Harald Schmitt

Die Politik-Berichterstattung ist oft enorm peinlich.

Stern-Fotograf Harald Schmitt über den Luxus seines Berufs, digitale Fotografie und Boxhandschuhe auf Parteitagen.

Harald Schmitt

© Harald Schmitt (STERN/World Press Photo)

Herr Schmitt, vor 25 Jahren haben Sie angefangen für den Stern zu arbeiten. Sie wollten damals unter allen Umständen zum Stern, nicht wahr?
Schmitt: Ja, das war für Fotografen noch eine andere Zeit. Damals Fotograf bei einer Illustrierten zu werden, das war der Traum aller jungen Leute, die angefangen haben zu fotografieren, zumal wenn die Illustrierte "Kristall" oder "Stern" hieß, da wollte man hin. Letzterer war journalistisch, das hat mich angesprochen, schon als ich jung war. Ich bin nicht der Typ, der Bilder stellt, ich gehe lieber irgendwo hin, gucke was ich sehe und mache dann meine Bilder. Ich habe eigentlich darauf hingearbeitet, dass ich Fotograf beim Stern werde, was natürlich nicht so einfach war. Die haben damals keine Volontäre ausgebildet, man musste also als fertiger Mann bei der Redaktion in Hamburg ankommen. Ich habe zuerst drei Jahre Sport fotografiert, bin dann nach Bonn gegangen, wo ich vier Jahre lang Politik und Wirtschaft fotografiert habe, zusammen mit Sven Simon, über den ich zu der Zeit bereits für den Stern gearbeitet habe. Ich habe viele politische Termine in Bonn wahrgenommen, in der Hoffnung, dass man auf mich aufmerksam wird. Das ist mir auch gelungen, 1977 rief mich der damalige Art-Director an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, zum Stern zu kommen. So hatte ich mir das gewünscht – und beim Stern bin ich bis heute geblieben.

Sie sind in diesem Jahr zum sechsten Mal Preisträger des World Press Award geworden, mit einem Bild …
Schmitt: … das die musizierenden Aka-Pygmäen zeigt. Es gibt einen französischen Musikprofessor, Simha Arom, der beschäftigt sich seit 30 Jahren mit der Musik der Pygmäen. Er hat lange Zeit in der Zentralafrikanischen Republik gelebt, hat dort auch ein Musik-Museum errichtet. Über ihn lud das Berliner Festival der Kontinente die Aka-Pygmäen zu einem Konzert in die Philharmonie ein. Wir wollten damals einen Vorbericht machen, wie dieses Volk eigentlich musiziert. Da bin ich mit einem Kollegen und Simha Arom in die Zentralafrikanische Republik gefahren. Es ist dort sehr schwer zu reisen, es gibt kaum Strassen, kaum Benzin und zwischendurch muss man aufpassen, dass man nicht beschossen wird. Wir waren 14 Tage unterwegs um diese Geschichte zu machen. Die Musik der Aka-Pygmäen ist eine hochkomplizierte Musik, vergleichbar mit der Zwölfton-Musik. Das Interessante ist, dass die Aka-Pygmäen nur bis 5 zählen können und es gibt bei ihnen keine Zahl, die höher ist. Jeder singt etwas anderes, aber bei jedem zwölften Ton treffen sich alle auf einem bestimmten Ton, das dividiert sich wieder auseinander und es kommt wieder zusammen usw. – sehr ungewöhnlich und sehr schwierig. Ich hatte zur Vorbereitung nur eine CD mit dieser Musik gehört und dachte mir nichts besonderes. Aber als wir die Pygmäen im Dschungel gesehen haben, da bewegte sich bei meinem Kollegen und mir etwas im Herzen, was wir nicht kannten, wie eine Hand, die sich ums Herz legt. Meine Erklärung für dieses Gefühl war, dass wir Musik hörten, die so ursprünglich war, die Millionen von Jahren verschüttet war und die wir jetzt hörten, da draußen in der Natur. Wir waren unglaublich berührt.

