Harald Schmidt

Ich muss den Zweiten Weltkrieg vom zweiten Akt trennen.

Harald Schmidt über „Die lustige Witwe“, modernes Regietheater und den Publikumsgeschmack

Harald Schmidt

© Hans-Jörg Michel

Herr Schmidt, Regisseur der "Lustigen Witwe" an der Deutschen Oper am Rhein ist Christian Brey. Sie waren also sein Regieassistent?
So könnte man das nennen.

Klingt wie ein ruhiger, nicht schlecht bezahlter Job?
Ich habe vielleicht die Funktion, die Eliette von Karajan mal hatte. Ich komme kurz vorm Dunkel werden noch mal rein und lächle allen zu. Die Funktion der Dirigentengattin ist ja leider aus der Mode gekommen. Außerdem halte ich launige Ansprachen an das Abonnement.

Und was haben Sie dabei gelernt?
Wie Christian Brey mit Sängern arbeitet. Und wie wichtig es ist, dass unten im Saal Ruhe herrscht, wenn oben konzentriert gearbeitet wird. Eine Brigade von Leuten schwirrt da rum und nach zwei Stunden werden plötzlich Kekse weitergereicht oder die Handynummer vom Klempner ausgetauscht, der auch am Wochenende kommt. Das stört. Dieser Perspektivwechsel war wichtig für mich.

Kannten Sie "Die lustige Witwe"?
Ich kannte das „Da geh ich zu Maxim“ und „Ja, das Studium der Weiber ist schwer“. Die beiden Stücke allein hätten mich schon überzeugt das Stück zu machen.

Vor kurzem wurde die Fledermaus-Inszenierung von Christian Pade in Berlin vom Feuilleton verrissen. Von einer „Blamage“ für die Staatsoper war da die Rede. Macht einen das nervös?
Es wundert mich, weil erstklassige Künstler dabei waren, Zubin Mehta, Christine Schäfer oder Michael Maertens als Frosch. Generell muss man mit Aktualisierungen sehr vorsichtig umgehen. Wenn man Sushi und Koks verwendet, muss es ein Volltreffer werden. Die Zeiten sind durch das Internet so schnell geworden. Sie machen eben noch Witze über den Verteidigungsminister, kommen in die Kantine und er ist zurückgetreten. Wenn ich was über Opel und Quelle einbaue, kann ich morgen zum Sänger sagen, gib mal den Zettel wieder her.

Halten sich die Regisseure für wichtiger als die Werke, die sie inszenieren?
Nein, das glaub ich nicht. Wenn ich als junger Regisseur auf mich aufmerksam machen will, brauche ich entweder einen großen Publikumserfolg, oder ich mache die Walküre so, wie sie angeblich noch nie gemacht worden ist. Das ist nicht einfach. Aber für wichtiger als das Stück halten sie sich nicht.

Sie wurden vor ein paar Jahren von „Theater heute“ zum besten Nachwuchsschauspieler gewählt. Interessiert an der Auszeichnung zum besten Nachwuchsregisseur?
Warum nicht? Alle behaupten, es sei ihnen nicht wichtig und rennen zum Kiosk um zu schauen, wo sie erwähnt sind. Es wäre auch altmodisch zu sagen, ich lese keine Kritiken. Wir googlen sofort bei Nachtkritik.de und freuen uns über jeden, der mit positiver Tendenz zerrissen wird!

Für Sie und Christian Brey war es die erste Arbeit im Bereich Operette/Oper. Wie war’s?
Entspannend, weil die geniale Musik als Sicherheit dient. Im Schauspiel gibt es das nicht. So grauenhaft kann ich als Regisseur gar nicht sein, dass z.B. La donna è mobile (Rigoletto, Anm.) nicht funktioniert. Manche halten das Genre für nicht zeitgemäß, aber die Qualität der Musik stellt niemand in Frage. Es fragt auch niemand ob „Lippen schweigen“ wohl beim Publikum ankommt. Damit fällt der Druck weg, für ein selbst geschriebenes Stück verantwortlich zu sein.

