Herr Lauterbach, „Harms“ ist ein blutiger Gangsterfilm. Er zeigt eine harte Männerwelt, in der Frauen nur am Rande als Prostituierte oder nörgelnde Freundinnen vorkommen. Wie böse ist die Welt da draußen?
Lauterbach: Der Film spiegelt das Leben wieder und das Leben ist hart. In dem Milieu von Gangster Harms ist es manchmal besonders hart und doch haben wir auch Liebesszenen drin. Wir negieren die Härte nicht, wir zeigen sie einfach. Die Härte, die wir in der Gefängnisdusche zeigen, macht die Szene, in der Harms seiner Lieben Kaugummis schenkt, erst zu dem, was sie ist. Nur wer Harms vorher kennen lernt, nimmt das als Liebesszene wahr.
Sie wollten also nicht schockieren?
Lauterbach: Brutalität feiern wir nicht ab, indem wir wie Tarantino oder Peckinpah in endlosen Zeitlupen Blut spritzen lassen. Ich bin kein Freund von idiotisch brutalen Szenen, die zu Kult und großer Kunst aufgebauscht werden. Das finde ich nur noch blöd. Unsere Härte ist kalkuliert, um die Geschichte konsequent zu erzählen, hat aber nix mit Effekthascherei zu tun. Deshalb konnten wir zu Beginn, bei der Prügelei in der Gefängnisdusche auch nicht auf den einen oder anderen Schlag verzichten. Dort gelten andere Gesetze. Du musst dich durchsetzen, damit du Ruhe hast. Bist du wie Harms 16 Jahre im Knast, nimmst du diese Verhaltensformen an. Dann sorgst du konsequent für klare Verhältnisse.
Der Durchbruch gelang Ihnen 1985 mit der Komödie „Männer“ von Doris Dörrie. Seither hat sich das Männerbild in der Gesellschaft gewandelt. Als exemplarisch dafür kann man das von Ex-„Brigitte“-Chef Andreas Lebert veröffentlichte Buch „Anleitung zum Männlichsein“ betrachten. Brauchen Männer heute tatsächlich so eine Anleitung?
Lauterbach: Ich brauche keine. Wenn die jemand braucht, wäre das für mich ein erstes Zeichen von Un-Männlichkeit. Ich bezweifle, dass jemand sein Ziel durch das Lesen und Befolgen einer solchen Anleitung erreicht. Das ist eine Sache, die in einem steckt. Das hat nix mit Physis zu tun. Es gibt auch kleine, dicke oder unscheinbare Männer, die männlich handeln, die gerade sind. Die das halten, was sie versprechen, auf die man sich verlassen kann. Das sind zwar auch für Frauen schöne, aber in meinen Augen sehr männliche Eigenschaften.
Ich mag nicht, wie viel Geld beim Film rausgeschmissen wird.
Beim „Tatort“ scheint Götz Georges ruppiger Schimanski von Figuren wie Axel Prahls nachdenklichem Frank Thiel abgelöst. Sind heute im deutschen Film andere Typen gefragt?
Lauterbach: Alles verändert sich ein bisschen. Ich finde Film interessant, wenn er viele Genre bedient und so verschiedene Typen in seinen Geschichten kreiert. Das Androgyne ging bei den Fußballern mit Beckham los und heute gibt es Figuren, wie Jorge Gonzalez, die dieses Gesamtbild verstärken. Grundsätzlich bin ich um Toleranz bemüht. Die ist für mich eine der schönsten menschlichen Eigenschaften. Jeder soll nach seiner Façon leben.
Axel Prahl spielt an Ihrer Seite in „Harms“ als Teil eines hochkarätigen Ensembles. Gemeinsam mit dem Regisseur Nikolai Müllerschön haben Sie den Film auch produziert. Mit welchen Parametern denkt der Produzent Lauterbach Film?
Lauterbach: Nikolai und ich haben bei einem gemeinsamen Dreh festgestellt, dass wir beide große Fans von klassischen Gangsterfilmen sind und beschlossen so einen zu machen. Wir sind beide der Überzeugung, dass man schlecht beraten ist, sich dem Publikumsgeschmack zu beugen. Unser erster Parameter war, dass er uns beiden gefallen muss. Das war das Wichtigste. Der Rest kommt – oder kommt nicht. So ist das im Filmgeschäft. Mit Glück ist der Geschmack kompatibel mit dem der Masse, mit weniger Glück eben nicht so. Genauso verhält es sich mit Kritikern. Sich davon frei zu machen ist der einzige Weg kreativ zu sein, sonst gerät man immer in das Fahrwasser vermeintlicher Erfolge und endet bei Abklatschen.
Sie sprechen den kreativen Prozess an, aber als Produzent müssen Sie das Wirtschaftliche im Auge behalten. Schlugen da manchmal zwei Herzen in Ihrer Brust?
