Harald Wohlfahrt

Eine Sterneküche braucht keine diktatorischen Verhältnisse

Harald Wohlfahrt zählt zu den besten Köchen Deutschlands, seit 20 Jahren erhält der Küchenchef der „Schwarzwaldstube“ Höchstwertungen in allen bedeutenden Restaurantführern. Ein Gespräch über Kochkultur, Medienpräsenz, Gourmet-Kritiker und den Umgangston in seiner Küche.

Harald Wohlfahrt

© Hotel Traube Tonbach

Herr Wohlfahrt, wobei stört man einen Drei-Sterne-Koch an einem Donnerstagmorgen um halb elf?
Harald Wohlfahrt: Momentan sind wir mit den Vorbereitungen für den Restaurantbetrieb beschäftigt. Heute mittag sind alle Tische gefüllt und da steht schon Einiges an. Im Moment liegt unser Fokus bei der Annahme der Waren, die zum Teil schon mittags in den Verkauf gehen. Und dann gibt es natürlich noch diverse Dinge zu klären, was die Gesamtorganisation betrifft.

Sie wurden am 7. November 1955 in Loffenau, damals Landkreis Calw, heute Landkreis Raststatt, geboren. War bei Ihnen schon als Kind der Wunsch vorhanden, Koch zu werden?
Wohlfahrt: Das Berufsbild des Kochs hat sich bei mir insoweit schon als Jugendlicher herauskristallisiert, da Loffenau ja keine weiterführende Schule hatte. Ich komme zudem noch aus einer Großfamilie, habe sechs Geschwister und da mussten wir uns damals, als 15-Jährige, nach der Hauptschule entscheiden, welchen Berufsweg wir einschlagen möchten. Meine Großeltern waren zur damaligen Zeit sehr aktiv als Landwirte, ich war immer gerne in der Natur und so habe ich sie oft bei der Arbeit unterstützt. Ich glaube, so ist damals die Grundlage für das geschaffen worden, was ich heute mache.

Nun sind Sie bereits seit den 1970er Jahren in der Gastronomie tätig. Wie hat sich die Branche bis heute verändert?
Wohlfahrt: Grundsätzlich kann man sagen, dass sich die Spitzengastronomie sehr stark weiterentwickelt hat. Die Küchen sind multikultureller geworden, es werden heute Geschmacksrichtungen akzeptiert, die wir damals, als ich meine Ausbildung gemacht habe, kaum kannten.

Zum Beispiel?
Wohlfahrt: Zitronengras oder Ingwer, das waren für mich Fremdwörter in der Lehrzeit. Man hat sozusagen gelernt, dass man allen Produkten, die uns die Natur über die Jahreszeiten zur Verfügung stellt, die gleiche Aufmerksamkeit schenkt. Allerdings ist im gleichen Zuge auch die Fast-Food-Gastronomie gewachsen. Es hat sich also nach oben und unten ausgeglichen.

Auch die Kochpräsenz in den Medien hat stark zugenommen. Welchen Einfluss hat das auf die Gastronomie?
Wohlfahrt: Ich sehe solche Kochshows grundsätzlich positiv. Alles, was dem Berufsbild des Kochs dient und es populärer macht, kann eigentlich nicht schaden.

Sie selbst sind aber relativ wenig im Fernsehen präsent, wobei Sie als mehrfach ausgezeichneter Koch doch dafür prädestiniert wären.
Wohlfahrt: Ich habe aber nicht die innere Bereitschaft, die wenige Freizeit, die mir in meinem Job bleibt, damit zu verbringen, durch diverse Fernsehstudios zu tingeln. Auch finanziell gesehen wären solche medialen Auftritte für mich nicht sehr lohnenswert. Und man muss auch Folgendes bedenken: Sterne kommen und Sterne gehen. Viele der Spitzenköche, die zuerst eine hohe Anerkennung von den Testern bekommen haben und dann zu omnipräsent in den Medien wurden, haben diese Anerkennung sehr schnell wieder verloren. Von einem Sternekoch wird erwartet und verlangt, dass er sich ausreichend um seinen Betrieb kümmert, um die hohe Qualität zu halten.

