Harald Kloser

Das ist die totale Inzucht.

Der Filmkomponist Harald Kloser über Fließbandmusik, sein Verhältnis zur E-Musik und die Zusammenarbeit mit Roland Emmerich bei "The Day After Tomorrow"

Harald Kloser

© Colosseum Records

Herr Kloser, „The Day After Tomorrow“ war für Sie der Film mit dem bislang höchsten Budget, ist das richtig?
Kloser: Ja, das war das doppelte Budget von Filmen, wie ich sie jemals zuvor gemacht habe, wirklich das mit Abstand das größte Projekt. Obwohl ich ja schon lange Filmmusik mache, dem Roland Emmerich habe ich zum Beispiel immer gesagt, wie wenig Filme er erst gemacht hätte, da habe ich ja bereits das Zehnfache an Musik gemacht (lacht).

Wie hat der größere Rahmen Ihre Arbeit verändert?
Kloser: Das hat sich schon sehr verändert. Bei meinen früheren Filmen war es meistens so, wenn ich da gerne noch 20 Musiker mehr im Orchester gehabt hätte, hat man mir immer nur einen Vogel gezeigt. Aber bei „The Day After Tomorrow“ kamen die oft auf mich zu und haben gefragt: „Hast du denn jetzt alles, was du brauchst?“

Aber es waren sicher auch mehr Leute, die Ihnen bei der Arbeit über die Schulter geguckt haben, oder?
Kloser: Ja, das natürlich auch, klar – und ich bin nicht gut, wenn man mir über die Schultern schaut.

Wer konkret guckt Ihnen denn da über die Schultern?
Kloser: Also, bei den Orchesteraufnahmen standen auf einmal so viele Leute hinter mir, ich wusste gar nicht mehr, wer die alle sind, die da vorbeischauen. Der Marketing-Direktor aus Südamerika, und der Chef der Abteilung so und so …

Hat denn von solchen Leuten eigentlich jemand ernst zu nehmende musikalische Kenntnisse?
Kloser: Nein, das denke ich nicht. Und es ist bei der Aufnahme ja auch eigentlich schon viel zu spät. Klar, wenn man für einen Film komponiert macht man am Anfang erst mal einen Entwurf, ein Layout, was der Regisseur und der Produzent bekommt. Zu „The Day After Tomorrow“ muss man aber auch sagen: auf der Ebene eines Roland Emmerich ist es fast wieder so, als wenn man einen kleinen Independent-Film macht. Da gibt es einen Typen, der verantwortlich ist, der von seiner Oma die letzte Kohle geliehen hat, der dann auch das Sagen hat. Dann gibt es eine Kategorie von Filmen, wie sie ganz viel gemacht werden, wo die Kohle von 14 verschiedenen Quellen kommt, wo dann vierzehn verschiedene Typen und Produzenten rumrennen, also wie ein großes demokratisches Unternehmen. Und ganz oben an der Spitze, bei den Spielbergs, Emmerichs und Petersens ist es wieder so, wie beim Independent-Film: Roland Emmerich hat Final Cut in seinem Vertrag stehen – er hat das Sagen. Das ist für mich eine angenehmere Situation. Ich habe ja schon Filme gehabt, wo ich dem Regisseur was vorgespielt habe, der mich umarmt hat, das toll gefunden hat – aber am nächsten Tag war der Regisseur gar nicht mehr da und der Produzent sagte nur noch: „What’s that Crap?“

Ist es Ihnen denn schon mal passiert, dass man Ihre Filmmusik abgelehnt hat?
Kloser: Ja, einmal. Das war vor einigen Jahren bei einem Film, der hieß „A Further Gesture“ und war mit Alfred Molina und Stephen Rea. Das war brutal, weil das war an meinem vierzigsten Geburtstag, daran kann ich mich noch gut erinnern. Ich war gerade aus dem Urlaub zurückgekommen, da kriegte ich einen Anruf von der Produktionsfirma. Ich habe die erst mal gefragt, wie sie mit der Mischung voran kommen würden – aber dann sagte der Produzent „Well, Harald, we’re so sorry, aber wir haben einen neuen Komponisten.“ Das war hart, ich hatte schon alles geschrieben, die Sachen waren schon aufgenommen. Tja, und ein paar Tage später saß ich in einem Cafe in Los Angeles und sah eine Boulevard-Zeitung, wo draufstand: Roland Emmerich, „Independence Day“, erstes Wochenende 100 Millionen Dollar eingespielt. Da dachte ich mir, der Emmerich hat’s geschafft – und ich bin der Versager.

