Heiner Brand

Wer keine Lust hat, braucht nicht zu kommen.

Handball-Bundestrainer Heiner Brand über den Umbruch in der Nationalmannschaft, unzumutbaren Terminstress, den Mangel an neuen und jungen Spielern und dass er sich für die Bundesliga mehr Local-Player wünscht

Heiner Brand

© Claus Bergmann

Herr Brand, im ersten Spiel der neuen Handball-EM-Qualifikation gewannen Sie mit ihrem Nationalteam 42:11 gegen Bulgarien. Wie stehen Sie dem neuen Modus gegenüber?
Brand: Das erste Spiel gegen die Bulgaren war aufgrund unserer Überlegenheit kein sehr positives Beispiel. Aber es ist sicherlich auch eine ganz gute Sache, wenn wir mit der Nationalmannschaft außerhalb von Weltmeisterschaften und Europameisterschaften mit Wettkämpfen vertreten sind. Genauso positiv ist es, wenn die Spiele eng und interessant sind. Aber aufgrund des straffen Terminkalenders hat man keine Möglichkeiten, Testphasen einzubauen oder in Ruhe eine neue Mannschaft aufzubauen. Wir stehen stattdessen unter dem Druck, die Qualifikation zu schaffen und dann kommt schon das nächste große Turnier.

Könnte es – vor allem für Spitzenspieler – zum Problem werden, dass sie nun wieder mehr Spiele auszutragen haben?
Brand: Wir haben ja nicht mehr Spiele, weil bei uns die Freundschaftsspiele wegfallen. Die Quali-Termine sind die gleichen, die wir vorher auch für Länderspiele hatten. Abgesehen davon habe ich sowieso kaum Spieler aus deutschen Spitzenmannschaften. Das muss man bei der Diskussion beachten. Die einzigen beiden die zurzeit dabei sind, sind der Kieler Dominik Klein und der Hamburger Jogi Bitter. Und wenn er wieder gesund ist, auch Torsten Jansen vom HSV. Ansonsten habe ich ja Spieler von Mannschaften aus dem Mittelfeld.

Ist die fehlende Kompromissbereitschaft in den großen Handball-Verbänden Grund für den aufgeblähten Terminplan?
Brand: Alle Seiten müssen bereit sein zu Kompromissen. Das ist leider nicht der Fall. Die Internationale Handball-Förderation besteht auf die Austragung einer Weltmeisterschaft alle zwei Jahre, genauso wie die Europäische Handball Förderation alle zwei Jahre eine Europameisterschaft veranstalten will. Dazu kommt Olympia. Und natürlich ist da noch der  Vereinskalender. Die Champions League und die anderen europäischen Wettbewerbe werden künstlich aufgebläht. Wenn neun deutsche Mannschaften im Europacup spielen, wertet das die Bedeutung enorm herunter. Ich bin sicherlich niemand, der nur die Interessen der Nationalmannschaft sieht, sondern ich sehe die Interessen des Handballs. Da müssen alle zu Kompromissen bereit sein. Aber da deutet sich derzeit nichts an. Insofern wird es so weitergehen wie bisher.

Wo würden Sie den Hebel ansetzen, um der Lage Herr zu werden?
Brand: Dafür müsste man auf jeden Fall ein großes Turnier im Jahr der Olympischen Spiele streichen. Dann würden im Wechsel einmal keine EM und einmal keine WM stattfinden. Das wäre eine Grundvoraussetzung. Aber man müsste auf allen Ebenen handeln, so zum Beispiel die künstlich geschaffene Vereinseuropameisterschaft abschaffen. Ebenso sollte man über eine Verkleinerung der europäischen Wettbewerbe nachdenken.

Ist die Grenze des Zumutbaren – vor allem für Spitzenspieler – bereits überschritten?
Brand: Sicherlich ist die Grenze bei den Top-Spielern überschritten, die mit ihren Klubs Champions League spielen müssen und dann die Wettbewerbe mit den Nationalmannschaften haben. Es wird dieses Argument aber auch an manchen Stellen zu oft in den Raum geschmissen. Ich habe es schon erlebt, dass sich ein Spieler über die zu hohe Belastung beschwert hat, wenn er sich drei Wochen nach Saisonbeginn verletzt hat. Das hat dann aber nichts mit Überbelastung zu tun, sondern mit schlechter Vorbereitung. Da werden einige Sachen vermengt. Tatsache ist, dass eine zu hohe Belastung bei den Spitzenspielern vorhanden ist.