Und Ihre Aufgabe war es, diese Atmosphäre in einem stillen Image festzuhalten.
Schmitt: Das ist eigentlich das, wofür ich beim Stern bekannt bin. Ich mache gerne große Reportagen und versuche immer das, was ich sehe, auf den Punkt zu bringen, zu karikieren, manchmal auch zu überzeichnen, damit der Betrachter versteht, worum es geht. Beim Sport zum Beispiel ist das anders. Da gibt es Fotografen, die machen unglaublich tolle Schwimmfotos – wenn man mal also nur ein Foto vom Wettkampf braucht, schickt man diesen Spezialisten dahin. Wenn es aber darum geht, eine Geschichte zu erzählen, dann können die eigentlichen Spezialisten das nicht mehr so gut, weil sie im Laufe der Zeit blind geworden sind, sie sehen nicht mehr das, was einem normalen Betrachter auffallen würde. Da versuche ich anzusetzen, was sehe ich als normaler Betrachter? Ich fotografiere dann eben die Schwimmer nicht nur im Wasser, suche mir andere Perspektiven, suche mir Dinge, die nebenbei erzählen, was eigentlich abläuft.

Und Sie sind nach 25 Jahren noch nicht ‚blind‘ geworden, haben noch nicht die Freude an Ihrem Beruf verloren?
Schmitt: Im Gegenteil, ich möchte das gerne noch ein Leben lang machen. Mir macht das Fotografieren sehr viel Freude. Meine Kollegen und ich sind ja etwa sechs Monate pro Jahr unterwegs, das macht auch süchtig. Wir haben ein Leben, das kann man sich, auch wenn man vielfacher Millionär ist, nicht leisten. Ich war jetzt gerade für 14 Tage in Saudi-Arabien. Jeder der viel Geld hat, kann natürlich nach Saudi-Arabien – aber wenn man auf dem Ticket "Stern" reist, Kontakte zur Botschaft hat etc., dann ist man gleich beim Bruder des Königs eingeladen, der schlachtet für einen dann eine Ziege mitten in der Wüste, die man gemeinsam isst … Mit Geld ist das nicht machbar, da genieße ich schon sehr den Fotografen-Luxus, dass man die Welt bereisen kann und überall tief eintauchen kann.

War das auch Ihre Faszination als Sie als Fotograf angefangen haben, näher dran zu sein, am wichtigen Geschehen?
Schmitt: Ja, auf jeden Fall. Das Fotografieren, ja das finde ich ganz nett, es ist für mich ein Vehikel, um mir die Welt anzugucken. Ich würde das eigentlich viel lieber ohne Kamera machen und den Leuten nur zugucken, nicht durch die Linse. Aber das funktioniert so nicht.

Die Prämierung der World-Press-Fotos 2001 wurde stark durch die Katastrophe vom 11. September beeinflusst, gleich mehrere Fotos zeigen die Menschen, die in ihrer Verzweiflung aus dem World Trade Center in den Tod gesprungen sind.
Schmitt: Ja, ich finde, man sieht in der Ausstellung zu viel World Trade Center, weil nicht nur Amerika das Leid hat und es so viele Länder gibt, in denen die Menschen leiden. Natürlich ist die Ausstellung auch ein Zusammenschnitt des Jahres 2001, und da sind die Ereignisse in New York natürlich ganz wichtig, das kann man nicht verleugnen. Generell, wenn man die anderen Kriegsbilder sieht, dann sieht man eben, dass Krieg ein Teil unserer Welt ist. Auch das ist schrecklich, es wäre schöner, wenn man bei World Press Frösche oder sonstiges zeigen würde.

Ist vor Ihrer Kamera schon einmal jemand gestorben?
Schmitt: Nein, nur als ich vor etwa elf Jahren in Riga war, bekam jemand einen Bauchschuss und ich stand daneben. In der Nacht wurden drei Journalisten erschossen, und zwar auf eng begrenzten Raum, ich war vielleicht 100 Meter davon entfernt. Da habe ich mir gesagt, dass so etwas muss nicht sein. Das habe ich auch der Redaktion mitgeteilt und das versteht auch jeder. Bei Krisengebieten werde ich seitdem nicht mehr gefragt.

