes Gebäude ist, findet man dort, wie auch gar nicht anders üblich, kein Schild, das auf den Architekten hinweist. Was würden Sie aber von so einer Praxis halten? Wenn man an jedem Ihrer Gebäude lesen könnte: "Architekt: Hans Kollhoff."
Kollhoff: Oh, ich hätte nichts dagegen, aber ich selbst möchte das nicht forcieren. Ich sehe das ohnehin eher ambivalent: Einerseits ist es eine Geste, die zeigt, dass der Architekt zu seinem Werk steht. Deshalb wäre es bei vielen Projekten tatsächlich sehr zu begrüßen, wenn man den Architekten-Namen dranschriebe, da würde man sich manchmal wundern, welch berühmte Kollegen hinter relativ dürftigen Projekten stehen. Andererseits könnte das auch als ein übertriebenes Bedürfnis interpretiert werden, sich als Architekt in Szene zu setzen. Jeder weiß doch, dass ein gutes Haus das Werk vieler ist, die engagiert kooperieren müssen, vom Bauherrn bis zum Malergesellen. Deshalb gehört der Architekten-Name dann vielleicht doch nicht in den öffentlichen Raum. Bei den Kirchen und Palästen von Palladio steht schließlich auch nicht "Palladio" dran, es sei denn aus touristischen Beweggründen und weil das inzwischen anerkannte Baudenkmäler sind. Ich finde es viel reizvoller, wenn man vor einem Gebäude innehält, weil einen etwas daran interessiert und wenn man der Sache nachgeht, erfährt, dass es ein Palladio-Gebäude ist.
Nun kommt es nicht selten vor, dass der Entwurf eines Architekten durch andere Instanzen oder Projekt-Beteiligte noch verändert wird. Im Fall des Architekten des neuen Lehrter Bahnhofs Meinhard von Gerkan gingen solche Veränderungen ja so weit, dass er gegen seinen Auftraggeber, Die Bahn, vor Gericht zog. Ist Ihnen derartiges auch schon mal passiert?
Kollhoff: Nein, wir haben in einer vergleichbaren Angelegenheit noch nicht prozessiert. Das ist schon ärgerlich, was beim Lehrter Bahnhof passiert, und ich kann sehr gut verstehen, wenn der Kollege von Gerkan nun auch das Gericht bemüht – sofern ich das aus der Distanz richtig einschätzen kann, denn Herr Mehdorn wird natürlich auch seine Version der Geschichte haben. Mit welcher Rücksichtslosigkeit aber heute manche "Bauherren" mit der geistigen Arbeit von Architekten umgehen, ist schon niederschmetternd. Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass es den Bauherrn, der sich tatsächlich als solcher versteht, der also das gleiche Problem hat wie der Architekt, nämlich ein Gebäude gegenüber der Gesellschaft persönlich zu vertreten anstatt in der Anonymität von Vorständen, Aufsichtsräten, Beratern oder Controllern zu verschwinden, kaum mehr gibt. Das ist bedauerlich, das ist ein gesellschaftliches Ärgernis, und man sieht das auch dem Stadtbild an. Dass sich jene Architekten, die sich wirklich noch mit ihrem Entwurf identifizieren, dagegen zur Wehr setzen, das ist doch ganz natürlich, und ich kann das nur unterstützen.
Nehmen solche Streitereien mit Bauherren viel Zeit, vielleicht sogar zu viel Zeit in Anspruch?
Kollhoff: Bis zu einem gewissen Grade gehört das einfach zur Aufgabe des Architekten mit dazu. Der Architekt kritzelt ja nicht seinen genialen Einfall auf eine Serviette und versucht, das dann genau so umzusetzen, koste es was es wolle, ohne dass der Bauherr seine Vorstellungen äußern und sich einbringen könnte – das wäre ein vollkommen falsches Verständnis von unserem Beruf. Ich sagte vorhin schon, dass wir zu allererst Dienstleister sind. Und dann erst in günstigen Fällen, Künstler. Es kommt jemand zu uns, der möchte von uns ein Haus entworfen und gebaut haben, ein Haus, das seinen Wünschen entspricht. Da muss der Architekt dann schon eine gewisse Elastizität mitbringen, er muss über ein gewisses Repertoire verfügen, um auf diese und jene Bedürfnisse zu reagieren – denn nicht jeder Bauherr hat die gleichen Wünsche. Dann wird der Architekt sagen: "Ja, das kann ich machen, das liegt in meinem Interessenbereich, da bin ich kompetent" – oder er lehnt es ab und empfiehlt, zu einem Kollegen zu gehen. Aber wenn man zum Bauherren ein kongeniales Verhältnis hat, dann werden diese Konflikte im guten Einvernehmen gelöst, ohne dass dabei ein fauler Kompromiss eingegangen werden müsste. Im Gegenteil, meistens erhält ein Entwurf durch die kreative Bewältigung solcher Meinungsverschiedenheiten erst seinen unverwechselbaren Charakter.