Angesichtes der gestiegenen medialen Präsenz: Muss man heutzutage als Koch kreativer sein, als noch vor zehn Jahren, um einen Gast zufrieden zu stellen und zu überraschen?
Wohlfahrt: Das kommt immer auf den persönlichen Anspruch eines Gastes an. Natürlich erwarten unsere Stammgäste in der Schwarzwaldstube ein gleich bleibend hohes Niveau, Abwechslung und eine hohe Kreativität. Ob wir immer besser geworden sind, weiß ich nicht. Aber generell kann man schon sagen, dass wir Köche im Lauf der Jahre kreativer geworden sind.

Und die Restaurantbesucher sind anspruchsvoller geworden?
Wohlfahrt: Das auf jeden Fall. Je öfter die Menschen essen gehen und je mehr Vergleichsmöglichkeiten sie damit haben, desto mehr schulen sie ihren Gaumen und werden dadurch sensibler. Auch ist die Spitze der Gastronomie über die Jahre breiter geworden. Wenn man da die gewünschte Leistung nicht erbringt, hat man als Koch schnell ein Problem.

Zitiert

Sterne kommen und Sterne gehen. Viele der Spitzenköche, die zuerst hohe Anerkennung von den Testern bekamen und dann zu omnipräsent in den Medien wurden, haben diese Anerkennung schnell wieder verloren.

Harald Wohlfahrt

Die Kochbranche gilt als eine der härtesten Branchen überhaupt. Funktioniert eine Sterneküche nur mit einer klar strukturierten Hierarchie?
Wohlfahrt: Grundsätzlich ist es ja so, dass alles einen Kopf braucht, ebenso einen Vordenker und jemanden, der für etwas Gewisses steht und die Mannschaft zu dem Ziel führt, wohin er sie haben möchte. Bei uns in der Schwarzwaldstube gibt es aber keine richtige Hierarchiestruktur im eigentlichen Sinne: Wir sind ein Team und jeder arbeitet mit Leidenschaft.

Wie muss man sich den Ton in Ihrer Küche vorstellen?
Wohlfahrt: Ich selbst habe in Betrieben gelernt, in denen es einen sehr rauen Umgangston gab. Da habe ich mir immer gesagt, dass es eigentlich auch anders gehen muss. Und ich glaube, ich habe den Beweis erbracht, dass in einer Sterneküche keine überautoritären oder diktatorischen Verhältnisse herrschen müssen. Eine gewisse Strenge und Disziplin gehört immer dazu, wenn Sie eine Fehlerquelle entdecken, dann müssen Sie diese natürlich auch abstellen. Doch ich pflege einen sehr kooperativen Führungsstil und jeder meiner Mitarbeiter kann an mich herantreten, wenn er ein Problem hat. Ich bin sehr stolz, dass ich als Küchenchef in 33 Jahren bisher nur einen Mitarbeiter entlassen habe. Und selbst den habe ich nach drei Jahren wieder eingestellt.

Ihr Team in der Schwarzwaldstube umfasst momentan 15 Mann. Woran erkennen Sie, ob jemand das Zeug hat, ein guter Koch zu werden, wenn er sich bei Ihnen bewirbt?
Wohlfahrt: Es ist so, dass ich persönlich gar nicht ausbilde, sondern nur mit gelernten Fachkräften arbeite. Aber wir bilden natürlich im Haus aus und nach so vielen Jahren habe ich einen Blick dafür entwickelt, wer geeignet ist und wer nicht. Ich lasse auch niemanden vorkochen, sondern stelle die Kollegen selbst nach einem Gespräch ein.

© Hotel Traube Tonbach

© Hotel Traube Tonbach


Welche Voraussetzungen muss ein Bewerber mitbringen?

Wohlfahrt: Ein guter Koch muss natürlich kreativ sein, ebenso belastbar. Er muss geschmackssicher und talentiert sein. Ganz wichtig ist auch noch die Teamfähigkeit. Ein hohes Maß an Ehrgeiz muss dazu noch vorhanden sein und ganz sicher eine psychische Leistungsbereitschaft.