Haben Sie eine Lieblingsfigur in der "Lustigen Witwe"?
Eigentlich alle.

Träumen Sie nicht davon, à la Johannes Heesters mit Zylinder und weißem Schaal über die Bühne zu schweben und „Da geh ich zu Maxim“ singen?
Nein, in diese Richtung war ich auch vom Typ her nie besetzt. Ich war nie der  Herzensbrecher. Ich bin eindeutig näher am Baron Zeta. Oder am  Njegus.

Die Sprechrolle des Njegus wird mit einem Charakterkomiker besetzt. Warum spielen Sie den nicht?
Unser Njegus (Lutz Salzmann, Anm.) ist viel besser. Wenn ich das machen würde, wäre es so eine Harald Schmidt Show. Man hat mir auch schon häufig die Fledermaus angeboten. Das würde mich langweilen. Dann stünde ich Silvester in irgendeiner Staatsoper als Frosch auf der Bühne. Uninteressant. Das mache ich doch ständig im Fernsehen.

Loriot hat Martha und den Freischütz inszeniert. Für ihn war der Lustspielcharakter wichtig, einen Tristan beispielsweise hätte er nicht gemacht. Was würden Sie als nächstes inszenieren wollen?
Offen gesagt, alles. Die Aufgabe bleibt immer dieselbe und die Musik steht immer im Vordergrund. Bei Richard Wagner und Wolfgang Amadeus Mozart würde man mir ja nicht mal die Frage stellen „Glauben, dass das Genre noch funktioniert“.

Hört sich reichlich simpel an…
Natürlich kann man einen Eimer Blut rein kippen, einer kann sich die Schuhe ausziehen und damit telefonieren. Eingeölte, nackte Körper, ein paar schwule Tendenzen etc.. Letztendlich sind das doch alles bloß irgendwelche Einfälle. Inszenieren ist doch keine Hexerei.  Die Handlung im Tannhäuser oder in den Meistersingern ist klar nachvollziehbar. Und der Abend lebt zuallererst von der Musik und der sängerischen Qualität, sonst wär’s ja keine Oper. Ich glaube allerdings, dass das Bühnenbild in der Oper viel wichtiger ist, als im Schauspiel.

Wie wird Ihre Inszenierungsästhetik?
Wir haben überlegt, wie wir es inszenieren würden, wenn wir unser eigenes Geld investieren müssten. Unsere Inszenierung orientiert sich an London und den Broadway Musicals. Wir wollen das Haus voll kriegen. Die Deutsche Oper am Rhein  für uns perfekt was Rahmen, Größenordnung, Arbeitsbedingungen angeht. Wenn man uns hier wieder was anbietet, kommen wir sofort.

Hätten Sie einen besonderen Wunsch?
Das Opernhaus kann viel besser entscheiden, was es ins Repertoire nehmen will. Wir kennen ja die Sänger nicht und wissen nicht, wie man besetzen soll. Am besten, man macht uns einen Vorschlag. Wir schauen uns daraufhin so viele Aufführungen wie möglich an, und dann geht’s los.

Sie klauen sich die Ideen zusammen?
Nein, zu klauen gibt’s nicht so viel. Man sieht nur sofort, von welchen Ideen man die Finger lassen sollte und wo die Gefahren lauern. Zum Beispiel, dass der Chor im ersten Akt der "Lustigen Witwe" betrunken spielt. Das funktioniert einfach nicht.

Welche Ihrer persönlichen Eigenschaften kommen Ihnen beim Inszenieren zu Gute?
Die Fähigkeit zur Ausbeutung. Das ist nicht negativ gemeint. Je älter ich werde, desto besser gelingt es mir, die besten Leute zusammen zu bringen.

Zitiert

Der Führer war politisch umstritten, aber musikalisch hatte er einen erstklassigen Geschmack.

