Hans-Werner Meyer

Die meisten Schauspieler haben nicht viel Ahnung von ihren eigenen Arbeitsbedingungen.

Hans-Werner Meyer über den Mafia-Thriller „Im Zeichen des Drachen“, die Krisensituation der deutschen Filmwirtschaft, arbeitslose Schauspieler und den Streit um den Contergan-Film "Eine einzige Tablette“

Hans-Werner Meyer

© ZDF

Herr Meyer, Ihr Schauspielerkollege Rainer Hunold hat kürzlich gesagt, dass er es bereue, Schauspieler geworden zu sein: Er hat gesagt, diesen Beruf ergreife man aufgrund einer „narzisstischen Störung“. Warum sind Sie Schauspieler geworden?
Meyer: Mich hat schon als Kind das Gefühl mit Scheinwerfern im Gesicht auf der Bühne zu stehen, unglaublich angemacht. Das war etwas Erotisches für mich. Ich habe mich wohl gefühlt. Ich habe mich auch frei gefühlt. Komischerweise freier als sonst. Vielleicht ist das auch eine narzisstische Störung, mag sein.

Auf was für einer Bühne standen Sie als Kind?
Meyer: Ich habe schon als 12- oder 13-jähriger auf einem Schulfest eine Ein-Mann-Show gemacht. Mein Bruder ist Kabarettist. Er hat in der Schule damit angefangen. Und ich hab’s nachgemacht. Wie Brüder das halt so machen…

War Ihr Bruder ein Vorbild für Sie?
Meyer: Ja, immer.

Auch heute noch?
Meyer: Wir sind uns beide in vielen Dingen ein Vorbild. Ich habe viel von ihm gelernt. Früher in der Jugend natürlich viel mehr als jetzt. Aber auch heute. Sein Job ist es, Pointen zu setzen und allein zu unterhalten. Darin ist er unheimlich gut geworden, und ich gucke mir davon immer noch etwas ab.

In dem TV-Vierteiler „Im Zeichen des Drachen“ spielen Sie den skrupellosen Mafioso Dandolo, der mit Menschenhandel Riesengeschäfte macht. Was war das Verlockende an dieser finsteren Figur?
Meyer: In so einer internationalen Produktion den Schurken spielen zu dürfen, ist das Beste, was einem Schauspieler passieren kann. Das war schon ein ziemlich leckeres Angebot. Ich finde, es ist definitiv die interessanteste Rolle.

Woran machen Sie das fest?
Meyer: Dandolo hat bis zum Schluss ein Geheimnis. Das Faszinierende an diesem Typen ist, dass man nicht weiß, wer er eigentlich ist, wo er herkommt. Er ist sehr vielschichtig. Eine schillernde Figur, von der ich viele verschiedene Aspekte zeigen konnte: Die Anfänge in der Gosse, die Mitte auf der Höhe der High Society, zum Schluss wieder die Gosse. Er ist einerseits ein Großkrimineller, der skrupelloseste Mensch, den man sich vorstellen kann. Auf der anderen Seite liebt er eine Frau, was ihm auch zum Verhängnis wird.
Beim Drehen ging die Figur noch einmal in eine ganz andere Richtung: Dandolo ist viel verrückter geworden, als ich dachte…

Alle Schauspieler sollten in ihrer Muttersprache spielen. Wie funktioniert denn das Zusammenspiel mit Schauspielerkollegen, wenn man gar nicht versteht, was der andere sagt?
Meyer: (lacht) Tja, das ist ziemlich kompliziert, aber echt lustig… Wenn man genau hinguckt, kann man auch bei dem einen oder anderen Schauspieler die nackte Panik in den Augen sehen (lacht). Es geht nur so: Man muss sich das Stichwort merken und genau wissen, was der andere sagt. Man reagiert dann einfach so, als würde man es verstehen.

Das ist sicher nicht einfach.
Meyer: Es war für mich die bisher größte Herausforderung – sowohl produktionstechnisch als auch schauspielerisch. Weil ich mir alles selber bauen musste. Eigentlich sagt man ja: Schauspielerei ist Reagieren: Man agiert nicht, sondern man reagiert auf den Partner. Aber das ging hier nicht. Wenn man bei dieser Produktion auf den Partner reagiert hätte, hätte man die ganze Zeit ein Fragezeichen im Gesicht gehabt.