Haben Sie in dem Moment damals fotografiert?
Schmitt: Ja, und gerade in solchen Momenten muss man fotografieren, wenn da jemand umgebracht werden soll. Es gab vor mehreren Jahren den Schweizer Bruno Manser – er ist bis heute verschollen – der in Malaysia Eingeborene gegen die Regierung mobilisiert hat, um gegen die Abholzung des Urwalds zu protestieren. Die Regierung hatte dort bereits viele Eingeborene umgebracht und auf Manser ein Kopfgeld von $ 50 000 ausgesetzt. Er war aber eine Art Einzelkämpfer und ich habe ihm mal gesagt, dass das nichts nützt, wenn es nicht dokumentiert wird, er brauche eine Videokamera, damit die Welt sieht was dort abläuft. Sonst werden dort Menschen abgeschlachtet und es interessiert keinen. In dem Moment, wo es davon Fotos in Zeitschriften gibt, wird man wach, und man fragt sich, was das bloß für eine Regierung ist, die sich zusammen mit der Holzwirtschaft bereichert.

Ein interessanter Punkt Ihrer Laufbahn war sicher die Arbeit in der Ex-DDR.
Schmitt: Ja, ich war fünf Jahre für den Stern in der DDR akkreditiert, und habe von 1977 bis 1982 in Ost-Berlin gelebt. Ich habe die damaligen DDR-Reportagen gemacht, dann bin ich auch nach Polen, in die Tschechoslowakei, nach Rumänien und Bulgarien gefahren. Die DDR-Zeit war mit meine spannendste Zeit, der Beginn der Friedensbewegung, Pastor Eppelmann, Jenaer Friedensgruppe. Man durfte nicht arbeiten, die Staatssicherheit fuhr hinter einem her – das war sehr schwer aber unheimlich spannend.

Zitiert

Die Spezialisten sind im Laufe der Zeit blind geworden, sie sehen nicht mehr das, was einem normalen Betrachter auffallen würde.

Harald Schmitt

Sie waren auch mit Erich Honecker unterwegs.
Schmitt: Ich war mit ihm einmal in Sambia und später in Tokio. Was interessant ist: ich habe damals eine Frau aus der DDR geheiratet – wir sind, was ganz selten ist, immer noch gern zusammen. Als ich zu der Zeit einmal wegen eines Interviews bei Honecker im Büro war, wusste er davon und hat mich darauf angesprochen, ohne dass ich ihm jemals von meiner Frau erzählt hätte.

Zur Politik-Berichterstattung heute: man könnte meinen, Politik ist heute nur noch medial erfahrbar und die Fotografen spielen bei dieser Inszenierung eine große Rolle.
Schmitt: Sehr schrecklich, auf jedem Parteitag bekommt der Redner ein Boxhandschuh oder ein Sparschwein auf den Tisch gestellt, nur damit die Fotografen und Kameraleute ihre Bilder haben. Das ist eine Unkultur geworden und was diese Berichterstattung anbelangt, hadere ich mit dem Beruf schon seit vielen Jahren. Das politische Geschehen wird immer mehr zur Show und es geht nicht mehr um Inhalte. Ich als Fotograf finde das oft enorm peinlich und frage mich, warum sich die Kollegen jetzt nicht alle umdrehen, nach Hause gehen und sich sagen: so nicht! Ja, wenn Möllemann einmal Fallschirm springt, dann ist das einmal witzig, aber nicht jedes Mal. Trotzdem ist es ist jedes Mal wieder in den Medien.

Haben Sie aufgrund Ihres Berufes ein schlechtes Gewissen?
Schmitt: Ich muss ja inzwischen Gott sei dank so gut wie nie auf politische Veranstaltungen. Ich bin meistens alleine unterwegs, mit einem schreibenden Kollegen in irgendeinem Land, da laufe ich rum und mache meine Bilder, was sehr angenehm ist. Ich bin auch schon seit Jahren nicht mehr in Berlin gewesen.

Resignation?
Schmitt: Was in die Richtung Politik geht – Ja.