Beruhte die jetzige Zusammenarbeit auch auf einer persönlichen Freundschaft? Bei „13th Floor“ haben Sie mit Roland Emmerich ja bereits zusammengearbeitet.
Kloser: Ja, in Los Angeles kennen sich ja fast alle Deutschsprachigen und die Freundschaft mit Roland gab es auch schon viele Jahre vor unserer Zusammenarbeit.

Wie ist die Entscheidung für den Komponisten bei „The Day After Tomorrow“ auf Sie gefallen?
Kloser: Also, wie gesagt, im Fall Roland Emmerich befindet man sich wieder auf dem Level eines Studentenfilms, der Chef sagt: „Hey du, du machst die Musik für meinen Film“. Bei den meisten anderen Filmen reden da immer noch die Studios mit. Ich war auch schon vor ein paar Jahren mal ganz nah dran, eine Musik für Roland zu machen, für den Film „Der Patriot“. Aber da ist es noch an eben diesen Dingen gescheitert, die Studios haben gefragt „wer ist dieser Typ, was hat der bisher gemacht?“ Da kommt man ja immer wieder auf die Frage, wie wird man Filmkomponist? Indem man zu den Leuten geht und sagt: „Ich bin Filmkomponist und hier sind die Filme, für die ich schon Musik gemacht habe.“ Aber wie kriegt man denn überhaupt den ersten Film, den ersten Job?

Nun hat man es als Filmkomponist in den USA aber immerhin leichter als ein Komponist, der nur für Konzert- und Opernhäuser schreibt, oder?
Kloser: Also, das weiß ich nicht. Ich kann nur ehrlich sagen, bei der E-Musik gehöre ich zu den Leuten, die Komponisten wie Philip Glass und Steve Reich emotional nicht so besonders viel abgewinnen können. Ich kenne auch ganz wenig Leute, die am Abend heimgehen und sich dann so etwas auflegen. Mich würde es auch gar nicht interessieren, so eine Musik zu machen.

Was hören Sie für Musik?
Kloser: Ach, wenn ich dann zu Hause tatsächlich noch Lust habe schon wieder Musik zu hören, dann würde ich mir eher etwas anhören, was nicht das Attribut „interessant“ hat, sondern was halt meiner momentanen Stimmung entspricht. Ich höre dann vielleicht Mozart – oder Nirvana.

Aber es ist schon so, dass es die E-Musik-Komponisten schwerer haben.
Kloser: Ja, zurecht, das will ja auch kein Mensch hören. Das ist ja fast so wie moderne Lyrik. Natürlich hat es moderne Lyrik schwerer als wenn man einen leichten Roman schreibt. Wenn man modern schreibt und dann auf einem Blatt nur steht „uuuul-bmuuuuusen …“ und man schon wieder umblättern muss – na klar ist es dann schwieriger, Bücher zu verkaufen.

Nun, meiner Meinung nach ist zum Beispiel das, was Philip Glass in „Koyaanisqatsi“ gemacht hat, von kaum einem anderen Komponisten bisher erreicht worden.
Kloser: Ja, klar. Es gibt natürlich Ausnahmen, wo man sagt „wow“. Aber auch das ist ja ein Film, den man nicht unbedingt wohlig über sich ergehen lassen kann.

Was wollen denn die Leute Ihrer Meinung nach hören?
Kloser: Das weiß ich nicht, ich weiß allenfalls, was ich höre. Sicher, die Filmmusik muss man ja auch nicht überbewerten. Ich kann davon meine Miete bezahlen, ich muss mich nicht mit irgendwelchen Sängern oder Textdichtern rumärgern. Das habe ich ja auch lange gemacht, für Sänger komponiert. Heute würde ich sagen, mache ich Survival mit Instrumentalmusik. Und ich brauche nur mich dazu. Ich brauche keinen, der singt, keinen Textautor…

Aber meistens arbeiten Sie vermutlich im Team. Wie viele Assistenten haben Sie?
Kloser: Also, im Team sind wir meistens drei bis vier und wenn es dann in Richtung Produktion geht, sind wir noch mehr. Es ist auch so, dass wirklich erst im letzten Moment die Orchestrierung vorgenommen wird. Bei „The Day After Tomorrow“ habe ich das letzte Musikstück einen Tag bevor der Film auf Film kopiert wurde, abgeliefert.