Vor Beginn der EM-Qualifikation haben Sie einige erfahrene Spieler wie Florian Kehrmann oder Andrej Klimovets aus ihrem Kader gestrichen. Kann man nun von einem Neustart sprechen?
Brand: Ja, das kann man ohne Weiteres sagen.

Inwieweit sind Sie mit den neuen, jungen Spielern zufrieden?
Brand: Die jungen Spieler sind mit einhundertprozentiger Konzentration und Begeisterung dabei. Sie versuchen Dinge, die wir im Training ansprechen, umzusetzen. Somit bin ich zum jetzigen Stand zufrieden, ohne dass man die Ansprüche zu hoch ansetzen dürfte.

Wann werden Sie die nicht berücksichtigten Spieler zurück ins Aufgebot holen?
Brand: Wann das sein wird, weiß ich nicht. Ich habe gesagt: die jungen Leute bekommen eine Chance. Und die kann nicht aus ein oder zwei Spielen bestehen. Denen muss man schon die Chance zur Entwicklung geben. Ich habe diesen Schritt bewusst getan. Zum einen, weil ich von der Begeisterungsfähigkeit während des olympischen Turniers nicht so angetan war, aber auch aus anderen Gründen. Ich will sehen, dass der deutsche Handball, vor allem im Hinblick auf Olympia 2012, wieder auf Dauer nach oben kommt. Da muss ich eben so einen Schritt wagen, es jungen Spielern zu ermöglichen, die nicht so in den internationalen Wettbewerben in der Spitze dabei sind, die nötige Erfahrung bei mir zu sammeln. Da ist jedoch nicht der optimale Weg. Mir wäre es auch lieber, wenn junge deutsche Spieler in deutschen Spitzenmannschaften spielen würden. So wie das im Fußball der Fall ist. Aber dem ist nicht so. Also muss ich einen anderen Weg gehen.

Hängt die Degradierung der verdienten Spieler auch mit der Enttäuschung über das Vorrunden-Aus bei Olympia in Peking zusammen?
Brand: Ich hatte schon die Möglichkeit eines Scheiterns vor Augen. Ganz überraschend kam es nicht. Zum einen muss man auch die Leistungsdichte im Handball sehen, zum anderen muss man bedenken, dass wir zu Olympia-Beginn auf vier Rückraumspieler verzichten mussten, die wir ein halbes Jahr vorher fest eingeplant hatten. Solch einen Verlust kann keine Mannschaft im internationalen Spitzenhandball verkraften. Abgesehen davon, dass es auch mit kompletter Mannschaft schwer geworden wäre, ganz oben dabei zu sein. Enttäuschend war, dass wir aus den verbliebenen Spielern nicht das Optimale rausgeholt haben. Es wäre sicherlich eine Viertelfinal-Teilnahme möglich gewesen.

Ist die Nicht-Berücksichtigung der erfahrenen Spieler auch eine Antwort auf die Kritik, dass Sie zu lange an den älteren Akteuren festgehalten hätten?
Brand: Ich habe ja nicht zu lange an älteren Spielern festgehalten. Bei Olympia wollte ich mit dem Kern der Mannschaft spielen, der Weltmeister geworden ist. Ich denke, dass ist anderthalb Jahre nach dem Gewinn einer Weltmeisterschaft normal. Ich denke, auf der anderen Seite  hätten sich die Leute gefragt ob der Brand verrückt geworden ist, wenn ich zwischen WM und Olympia einen Umbruch gemacht hätte. Abgesehen davon lasse ich mich in vielen Dingen kritisieren, bin auch selbstkritisch. Aber was die Zusammensetzung des Kaders anbetrifft, da lasse ich mich im deutschen Handball von gar keinem kritisieren. Da muss erst ein anderes Angebot an Spielern da sein.

Sie haben nun viele junge Spieler mit Perspektive im Kader. Wird beim DHB alles auf Olympia 2012 in London ausgerichtet?
Brand: Sicherlich habe ich das irgendwo im Hinterkopf. Auf der anderen Seite lasse ich die kommenden Turniere nicht aus den Augen. Es ist von Bedeutung für den deutschen Handball bei den großen Turnieren dabei zu sein. Doch die Situation wird aufgrund der Lage in der Liga immer schwieriger.

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Ich hatte in Peking schon die Möglichkeit eines Scheiterns vor Augen. Ganz überraschend kam es nicht.

