Henry Hübchen

Schauspieler zu sein ist kein Glück.

Henry Hübchen über die anstehende Bundestagswahl, Kultur als Staatsziel, Kräuterlikör und den Film „Da geht noch was“

Henry Hübchen

© Constantin Film Verleih

Herr Hübchen, welche Werbung ist Ihnen zuletzt aufgefallen?
Henry Hübchen: Das weiß ich gar nicht. Ich sehe höchstens mal welche, wenn ich einen Privatsender einschalte.

Aber Werbung gibt es doch mittlerweile fast überall, sogar auf dem Fließband der Supermarktkasse.
Hübchen: Auch wenn man überall Werbung schalten kann, sie interessiert mich trotzdem nicht. Deswegen fällt mir jetzt auch keine ein. Meine Lieblingswerbung ist ne ältere. Die lautet „Früher oder später / trinkt jeder Wurzelpeter“. Eigentlich wirbt das für einen Kräuterlikör, andererseits heißt das ja: Machen Sie sich nicht so viele Gedanken, früher oder später liegen Sie sowieso in der Grube. Diese Doppeldeutigkeit ist wahrscheinlich noch nicht mal beabsichtigt. Das finde ich witzig.

Wer einen Werbe-Clip, zum Beispiel für Ihren neuen Film „Da geht noch was“ im Internet anklickt, muss sich oft noch eine weitere Werbung vor der Werbung angucken…
Hübchen: Das ist ja das Ärgerliche, dass man so fremdbestimmt wird. Man muss immer, wenn man das eine haben will, das andere auch noch mitnehmen. Wie bei einer Hochzeit. Wenn du eine Frau haben willst, musst du die Schwiegermutter auch noch mitnehmen. Ob du willst oder nicht.

Da geht noch was“ handelt von dem jungen Familienvater Conrad, der sein Leben genauso perfekt und sauber haben möchte, wie er es aus der Waschmittelwerbung kennt. Sie spielen Carl, Conrads Vater. Was hat der in der Erziehung falsch gemacht?
Hübchen: Da ist bestimmt ’ne Menge schief gelaufen. Aber das ist ja auch was Normales. Welche Erziehung funktioniert schon perfekt? Irgendwann macht der Sohn was er will, aber eigentlich doch nicht, weil er unbewusst doch durch seine Eltern geprägt ist, wie wir alle. Der will eben durch Statussymbole zeigen, dass er es auch zu was gebracht hat. Er kann zwar nicht die 100-Meter so schnell schwimmen, wie es sein Vater von ihm immer gefordert hat, aber er sucht halt den Erfolg im Besitz, wie so viele.

Wäre das anders, wenn Conrads Vater, ein Gewerkschaftsvorsitzender im Ruhestand, ihn nicht auch noch zum Konsumverzicht erzogen hätte?
Hübchen: Keine Ahnung. Jedenfalls misst Conrad Erfolg daran, ob man ein Haus hat, eine attraktive Frau, ’nen Sohn auf einer Eliteschule und ein fettes großes Auto. Ist für ihn ganz wichtig, damit meint er, kann er dem Vater beweisen, dass er ein starker Typ ist. Ob das nun alles bezahlt ist, spielt keine Rolle. Dass jemand in ’ner Jurte in der Mongolei auch glücklich sein kann, lassen wir nicht wirklich gelten. Wir denken ja, unsere Gesellschaft in Mitteleuropa sei die fortschrittlichste und beste, die man auf dieser Welt haben kann.

Sie sagen das so skeptisch, Herr Hübchen?
Hübchen: Ja, weil ich das nicht so sehe.

Sieht so der aktuelle Generationskonflikt aus: die systemkritischen Älteren gegen die jungen Konsum- und Werbungs-Opfer?
Hübchen: Ich bin immer so zögerlich mit Pauschalisierungen. Ich glaube, dass es auch in der Generation der Mitte-Dreißigjährigen alles gibt, konservative Konsumenten und Aussteiger. Manch einem reicht ein zwanzig Jahre altes Auto, manche finden andere Werte wichtiger, als die, die uns hier von der Industrie immer eingeredet werden. Aber die Industrie muss einem natürlich einreden, dass Konsum zum wahren Menschsein dazugehört, die wollen ja Autos, Häuser, Radios und Reisen verkaufen.

Ihr Heimatbezirk Berlin-Pankow machte vor einem Jahr Schlagzeilen, als einige Rentner eine von der Schließung bedrohte Begegnungsstätte namens „Stille Straße“ besetzten.
Hübchen: Ich bin da nur ein entfernter Nachbar. Aber ich habe das auch mitbekommen. Und jetzt die Frage?

