Heino Ferch

Rationalität ist zu trocken für einen Schauspieler.

Heino Ferch über die Familie Krupp, deutsche Eigenschaften, seinen Rhythmus am Set und seinen Wikipedia-Eintrag

Heino Ferch

© Stephanie Kulbach/ZDF

Herr Ferch, die Wirtschaftslage ist seit Monaten eines der großen Themen in Gesellschaft und Medien – interessieren Sie sich auch für Wirtschaft?
Ferch: Sicher, wenn ich die Zeitung aufschlage, lese ich auch den Wirtschaftsteil und verfolge das Geschehen sehr interessiert. Und ich bekomme gelegentlich Einladungen zu Veranstaltungen, wo man mit Leuten an einem Tisch sitzt, die aus der großen Industrie kommen, was ich unheimlich interessant finde. Das sind dann Veranstaltungen, die man weder in „Bunte“ noch „Gala“ finden kann, wo aber Menschen hinkommen, die teilweise Konzernen vorstehen und eine große Verantwortung haben.

Hören Sie da nur zu, oder sagen Sie denen auch Ihre Meinung?
Ferch: Man kommt natürlich ins Gespräch. Aber jetzt eine Meinung über diese Menschen zu äußern würde ich mir nie anmaßen, weil ich zu wenig über sie weiß.

Nun mussten Sie sich für Ihr jüngstes Filmprojekt einiges Wissen über die Familie Krupp aneignen.
Ferch: Ja, das war auch ein spannender Teil der Arbeit, sich in die Geschichte einzuarbeiten, so eine Familie kennen zu lernen und die Zeit, in der sie gewirkt hat. Von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, den ich spiele, gibt es zwar keine Filmaufnahmen, aber dafür viel biographisches Material und eine Menge Fotos. Wo man ihn auf Yachten aus dem Hause Krupp sieht, in der Kieler Werft, in vielen verschiedenen Situationen zu unterschiedlichen Zeiten. Da kann ich schon ein Stückweit sehen, wie sich ein Mensch gibt und mit welcher Haltung er durchs Leben geht. Und dann entsteht so eine Rolle natürlich vor allem in Kombination mit dem Drehbuch und dem Regisseur.

Das ZDF nennt den Dreiteiler „Krupp – eine deutsche Familie“.  Was bedeutet Ihrer Ansicht nach das „deutsch“ in dem Titel?
Ferch: Ob es eine typisch deutsche Familie ist, weiß ich nicht. So viele typisch deutsche Familien kenne ich gar nicht, als dass ich das verallgemeinern könnte. Aber ich denke, dass eine gewisse Bodenständigkeit, Verlässlichkeit und eine gewisse preußische Gründlichkeit schon etwas sehr deutsches ist.
Mit so einem Titel wird das Publikum vielleicht auch noch ein bisschen mehr erreicht, weil es eben um eine deutsche Geschichte und eine deutsche Familie geht. Und es war eine Familie, die einerseits wahnsinnig viel erreicht hat, die andererseits aber natürlich auch sehr polarisiert hat mit ihrem Wirken im Dritten Reich. Auf der einen Seite hat man sehr viel Verantwortung für die Mitarbeiter übernommen, ganze Siedlungen wurden gebaut und es wurde ein Mythos geschaffen, Kruppianer zu sein. Auf der anderen Seite war Krupp für die Kriegstreiber und die Waffenmaschinerie unentbehrlich, dem hat man sich gefügt und damit hat der Konzern großes Geld verdient.

Deutschen wird ja nicht selten nachgesagt, sehr rational zu handeln.
Ferch: Die Krupps waren geschäftlich sehr rational. Es gibt eine Szene in der ich einer englischen Firma die Zünder in Rechnung stelle, mit denen auch auf deutsche Stellungen geschossen wurde, was natürlich ein wahnsinniger Vorgang gewesen ist. Da stand die Bilanz in den Büchern und das Wohl des Unternehmens vor aller Moral. Das ist eine Philosophie, die man natürlich diskutieren kann.

Haben Sie bestimmte deutsche Eigenschaften?
Ferch: Also, wenn ich um 12 Uhr verabredet bin und um halb eins noch keine Nachricht habe, warum meine Verabredung noch nicht da ist, finde ich das auch Mist. Bestimmte Zuverlässigkeiten, die von mir erwartet werden, erwarte ich auch von anderen. Aber ob das jetzt deutsche Eigenschaften sind? Vielleicht sind es auch französische. Oder amerikanische. Eine Verlässlichkeit ist jedenfalls eine Tugend, mit der ich mich sehr identifiziere.