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Sie haben beim DHB einen Vertrag bis 2013. Denken wir mal vier Jahre weiter. Sollte Deutschland in London die Goldmedaille holen, wäre dann für Sie der Zeitpunkt gekommen, um abzutreten?
Brand: Da mache ich mir noch keine Gedanken drüber. Ich versuche jetzt die Mannschaft zu entwickeln, das Optimale aus ihr herauszuholen. Was danach sein wird, warten wir mal ab. Bei Olympia 2012 werde ich 60 Jahre sein und ich denke nicht, dass ich danach überhaupt noch auf der Bank sein werde.

Sie sind nun seit 1997 Bundestrainer. Reizt Sie noch ein Engagement als Vereinstrainer?
Brand: Wenn man davon ausgeht, dass sowohl der DHB als auch ich den Vertrag erfüllen wollen, denke ich nicht, dass danach noch ein Engagement bei einem Verein in Frage kommt. Wenn aus irgendwelchen Gründen die Sache vorher auseinander gehen sollte, würde ich das nicht ganz ausschließen. Grundsätzlich macht mir die Arbeit als Bundestrainer jedoch schon Spaß.

Infolge des WM-Erfolges 2007 im eigenen Land wurde viel darüber gesprochen, dass der Handball den Boom nutzen müsse. Inwieweit kann man heute rückblickend sagen, ob das gelungen ist oder nicht?
Brand: Ich denke, wir haben sehr viel bewegt. Der Handball ist in sehr vielen Bereichen populärer geworden. Man sieht es zum Beispiel in Marktanalysen, wie die Leute den Handball schätzen gelernt haben. Man sieht es auch an der Basis, dass die Vereine größeren Zulauf erhalten haben. Wir müssen das jedoch fortführen, zum Beispiel in die Trainerausbildung investieren, sodass sich die Erfolge der Weltmeisterschaft auch noch in der Zukunft bemerkbar machen.

Müssen Ihrer Meinung nach mehr junge, deutsche Spieler in Spitzenteams eingesetzt werden?
Brand: Die müssen zumindest heran geführt werden, so dass sie schon frühzeitig wichtige Aufgaben übernehmen können. Und nicht erst mit 24, 25 Jahren den Sprung in die erste Liga schaffen. Vor allen Dingen müssen mehr deutsche Spieler in der ersten Liga sein. Es kann nicht im Sinne einer deutschen Liga sein, dass in einigen Mannschaften keine Local Player, also einheimische Spieler, mehr vertreten sind. Dass internationale Top-Stars der Bundesliga gut tun, ist ohne Zweifel der Fall. Auf Spieler wie Nikola Karabatic oder Stefan Lövgren können wir stolz sein. Aber es ist auch eine Verantwortung der Bundesliga-Klubs, deutsche Spieler in der Liga zu etablieren. Diese Verantwortung wird aber von vielen nicht gesehen. Und ich muss dann als Bundestrainer die Situation so akzeptieren, wie sie ist.

Sie befürworten eine Quote über ein Mindestmaß an deutschen Spielern in einer Mannschaft. Welche Regelung schwebt Ihnen da vor?
Brand: Ich würde eine Quote sehr gern sehen. Ich habe mal vorgeschlagen, und davon waren die Vereine eigentlich auch begeistert, dass vier von 14 Akteuren deutsche Spieler sein sollten. Und das ist kein großer Anteil. Eigentlich lachhaft. Aber einige Manager der starken Vereine haben die anderen beeinflusst. Und somit war die notwendige Einstimmigkeit nicht möglich. Im spanischen Basketball müssen beispielsweise zwei einheimische Spieler in der Starting Five stehen. Im Handball sind wir eigentlich die einzigen, die nicht auf eine Quote einheimischer Spieler achten.

Glauben Sie, dass in Zukunft eine solche Quote durchgesetzt werden könnte?
Brand: Ich bin da mittlerweile nicht mehr optimistisch, sondern eher pessimistisch. Ich weiß, dass einige da nur egoistisch denken. Deshalb habe ich mich mit der Situation abgefunden und muss damit leben. In der Vergangenheit habe ich meinen Job auch ohne die Unterstützung vieler Vereine ganz gut hingekriegt. Die einzige Hoffnung, die ich habe, ist, dass die Politik irgendwann dahin kommt, dass Local Player zum Sport dazugehören.

Gibt es in der Handball-Bundesliga Vereine, die ihre Anforderungen erfüllen?
Brand: Da gibt es einige Vereine, die erfreulich viele deutsche Spieler haben. Da sehe ich den TBV Lemgo, der diesen Weg sicherlich fortsetzen wird. Ich setze große Hoffnung in Markus Baur, der sich um die Entwicklung der Spieler kümmert. Aber auch der TV Großwallstadt und der SC Magdeburg haben sehr viele deutsche Spieler. Das sind im Augenblick die Mannschaften, die das Reservoir für die neue Nationalmannschaft bilden. Aber es gibt auch Vereine, die noch gar keinen Spieler hervorgebracht haben.