Harald Schmidt

Theaterregisseure ohne Opernerfahrung haben meist mehr Erfolg mit komischen Opern. Warum ist das so?
Wenn die Handlung lustig ist, ist das Publikum besser gestimmt. Komische Opern sind nicht so heilig, mit Ausnahme von Mozart vielleicht. Als die ARD Le nozze di Figaro aus Salzburg übertragen hat, waren wir mittags essen. Da haben sich die Leute über den Figaro unterhalten, wie andere über Fußball. „Na geh, die Anna, hat‘s die Arie wieder net g’schafft…“ oder „In London sind’s abgereist, es war so furchtbar…“ – Das ging bis in die 50er Jahre zurück.

Die echten Hardcore Fans…
Es gibt bei Mozart und Wagner Süchtige, die das Werk bis ins Detail kennen. Da hab ich mir gedacht: Vorsicht!

Wie erreicht man die als Regisseur?
Eigentlich wär‘s wieder Zeit für Strumpfhose und Puderperücke. Vor, an die Rampe und Arie geschmettert. Wir haben ja alles gesehen. Den Rollstuhl, die geklebten Glatzen, den Engel, der nicht mehr vom Rücken runtergeht…

…die Koffer, die Stühle, die Hakenkreuze…
…Junkies, Nutten, echte Tiere. Die Strumpfhose hat große Erlösungsqualität, das haben wir bei unserem Hamlet – Musical festgestellt.

Finden Sie das nicht sehr reaktionär?
Wenn man über Christian Brey und mich sagen würde, Deutschlands reaktionärstes Erfolgsduo reist wieder an, hätte ich kein Problem mit so einem Etikett. Warum nicht den 50er Jahre Schauspielführer wieder aufarbeiten?

Und das soll dem Publikum gefallen?
Der Geschmack des Publikums unterscheidet sich total von dem des Feuilletons. Ich glaube, der Trend geht zurück zur Tradition. Wenn sich ein Werk über hunderte von Jahren hält, muss das einen Grund haben. Wir spielen es in der Zeit in der ein Stück komponiert wurde, bzw. in der es laut Libretto spielt.

Also Richard Wagner zurück ins Mittelalter?
Klar. Da braucht man dann zwar einen Etat von 2 Millionen, allein für die Kostüme und es müssen Schwerter aus England rübergeflogen werden, damit die Sänger ein Gefühl für das Gewicht kriegen. Das ist aber heutzutage machbar. Sparmaßnahmen sind an Opernhäusern ja kein Thema. (lacht)

"Die Lustige Witwe" war Adolf Hitlers Lieblingsoperette. Welche Rolle spielt die Rezeptionsgeschichte eines Werkes bei der Inszenierung?
Für mich zeigt das, dass der Führer politisch umstritten war, aber musikalisch einen erstklassigen Geschmack hatte. Ich muss den Zweiten Weltkrieg vom zweiten Akt trennen. Die Nazithematik habe ich für mich abgehakt. Man findet auch immer weniger Leute, die noch  wissen, wer die Nazis waren. Die Generation stirbt weg.

Können wir denn mit diesem Teil unserer Geschichte wirklich abschließen?
Wenn’s beim Spiegel mal klemmt, kommt der Führer auf’s Titelbild. Der verkauft. Es ist ein dankbares Thema. Ich habe zig Filme zu dem Thema gesehen und hunderte von Diskussionen. Ich habe so viel aufgearbeitet und nicht mal in der Zeit gelebt. Ich brauche mal eine Pause. Und für alle Nachfolgenden ist das Dritte Reich historisch so nah oder weit wie das Römische Reich.

Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier haben sich zur Aufgabe gemacht, die Nazi-Vergangenheit in Bayreuth aufzuarbeiten. Halten Sie das für sinnvoll?
Warum nicht, das ist ihr Recht, und im Rahmen von Bayreuth macht es Sinn.
Ich meine nur, ich kann nicht jeden Witz, bei dem Goebbels mal gelacht hat, analysieren und verdammen.

