Herr Strunk, Sie bezeichnen sich selbst als Kulturschaffender mit Schwerpunkt Humor, doch deutsche Comedians können Sie nicht besonders leiden, wie man in Ihrem Buch „Die Zunge Europas“ erfahren konnte. Warum eigentlich nicht?
Heinz Strunk: Eigentlich gibt es nur eine einzige Sache, die ich denen vorzuwerfen habe, nämlich, dass es nicht lustig ist. Es ist gar nicht so, dass ich besonderen Dünkel hätte, was Humor angeht. Ich kann mich sehr wohl über einfachsten, slapstickartigen, albernen Grimassenkram amüsieren. Zum Beispiel Louis de Funès, da gibt es ja auch keine Metaebene und keine intellektuellen Wahrheiten dahinter, aber ich finde das lustig.
Bei den Comedians ertappe ich mich oft dabei, dass ich mit so einem Betongesicht davorsitze und nicht weiß, was da komisch sein soll.
Wer steht denn Ihrer Ansicht nach für guten Humor?
Strunk: Das kann ich sehr wohl benennen. Es teilt sich in die zwei Lager. Einerseits komplette Albernheiten wie Dick und Doof, Louis de Funès und „Die nackte Kanone“ – und das andere ist das Lager des Groß-Humors, wozu die „Neue Frankfurter Schule“ zu zählen ist. Also alles, was sich um die Satirezeitschrift „Titanic“ rankt.
Dann gibt es in Deutschland noch Gerhard Polt, auch wenn er seine besten Zeiten schon hinter sich hat und als Klassiker wäre immer noch Loriot zu nennen. Außerdem bin ich ein großer Freund von Helge Schneider, insbesondere seiner Live-Performances.
Als Gegenfigur würden Sie wohl Mario Barth begreifen, der mit seiner Form der Unterhaltung Stadien füllt? Spielt bei Ihrer offenkundigen Abneigung auch Neid eine Rolle?
Strunk: Ein klares Nein. Ich bin mit dem, was ich bis jetzt erreicht habe mehr als zufrieden und hätte vor Jahren niemals für möglich gehalten, dass ich überhaupt mal ein Bein auf die Erde bekomme.
Ich will mich auch nicht dem allgemeinen Mario Barth-Bashing anschließen, das wäre doch langweilig. Er bedient halt ein Klientel, mit dem ich nichts zu tun habe und nichts zu tun haben will. Insofern sei ihm sein Reichtum gegönnt, inklusive gefüllter Stadien. Da werde ich natürlich mit meinem Humor, der bei weitem nicht so massenkompatibel ist, eh nie hinkommen. Es ist eben viel zu speziell was ich mache.
Massenkompatibel sind die beiden Protagonisten Ihrer Bücher auch nicht, Markus, der fettleibige Gagschreiber in die „Zunge Europas“, und Thorsten, der 15-Jährige Protagonist in „Fleckenteufel“ mit … Was reizt Sie an diesen Antihelden?
Strunk: Daran reizt mich in erster Linie, dass sie letztendlich meiner eigenen Biografie entlehnt sind und insofern weiß ich, worüber ich schreibe.
Bietet Ihrer Ansicht nach der Versager die beste Oberfläche für Unterhaltung?
Strunk: Ja. Es gibt einen sehr schönen Satz, eine Punchline, die da lautet: „Humor als Antwort auf Melancholie, um eben diese zu überwinden.“ Das ist sozusagen die Kernessenz meines humoristischen Schaffens. Insofern bieten sich gebrochene Figuren deutlich besser an, als Leute, bei denen alles glatt geht – das ist ja auch langweilig. Für die Literatur sind Leute, die einen glatten Durchmarsch machen, eher ungeeignet.
Sie haben, bevor Sie als Autor von „Fleisch ist mein Gemüse“ erfolgreich wurden, ambitionierte musikalische und kabarettistische Projekte mit eher mäßigem Erfolg absolviert. Welche Beziehung haben Sie persönlich zum Versagen?
Strunk: Ich habe mich tatsächlich nie als Versager gefühlt. Ich habe eher als traurige Bestandsaufnahme viele Jahre hinnehmen müssen, dass ich mit meinem Kram nicht besonders viele Leute erreiche. Aber das hat nicht dazu geführt, dass die Einschätzung meiner Arbeit so gewesen wäre, dass ich das irgendwie mies gefunden hätte oder mich als Versager gefühlt habe. Es war eben mein Schicksal, dass ich so wenige Leute damit erreicht habe.
„Die Zunge Europas“ war die Aufarbeitung der Karriereversuche bis 40, warum haben Sie sich dann in „Fleckenteufel“ dem Abschnitt der Pubertät zugewandt?