Ist das ein neuer Trend? Werden die Protestbewegungen in Zukunft vor allem von Rentnern ausgehen?
Hübchen: Das weiß ich nicht. So eine Partei, wie die Grauen Panther gab es ja schon mal. Dass sich Ältere organisieren, um ihre Stimmen zu Gehör zu bringen, ist also nichts Neues. Das in Pankow war ja etwas Lokalpolitisches, da sollte im Grunde eine soziale Einrichtung abgewickelt werden, von denen gibt es eher zu wenig, in dieser reichen Gesellschaft, also bin ich da auf der Seite der Rentner.

Zitiert

Damit es im Schauspiel-Beruf schwer wird, sich über Wasser zu halten, muss man ja nicht erst Rentner werden. Das ist schon mit 18, 20 oder 40 sehr schwierig.

Henry Hübchen

Sie selbst werden nächstes Jahr 67, haben allerdings das Glück, Schauspieler zu sein…
Hübchen: Was heißt denn da „Glück“? Zum einen ist es ja nicht so, dass ältere Menschen, die mit 65 Rente bekommen, auch gleich aufhören zu arbeiten. Und dann ist Schauspielersein ja kein Glück. Damit es in diesem Beruf schwer wird, sich über Wasser zu halten, muss man ja nicht erst Rentner werden. Das ist schon mit 18, 20 oder 40 sehr schwierig. Und auch als Rentner hat es der Elektrikermeister besser, der kann immer noch bei Familie Schulz irgendwas anbringen, das ist immer gefragt. Das kann der Schauspieler nicht, weil er es nicht gelernt hat. Gedichte will keiner mehr hören von ’nem alten Schauspieler. Zumindest will keiner dafür bezahlen…

Arthur Rubinstein hat erst mit 89 sein letztes Konzert gegeben.
Hübchen: Nicht immer alles durcheinander schmeißen! Rubinstein war ein genialer Klavierspieler, ein Weltstar. Das ist was anderes als ein Schauspieler Müller, der alt geworden ist und für den es keine Rollen gibt außer Pförtner, Rentner, Opa – das sind zwei Drehtage im Jahr.

Aber es gibt doch auch immer mehr Kinofilme, die Geschichten von Rentnern erzählen und damit auch gezielt ein älteres Kinopublikum ansprechen.
Hübchen: Das ist ja okay, da bin ich ja dafür. Bis jetzt hatten diese Filme allerdings auch nicht besonders viel Publikum. Ein Film muss eben in erster Linie gut gemacht sein, ein gutes Drehbuch haben, dann würde er es auch schaffen, ältere Leute ins Kino zu locken. Aber es ist ja auch in der Weltliteratur so, dass die Mittelpunktsrollen die sind, die im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen. Wie alt waren die Leute, die die Welt verändert haben? Die waren ja nicht 60. Danton war 30 als die Französische Revolution begann. Das sind die Hauptrollen. Menschen zwischen 20 und 40. Liebe, Sex und Eifersucht sind da die Themen.

In Ihrem Alter nicht?
Hübchen: Vielleicht schon, aber Romeo, Clavigo oder Fernando sind nicht mehr meine Rollen. Je älter man wird, desto weniger große Rollen gibt es, die man spielen könnte.

Gibt es eine Ihrer bisherigen Rollen, die Sie gerne in einer Fortsetzung nochmal spielen würden?
Hübchen: „Alles auf Zucker“, das hat Fortsetzungspotential. Das ist auch schon ewig im Gespräch. Aber das muss man auch erstmal schreiben. Andererseits finde ich ja auch, man muss es mal gut sein lassen und nicht jede Geschichte bis zu Ende ausquetschen.

Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Bald ist Bundestagswahl – haben Sie den Wahlomat schon ausprobiert?
Hübchen: Ne. Was ist das?

Ein Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung. Da kann man im Internet politische Aussagen bewerten. Am Ende wird errechnet, welche Partei zur eigenen Meinung passt.
Hübchen: Ah, das wusste ich gar nicht. Ist ja doll. Habe ich noch nicht gemacht. Aber man kann nicht alles machen, der Tag hat ja nur 24 Stunden. Da gilt es, auszuwählen, wie man seine Zeit verbringt. Ich mache keinen Wahlomat. Ich spreche ja jetzt mit ihnen hier.