In der "Lustigen Witwe" geht es u.a. darum, den bankrotten Staat Pontevedro zu retten. Was würden Sie für die Rettung des Vaterlandes tun?
Ich zahle Steuern, das reicht.

Wäre vielleicht keine schlechte Lösung, wenn Angela Merkel, wie Hanna Glawari in der Operette, einen reichen Bankier heiraten würde…
Auch hier hat uns die Aktualität einen bösen Streich gespielt: Es gibt kaum noch reiche Bankiers. Reich war gestern.

Ihre Stärken sind die Bereiche Ironie, Satire, Zynismus. Wie verträgt sich das mit Romantik und Sentimentalität?
Das ist die Voraussetzung. Der Zynismus besteht darin, „Lippen schweigen“ und das „Vilja- Lied“ so auf die Bühne zu bringen, wie es das Publikum erwartet. Und in keinem Fall die Sache zu brechen oder die Sentimentalität zu ruinieren.

Wo liegt für Sie der Unterschied zwischen Kitsch und Romantik?
Romantik ist, das Erhabene im Banalen zu erkennen. Und Kitsch ist, wenn Kunst sich bemüht Kunst zu sein und es zeigt. Hab ich gelesen. Aber eigentlich ist es wurscht, worüber eine Spätgebärende heult. Das ist ja unsere Zielrichtung.

Ist "Die lustige Witwe" mehr Kitsch oder mehr Romantik?
Sie ist ein genial gebautes Stück an der Grenze zur Sentimentalität und zum Kitsch. Aber man sollte sich nicht täuschen, der Bedarf nach Sentimentalität ist sensationell hoch. Wir leben in einer Zeit wo alle bei Parship im Internet hängen und Mädelsabende machen, wo man kuschelt, sich Pizza kommen lässt, heult und Hugh Grant Filme schaut.

Haben wir wirklich so wenig Anspruch an die Kunst?
Im Grunde gehen die Leute gequält in einen Lars von Trier-Film rein. Wenn’s feuilletonistisch erlaubt wäre, würde man schreien „Ich will nur noch Hugh Grant Filme sehen.“

Welche Regisseure haben Sie geprägt?
Die ganz Großen: Peter Zadek, Peter Stein, Claus Peyman. Heute gibt‘s entweder heulende Regisseurinnen die ihre privaten Probleme  auf die Bühne bringen und vorzeitig abreisen oder Heinzi Hilflos, der sagt: „Macht mal.“. So viele Regisseure die vorzeitig abreisen, oder wo’s der Intendant zu Ende bringt, habe ich noch nie gesehen.

Das mag für den Schauspielbereich gelten, für die Oper sicher nicht.
Wir finden immer, dass wir genau richtig liegen, wenn wir Applaus vom Chor kriegen.

Wie soll’s mit dem deutschen Theater weitergehen?
Die Zeit läuft auf die Haltung von Christian Brey und mir zu. Was wir verkünden ist wirklich revolutionär. Eigentlich wird man dafür in den Kantinen verprügelt.

Was verkünden Sie denn?
Deutscher Abonnent, wir befreien Dich vom Regietheater!

Barbara Schöneberger sagte mal: „Ich brauche das Fernsehen, um das zu tun, was ich eigentlich machen will.“ Gilt das auch für Sie?
Ja. Ich habe meine späte Theaterkarriere dem Fernsehen zu verdanken.

Schon mal überlegt, ganz mit dem Fernsehen aufzuhören, um sich nur noch dem Theater widmen zu können?
Ich habe nicht vor, mit dem Fernsehen aufzuhören. Die Liebe des deutschen Theaterbetriebes könnte abkühlen, wenn ich nicht mehr diese Fernsehpräsenz hätte.

Weil das Publikum schnell vergisst. Was glauben Sie, wie lange man noch an Sie denken würde? 
Da hab ich von unserem neuen Verteidigungsminister gelernt: „Hypothetische Fragen beantworte ich grundsätzlich nicht“. Super Antwort, oder?

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