Hatice Akyün

Ich überlade meinen Pass nicht mit Emotionen.

Vor neun Jahren schrieb Hatice Akyün in ihrem Buch „Einmal Hans mit scharfer Soße“ über ihr Leben in Deutschland mit türkischen Wurzeln. Nun wurde es von Buket Alakuş verfilmt. Ein Gespräch über das Leben als Komödie, Klischees über türkische Frauen, Hassbriefeschreiber, Helmut Kohl und ihren Schock nach der letzten Wahl in der Türkei

Hatice Akyün

© Oliver Mark

Frau Akyün, wie kam es zu der Idee, Ihr Buch „Einmal Hans mit scharfer Soße“ zu verfilmen?
Hatice Akyün: Die Idee hatte ich schon immer, aber das ist natürlich nicht so einfach. Man braucht einen Produzenten und das ganze Drumherum. Die Regisseurin Buket Alakuş kenne ich schon sehr lange, ich wäre aber nie darauf gekommen, dass mein Buch ein Stoff für sie sein könnte. Man musste sich erstmal finden, vor zehn Jahren hätten wir noch nicht diese Mannschaft mit Buket Alakuş, İdil Üner oder Adnan Maral gehabt. Ich glaube, das war Kismet. Das heißt Schicksal auf Türkisch.
Vorher hatte ich schon einigen Produzenten abgesagt.

Warum?
Akyün: Weil die eine Vorstellung hatten, die nicht die meine war. Sie wollten aus dem Stoff etwas sehr Konfliktreiches machen: die Freiheitsgeschichte der Hatice, die sich von ihren strengen Eltern loslöst – aber das steht ja nicht im Buch. Auf ein Mal sollte Hatice ein Kopftuch tragen, obwohl ich keines trage. Die Produzenten wollten die typischen Bilder, die man von türkischen Frauen hat. Sie wollten aus meinem Buch eine Art „Gegen die Wand“-Drama auf lustig machen.

Was steckte dahinter?
Akyün: Die Mehrheit der Gesellschaft hat ein bestimmtes Bild von türkischen Frauen, das die Produzenten erfüllen wollten. Die Unterdrückte, die Zwangsverheiratete, die um Freiheit Kämpfende – aber das bin ich ja nicht! Im Buch bin ich 35, lebe mein Leben und bin noch nicht erschossen worden. Es gibt keinen schlagenden Vater in meiner Familie und ich möchte auch keinen schlagenden Vater einbauen, nur damit das Bild des Zuschauers stimmt.

Hat es Sie Überwindung gekostet, dass all die privaten Erlebnisse nun für so viele Zuschauer auf der Leinwand zu sehen sein werden?
Akyün: Was ist privat? Ich unterscheide zwischen intim und privat. Ich mache mir auch genau Gedanken, was ich aufschreibe und wo meine private, ureigene, intime Grenze ist. Ich möchte anhand meiner Geschichten, meiner Erlebnissen und journalistischen Arbeit zu türkischen Themen zeigen, dass wir gar nicht so unterschiedlich sind. Im zweiten Buch habe ich beschrieben, dass ich einen Kaiserschnitt hatte – ja, auch türkische Frauen haben Kaiserschnitt.

Und Sie schreiben so etwas Privates auf, um einmal bestimmte Dinge klarzustellen.
Akyün: Wer keine Bücher schreibt und nicht journalistisch arbeitet, schreibt so etwas natürlich nicht auf. Aber ich gehe ja mit meinen türkischen Themen an die Öffentlichkeit, weil ich anhand meiner Geschichten etwas beschreiben will. Für mich ist das ein Mittel, um zu zeigen, dass wir Türken ganz normal sind. Es gibt keinen Grund, warum wir anders sein sollten als die Deutschen. Wir sehen vielleicht ein bisschen anders aus, reden und essen anders, aber im Grunde sind wir gleich.