Nun sprach auch der Regisseur Antonello Grimaldi nur Italienisch. Wie haben Sie sich mit ihm verständigen können?
Meyer: Mit Händen und Füßen, wie es die Italiener sowieso gerne tun. Er hat eine sehr expressive Art sich auszudrücken, deswegen versteht man ihn auch so. Im Laufe der Zeit habe ich auch ein bisschen Italienisch gelernt und konnte ihn irgendwann ganz gut verstehen. Aber meistens haben wir es folgendermaßen gemacht: Ich habe auf Englisch geredet und er hat geglaubt, mich zu verstehen. Und er hat auf Italienisch gesprochen, und ich habe geglaubt, ihn zu verstehen.
Da Antonello nicht verstanden hat, was ich gesagt habe, war er eigentlich auch mit allem, was ich gesagt habe, zufrieden (lacht). Und auch beim Spielen hat er mich sehr frei gelassen.

Ist das typisch italienisch?
Meyer: Es ist eine italienische Tradition, die Schauspieler das machen zu lassen, was sie am besten können. Dabei prallen sehr unterschiedliche Schauspielertemperamente aufeinander. Das passt nicht unbedingt zueinander, ist aber interessant. Durch die Freiheit, die ich dadurch hatte, konnte ich die Rolle eigentlich anlegen, wie ich wollte. Irgendwann war ich dabei dann auch hemmungslos. Es war eine große künstlerische Herausforderung, die mich sehr viel weitergebracht hat.

Sie haben immer bereits vor Drehbeginn Ihren kompletten Text im Kopf. Das ist eher unüblich.
Meyer: Ich fühle mich erst dann frei, wenn ich alles unter Kontrolle habe. Von einer Szene in die andere springen kann und mir nicht vorher den Text aneignen muss. Es ist sowieso ein Irrtum, zu glauben, dass man als Schauspieler den Text am Abend vorher lernen kann. Auch wenn es Kollegen gibt, die das so machen. Ich finde es jedoch relativ unseriös, weil man dann nicht wirklich frei sein kann beim Spielen. Man kann eine Rolle nur spielen, wenn man nicht über den Text nachdenken muss. Wenn ich jetzt mit Ihnen rede, denke ich ja auch nicht über den Text nach, sondern ich entwickle ihn aus Gedanken heraus. Als Schauspieler muss ich das auch tun. Dafür muss der Text viel weiter hinten im Kopf sitzen. Man darf nicht über die Worte auf dem Blatt Papier nachdenken. Deshalb muss man den Text frühzeitig lernen. Dann traue ich mir selber zu, weit damit zu gehen. Sicherlich eine besondere Herangehensweise…

Sie bereiten sich auf Ihre Rollen immer sehr intensiv vor. Auf welche Weise haben Sie sich der Rolle des Mafioso angenähert?
Meyer: Durch die Filme, die wir gesehen haben, haben wir ja alle ein Bild von der Mafia. Das hatte ich natürlich auch. Auf Grund der knappen Zeit, die mir für die Vorbereitung zur Verfügung stand, hatte es für mich wenig Sinn, dieses Bild verändern zu wollen. Ich habe also relativ wenig recherchiert. Es hätte mir auch nicht weitergeholfen, die historischen Wurzeln der Camorra oder der Cosa Nostra herauszufiltern und zu gucken, wie die wirklich sind. Zumal die jungen Mafia-Leute, die jetzt am Zug sind, sich exakt so verhalten, wie sie es in den Filmen gesehen haben. Mittlerweile macht die Wirklichkeit die Filme nach. Wenn man die Filmrealität von der Mafia abbildet, bildet man also auch die „echte Realität“ ab.

Wie haben Sie die Figur anhand Ihres Film-Bildes von der Mafia geformt?
Meyer: Ich habe der Figur so einen New Yorker Italo-Akzent gegeben, wie wir ihn aus den Filmen kennen. Schon die Sprache hat eine Art von Ausdruck generiert. Daraus hat sich eine Körperhaltung ergeben. Ich habe diese Figur sozusagen aus der Sprache heraus geformt, aus dem Sprechrythmus. Dandolo hat sich so eine Sprache angeeignet, die ein bisschen künstlich ist. Er drückt sich sehr gewählt aus, aber so ein bisschen snobistisch, hochgestochen. Es ist nicht wirklich echt, er hat sich die Sprache sozusagen antrainiert. Denn er möchte ja als der „Doge“ gelten, als ein Abkömmling eines großen, alten venezianischen Händlergeschlechts. Deswegen redet er so geschwollen daher. Zum Schluss, wenn er immer mehr zu seinen kleinkriminellen Wurzeln zurückkehrt, wird er immer ordinärer. Das habe ich versucht in die Sprache zu legen.

Nun macht Dandolo nicht nur Geschäfte mit der Einschleusung illegaler Einwanderer in den Westen, sondern er lässt ihnen auch einen Mikrochip unter die Haut einpflanzen, damit die Mafia später per Satellit diese Menschen jederzeit lokalisieren und erpressen kann. Eine Journalistin im Film sagt: „Das klingt nach ganz billiger Science-Fiction“. Was haben Sie gedacht, als Sie das Drehbuch gelesen haben?
Meyer: Ich habe nicht gedacht, dass es nach Science-Fiction klingt. Ich habe vermutet, dass es technisch heute schon möglich ist. Was auch stimmt: Es gibt Rinderherden, die genau so kontrolliert werden. Und wenn es mit Rinderherden geht – wieso soll es dann nicht auch mit Menschen gehen? Ich glaube, was da erzählt wird, ist in keinster Weise Science-Fiction. Es ist in anderer Weise schon Realität: Menschenhandel und illegale Einwanderung gehören zu den größten Problemen, die wir haben. Millionen Menschen stehen vor den Toren Europas und wollen rein: Die Leute, die sie reinschleusen, nehmen sie aus und erpressen sie. Moderne Sklaverei gibt es nun mal. Die gibt’s überall. Dandolos Idee ist zwar eine Fiktion, aber sie ist nicht weit hergeholt.

Machen Ihnen solche Szenarien Angst?
Meyer: Ich bin kein ängstlicher Typ, deswegen reagiere ich darauf nicht mit Angst. Es macht mich vielmehr traurig, wütend, ratlos. Die Probleme, vor denen wir stehen und die Herausforderungen, die auf uns alle zukommen, sind so groß und so unbekannt, dass ich davon überzeugt bin, dass keiner eine Lösung hat. Niemand hat ein Rezept, wie das in Zukunft alles aussehen soll. Hinzu kommt vor allem noch die Klimakatastrophe, die viel schlimmer zu werden droht, als wir alle angenommen haben.
Aber was mein eigenes Leben angeht, hatte ich immer einen ganz unerschütterlichen Optimismus. Und ich glaube, je mehr Leute bewusst leben, je mehr Leute sich engagieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir der großen Katastrophe noch ausweichen können. Davon bin ich absolut überzeugt. Wir sind dem nicht hilflos ausgeliefert.

Sie selbst engagieren sich heute u.a. im Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler, den Sie im April 2006 mitgegründet haben, um den Interessen von Schauspielern gegenüber der Politik und Filmproduzenten eine Stimme zu geben.
Meyer: Das war genau so eine Situation. Ein Kollege sagte: „Passt mal auf: Seit Jahren wird darüber gejammert, dass es keinen Schauspielerverband gibt. Dass wir Schauspieler so viele Probleme haben. Dass man uns in der Öffentlichkeit falsch wahrnimmt. Wenn wir diesen Verband jetzt nicht gründen, dann wird es nie passieren.“ Also haben wir mit sieben Leuten diesen Verband gegründet. Inzwischen haben wir 580 Mitglieder.

Wird der Verband von der Politik wahrgenommen?
Meyer: Ich war erst vor kurzem auf einer Sitzung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zum Thema „Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft“. Und wir hatten ein Treffen mit SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zum Thema Hartz IV in der Filmwirtschaft. Wir werden viel schneller als Gesprächspartner ernst genommen, als wir es vermutet und uns erhofft hatten. Eigentlich waren wir noch gar nicht so weit. Jetzt müssen wir aber mit den Herausforderungen, die wir uns selbst geschaffen haben, umgehen. Wenn man etwas aus Überzeugung anfängt und mit Energie dabei ist, dann trägt das auch Früchte. Auch wenn es keine sofortige Belohnung verspricht.

Zitiert

Ich fühle mich erst dann frei, wenn ich alles unter Kontrolle habe.

Hans-Werner Meyer

Sie haben von einer „historischen Krisensituation“ gesprochen, in der sich der Schauspielerberuf befinde. Dabei haben Sie auf das Hartz IV-Gesetz verwiesen, nach dem Schauspieler nun anstatt innerhalb von drei Jahren, nun in zwei Jahren 365 Tage arbeiten müssen, um Arbeitslosengeld beziehen zu können. Gibt es andere Faktoren, die diese „Krisensituation“ aus Ihrer Sicht ausmachen?
Meyer: Es ist natürlich nicht nur Hartz IV. Das ist lediglich der Ausdruck dieser Krisensituation. Ich meine auch nicht nur eine Krisensituation für Schauspieler, sondern für alle: Sämtliche freien Berufe sind durch diese Regelung betroffen. Hartz IV ist entstanden, weil wir uns alle in einer Krise befinden. In der Filmwirtschaft macht sie sich jedoch immer mehr bemerkbar. Niemand, der nicht fest angestellt ist, schafft es, auf diese Zahl von Arbeitstagen zu kommen. Beim Film wird man üblicherweise nur für einzelne Drehtage bezahlt, daher kriegt man es nicht hin. Das ist zwar illegal, aber so wird’s häufig gemacht.

Der Öffentlichkeit ist es meist schwer vermittelbar, wenn Schauspieler Arbeitslosengeld beziehen wollen…
Meyer: …was daran liegt, dass es ein paar wenige Schauspieler gibt, die sehr viel Geld verdienen. Das prägt das Bild in der Öffentlichkeit. Man denkt: Das sind Stars, was jammern die rum? Mindestens 80 bis 90 Prozent der Schauspieler leben jedoch von sehr wenig Geld und sind froh, wenn sie zehn Drehtage im Jahr haben. Diese Leute werden langsam aber sicher aus dem Beruf gedrängt. Wenn sie in Hartz IV rutschen, sind sie nicht mehr frei, ein Angebot anzunehmen. Sie werden also nach und nach rausfallen. Das hat zur Folge, dass es immer weniger Schauspieler geben wird. Das gleiche gilt für andere Filmschaffende. Darunter wird die Filmindustrie eher früher als später ganz massiv leiden.

Sind sich alle Ihre Schauspielerkollegen dieser Probleme bewusst?
Meyer: Die meisten Schauspieler haben nicht viel Ahnung von ihren eigenen Arbeitsbedingungen. Sie hassen es auch, sich mit der Sozialversicherung oder der Lohnsteuer auseinanderzusetzen. Insofern war ich bislang ein typischer Vertreter dieses Berufsstandes. Weil es so trocken ist und dem Naturell der meisten Kollegen überhaupt nicht entspricht. Aber wenn wir uns damit nicht beschäftigen, können wir die Dinge auch nicht beeinflussen, die Bedingungen, unter denen wir arbeiten, nicht verändern. Und die Bedingungen verändern sich ohne unsere Einflussnahme derzeit sehr zum Negativen hin.

Wo Sie gerade mit einer Reihe von Kollegen aus anderen Ländern zusammengearbeitet haben: Wie ergeht es denen? Haben die ähnliche Probleme?
Meyer: Ja, aber sie gehen sie unterschiedlich an. Der Vergleich mit anderen Ländern gehört zu den Aufgaben, die wir uns gestellt haben. Das französische System ist beispielsweise noch viel komplizierter als das deutsche: Die rechnen die Stunden zusammen, einige Zeiten zählen doppelt. Ein Vorbild kann es aufgrund der Kompliziertheit also nicht sein. Aber wir orientieren uns und suchen nach einer Lösung.

Sie engagieren sich ehrenamtlich für Ihren Berufsstand, gehören selbst jedoch zu den am besten beschäftigten Schauspielern Deutschlands. Haben Sie jemals eine Rolle angenommen, nur um Geld zu verdienen?
Meyer: Ich habe es ein einziges Mal gemacht. Die Produktion war in Ordnung, aber ich möchte das ungern noch mal machen, weil ich mich mit der Rolle nicht wirklich identifizieren konnte. Ansonsten bin ich wirklich in der glücklichen Situation, dass ich diesen Zwang nicht habe.
Ich habe in diesem Jahr auch viel abgelehnt, weil ich Vater geworden bin und mir selbst vier Monate lang Vaterschaftsurlaub genommen habe. In dieser Zeit habe ich als Filmschaffender aber eben auch nichts verdient. Vor allem für Schauspielerinnen ist das ein Problem: Wenn sie schwanger sind und ein Kind bekommen, werden sie nicht engagiert. Auch eines der Probleme, dem wir uns als Freiberufler annehmen müssen. Alle diese Segnungen der Festangestellten haben wir nicht. Ich habe mir diese Auszeit jedoch ganz bewusst genommen: Weil ich den Kleinen mitkriegen wollte. Darüber bin ich auch sehr froh.

Haben Sie eine andere Einstellung zum Beruf, seitdem Sie Vater sind?
Meyer: (denkt lange nach) Schwer zu sagen. Ich bin einfach glücklicher. Fühle mich deswegen vielleicht freier und habe noch mehr Freude dabei als vorher. Drehen ist jetzt wie Urlaub für mich, weil der Alltag mit dem Kind zwar wunderschön, aber natürlich auch anstrengend ist.

Sie sind vor kurzem auch auf die Bühne gegangen im Renaissance Theater Berlin. Brauchen Sie hin und wieder den Wechsel vom Film zum Theater?
Meyer: Ja, absolut. Ich würde gerne mindestens einmal im Jahr Theater spielen. Aber das ist schwer machbar. Dennoch bleibt es ein Ziel. Eine Kombination von Film und Theater wird aus dem Grund immer schwieriger, weil die Produktionen immer mehr sparen müssen. Sie können es sich nicht mehr leisten, Schauspieler zu engagieren, die viele Sperrtage haben. Mir ist es jedoch wichtig: Es macht mich frei auf der Bühne zu spielen. Es zieht mich in neue Dimensionen. Es erfordert eine andere Kraft, gibt sie aber auch vielfach zurück. Der direkte Kontakt zum Publikum ist einfach Nahrung für einen Schauspieler

Eine andere Ihrer Leidenschaften ist die Musik. Ihre a-capella-Gruppe „Meier und die Geier“ gibt es seit über 20 Jahren. Haben Sie jemals daran gedacht, statt der Schauspielerei die Musik in den Vordergrund zu stellen?
Meyer: Am Anfang durchaus. Wir haben ja damals noch während der Schulzeit die erste Platte herausgebracht: Die deutsche Version von „Only You“ von den Flying Pickets. Und die wurde ein Hit! Wir waren sozusagen eine Boygroup, bevor es die überhaupt gab… Zwei, drei Jahre lang haben wir auf dieser Welle geritten. Ich hätte es auch gerne weitergemacht. Allerdings waren die anderen Gruppenmitglieder sehr skeptisch. Zu recht! Alle haben ihre Berufsausbildung weitergemacht, deswegen haben wir das auch nicht weiter verfolgt. Eine Zeitlang wäre ich wirklich lieber Sänger geworden, aber das Leben hat mich eben in eine andere Richtung geschoben.

Bleibt heute genug Zeit für die Musik?
Meyer: Nein, definitiv viel zu wenig. Das leidet momentan am allermeisten in meinem Leben. Aber wir haben schon einmal eine zehnjährige Pause gemacht, nach der es dann weiter ging. Daher bin ich guter Dinge. Und so eine A-Capella-Gruppe kann man ewig haben. Wir brauchen ja nur unsere Stimmen dafür – und Zeit. Die Zeit ist momentan nicht da, aber sie wird wieder kommen.

Ihre drei Kollegen kennen Sie noch aus der Schule. Wie wichtig sind diese Menschen in Ihrem Leben?
Meyer: Unsere letzte CD heißt nicht umsonst „Freundschaft“. Das ist untrennbar miteinander verbunden. Weil es genau darum geht: Diese Gruppe ist ein Ausdruck von Freundschaft. Wir sehen uns zwar sonst nicht so häufig, aber das ist eine ganz tiefe Verbindung, die wir da haben.

Haben Sie solche Freundschaften auch mit Schauspielerkollegen aufbauen können?
Meyer: Ich habe ein paar Freunde, die ich noch von der Schauspielschule her kenne. Solche Freundschaften werden mit zunehmendem Alter immer unwahrscheinlicher. Das hängt damit zusammen, dass man in der Jugend viel tiefere Bindungen eingeht und davon noch nicht so viele hat. Im Laufe des Lebens wird der Konkurrenzkampf immer stärker. Mit den Leuten, die man dann trifft, geht man nicht mehr so vorbehaltlos um.

Sie haben einmal gesagt, wenn Sie sich einen neuen Beruf suchen müssten, dann würden Sie Abenteurer. Was für einer?
Meyer: Ich würde zum Nordpol fahren, solange es ihn noch gibt… Ich würde in die entlegentsten Winkel der Welt reisen und Abenteuer suchen. Das habe ich immer gerne gemacht. Dafür bleibt jetzt keine Zeit mehr. Und mit der Familie wird das immer schwerer. Meine Abenteuer suche ich mir jetzt vor der Kamera und auf der Bühne…

Eins Ihrer Projekte, das schon lange für Diskussionen sorgt ist der ARD-Zweiteiler „Eine einzige Tablette“, der den Contergan-Skandal thematisiert. Der Pharmakonzern Grünenthal, der in den 60er Jahren ein Schlafmittel herstellte, das zu schwerwiegenden Missbildungen bei Neugeborenen führte, konnte auf Grund angeblicher sachlicher Fehler eine einstweilige Verfügung gegen die Ausstrahlung erwirken…
Meyer: Was da abläuft, ist ungeheuerlich. Als ob es die Fortsetzung des Films wäre. Die Firma verhält sich genauso, wie sie sich damals verhalten hat. Sie versucht die Ausstrahlung mit lauter formaljuristischen Anträgen hinauszuzögern, bzw. ganz zu verhindern, indem sie auf vollkommen bedeutungslose „Fehler“ hinweist. Den Kern der Geschichte streitet Grünenthal überhaupt nicht ab. Absurd ist auch, dass der Anwalt, der damals die Anklage geführt hat, Herr Schulte-Hillen, mittlerweile auf der Seite von Grünenthal ist. Auch er klagt gegen den Film: Obwohl der Held des Films, eine durch und durch positive Figur, teilweise nach ihm gestaltet ist. Da herrschen ganz eigenartige Zustände.

Der gerichtliche Beschluss kam auf Grund der ersten Drehbuchfassung zustande.
Meyer: Das ist natürlich ein absurder Vorgang. Denn diese erste Fassung ist komplett überarbeitet worden. Der Film ist ganz anders geworden. Das hat das Gericht jedoch gar nicht zur Kenntnis genommen und sozusagen im Nachhinein verboten, dass dieses Drehbuch verfilmt wird.

Inzwischen hat man 60 Minuten des Films begutachtet…
Meyer: …und festgestellt, dass es „kein fiktionaler Film“ ist, sondern eine „Dokumentation“. Noch so eine absurde Behauptung. Wenn der Bundesgerichtshof dieses Urteil bestätigen sollte, würde wäre das ein ganz schwerer Schlag gegen die künstlerische Freiheit in diesem Land. Alle Historiendramen wie „Der Tunnel“ oder „Das Wunder von Lengede“ müssten im Nachhinein verboten werden. Das sind alles dramatisierte und fiktionalisierte Produktionen. Und wären dann auch Dokumentationen.

Haben Sie den Film mittlerweile sehen können?
Meyer: Ja. Nichts rechtfertig dieses Verbot. Es ist ein wunderbarer Film geworden. Ein filmisches Meisterwerk. Dieses tragische Thema wird auf eine Weise behandelt, die man selten sieht. Sehr liebevoll. Mit sehr viel Humor. Dabei wird die Würde von niemanden angekratzt: Es gibt nicht den „Schurken“; man kann alle Handelnden letztlich verstehen und ihre Motive nachvollziehen.