Strunk: Ich hatte die Idee, eine Art Replik auf „Feuchtgebiete“ zu schreiben. Das heißt, das Buch „Fleckenteufel“ wäre ohne „Feuchtgebiete“ zumindest in dieser Form nicht passiert. Zu meiner Überraschung habe ich beim Schreiben feststellen können, dass ich noch sehr präzise Erinnerungen an diese Zeit habe. Zudem fand ich das Setting der christlichen Familienfreizeit an der Ostsee auch überschaubar und dachte mir, dass sich das gut verhandeln ließe.
Alle Ihre Helden zeichnen sich durch äußerliche Mängel aus, sei es Kleinheit, Akne oder Fettleibigkeit – sind Sie der Ansicht, dass die wesentlichen Probleme heute an der Oberfläche stattfinden?
Strunk: Das weiß ich nicht. Ich glaube nicht, dass das heute anders ist als früher. Das sind immer so komische Gedanken, die meistens unzutreffend sind. Die äußeren Umstände ändern sich halt, 1977 gab es kein Internet und kein Handy, daher wirkt diese Zeit an sich verlangsamt und entschleunigt. Aber ich bin kein Soziologe, bevor ich da jetzt irgendwie laienhaften Unfug dahin plaudere – schweige ich lieber.
Also ist die Zweiklassengesellschaft der attraktiven, sexuell Erfolgreichen auf der einen und der unattraktiven, Chancenlosen auf der anderen Seite absolut unabhängig von der Zeit und wird auch in Zukunft bestehen bleiben?
Strunk: Das wird bestehen bleiben und es wird sich auch noch verschärfen, weil Familien und Ehen eine immer geringere Rolle spielen werden. Das heißt, dass die Ladenhüter immer weniger Chancen haben unterzukommen. Das wird auch bei Michel Houellebecq geschildert: Das sexuelle Proletariat wird sich immer mehr vergrößern und die Attraktiven, die auch die freie Wahl haben, bleiben ein kleiner Teil. Diese haben dann die freie Wahl, die anderen müssen sich mit den Krumen zufrieden geben, die vom Tisch fallen.
Die Ideologie à la Houllebecq scheint also nicht ohne Grund bei Ihren Romanen durch?
Strunk: Nein nein, Houllebecq war neben Coetzee in den letzten zehn Jahren für mich die entscheidende Literatur. „Ausweitung der Kampfzone“ und „Elementarteilchen“ sind in ihrer Tristesse und Radikalität der Darstellung bis dato unerreicht und ich halte das für sehr wahr, was er schreibt.
Bei den Comedians ertappe ich mich oft dabei, dass ich mit so einem Betongesicht davorsitze und nicht weiß, was da komisch sein soll.
Wie ist denn Ihr Verhältnis zum Glück? Bei Houellebecq war das ja am Anfang gar nicht denkbar, dass es überhaupt so etwas wie Glück geben könnte, was sich im Laufe seines literarischen Schaffens geändert hat. Wie sieht das denn bei Ihnen aus, sind Ihre Figuren glücksfähig, gibt es so etwas heute noch?
Strunk: Natürlich gibt es so etwas heute noch. Im Moment gibt es ja wieder eine Schwemme an Sachbüchern, die sich mit dem elenden Thema Glück beschäftigen – das halte ich alles für Kaffeesatzleserei und für Unfug. Vom Geschäftskollegen Wolf Schneider über Hirschhausen und Grönemeyer. Ich würde jetzt mal behaupten, dass die Bedingungen in meinem Leben jetzt so sind, dass es schon häufig Momente von Glück, zumindest von Zufriedenheit und Ausgesöhntsein mit dem eigenen Dasein gibt. Aber auch Rausch und Hysterie.
Hat das auch mit Ihren Buch-Erfolgen zu tun? Genießen Sie die Popularität die damit zusammenhängt?
Strunk: Ach, so ausgeprägt ist die ja auch nicht. Aber es wäre jetzt Quatsch zu sagen, dass es nicht so ist. Es ist schon so, siehe Mario Barth, dass ich von den richtigen Leuten aus den richtigen Gründen gut gefunden oder geschätzt werde. Ich sehe das auch immer – ich mag das Wort Fan nicht – unter dem Gesichtspunkt des Sympathisantentums.
Wie steht es um Ihre Korrumpierbarkeit oder Käuflichkeit? Was würde Sie in Versuchung führen?
Strunk: Ich behaupte mal, nicht sonderlich viel. Da müsste mir schon jemand viel Geld auf den Tisch packen und das wird nicht passieren. Und für 20.000 Euro würde ich keinen Selbstmord machen oder so.
Apropos Käuflichkeit – hat Ihnen denn der Fleckenteufelhersteller Beckmann schon eine Zusammenarbeit angeboten?
Strunk: Nicht, dass ich wüsste.