Wird das Bild der türkischen Frau in der Öffentlichkeit zu häufig dramatisiert?
Akyün: Es gibt die Horror- und Leidensgeschichten, die zwangsverheirateten Frauen und auch Hatun Sürücü – die damals in Berlin von ihrem Bruder erschossen wurde. Es gibt die Geschichten von unterdrückten türkischstämmigen Frauen. Das ist aber nur die eine Seite. Es gibt ja noch die andere Seite – meine Seite, so wie ich leben auch ganz viele andere türkischstämmige Frauen. Die dritte Generation lebt wiederum eine ganz andere Art. Es ist mir wichtig, das Bild durch meine Erzählungen zu vervollständigen. Ich habe nicht den Anspruch, dass meine Geschichte, die wahre und einzige ist – ganz im Gegenteil! Alle Geschichten haben ihre Berechtigung. Dramen gibt es auch bei den Deutschen. Meine Geschichte ist kein Drama, bei mir sind es Komödien.

Aber wahrscheinlich nimmt Ihnen nicht jeder die Komödie ab…
Akyün: Ja, das ist eigenartig: Im deutschen Genre, egal ob Film oder Buch, kann man sowohl Dramen als auch Komödien erzählen. Doch sobald es türkischen Themen sind, geht es immer um Dramen und Konflikte. Aber das entspricht ja gar nicht der Realität! Zumindest nicht meiner. Es vergleicht doch auch kein Mensch „Das Leben der Anderen“ mit „Keinohrhasen“!
Mit türkischen Themen sind wir noch nicht so weit, wobei es langsam kommt, mit komödiantischen Filmen wie „Türkisch für Anfänger“ und „3 Türken und 1 Baby“. Ich habe auch das Recht, lustige Bücher zu schreiben! Ildikó von Kürthy oder Susanne Fröhlich werden auch nicht ständig nach sozialen Themen in Deutschland befragt. Aber wenn ich auf einer Lesung bin und zwei Stunden von meinem lustigen Leben erzählt habe, landen wir am Ende doch wieder bei der Zwangsverheiratung.

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Kohls Plan ist nicht aufgegangen – ich bin ja noch hier.

Hatice Akyün

Der Film ist sehr humorvoll geworden. Haben Sie die starke Beeinflussung durch Ihre Familie auch immer mit Humor genommen?
Akyün: Ja, das ist mein Naturell. Humor ist immer besser als ständig mit einer Flappe herumzulaufen und zu sagen: „Die Deutschen sind alle blöd!“ Ich habe mein Leben als etwas sehr Reichhaltiges erlebt. Ich habe Beides – das Türkische und das Deutsche. Das hat mir auch viele Möglichkeiten gegeben und ich hatte dadurch viele Vorteile.

Und der familiäre Druck? Im Film ist der Umgang damit teilweise sehr locker.
Akyün: Im Film geht es darum, dass die jüngere Schwester schwanger ist, die ältere Schwester aber noch keinen Mann hat und so tun muss als ob sie einen gefunden hätte. Damit der Vater denkt, er hätte seine Familie im Griff. Mein eigener Vater wusste, wie ich in Berlin lebe, dass ich ein Single-Leben habe und mit Männern ausgehe, aber darüber gesprochen hat man nicht. Es geht immer nur darum, so zu tun als ob! Das ist etwas sehr Türkisches und war in meiner Familie auch so. Nichts wurde direkt angesprochen. Ich war immer ganz neidisch auf meine deutschen Freundinnen, die am Abendbrottisch mit den Eltern ihre Probleme besprechen konnten.

Im Film sagt der Vater den Satz: „Du bist nicht mehr meine Tochter!“
Akyün: Mein Vater hat mich nie verstoßen. Ich habe den Satz auch schon mal hören müssen, aber dann geantwortet: „Jaja. Das geht gar nicht. Ich bleibe immer deine Tochter.“ Auch hier habe ich es mit Humor genommen. Dieser Spruch ist gleichzusetzen mit dem Satz „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst…“ eines deutschen Vaters. Solche Sätze wird es immer geben.