Mit wem müssen Sie noch diskutieren, außer mit dem Bauherren?
Kollhoff: Bei großen Projekten reden Sie als Architekt ja nicht mit einem Verantwortlichen, der sagt, ich baue mir dieses Haus und wenn es fertig ist, ziehe ich ein. Sondern Sie reden mit einem Entwickler, dann mit einem Investor, dann reden Sie mit einem Nutzer und in den meisten Fällen geht ein Projekt, noch bevor es zu Ende geplant ist, in eine andere Eigentümerschaft über – womit natürlich immer auch ein Austausch des Personals verbunden ist und eine Flut neuer Ideen und Bedenken. Mit der Planung darauf zu reagieren, ist nicht ganz einfach. Hinzu kommt, dass in einem solchen Prozess ja nicht immer die nötige Kompetenz vertreten ist und auch nicht die nötige Verantwortungsbereitschaft. Und je mehr ein Projekt vorankommt, desto mehr besteht von allen Seiten das Bedürfnis, sich abzusichern, sich beraten zu lassen. Also kommen Gutachter und Rechtsanwälte ins Spiel, oft schon während der Entwurfsphase. Da will dann der Investor seine Interessen gewahrt sehen, aber auch der Entwickler und der Nutzer. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch in Ordnung und war schon immer so. Doch wenn man sich dann in einer Planungssitzung, als einer, der aus dem Nichts eine architektonische Vorstellung entwickeln soll und der zusammen mit dem Statiker und Haustechniker etwas Baubares zu Papier bringen muss, einer Übermacht von Kontrolleuren ausgesetzt sieht, die endlos Bedenken vortragen, aber keine Verantwortung übernehmen, dann darf man schon ins Grübeln kommen.
Und Ihre eigenen Mitarbeiter, wie kontrollieren Sie die?
Kollhoff: Meine Mitarbeiter, die werden nicht kontrolliert. Das sind Diplom-Ingenieure, die besten ihrer Jahrgänge, viele haben bei mir studiert. Die machen aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung in meinem Büro eine sehr selbstständige Arbeit und denen kann ich vertrauen. Denen muss ich keinen Controller an die Seite stellen.
Und Ihre architektonische Handschrift, würden Sie sagen, die findet sich immer auf allen Baustellen, bei allen Projekten wieder?
Kollhoff: Wir haben ja nun vom sozialen Wohnungsbau bis zur privaten Villa, vom Bürohaus bis zum Ministerium, von der Landeszentralbank bis zur Bar alles gebaut. Noch keine Kirche und auch kein Museum, aber sonst fast alles, was es so gibt. Und das mit unterschiedlichen Bauherren, unterschiedlichen Budgets, unterschiedlichen Materialien, in unterschiedlichen Städten im In- und Ausland. Da entsteht in jeder Konstellation etwas ganz anderes, und da bin ich immer auch selber gespannt darauf, was in dieser neuen Konstellation entsteht. Wenn Sie dann aber all diese Gebäude nebeneinander stellen, dann tragen die alle meine Handschrift. Selbst bei stilistisch so unterschiedlichen Gebäuden wie der Villa Gerl in Berlin-Dahlem und dem DaimlerChryler-Haus am Potsdamer Platz. Um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen, da kommen die Leute wirklich auf mich zu und sagen: "Ich habe da kürzlich ein Haus gesehen, das muss doch von Ihnen sein." Dass das so wahrgenommen wird, darauf bin ich stolz.