Lauterbach: Es gibt keinen Filmproduzenten, der genug Geld für seinen Film hätte. Aber mich haben die beiden Betätigungsfelder nicht irritiert. Auch als Schauspieler bin ich gegen unnötiges Geldausgeben am Set. Ich sage immer: Steckt das vor die Kamera, damit man das Geld auch sieht. Als ich als Anfänger einen meiner ersten „Derricks“ gedreht habe, ist die Kostümbildnerin mit mir eine 2.000 Mark teure Jacke kaufen gegangen. Mit der bin ich einmal durch das Bild gelaufen. Hätte die mich gefragt, ob ich eine schwarze Lederjacke habe, hätte man sich die 2.000 Mark schenken können. An dieses Beispiel muss ich immer denken. Wie viel Geld beim Film rausgeschmissen wird… Das mag ich als Schauspieler nicht – und als Produzent natürlich auch nicht.
Film entsteht in Deutschland in der Regel mit Fördergeld. „Harms“ ist ohne solche Zuwendungen entstanden. Welche Schwierigkeiten entstehen dadurch?
Lauterbach: Erstmal keine, man kann aber ohne Fördergelder weniger Schwierigkeiten aus dem Weg räumen. Wir hatten nicht nur kein Fördergeld, sondern auch keinen Verleih und keinen Sender. Wir hatten gar nix. Ich will zunächst von den positiven Aspekten reden, denn wir hatten auch keinen, der uns reinquatscht.
Passiert das zwangsläufig?
Lauterbach: Man kann das Glück haben, tolle Redakteure oder Verleiher zu finden, die richtig viel Ahnung haben und zum Gesamtwerk beitragen, es kann aber auch anders aussehen. Wenn Nicki und ich morgens zum Dreh fuhren, wussten wir, wir machen nur das, was wir wollen. Das ist ein riesengroßer Luxus! Abgesehen davon glaubten wir nicht, einen Film dieses Genres finanziert zu bekommen. Thriller ist ein Genre, das in Deutschland vermeintlich nicht läuft. Das sagen Verleiher, Produzenten und Redakteure. Die Filmförderanstalten sagen, dass sie das Geld auch gleich in den Wind schießen können. Die wollen hochgradig künstlerische Filme oder solche, die hochgradig erfolgversprechend sind.
Was treibt Sie, andere Filme zu machen?
Lauterbach: Wenn ich zehn Freunde frage, ob wir ins Kino gehen, sagen die super. Wenn ich denen einen deutschen Film vorschlage, sagen alle zehn: Nee, kein Bock. Das ist traurig, ist aber so. An dieser Schraube muss man mal drehen. Man muss den Weg gehen, auch wenn nicht immer alles Oscar-würdig ist. So entstehen andere Perspektiven und Möglichkeiten.
Kommt der Film ins Fernsehen?
Lauterbach: Wir haben ihn schon an Sky und RTL verkauft. Wir haben „Harms“ den RTL-Oberen vorgeführt, alle waren da und der Chef sagt uns: Ich kann nur die ersten zehn Minuten sehen, dann muss ich los. Als Nicki und ich das hörten, waren wir schon bedient. Letztlich hat er zwischendurch kurz etwas in sein Handy getippt, sich nach dem Ende zu uns umgedreht und gesagt: „Dafür, dass ich für die letzten eineinhalb Stunden bezahlt werde, liebe ich meinen Beruf. Der Film hat mich richtig reingezogen. Eigentlich ist der überhaupt nichts für RTL – und doch denke ich, dass wir uns den leisten sollten.“ Die sind über ihren Schatten gesprungen und haben ihn gekauft. Ich hoffe, die zeigen ihn nicht sonntags, auf dem tödlichen Sendeplatz gegen Pilcher und Tatort. Dann lieber 22.15 Uhr und ungeschnitten. Das könnte ganz gut für den Film sein.
Zum sich verändernden Filmbusiness gehört auch die Vermarktung. Sie werben in TV-Formaten wie „Circus HalliGalli“ um Aufmerksamkeit…
Lauterbach: Das sind junge Leute, die nicht dumm sind und Humor haben. Das ist ein wesentlicher Pluspunkt. Das muss nicht immer mein Humor sein. Ich bin 61 Jahre alt. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich nicht durchdrehe, wenn ich die Sendung sehe. Aber: Ich kann damit leben. Sonst wäre ich nicht hingegangen. Der Flachs mit den Jungs ist okay für mich. Die Sendung war für mich wichtig, weil wir den Film bei jüngeren Leuten platzieren wollen. Die haben mich noch kurzfristig rein genommen, obwohl die Sendung schon voll war, weil ich gejammert habe.
Sie haben gleich zwei Autobiografien geschrieben. Die erste erschien 2006 und hieß „Nichts ausgelassen“, es folgte 2013 „Man lebt nur zweimal“. Teilen Sie Ihr Leben in diese beiden Abschnitte?
Lauterbach: Ich hatte nicht vor, eine zweite Biographie zu schreiben. Der Lübbe-Verlag ist an mich heran getreten, weil die spannend fanden, wie ich jetzt lebe. Ich empfand diesen zweiten Abschnitt weniger interessant als den ersten, weil einfach auch viel weniger passiert ist.