Wer hat das größere Selbstbewusstsein – Ihr Vater oder Sie?
Akyün: (Lacht) Ich würde behaupten, dass ich mein Vater als Frau bin. Mein Vater hat lange nicht verstanden, wie ich lebe. Vor einigen Jahren hat er mich dann aber irgendwann zur Seite genommen und gesagt: „Du bist genau so wie ich als junger Mann. Wenn du mein Sohn gewesen wärst, hätte ich es vielleicht eher gesehen, aber wie sollte ich das an dir als meiner Tochter erkennen?“ Im Grunde bin ich das Abbild meines Vaters, was in einer türkischen Familie aber nicht üblich ist. Der Vater ist der Vater und die türkische Tochter ist die türkische Tochter. Dass ich im Charakter meinem Vaters so ähnlich bin, merken wir erst heute so richtig. Mein Selbstbewusstsein habe ich von meinem Vater und sicher auch meinen Humor.

Welche Rolle hat Authentizität für den Film gespielt?
Akyün: Natürlich hatte ich am Anfang die Sorge, ob die Rollen so sind, wie ich sie mir vorgestellt habe. Die Schauspieler spielen immerhin meinen Vater und meine Mutter. Die Personen auf der Leinwand sind meine Familie. Und die Person, die mich spielt – das bin ich. Sie trägt meinen Namen Hatice. Man hat auch mal Bauchschmerzen oder eine schlaflose Nacht. In einer solchen habe ich die Regisseurin angerufen und gefragt, was ich machen soll, wenn ich mit meinem türkischen Vater nicht in den Film gehen kann. Sie sagte: „Wenn du da nicht mit deinem Vater reingehen kannst, dann kann ich das mit meinem türkischen Vater auch nicht.“ Ich wusste also genau, dass sie nichts zeigen würde, nur um Produzenten oder Geldgebern zu gefallen. „Dein Vater ist mein Vater“ – das waren ihre Worte. Sie hat meine Geschichte als ihre angenommen und den Film mit Respekt vor der Familie gemacht.

EINMAL+HANS+MIT+SCHARFER+SOSSE+PlakatDie Crew war vorrangig türkisch. Wie wichtig war das?
Akyün: Es hat dem Film gut getan und den Dreh sehr erleichtert, da man viele Dinge nicht erklären musste. Adnan Maral, der meinen Vater spielt, hat auch einen türkischen Vater. Er hat privat viele Situationen erlebt, die er einfließen lassen konnte. Mein Vater und meine Mutter sind ein türkisches Ehepaar der ersten Generation – das merkst du im Film! Als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich meine Eltern darin wiedererkennen. Idil Üner, die mich spielt, ist ganz anders aufgewachsen als ich – sie kommt aus einer sehr liberalen, offenen, politischen Familie. Aber sie ist türkisch und hat ein türkisches Umfeld.

Hätten Sie sich auch von einer deutschen Schauspielerin spielen lassen?
Akyün: Mir wäre es egal gewesen. Eine Schauspielerin sollte ja dazu in der Lage sein, alles zu spielen. Mir war wichtig, dass es harmoniert. Ich versuche die Journalisten, die immer so einen Tiefgang beschreiben wollen, runterzuholen. Es ist eine Komödie – ein Film der unterhält.

Erreicht man mit Unterhaltung als Vehikel also auch etwas?
Akyün: Natürlich. Die Türken lesen mein Buch und sagen, dass es bei ihnen zu Hause genauso ist: „Die Akyün hat meine Lebensgeschichte aufgeschrieben!“ Die Deutschen merken, dass wir Türken doch nicht so anders sind. Die Geschichte ist wie eine Bildungsreise – man sieht, entdeckt und fühlt sich dabei gut unterhalten.