Und Rationalität?
Ferch: Nur sehr bedingt.

Sie handeln mehr aus dem Bauch heraus?
Ferch: Ja, sicher. Sonst wäre ich nicht Schauspieler sondern Mathematiker.

Wenn man zu rational denkt kommt man nicht weit im Schauspielerberuf?
Ferch: Man muss natürlich einen gewissen Kopf dafür haben, man darf nicht wie Hans Guck-in-die-Luft durch die Weltgeschichte gehen und denken: „Ich bin so toll, was ich mache ist alles super“, eine gewisse Strategie und Überlegtheit gehört dazu. Aber Rationalität ist zu trocken für einen Schauspieler.

Haben Sie denn eine Strategie?
Ferch: Ja, die verrate ich Ihnen aber nicht.

Eine mögliche Strategie könnte sein, dass Sie versuchen, die Balance zu halten, zwischen Auftritten im Fernsehen und im Kino.
Ferch: Das versuche ich, ja. Weil ich nicht prinzipiell sage: Ich mache nur eines von beiden. Es gibt eine Menge guter Fernsehfilme, auch viele tolle Stoffe, die es nicht auf die Leinwand schaffen, weil sie zu teuer würden.
Ich gehe dahin, wo die guten Stoffe sind. Wenn ich fürs Fernsehen arbeite, ist mir das Drehbuch genauso wichtig wie fürs Kino. Ich scheue mich da in zwei Kategorien zu denken, weil sowohl fürs Kino als auch fürs Fernsehen gibt es einerseits sehr gute Produktionen, andererseits gibt es auch auf beiden Seiten Blech.

Zitiert

Verlässlichkeit ist eine Tugend, mit der ich mich sehr identifiziere.

Heino Ferch

Aber wo haben Sie erfahrungsgemäß mehr Mitspracherecht? Wo können Sie mehr Einfluss nehmen auf das Drehbuch…
Ferch: Über seine Rolle kann man immer mitreden.

Ist die Kinowelt da nicht etwas autonomer? Nicht selten hört man Fernsehschauspieler, die sich darüber beklagen, dass Redakteure gerne das ein oder andere Wort verdrehen…
Ferch: Das haben Sie so gehört und das stimmt auch so. Beim Fernsehen spricht der Sender mit. Beim Kino spricht dafür aber auch oft der Verleiher mit.
Es kommt immer darauf an, in welchem Genre man sich gerade befindet und mit welchen Leuten man zusammenarbeitet. Es gibt sehr gute Redakteure, die gute Programme machen, und die auch im Kinobereich mitsprechen. Wenn zum Beispiel bei einem Kinofilm ein TV-Sender im Hintergrund ist, der auch dafür sorgt, dass das Geld zusammenkommt, dann kommen von dort auch Leute hinzu, die mitreden, wenn es um die Gestaltung geht. Das geht oft gut, das geht manchmal schief.

Können Sie sich noch an Ihre erste Fernsehrolle erinnern?
Ferch: Ja, ich bin während meiner Hochschulzeit am Mozarteum in Salzburg mal von einem Professor vermittelt worden, der sehr viel fürs Fernsehen gemacht hat. Ich durfte dann bei einem Dreh von „Der Alte“ in München einen Brief übergeben, an der Tür einer Villa in Grünwald. Ich hatte zwei Sätze zu sagen.

Und waren Sie aufgeregt?
Ferch: Natürlich ist man da aufgeregt, die Nacht vorher habe ich nicht geschlafen. Für mich war das ein neues Medium und als blutjunger Schüler, der darauf brannte, Schauspieler zu werden, wollte ich auch eine Spur hinterlassen, so dass Leute sagen: Den engagiere ich, der ist interessant, der macht das gut, der ist sympathisch.

Gibt es heute noch Rollen, die Ihnen schlaflose Nächte bereiten?
Ferch: Es gibt Tage bei bestimmten Rollen, die schwer sind. Große Szenen, die schwierig umzusetzen sind. Und da ist es in der Tat eine Beschäftigung im Kopf die Tag und Nacht anhält.

Doch was hat sich im Wesentlichen für Sie verändert, wenn Sie heute mit Ihrer Anfangszeit vergleichen?
Ferch: Ich weiß heute genau, wie ich meinen Drehtag gestalten möchte. Ich habe für mich meinen Rhythmus gefunden und weiß wie ich am besten zum optimalen Ergebnis komme. Ich weiß, ob ich morgens einen Kaffee brauche oder eher eine Butterbrezel, damit die Maschine warmläuft, damit ich genug Konzentration habe für einen schweren Drehtag. Wenn ich am Nachmittag eine schwierige Szene spielen muss gehe ich vielleicht nicht zum Mittagessen, sondern ziehe mich mit einer Suppe in meinen Wohnwagen zurück.