Wahrscheinlich braucht man diesen Druck auch, um überhaupt fertig zu werden, oder?
Kloser: Ja, die letzten zwei Wochen sind immer die Hölle. Egal ob man vorher drei Wochen Zeit hatte, oder drei Monate. Das wäre ja mein Lebensglück, wenn ich die Arbeit an einer Filmmusik gleichmäßig auf die vorhandene Zeit aufteilen könnte. Gleich am ersten Tag eine Rechnung machen: so und so viel Musik geteilt durch so und so viel Tage, da mache ich am ersten Tag gleich die ersten drei Minuten … Das wäre schön! In Wirklichkeit ist es dann leider oft so, dass man in den letzten drei Tagen die Musik für den halben Film macht.

Wenn man sich im Internet durch die einschlägigen Filmmusikforen durchklickt, liest man immer häufiger Einträge von gelangweilten Filmmusikfans, wo dann in Bezug auf Hollywood oft von „Fließbandmusik“ gesprochen wird. Können Sie als Komponist das nachvollziehen?
Kloser: Ja, das ist völlig richtig. Es ist auch die totale Inzucht, die da stattfindet. Wenn heute Filmmusik gemacht wird, dann schneidet der Film-Editor ja vorher einen sogenannten „Temp-Score“ unter den Film, eine temporärere Musik aus einem anderen, ähnlichen Film …

Was hatten Sie bei „The Day after tomorrow“ für einen Temp-Score, wenn man fragen darf?
Kloser: Ich hatte alles mögliche im Temp-Score, zum Beispiel Musik von Hans Zimmer aus „Thin Red Line“. Ich hatte aber auch das Glück, dass ich vor dem Dreh schon ein paar Musiken gemacht habe, die dann auch im „Temp-Score“ gelandet sind. Wenn mir der Produzent oder Roland dann gesagt haben, „ja, mach es so wie im Temp-Score“ meinten die oft ein Stück, dass ich selber geschrieben hatte. Oft ist der „Temp Score“ aber wirklich der Feind des Komponisten …

… und sicher eine der wesentlichen Ursachen dafür, dass immer mehr „Fließbandmusik“ in die Kinos kommt.
Kloser: Ja, ich kann Ihnen dazu ein Beispiel erzählen: Ich habe vor kurzem in Hollywood einen Komponisten getroffen, der sehr bekannt ist, und ich habe mich ihm vorgestellt „Hallo, ich kenne Sie sehr gut, Sie kennen mich nicht, ich bin der Harald Kloser …“ Da hat er geantwortet: „Oh mein Gott, kenne ich dich gut, ich mache gerade einen Film, da ist der Temp-Score voll von deinem „13th Floor“-Soundtrack. Oh, verklage mich bloß nicht …“ . Da musste ich ihm sagen: „Du wirst es nicht glauben, als ich „13th Floor“ gemacht habe, war mein Temp-Score voll von deiner Musik zu „Perfect Murder“ und ich habe das eigentlich alles nachgemacht.“ Das meine ich mit Inzucht, da macht der James Newton Howard ein Ding nach von mir, das entstanden ist, weil ich ein Ding von ihm nachgemacht habe. Das kann man dann glaube ich schon „Fließband“ nennen. Und ehrlich, wenn man Musik für eine Action-Szene macht und darunter liegt schon eine Musik, die Tempo140 hat, weil das so geschnitten wurde – welcher Filmkomponist wird dann sagen „ich nehme jetzt nicht Tempo140, sondern ich nehme Tempo126.“ Dann wird er halt bei jedem Schnitt daneben liegen. Und wenn es in dem Tempo im Temp-Score fünf große Höhepunkte gibt, wer wird dann sagen: „Nein, ich mache an der Stelle keinen Höhepunkt hin, ich mache den woanders“. Es geht doch am schnellsten, wenn man sagt, „ich mache Tempo140, hier, da und dort kommen die Höhepunkte, zack, zack, zack…“ – na klar ist das Fließband.

Und die künstlerische Freiheit?
Kloser: Nein, nicht in dieser Musik. Ich meine, wer geht denn auch abends heim und hört sich Musik aus einer Action-Szene an? Das sind ja dann schon Leute vor denen man Angst hätte, die nach der Arbeit heimgehen und sich Action-Sequenzen anhören (lacht). Nein, ich sehe die künstlerische Freiheit in der Filmmusik mehr dort, wo man emotionale Dinge zu sagen hat, auch wenn das manchmal nur ein paar Fingergriffe auf dem Klavier sind. Und zum Glück kommen im Idealfall auf einem Soundtrack auch ein, zwei Titel vor, die es dann halt sind.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Kloser: Ich bin die Biene Maja. Ich fliege immer so schön durch meine Welt, tue das, was mir gefällt …

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