Würden Sie die annehmen?
Strunk: Ich glaube nicht, das wäre mir zu albern.
Humor spielt eine große Rolle bei allen Ihren Aktivitäten. Erfüllen Sie das Klischee, dass hinter jedem großen Humoristen eine tragische Figur steckt?
Strunk: Ja, ich denke, da ist sehr viel dran. Aber ich halte es nicht für eine Bedingung. Beispielsweise sind meine beiden österreichischen Kollegen Christoph Grissemann und Dirk Stermann nur bedingt melancholisch, depressiv oder traurig. Das sind ganz ausgeglichene Leute – und ich mittlerweile ehrlich gesagt auch. Ich habe eine Zeit lang, bisweilen gewiss auch gerne zu sehr, mit gemütsmäßigen Verwerfungen kokettiert. Aber seit etwa einem halben Jahr ist es bei mir anders geworden – nur, die Gründe dafür zu nennen, würde jetzt zu weit führen. Doch ich bin ganz froh darüber, ich finde, dass ich das jetzt sozusagen verdient habe.
Welche Lebensperiode werden Sie denn als nächstes bearbeiten? Gibt es schon neue Projekte im Hause Strunk?
Strunk: Ja, die habe ich schon. Ein Projekt wird sozusagen aus meiner aktuellen Lebensphase stammen und vom Klang her etwas anders sein. Es wird darum gehen, wie ich mit dem Kollegen Grissemann, mit dem ich auch den Film „Immer nie am Meer“ gemacht habe, Kenia bereise. Das war Weihnachten 2006, es gab Wahlen in Kenia und große Unruhen. Ich schreibe darüber, wie sich zwei gelangweilte, leicht dekadente Mitteleuropäer auf fünf Sterne Urlaub begeben und dabei in quasi bürgerkriegsähnliche Unruhen verwickelt werden.
Gäbe es Bereiche aus Ihrem Leben, die Sie nicht literarisch verwerten würden?
Strunk: Ja, es gibt natürlich Dinge, die ich auch für mich behalte. Ansonsten gibt es allenfalls Lebensabschnitte, die ich für zu unbedeutend oder zu wenig aussagekräftig halte, als dass man sie auch noch irgendwie verwursten könnte. Außerdem habe ich ja jetzt schon drei Lebensabschnitte verwertet. Irgendwann ist die eigene Biografie auch mal ausgeschrieben. Allenfalls könnte noch eine Art Kindheitsroman kommen. Aber ich weiß noch nicht genau, wie und ob ich das angehen will. Beginnen würde er zu dem Zeitpunkt, als ich fünf oder sechs war und enden würde er mit meiner Pubertät. Den Lebensabschnitt könnte ich mir gut vorstellen, den Ton habe ich schon im Ohr. Ich weiß nur noch nicht genau, ob ich es hinkriege und ob ich es überhaupt aufschreiben will. Es kann auch sein, dass ich mich irgendwann von der Schriftstellerei wieder abwende.
Steht das momentan schon zur Debatte?
Strunk: Nun ja, es gibt da immer Überlegungen. Ich habe mich ja im Laufe der vielen Jahre, die ich tätig bin, mehrmals neu erfunden und neue Sachen für mich entdeckt. Und Schriftstellerei hat für mich den Vorteil, dass sie relativ altersunabhängig ist, andererseits ist sie wahnsinnig anstrengend und mit sehr großen Mühen und Qualen verbunden. Möglicherweise werde ich, je länger ich schreibe, genauer mit der Sprache und brauche nicht mehr so wahnsinnig viele Fassungen. Vielleicht fällt es mir ja irgendwann leichter, aber das bleibt abzuwarten. Also, gerade kann ich mir vorstellen, das nicht ewig zu machen.
Stört Sie die Einsamkeit beim Schreiben?
Strunk: Nein, überhaupt nicht. Einsam fühle ich mich sowieso nie. Ich halte das ehrlich gesagt für den größten Luxus überhaupt: allein sein zu können, allein sein zu dürfen – auch privat.
Sie haben sich in der Vergangenheit auch ‚politisch’ engagiert, innerhalb der „Partei“ von Martin Sonneborn. Gibt es Pläne für das Superwahljahr 2009?
Strunk: Nein, ganz im Gegenteil. Ich bleibe meine Devise treu, nicht zur Wahl zu gehen. Das, was ich damals gemacht habe, war ja eher ein Gefallen aus Verbundenheit mit der Titanic, als dass ich da ernsthaft ambitioniert gewesen wäre. Mit meiner Kandidatur zum Bürgermeister in Hamburg hat sich das auch erledigt, weil mir das auch insgesamt zu klamaukig war. Das habe ich einmal gemacht und das auch gern, ich habe eine schöne Rede gehalten – aber damit ist das Thema auch beendet.