Wenn keine guten, jungen Spieler nachkommen, könnte das Olympia-Vorrunden-Aus von Peking dann zur Normalität im deutschen Handball werden?
Brand: Ich hoffe es nicht. Ich werde alles dafür tun, dass es nicht der Fall ist. Aber die Gefahr hat in der Vergangenheit auch schon bestanden. Die Welt-Elite ist sehr eng beieinander. Von der individuellen Stärke sind zurzeit zum Beispiel die Franzosen oder Kroaten klar im Vorteil. Wir versuchen das durch taktische Ausbildung und Teamgeist auszugleichen, doch auf den Dreh sind die anderen Nationen auch schon gekommen.

Wenn es nur noch bergab gehen sollte, und Sie gar keine Unterstützung seitens der Bundesliga bekommen, würden Sie dann trotz Vertrages bis 2013  irgendwann sagen: „Ohne mich“?
Brand: Wir wollen nicht alles schwarzmalen. Wenn wir mit Spielern wie Holger Glandorf, Michael Kraus oder Pascal Hens komplett sind, dann haben wir international anerkannte Kräfte da, die in der Lage sind, andere mitzuziehen. Wenn da jedoch zwei Leute ausfallen, wird es schwer. Dann haben wir eben nicht das Niveau wie die Franzosen, die zum Beispiel über fünf bis sechs Weltklasse-Leute im Rückraum verfügen.

Der Vorbereitungsplan bis zur WM Anfang 2009 in Kroatien steht. Welche Chancen rechnen Sie sich zum jetzigen Zeitpunkt aus?
Brand: Da können wir mit der Mannschaft nur Überraschungen bringen. Wir reisen zwar als amtierender Weltmeister an, sind es von der Zusammensetzung jedoch nicht mehr. Da kann ich keine Prognosen abgeben. Ich habe die neue Mannschaft ja noch nicht in einem richtigen Wettkampf gesehen.

Und auch die nicht berücksichtigten, erfahrenen Spieler haben dann wieder die Chance auf eine Rückkehr ins Nationalteam?
Brand: Das habe ich denen auch gesagt. Ich gebe den jungen Spielern die Chance sich zu entwickeln. Es gilt aber natürlich auch bei uns das Leistungsprinzip.

Christian Zeitz hat Sie kürzlich im Handball-Magazin scharf attackiert und Ihnen vorgeworfen, Sie hätten ihn nicht richtig vor der Kritik der deutschen Medien geschützt. Wie haben Sie darauf reagiert?
Brand: Das war für mich, aber auch für Leute aus dem Umfeld der Nationalmannschaft, überraschend. Er hat ja auf die Europameisterschaft Bezug genommen und dort war er trotz nicht guten Spiels immer außerhalb der Kritik, weil er tatsächlich angeschlagen war und trotzdem gespielt hat. Da haben wir uns keinen Vorwurf zu machen. Wenn Christian Zeitz zu diesem Zeitpunkt meint, so etwas äußern zu müssen, ist es okay, aber es ist für uns kein Thema, denn er ist nicht dabei. Und insofern ist das abgehakt.

Hat ein Spieler wie Zeitz, der davon spricht „keine Lust mehr auf die Nationalmannschaft zu haben“, eine Zukunft in Ihrem Team?
Brand: Ein Spieler ohne Lust wird bestimmt nicht bei uns spielen. Man muss von sich aus wirklich alles dafür tun. Dass haben die Spieler aus diesem Team, aber auch aus der vorherigen Generation, immer gemacht. Die sind immer gern zur Nationalmannschaft gekommen und das ist eine Grundvoraussetzung. Wer keine Lust hat, braucht nicht zu kommen. Um Gottes Willen.

Aber wenn er wieder fit ist und spielen will, ist er willkommen?
Brand: Wir hatten ursprünglich in Peking gesprochen, als er mir sagte, dass er eine Pause von der Nationalmannschaft bräuchte. Da habe ich mit ihm vereinbart, da er immer wieder gesundheitliche Probleme hatte, erstmal wieder gesund zu werden. Wenn er dann seine Top-Form wieder finden sollte, wollten wir uns wieder unterhalten. Wie gesagt: Voraussetzung ist der Spaß an der Sache.

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