Junge Fotografen haben heutzutage mit dem Berufseinstieg sehr schwer, selbst Assistentenplätze in Labors und Ateliers sind nicht leicht zu kriegen. Ihr Rat an junge Kollegen?
Schmitt: Da habe ich leider keinen besonderen. Es ist eben so, wer wirklich will, der boxt sich durch. Das wurde von Jahr zu Jahr schwieriger, aber der Beweis, dass es auch heute klappt sind für mich zum Beispiel David und Peter Turnley. Das sind zwei Zwillingsbrüder, die aus einer amerikanischen Kleinstadt kommen, in Paris französische Philosophie studiert haben und dann auf einmal Karriere gemacht haben. Der eine bekam den World Press Award, der andere den Robert-Capa-Preis und im nächsten Jahr war es umgekehrt. Wenn man es wirklich will und dafür auch auf verschiedene Dinge verzichten kann, vielleicht Freunde nicht mehr so oft zu treffen, ich denke, dann kann man es heute noch schaffen. Als ich mit der Fotografie anfing, da war das natürlich noch einfacher. Damals hat der Stern die Fotografen, die ihm aufgefallen sind, einfach ‚gekauft‘. Man war dann beim Stern so eine Art Nationalmannschaft, da wollte man unbedingt hin, und wir waren so ein bisschen die Elite. Das hat sich geändert, ich bin jetzt mit 54 Jahren der jüngste Stern-Fotograf, von denen, die noch fest angestellt sind. Wir waren damals 23 feste, heute sind wir nur noch sechs. Man macht heute fast alles mit freien Fotografen, die meistens Spezialisten für den betreffenden Bereich sind. Das ist für den freien Fotografen natürlich angenehm, aber es gibt auch sehr große Konkurrenz untereinander. Von uns wurde damals erwartet, dass wir vieles können, die Spezialisierung war noch nicht so fortgeschritten wie heute. Heutzutage lohnt es sich kaum mehr für eine Redaktion, Fotografen fest anzustellen, das stirbt aus.

Fotografieren Sie heute digital?
Schmitt: Das mache ich ganz selten. Ich arbeite noch am meisten analog. Eine digitale Kamera habe ich mir aber gerade gekauft

Und nach 30 analogen Foto-Jahren haben Sie mit den digitalen Kameras kein Problem?
Schmitt: Nein, ich bin doch auch an Technik interessiert. Aber ich arbeite digital nur dann, wenn für ein aktuelles Thema zu fotografieren ist. Ich war zum Beispiel in Djerba, nach dem Attentat auf die Synagoge. Da kommt man dann ein oder zwei Tage später an, die Fotos müssen schnell nach Hamburg – das mache ich dann digital und schicke die Fotos mit dem Laptop in die Redaktion. Also, digital fotografiere ich wirklich nur, wenn es nicht anders geht.

Wegen der Ästhetik?
Schmitt: Nein, da bleibt für mich eigentlich alles gleich. Ich glaube nur, dass die Qualität noch nicht so gut ist, wie beispielsweise beim Dia-Film, den ich auch lieber als Farbnegativfilm verwende. Aber digital wird sicher kommen, zur Kölner Fotomesse Photokina Ende September kommen wieder neue Kameras auf den Markt, die noch mal ein paar Millionen Pixel mehr haben, das entwickelt sich. Das Foto-Labor des Stern zum Beispiel, das hatte früher 20 Mitarbeiter, heute sind es nur noch vier. Digital ist schneller und vor allem billiger. Wobei ich natürlich glaube, dass ein analog fotografiertes Bild eine höhere Wertigkeit haben wird als ein digital erstelltes, wenn man davon in 20 Jahren ein Print vom Negativ an der Wand hängen hat. Aber vielleicht rede ich darüber in ein paar Jahren ganz anders.

Ein Fotograf, den Sie bewundern …
Schmitt: … ist auf jeden Fall W. Eugene Smith. Das ist ein legendärer amerikanischer Fotograf der für das "LIFE-Magazine" gearbeitet und viel in Japan fotografiert hat, auch schon während des Zweiten Weltkrieges. Später hat er im japanischen Fischerdorf Minamata gelebt und dort die Wasserverseuchung mit Quecksilber durch eine dortige Fabrik und dessen teilweise tödlichen Folgen für die Bewohner dokumentiert. Als die Bilder um die Welt gingen und die Firma merkte, welche Dimension das ganze annahm, haben ihn Wachleute brutal zusammengeschlagen. Smith war hinterher fast blind und konnte kaum noch arbeiten.

Jedes Jahr vergibt eine internatinale Jury mit Sitz in Amsterdam den World Press Photo Award, eine unter Fotografen heiß begehrte Auszeichnung. Planet Interview traf einen der Gewinner von 2002, den Stern-Fotografen Harald Schmitt, dessen Foto von mehr

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