Gibt es Ihre Bücher und Texte auf Türkisch?
Akyün: Nein, weil die Türken-Türken nichts mit unserer deutsch-türkischen Geschichte anfangen können. Wir sind eine eigene Gattung und ganz anders. Die Deutsch-Türken haben eine eigene Auswanderer-Geschichte. Die Gastarbeiter der ersten Generation sind anders als die, die in der Türkei leben, deren Kinder erst recht. Als ich für das dritte Buch in Istanbul lebte, habe ich gemerkt, dass ich im Grunde zwar Türkin bin und die Türken in der Türkei auch nett zu mir sind, aber so richtig Türkin bin ich für die auch nicht. Ich hatte Lesungen in der Türkei, bei denen entweder deutsche Rentner, Deutsch-Türken oder Türken, die mal irgendwas mit Deutschland zu tun hatten, waren. Die Amerikaner interessieren sich mehr für meine Geschichte als die Türken-Türken.

Neulich haben Sie im „Tagesspiegel“ die Kolumne „Ich bin stinkewütend“ geschrieben, gerichtet an die Türken-Türken, die bei der Kommunalwahl Tayyip Erdogans Partei AKP einen Sieg beschert hatten.
Akyün: Ich habe diese Kolumne aus einem Bedürfnis heraus an die Menschen in der Türkei gerichtet. Ich war extrem wütend, weil ich einsehen musste, dass die doch nicht so ticken wie ich. Das war ein Eingeständnis – ich war enttäuscht, wie die Wahl dort ausgegangen ist. Ich habe die ganzen Proteste von Anfang an miterlebt, selbst auf der Straße protestiert und mit meinen Freunden in der Türkei über die Situation gesprochen. Ich war in einer Zeit in Istanbul, in der es bereits brodelte. Ich dachte wirklich: „Jetzt ist Erdogan reif!“

Kam Ihre Botschaft bei den Menschen in der Türkei an?
Akyün: Der Artikel ist in einer türkischen Zeitungen aufgegriffen worden, es wurde darüber geschrieben. Türkische Zeitungen haben auch schon über mich berichtet, allerdings als deutsche Journalistin mit türkischen Eltern. Das finde ich auch gut, ich bin ja eine deutsche Journalistin.

Würden Sie sich wünschen, dass die Türken in der Türkei diese Kolumne lesen? Deutsche Leser betrifft es ja weniger…
Akyün: Natürlich wünsche ich mir das. Ich habe noch nie auf einen Text so viel Feedback bekommen. Von Deutschen, Deutsch-Türken und Türken.
Was mich überrascht hat: Manchmal schreibe ich Texte über Erdogan oder den Islam und kriege Hassbriefe von den ’sehr Deutschen‘: „Wenn’s dir hier nicht gefällt, geh doch zurück in dein anatolisches Dorf!“ Das ist ein sehr beliebter Satz. Aber nach dem Text über die Wahl kamen die Hassbriefe auf einmal von den Türken. „Du hässliche Deutsche!“, „Du hässliches Schwein!“ oder „Wir wollen dich gar nicht mehr!“ Da dachte ich: Tut euch doch einfach zusammen, ihr deutschen und ihr türkischen Hassbriefeschreiber! (Lacht)

Am Anfang des Textes heißt es: „Viel Glück, Türkei. Ich bin raus.“ Wie schwer tut man sich mit so einer Zeile?
Akyün: Sehr schwer. Am Tag der Wahl habe ich morgens auf Facebook in türkischer Sprache gepostet: „Liebe Türkei, geht wählen und verändert etwas mit eurer Stimme!“ Ich war so sicher… Und auf ein Mal kamen die ersten Hochrechnungen und ich konnte es nicht glauben. Als der erste Schock vorbei war, dachte ich dann: Macht doch was ihr wollt!

Also ist diese Zeile ein Reflex, den Sie jetzt bereuen?
Akyün: Nein. Ich hatte ehrlich gesagt das Gefühl, dass denen nicht mehr zu helfen ist. „Ich kann nichts mehr für euch tun“. Das sage ich auch heute noch. Ich merke, dass ich seit der Wahl zurückhaltender geworden bin. Am 1. Mai saß ich einfach nur da. Bei den „Gezi“-Protesten habe ich hingegen noch viel organisiert. Ich habe jetzt das Gefühl: Ich bin raus.

Die Anwältin und Autorin Seyran Ateş gab vor wenigen Jahren bekannt, dass sie ihren türkischen Pass abgegeben hat. Machen Sie sich über so etwas Gedanken?
Akyün: Nein. Ich überlade meinen Pass nicht mit Emotionen. Ein Pass ist für mich ein Stück Papier, das in der Schublade liegt. Den Roten hol ich raus, damit ich visafrei reisen kann, aber mit meiner Identität hat das nichts zu tun. Das Türkische ist und bleibt in mir. Ich habe mich nur politisch von der Türkei distanziert – menschlich natürlich überhaupt nicht. Meine Schwester lebt ja dort und meine Freunde ebenfalls.

Seitdem 2013 bestimmte Protokolle von Margret Thatcher veröffentlicht wurden, weiß man, dass Helmut Kohl versucht hat, die türkischen Gastarbeiter zurück in die Türkei zu schicken. Serdar Somuncu erzählte uns, dass Ende der 80er Jahre Abfindungen in Höhe von 10.000,- D-Mark angeboten wurden, um sie zur Heimkehr zu bewegen. Hat Ihr Vater damals auch so ein Abfindungsangebot bekommen?
Akyün: Ja, aber er hat es nicht angenommen. In unserem Verwandten– oder Bekanntenkreis gibt es jedoch viele, die das taten. Denen geht es heute sehr schlecht in der Türkei – durch den wirtschaftlichen Aufschwung mittlerweile etwas besser. Mein Vater hat sich gefragt: „Wie weit komme ich mit 10.000 DM?“ Er hatte damals schon vier Kinder und war klug genug es nicht anzunehmen. Und Kohls Plan ist scheinbar nicht aufgegangen – ich bin ja noch hier. (Lacht)

Hat das Ihre Meinung zu Helmut Kohl verändert?
Akyün: Ich hatte schon immer eine feste Meinung von Kohl (lacht). Ich bin ein SPD-Kind aus Duisburg und sozialdemokratisch aufgewachsen. Ich komme aus einer Arbeiterstadt. Mein Vater war Bergmann. Mit 14 bin ich das erste Mal gegen Subventionsabbau im Bergwerk auf die Straße gegangen. Mit 18 bin ich auf die „Brücke der Solidarität“, um für die Stahlarbeiter zu demonstrieren. Mit 20 bin ich Nazis klopfen nach Bonn gefahren. Ich bin also politisch ganz anders aufgewachsen.

© Oliver Mark

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Werden Sie eigentlich im Moment auf einen bestimmten Autor sehr viel angesprochen?

Akyün: (Seufzt) Ja. Es wird viel Scheiße in diesem Land geredet und nicht jede Scheiße muss veröffentlicht werden. Er zieht abwertend über Frauen als „Fickobjekte“ her und redet ständig vom Flachlegen. Offensichtlich hat er ein großes Bedürfnis, bei Frauen anzukommen. Das ist witzig: Die Rechten werfen den Türken andauernd vor, dass sie Machos sind, ihre Frauen anmachen und sie ihnen wegnehmen wollen. Dann kommt dieser Türke, sagt das alles und sie jubeln ihm zu. Das verstehe ich nicht.