Deswegen möchte ich Ihnen da jetzt etwas entgegenkommen. Der originale Wahlomat stellt 38 politische Positionen zur Wahl. Keine einzige befasst sich direkt mit Kulturpolitik. Deswegen würde ich Ihnen jetzt aus den Wahlprogrammen der im Bundestag vertretenen Parteien ein paar kulturpolitische Positionen vorlesen…
Hübchen: Dann mal los.

Dem gewaltfreien Widerstand des Herbstes 1989 in Leipzig soll mit einem Denkmal für die damals nach Freiheit strebenden Menschen „ein eigenes Gesicht“ gegeben werden.
Hübchen: „Ein eigenes Gesicht geben“, was heißt denn das? Aber so ein Denkmal – klar, dafür bin ich. Dreimal besser, als die ganzen Denkmäler für Feldherren, in deren Schlachten es tausende von Toten gab.

Nächstes Thema: „Die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Deutschen Films soll erhalten bleiben“.
Hübchen: Da kann ich auch nichts gegen sagen. „Erhalten bleiben“, ist natürlich Quatsch. Die Wettbewerbsfähigkeit soll ausgebaut werden, ganz einfach.

Was müsste getan werden, um dieses Ziel zu erreichen?
Hübchen: Ich bin kein Ökonom. Film ist ja ein Wirtschaftszweig. Das ist ja nicht wirklich Kunst, in dem Sinne, dass sich Film eigentlich auch rechnen muss. Auch hier bin ich dafür, sich auch etwas zu leisten, das sich nicht rechnet. Generell müssen sich Kultur und Bildung nicht rechnen. Aber die Wettbewerbsfähigkeit, die da gefordert wird, hat ja mit Geld zu tun. Und in dem Bereich bin ich kein Fachmann, das weiß ich nicht.

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Interessanterweise wollen sowohl die FDP als auch Die Linke Kultur „als Staatsziel“ im Grundgesetz verankern. Kann Kultur Ziel eines Staates sein?
Hübchen: Natürlich. Weil Kultur das ist, was unser Leben und unser Miteinander ausmacht. Und weil Bildung und Kultur zusammengehören. Es ist ja seltsam, dass Bildung und Kultur so oft in einem Atemzug genannt werden, dass alle betonen, mehr in Bildung investieren zu wollen, aber dass gleichzeitig bei der Kultur immer mit als erstes gespart wird. Aber für beides muss mehr ausgegeben werden und dann auch dort, wo es hingehört. Auch in den Randbezirken, dort, wo sich die Leute eigentlich nur von RTL2 ernähren. Nüscht gegen RTL2, aber wenn man sich nur davon ernährt… Einseitige Ernährung – früher Tod.

Apropos Fernsehen, es gibt auch eine Partei, die die neue Wohnungsabgabe für den Rundfunk durch eine „personenbezogene Abgabe“ ersetzen will. Diese soll „deutlich niedriger als die heutige Rundfunkabgabe ausfallen.“
Hübchen: Die Frage ist ja bei den ganzen Abgaben, Gebühren und Steuern in erster Linie: Wo fließen die eigentlich hin? Das ist bei so einem großen Gebilde wie dem Staatsfernsehen nicht einfach. Das hat ja was mit Planwirtschaft zu tun, also auch mit etwas Sozialistischem. Konzerne sind ja auch planwirtschaftliche Betriebe, in denen auch viel versandet. Aber auch da bin ich kein Experte. Ist mir egal, wie die das rechnen wollen. Ich bin immer für niedrige Abgaben und große Wirkung.

Der Wahlomat hätte jetzt ergeben, dass Sie kulturpolitische Positionen sowohl von der CDU und SPD als auch von den Grünen, der FDP und den Linken teilen.
Hübchen: Das ist doch gut. Ich bin auch dafür, dass die zusammenarbeiten und nicht gegeneinander. Mir geht dieses Stimmenfangen, diese demagogische Auseinandersetzungen auf die Nerven. Die sollen fachlich argumentieren. Das ist nicht einfach, die Ansichten sind sehr unterschiedlich und das nicht mal aus machtpolitischen Gründen, sondern weil ein Land in so einer Welt nicht so einfach zu organisieren ist. Nur ein Beispiel: Sollte man beim Euro bleiben oder nicht? Soll es einen Nord- und einen Südeuro geben, was auch immer? Das ist kompliziert und als Wähler muss man eben glauben, dass einer von denen, die zur Wahl stehen, intelligenter ist als der andere und dafür weniger machtbesessen. So wie man auch an Gott glaubt.

Käme es für Sie auch in Frage, nicht zur Wahl zu gehen?
Hübchen: Nein, ich wähle schon. