Hany Abu-Assad

Jeder Krieg, jedes Töten ist für mich ein Verbrechen!

Regisseur Hany Abu-Assad über seinen Film "Paradise Now" und den Nahost-Konflikt

Hany Abu-Assad

© Berlinale

Herr Abu-Assad, in Ihrem Film "Paradise Now" zeigen Sie zwei Selbstmordattentäter wenige Stunden vor einem geplanten Attentat. Wie ist die Idee zum Film entstanden?
Abu-Assad: Ich bin Filmemacher und als Filmmacher suchst du immer nach neuen Geschichten, die du erzählen kannst, alte Geschichten, die neu erzählt werden oder in einer anderen Sprache erzählt werden. Das ist eine innere Unruhe, die wohl in jedem Regisseur steckt. Diese Geschichte von "Paradise Now" ist eine neue und es war mein Job, sie zu erzählen.

Die Ausführung eines Selbstmordattentats zeigen Sie nicht explizit. Wo haben Sie sich Grenzen gesetzt in der Darstellung und Widergabe dieses umstrittenen Themas?
Abu-Assad: Ich habe versucht, den Film so zu machen, als ob die Geschichte vor einhundert Jahren passiert wäre – wie eine alte Erzählung. Das war schwierig, denn du filmst ein aktuelles Problem, das jeden beschäftigt, viele verwirrt und verärgert. Alle sind davon emotional sehr berührt. Und da eine Distanz aufzubauen ist sehr schwer. Aber ich habe versucht, dies zu tun. Die gewalttätige Darstellung des Themas, wie man sie aktuell in den Medien bekommt, ist nicht meine Art, davon zu erzählen. Die Art und Weise, wie darüber berichtet wird, ist weit entfernt von der Realität und nur darauf aus, Aufmerksamkeit zu erregen.

In den Medien sieht man oft große Demonstrationen der Hamas und anderen Organisationen, wenn es Anschläge und Opfer auf palästinensischer Seite gegeben hat. Aber man sieht keine Demonstrationen von Organisationen, die Gewalt ablehnen.
Abu-Assad: Es gab viele, aber die Medien sind nicht interessiert daran. Da gibt es keine Soldaten, es passiert "nichts", worüber man berichten müsste – also gibt es keine Nachrichten. Es gibt eine große Bewegung, die Gewalt ablehnt.

In der Diskussion zwischen den Protagonisten Suha und Khaled geht es um Menschenrechte und Problemlösung ohne Gewalt. Wie würden Sie die Menschenrechtsbewegung in Palästina beschreiben – wenn es überhaupt eine gibt?
Abu-Assad: Ganz sicher gibt es die und viele Palästinenser unterstützen die Menschenrechtsbewegung. Aber Israel, das die Grenzen kontrolliert, ist nicht an dieser Bewegung interessiert. Es konzentriert sich nur auf die Gruppen, die Gewalt als Mittel des Widerstands nutzen.

Behauptet die palästinensische Menschenrechtsbewegung, dass die Besetzung durch die Israelis der einzige Grund für alles ist? Oder erkennt sie auch eine Teilschuld der Palästinenser an?
Abu-Assad: Ich verstehe die Menschenrechtsbewegung so, dass Menschenrechte wichtiger sind als alles andere, und zwar überall. Sie sind wichtiger als Staaten, Strategien und Politik. Die Leute kämpfen für die Menschenrechte, damit Gleichheit zwischen allen Menschen erreicht wird. Auch die Schwachen unter uns verdienen es, gleichwertig behandelt zu werden. Das ist der Grundgedanke der Menschenrechtsbewegung. Und dieser Gedanke ist sehr stark beim palästinensischen Volk verwurzelt. Die Leute glauben daran, dass man zusammen leben kann. Aber die Palästinenser sind ein sehr inhomogenes Volk, und es gibt eben auch Gruppen, die an Gewalt glauben. Diese Gruppen lenken die Aufmerksamkeit auf sich und Israel profitiert davon, indem es die Fortsetzung seiner Politik damit rechtfertigt.

Sind Sie persönlich für eine gewaltfreie Lösung?
Abu-Assad: Ja, ich persönlich bin gegen das Töten – nicht nur in Palästina. Egal wie man es nennt: militärische Operation, Widerstand – es sind alles Verbrechen. Ein Krieg ist für mich ein Verbrechen und es gibt auch keine Rechtfertigung für den Krieg. Jeder Krieg, jedes Töten ist für mich ein Verbrechen. Aber leider sind nicht alle dieser Meinung.

Denken Sie, das die aktuellen politischen Entwicklungen im Nahen Osten eine Chance für einen Neuanfang und eine Lösung des Konflikt sind?
Abu-Assad: Nein, es wird so weitergehen wie bisher. Warum? Weil es keine grundsätzliche Übereinkunft zwischen Israel und den Palästinensern gibt, dass beide Seiten sich als gleichwertige Individuen und auch als Nation akzeptieren. Sie müssen das gleiche Recht haben, an diesem Ort zu bleiben. Die Palästinenser sind bereit dazu, wenn auch nicht alle, aber das ist nicht so wichtig, weil letztendlich die Israelis die Situation kontrollieren. Und Israel ist noch lange nicht bereit – einige Israelis schon, aber Israel als Staat ist nicht bereit, die Palästinenser als gleichberechtigt anzuerkennen. Sie geben ihnen weder das Recht, einen gleichwertigen Staat zu bilden, noch Partner zu sein. So lange Israel dies nicht tut und die Gewaltanwendung einiger Palästinenser dazu missbraucht, die Diskriminierung, den Mauerbau und die Besetzung zu rechtfertigen, wird es keinen Frieden geben. Man wird der Besetzung nur einen neuen Namen geben: man wird es vielleicht einen Staat nennen, aber dieser wird kein gleichwertiger Staat sein. Und wenn es keine gleichberechtigten Beziehungen zwischen Nachbarstaaten gibt, sondern einer übermächtig ist, dann wird der Unterdrückte immer versuchen, einen Weg zu finden, um sich nach oben zu kämpfen.

Zitiert

Die Art und Weise, wie über Selbstmordattentate berichtet wird, ist weit entfernt von der Realität und nur darauf aus, Aufmerksamkeit zu erregen.

Hany Abu-Assad

Ihr Film bewegt sich in manchen Szenen nahe an der Grenze zur Propaganda, aber er überschreitet diese Grenze nie. Wie schaffen Sie das?
Abu-Assad: Wie schon gesagt: ich habe versucht eine Distanz aufzubauen und beide Seiten zu beleuchten. Ich wollte nicht die politischen oder strategischen Interessen betrachten, sondern zeigen, wie man das Thema als Mensch wahrnehmen kann. Du respektierst beide Seiten und lässt sie mit ihren eigenen Worten sprechen. Das macht es realistisch und menschlich und schafft einen ehrlichen Zugang zu dem Problem.

Aber obwohl Sie versucht haben, objektiv zu bleiben, ist Ihr Film sehr emotional. Befürchten Sie, dass er gewalttätige Reaktionen auslösen wird? Sie haben schließlich nur die Seite der Westbank dargestellt.
Abu-Assad: Darzustellen, was in Israel passiert, ist nicht meine Aufgabe, sondern Aufgabe der Israelis. Mein Job war es, die Geschichte der jungen Männer und Frauen zu erzählen, die sich entscheiden, eine solche Tat zu begehen. Bevor du das Drehbuch schreibst, recherchierst du sehr viel und Stück für Stück entdeckst du, dass es Menschlichkeit gibt. Und auch wenn ich nicht mit ihren Handlungen einverstanden bin, ist es meine Aufgabe, ihre Geschichte zu erzählen. Du musst aber eine Balance schaffen, zwischen den beiden Gesichtspunkten, zwischen Pro und Contra – aber nicht zwischen den Israelis und Palästinensern, denn es gibt keine Gleichheit zwischen diesen beiden Seiten. Auf der einen Seite sind die Opfer, die Palästinenser. Und auf der anderen Seite, stehen die Israelis, die Unterdrücker. Man kann nicht beide Seiten zusammen bringen. Wenn du das tust, Besetzer und Opfer zusammen bringst, dann zwingst du die andere Seite dazu, zu töten und sich selbst umzubringen. Ein Selbstmordattentat tötet andere und in derselben Sekunde den Attentäter selbst. Das ist, meiner Meinung nach, die politische Haltung Israels. Sie zwingen die Palästinenser dazu.

Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Film eines Tages in Israel gezeigt wird?
Abu-Assad: Er wird sehr bald in Israel zu sehen sein, ich hoffe schon im nächsten Monat. Wir hatten einen israelischen Co-Produzenten, und auch sonst viele jüdische Leute, die mit uns gearbeitet haben. Es ist schließlich kein Anti-Israel-Film.

Welche Reaktionen erwarten Sie vom israelischen Publikum?
Abu-Assad: Natürlich wird es einige Leute geben, die den Film hassen, weil sie an der Idee festhalten, dass Selbstmordattentäter böse sind. Ich denke nicht, dass sie es sind. Aber was kann ich für diese Menschen tun? Ich toleriere es, dass sie meinen Film nicht mögen. Es ist ihr Recht den Film zu hassen. Es ist das Recht jedes Einzelnen in der Welt, einen Film zu lieben oder zu hassen, aber niemand hat das Recht, Gewalt anzuwenden.

Was wäre Ihr ideales Publikum? Israelis, Palästinenser oder beide zusammen?
Abu-Assad: Für mich sind beide sehr wichtig: Israelis und Palästinenser. Ich bin für Gleichheit und ich behandele beide Völker gleich, auch wenn sie aus politischer Sicht nicht gleich sind.

Und würden Sie ihren Film als politisch bezeichnen?
Abu-Assad: Nein, es ist kein politischer Film. Es ist ein Film, der ein aktuelles Problem thematisiert, indem er eine Geschichte so erzählt, als ob sie vor einhundert Jahren stattgefunden hätte. Es geht um die Geschichte, nicht um Politik.

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