Wie erklären Sie sich als Journalistin, dass sein Buch zum Bestseller wurde?
Akyün: Ich denke, es funktioniert, weil die, die ihm zujubeln, sowieso schon ein Bild im Kopf hatten. Und jetzt kommt da einer, der ihnen für dieses Bild auch noch recht gibt. Es ist immer einfacher jemandem zuzujubeln, der die eigenen Gedanken formuliert. Wenn da einer Türken scheiße findet und ein anderer das auch sagt, dann fühlt der sich bestätigt. Im Grunde interessiert mich dieser Schriftsteller in keinster Weise. Das einzige, was mich interessiert ist, welche Reaktionen seine Thesen auslösen. Auch Sarrazin interessiert mich nicht die Bohne! Was mich interessiert, ist, was er in dieser Gesellschaft auslösen kann. Was Sarrazin ausgelöst hat war übrigens der Grund, warum ich nach Istanbul gegangen bin. Weil ich mich gefragt habe: Was passiert hier in diesem Land?
Wobei Sarrazin ja wirklich noch herzallerliebst über Türken und Muslime geschrieben hat, im Vergleich zu diesem Autor.

Dieser besagte Autor ist also der Spiegel eines bestimmten Teils der deutschen Gesellschaft?
Akyün: Er ist das Sprachrohr einer rechtsgesinnten, rassistischen, homophoben Gruppe. Er geht nicht nur gegen Ausländer und Muslime vor, sondern auch gegen Schwule, Lesben und Frauen. Er sagt, dass Frauen an den Herd gehören und bestätigt damit das Weltbild bestimmter Menschen. Ich persönlich schäme mich als Teil dieses Landes, dass so ein Unsinn salonfähig ist.

Er behauptete auch, es stimme nicht, dass Menschen mit einem Migrationshintergrund innerlich zerrissen sind. Was ist mit diesem Menschen schiefgelaufen?
Akyün: Ganz viele Leute seiner Kategorie sitzen irgendwo in einer geschlossenen Anstalt. Punkt.

Angesprochen auf den Begriff „Migrationshintergrund“ sagten Sie uns in unserem ersten Interview „Ich will nicht abgestempelt werden, ich will keinen Hintergrund“. Gab es dennoch Momente, im Alltag oder Berufsleben, wo Ihnen in Deutschland der Verweis auf diesen Hintergrund geholfen hat?
Akyün: Ja, klar. Beruflich hat mir das sehr weitergeholfen. Zehn Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen habe ich mit der türkischen Familie Genc ein Interview für den „Spiegel“ gemacht. Die haben mich zu sich nach Hause eingeladen, weil ich Türkisch spreche und weil ich Hatice heiße, wie eine der Töchter, die in der Nacht umgekommen ist. Die Mutter fühlte sich mir nah und vertraute mir, weil ich Türkin bin. Sie sagte: „Du tust uns nichts Böses. Du bist ja eine von uns.“
Die Frage ist, wie ich beruflich mit diesem Vorteil umgehe. Nutze ich das aus? Missbrauche ich es? Geh ich respektvoll damit um? In diesem Interview bin ich damit sehr respektvoll umgegangen, weil mir jemand vertraut hat.

Und in Ihrem Alltag?
Akyün: In meinem Alltag spielt das überhaupt keine Rolle. Das muss ich immer wieder betonen. Ich stehe morgens auf und mache mir keine Gedanken über meine Herkunft. Das ist ja eigentlich auch das Normalste auf der Welt.

Sie haben mal gesagt, dass die Ausdauerfähigkeit der Türken beim Küssen, vom ewig langen Sonnenblumenkerne-Kauen kommt. Was können die deutschen Männer besser?
Akyün: (Lacht) Die deutschen Männer sind zuverlässiger. Je älter ich werde, umso mehr schätze ich diese Eigenschaft. Dieses Oberflächliche, die tollen Komplimente, dieses Städteniederbrennen, die Leidenschaft – das findet man alles toll, wenn man jung ist.

So ein geschwollenes Gebaren nervt Sie?
Akyün: Ja. Mittlerweile weiß ich sehr zu schätzen, dass ich weiß, dass mein Mann abends nach Hause kommt, treu ist, Verantwortung trägt und sagt: „Wir ziehen das jetzt bis zum Schluss durch.“ (Lacht)

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