Was zeichnet „Man lebt nur zweimal“ aus?
Lauterbach: Eine Kernbotschaft dieser Biographie ist: Es ist nie zu spät. Ich bin nicht missionarisch unterwegs, aber wenn ich der Allgemeinheit etwas von mir mitgeben wollte, ist es diese Aussage. Wenn jemand einen schlechten, chaotischen oder ungesunden Lebenswandel hat, am Boden zerstört ist, vielleicht sogar süchtig ist, dem zeigt eine Person wie ich, die wirklich alles erlebt hat, dass es nie zu spät ist. Es ist unglaublich, was der Körper imstande ist, wegzustecken. Meine Blutwerte waren schlimm, die sind jetzt bombastisch. Es war mir ein ehrliches und offenes Bedürfnis, das zu verbreiten.
Fällt Ihnen das Schreiben leicht?
Lauterbach: Ich werde eines Tages einen Roman schreiben. Ich bin seit Jahren dran und habe ein paar Geschichten im Kopf, muss mich aber für eine entscheiden, die ich dann konsequent zu Ende schreibe. Schreiben ist toll. Bei den Biographien habe ich Erlebtes durch das Schreiben verarbeite. Packt man Dinge in gewählte Worte, nimmt man sie noch einmal intensiver wahr, als bis dato. Durch diese andere Verarbeitung der Vergangenheit habe ich neue Erkenntnisse gewonnen.
Und doch geben Sie damit ein Stück von sich der Öffentlichkeit preis. Wo finden Sie Privatheit?
Lauterbach: In der Familie. Sie ist das Privateste, was man sich vorstellen kann. Das soll auch so sein.
„Harms“ kam am Tag des Eröffnungsspiels der Fußball Weltmeisterschaft in die Kinos. Was ist der Gedanke dahinter?
Lauterbach: Wir wollten zu einem Zeitpunkt starten, an dem der Film möglichst wenig Konkurrenz hat. An dem Tag kommen die wenigsten Filme raus. Das war unsere Überlegung.
Sie gelten als Fußballfan. Was erwarten Sie sich von der WM?
Lauterbach: Ich glaube es gibt sechs, mit Belgien sieben Mannschaften, die Weltmeister werden können. Dazu zählen wir auch. Es ist auch eine Frage des Glücks, gerade im Endspiel, aber auch im Bezug auf: Wer hat die wenigsten Verletzten, wer hat die Spieler in der besten Tagesform? Ich habe noch nie eine WM gesehen, bei der der Weltmeister sieben gute Spiele gemacht hat. Der ist immer auch mal gestolpert.
Beim Ausrichter, dem Fußball-Sehnsuchtsland Brasilien, rumort es im Volk…
Lauterbach: Das hat mich gewundert. Das hätte ich nicht gedacht. Ich dachte, dort stünde Fußball über allem, aber es ist nachvollziehbar.
Beim 1. FC Köln haben Sie in der Jugend sogar mal im Mittelfeld gespielt. Der Verein ist zurück in der Bundesliga. Wohin führt sein Weg?
Lauterbach: Ich bin Kölner, daher: in die Champions League. Nicht unmittelbar, aber ich hoffe in vier, fünf Jahren können wir das erreichen. Vielleicht nach zwei, drei Jahren in die Europa League. Das Ganze steht und fällt – wie immer im Fußball – mit den Obersten. Wer an der Spitze steht muss die richtigen Entscheidungen treffen. Ich glaube, da haben wir jetzt einige Gute mit dem Schmadtke und so. Der Verein wurde in der Vergangenheit sukzessiv an die Wand gefahren. Man kann der Verein nicht führen, wie einen Krämerladen. Du brauchst einen Geschäftsmann, der alles in die richtigen Bahnen leitet und du brauchst Fachleute für das Sportliche.
Wie schwer waren die Jahre in der 2. Liga für Sie?
Lauterbach: Erst hat uns Leverkusen überholt, grauenhaft. Von Gladbach gar nicht zu reden. Dann Mainz und dann waren plötzlich die Düsseldorfer in der 1. Liga und wir in der Zweiten. Da habe ich gesagt, wenn der Bonner SC uns jetzt noch überholt, bin ich weg, dann bringe ich meine Ehrenkarte zurück. Ich bin gespannt, wie die sich in der 1. Liga machen. Die 2. Liga war insgesamt schwach letztes Jahr. Man hatte das Gefühl, einige wollten nicht aufsteigen, wenn man St. Pauli oder Kaiserslautern gesehen hat.
Was erwartet die Zuschauer bei Ihrem nächsten Film „Frauen“, an dem Sie wieder gemeinsam mit Nikolai Müllerschön arbeiteten?
Lauterbach: Drei Männer, die durch Zufall gemeinsam in ein Auto geraten und durch die Lausitz fahren. Das wird eine Komödie. Die wird es leichter haben als „Harms“.