Da verwundert es nicht, dass bei den Auszubildenden jeder zweite Koch abbricht.
Wohlfahrt: Natürlich ist ein hoher Druck vorhanden. Und es sind nicht alle Menschen gleich belastbar. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, woher ich selbst diese hohe Belastbarkeit in all den Jahren hergenommen habe.

Würden Sie sich als einen Perfektionisten bezeichnen?
Wohlfahrt: Ja, auf jeden Fall. Das muss man aber auch sein, wenn man als Koch andauernden Erfolg haben möchte.

Warum gibt es viel mehr männliche als weibliche Sterneköche?
Wohlfahrt: Das Berufsbild des Kochs ist ganz klar eine Männerdomäne: 95 Prozent sind Männer und nur fünf Prozent Frauen. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass es kaum einen familienunfreundlicheren Beruf gibt, als den des Spitzenkochs.

Also zahlt jeder Spitzenkoch einen Preis für seinen Job?
Wohlfahrt: Jeder zahlt einen hohen Preis. Gerade in der Familie und bei Freundschaften.

Erkennen Sie eigentlich Gourmet-Kritiker bzw. -Inspektoren des Guide Michelin, wenn die inkognito bei Ihnen erscheinen?
Wohlfahrt: Eigentlich nicht, ich stehe ja in der Küche. Und selbst wenn man den Verdacht hat, dass da draußen jetzt ein Tester sitzt, kann man deswegen nicht besser kochen, als ohnehin schon. Wenn die Produkte von vorneherein schlecht sind, dann kann man diese auch nicht frisieren, wenn man den Verdacht hat, dass ein Tester im Haus ist.

Was hieße es für Sie, einen oder mehrere Sterne zu verlieren?
Wohlfahrt: Das wäre natürlich ein großer Karriereknick. Ich bin ja als Küchenchef der Schwarzwaldstube auch dem Hotel Traube-Tonbach verpflichtet. Wenn ich einen Stern verlieren würde, dann würde natürlich auch dessen Ruf darunter leiden, ganz klar.

Kocht man da auch ein Stückweit für die Kritiker?
Wohlfahrt: Ich koche in erster Linie für meine Gäste! Die Kritiker begleiten uns und unsere Arbeit natürlich und geben diese Informationen an den Gast weiter. Und es ist ja deren Pflicht, Fehler aufzudecken. Natürlich möchte niemand schlechte Kritik bekommen.

Bereitet Ihnen die Bekanntgabe der Sterne beim Michelin Guide denn auch heute noch schlaflose Nächte?
Wohlfahrt: Es bereitet mir in sofern keine schlaflosen Nächte, da ich nach so vielen Jahren meine persönliche Situation durchaus einschätzen kann. Ich selber bin der Gradmesser in meiner Küche und weiß, welche Leistung mein Team und ich gebracht haben. Wenn man das ganze Jahr über seine Arbeit gut macht und von Seiten der Gäste kaum negative Kritik bekommt, dann kann man so einer Vergabe durchaus ruhig und gelassen entgegensehen.

Was viele nicht wissen: Für die Vergabe eines Sterns spielt nicht nur die Qualität des Essens eine Rolle, sondern auch immer das Preis/Leistungsverhältnis.
Wohlfahrt: Das stimmt, die Tester achten auf das Preis-Leistungsverhältnis, genauso auch auf Dinge wie Ausstattung und Ambiente.

Woher beziehen Sie persönlich Ihre Inspirationen als Koch?
Wohlfahrt: Das ist alles Erfahrungssache. Irgendwann weiß man, welche Lebensmittel man zur Verfügung hat, welche zusammenpassen und was man damit machen kann. Darüber hinaus muss man sich natürlich auch weiterbilden mit zeitgemäßer Literatur, sich mit den Lebensmitteln beschäftigen und – ganz wichtig – auch mal über den eigenen Tellerrand hinausblicken und schauen, was die Kollegen so alles kreieren.