Wie wird es weitergehen? Glauben Sie an eine Ausstrahlung in 2007?
Meyer: Es gibt da einen schönen Spruch: „Auf See und vor Gericht sind wir alle in Gottes Hand“. Es kann sein, dass Grünenthal immer weitere juristische Tricks anwendet, um die Ausstrahlung immer weiter zu verzögern. Bis man es irgendwann vergisst. So wie sie es im Contergan-Prozess versucht haben. Es gab ja damals zwar eine Abfindung für die Opfer, aber kein Urteil. Mit der gleichen Taktik verfährt Grünenthal auch heute. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Urteil Bestand hat.

In letzter Zeit hat sich das Fernsehen einer ganzen Reihe von historischen Ereignissen gewidmet. Stellen diese Verfilmungen in Ihren eine gelungene Art der Geschichtsaufarbeitung dar?
Meyer: Ich habe mich schon viel früher gefragt, wieso man sich an die jüngste Geschichte nicht herantraut. Das interessiert doch! Die Tatsache, dass es passiert, finde ich gut. Über die Art und Weise kann man unterschiedlicher Meinung sein. Manchmal sollte man auch tiefer gehen und nicht nur die Geschichte einer Frau zwischen zwei Männern in unterschiedlichen historischen Kontexten erzählen. Bloß weil es scheinbar quotenträchtig ist.

Es gibt eine Reihe von Menschen, die sich für Sie und ihre Arbeit interessieren. Das sieht man u.a. an den vielen Einträgen regelmäßig im Gästebuch Ihrer Homepage. Ab und zu antworten Sie auf die dort gestellten Fragen. Man hat den Eindruck, dass Sie das gerne tun und dabei die Sprache der Zuschauer sprechen. Wie wichtig ist Ihnen diese Kommunikation mit Ihren Fans?
Meyer: Es ist ein zweischneidiges Schwert. Ob ich es gerne oder nicht gerne tue, ist gar nicht so sehr die Frage. Ich finde es gut, dass es überhaupt eine Kommunikation gibt. Normalerweise bekommt man immer nur Feedback vom Regisseur oder von Kollegen. Darüber hinaus hat man die Quote, die aber weniger Rückmeldung über die Qualität als das Zuschauerverhalten gibt, das auch von vielen anderen Faktoren, auch Zufällen abhängt.
Echtes Feedback bekommst du nur von den Zuschauern. Weil: Für die macht man es ja letztlich. Deshalb ist es mir der Austausch extrem wichtig. Aber es kostet natürlich auch viel Zeit. Und diese Zeit habe ich momentan kaum. Man schürt dann auch Erwartungen, die man nicht unbedingt erfüllen kann. Das kann auch ein Problem werden.

Sie sind eine Person, die sich selten in der Öffentlichkeit blicken lässt. Sie waren erst ein einziges Mal in einer Talkshow. Es sieht so aus, als würden Sie so etwas vermeiden…
Meyer: Öffentlichkeitsarbeit ist ein integraler Bestandteil dieses Berufs. Ich scheue sie auch nicht. Man muss verkaufen, was man macht. Aber es ist nicht mein Lieblingsbestandteil, das gebe ich zu. Es treibt mir meistens das Grausen ins Gesicht, wenn ich diesen Betroffenheitskult in den Talkshows sehe. Was da verhandelt wird, ist häufig extrem uninteressant. Es würde mich selbst langweiligen, dort über persönliche Dinge zu sprechen.

Gibt es eine Talkshow, wo Sie ohne zu Zögern hingehen würden?
Meyer: „Zimmer frei“ gefällt mir sehr gut. Eine super Show.

Was haben Sie sich für 2007 vorgenommen?
Meyer: Mehr Zeit zu haben für die Familie. Ich bin ja Gott sei Dank in der Situation, mir das leisten zu können.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Meyer: (überlegt lange) Spontan hätte ich jetzt Asterix gesagt…(überlegt nochmals). Doch, Asterix!

Warum?
Meyer: Ich habe das Gefühl, immer wieder das kleine gallische Dorf zu verteidigen…

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