Das Catering scheint ja eine große Rolle zu spielen…
Ferch: Also, nein, es ist jetzt nicht so, dass ich nach einer Currysuppe am besten eine Liebeszene spiele. Aber man entwickelt über die Jahre einen Rhythmus in dem Beruf und irgendwann weiß man, wie man sich am besten auf dieses oder jenes vorbereitet.

Herr Ferch, kennen Sie eigentlich Ihren Wikipedia-Eintrag?
Ferch: Sie meinen, wenn man sich selbst googlet?

Sozusagen, es geht um die Online-Enzyklopädie, die von Nutzern geschrieben wird und wo über Sie und Ihre Filmografie schon Einiges zusammengetragen wurde.
Ferch: Also, wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht genau, was dort steht. Ich bin auch kein Internetter und kein Computermensch. Ich habe ein Handy und kann damit SMS schreiben.

Ich frage, weil Ihr Eintrag für einen Schauspieler relativ ungewöhnlich ist, dort werden viele Ihrer Filmrollen analysiert und in einen übergeordneten Zusammenhang gebracht. Zum Beispiel steht dort: „Des Öfteren findet sich die Läuterungsthematik nach dem Saulus-Paulus-Prinzip“ oder „drehen sich die Themen seiner Filmrollen vor der Jahrtausendwende häufig um den inneren Druck dunkler Seiten des Individuums“ und „ab 2002 nehmen seine Figuren hellere Themenvarianten auf“ – sehen Sie selbst auch solche Verbindungen?
Ferch: Nein, zumindest nicht zwischen Filmen und Zeiten. Aber es ist interessant und schmeichelt mir, dass sich jemand so sehr die Mühe macht, Strukturen und Strömungen zu analysieren. Womit derjenige Recht hat, ist: Ich habe schon den Gusto entwickelt, Rollen anzunehmen, die eine Menge Druck aushalten müssen, in ganz verschiedenen Situationen. Das interessiert mich. Die Nette-Familie-Komödie am Abend ist etwas, was bisher nicht so oft an mich herangetragen wurde, was ich auch nie so interessant fand. Figuren in schwierigen Zeiten liegen mir da eher.

Ist das die Strategie?
Ferch: Ach, strategisch kann man sich ja nur bewegen, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Von daher ist da auch eine Menge Zufall mit dabei. Sicher habe ich heute das Glück, dass ich ein bisschen eine Auswahl treffen kann. Aber trotzdem müssen die Rollen ja erst einmal an einen herangetragen werden. Und das hängt dann mit den Menschen zusammen, mit denen ich arbeite und mit meiner Wirkung nach außen, die sicher etwas anders ist, als das, was ich privat lebe.

Sie sind Schauspieler, waren Kunstturner, spielen Polo – haben Sie noch ein Talent, das nicht bekannt ist?
Ferch: Noch eins? (lacht)

Etwas, was vielleicht nicht direkt mit Ihrem Beruf zu tun hat. Sind Sie Weinkenner?
Ferch: Ich trinke sehr gerne Wein, und weiß auch, wenn ich auf eine Karte schaue, in welche Richtung sich das bewegt, was ich da lese. Gutes Essen generell interessiert mich natürlich. Ich warte zum Beispiel lieber drei Stunden und gehe dann in ein Restaurant meines Vertrauens, als irgendwo schnell eine Semmel zu essen.
Aber eigentlich versuche ich solche Dinge auch für mich zu behalten. Es gab da neulich einen interessanten Artikel, wo Brad Pitt und Mickey Rourke ihren Kollegen den Rat gegeben haben: „Quatscht nicht so viel über Privatleben. Es macht euch unglaubwürdig auf der Leinwand und die Menschen finden immer weniger an euch interessant je mehr sie über euch wissen.“

Haben Sie lange gebraucht, um sich an das Interesse der Öffentlichkeit an Ihrer Person zu gewöhnen?
Ferch: Ich muss mich nicht daran gewöhnen, weil ich ja relativ wenig über mein Privatleben  preisgebe. Ich rede gerne über Stoffe und Filme, vielleicht auch über das ein oder andere, was das persönliche Leben betrifft. Aber diese ständige Beobachtung, die habe ich nie gewollt und die interessiert mich auch nicht, die würde mich belasten.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.