Was halten Sie denn von Kollegen, die sich der sogenannten „Molekularküche“ widmen?
Wohlfahrt: Das, was Ferran Adrià da geschaffen hat, war schon etwas Besonderes. Er war einer der Mitbegründer der Molekularküche und hatte einen sehr großen Anspruch an sich selbst, weil er sich jedes Jahr extrem erneuern und somit immer neue Türen öffnen wollte. Allerdings hat er vor einiger Zeit sein Restaurant geschlossen, weil er irgendwann an bestimmte Grenzen gestoßen ist. Derjenige, der sozusagen die Türen für die Molekularküche geöffnet hat, ist nicht mehr da. Jetzt sind mehr oder weniger nur noch die Kopisten unterwegs, die Adriàs Art folgen. Da frage ich mich dann immer, ob diese Menschen eigentlich keine eigenen Ideen oder Wurzeln haben? Es ist gut, wenn jeder Koch das aufgreift, was für ihn persönlich Sinn macht. Dabei sollte aber immer die eigene, individuelle Handschrift erkennbar sein und bleiben.

Haben Sie in der Schwarzwaldstube gewisse Dinge aus der Molekularküche übernommen?
Wohlfahrt: Nein. Außer, dass bei uns die Espuma-Flasche zum Einsatz kommt.

Oft ist von „Kochkunst“ die Rede. Ist Kochen für Sie wirklich Kunst oder vielmehr Handwerk?
Wohlfahrt: Also, ich würde sagen: Kochen ist ein Kunsthandwerk!

Worin unterscheidet sich der private Koch Harald Wohlfahrt von dem im Restaurant?
Wohlfahrt: Eigentlich darin, dass ich so gut wie nie privat koche. Mein Leben spielt sich ja zum größten Teil in der Küche der Schwarzwaldstube ab. Und allein von dem, was ich dort täglich probieren muss, kann ich leben. Würde ich da die eigentlichen Mahlzeiten auch noch zu mir nehmen, könnte ich mein Gewicht niemals halten.

Achten Sie besonders auf eine gesunde Ernährung?
Wohlfahrt: Selbstverständlich. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung bedeutet für mich, dass ich meinem  Körper die Nahrung zukommen lasse, die er braucht, um gesund und fit zu bleiben. Zum Beispiel sollte man darauf achten, täglich nicht zu viel Zucker und Fett zu konsumieren.

Wenn man Ihre Biografie verfolgt, fällt auf, dass Sie immer Ihrer Region treu geblieben sind. Hat es Sie nicht mal gereizt, Ihr berufliches Glück in anderen Teilen Deutschlands oder gar im Ausland zu versuchen?
Wohlfahrt: Eigentlich hätte es nur einen Grund gegeben, mich beruflich zu verändern, das wäre die Selbstständigkeit gewesen. Aber ich wusste einfach immer, dass ich hier im richtigen Unternehmen bin, ich habe hier in jungen Jahren eine Lebensaufgabe übertragen bekommen und das mit einem sehr großen Vertrauensvorschuss. Ich habe immer versucht, alles dafür zu tun, diesem Vertrauen in mich und meine Arbeit gerecht zu werden.

Wen würden Sie als Ihr Vorbild bezeichnen?
Wohlfahrt: Mir fällt da zum Beispiel Paul Bocuse ein. Der Mann ist 87 Jahre alt und ist noch jeden Tag in seinem Restaurant. Das ist schon eine enorme Leistung und sehr bewundernswert.

Möchten Sie selbst auch noch mit 87 Jahren in der Küche stehen?
Wohlfahrt: Man soll ja Ziele haben im Leben. Und da in meinen Augen der Beruf des Kochs eine Berufung ist, sollte man, solange man gesundheitlich auf der Höhe ist, seiner Passion nachgehen. Aber auf ein bestimmtes Alter will ich mich dabei nicht festlegen.

2 Kommentare zu “Eine Sterneküche braucht keine diktatorischen Verhältnisse”

  1. Detlev Leitlauf |

    Der Harald ist halt immer noch der beste,und wir es auch bleiben

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  2. Roland Stumpp |

    Es gibt nur wenige Menschen die eine derartige kontinuierliche positive Lebensleistung aufweisen können, wie Harald Wohlfahrt.
    Im Besonderen in der perfekten Symbiose mit der Unternehmerfamilie Heiner Finkbeiner und der Traube in Tonbach!

    Ich habe große Hochachtung für Harald Wohlfahrt und freue mich auf den nächsten Moment sein Tageswerk und die Traube in Tonbach genießen zu können!

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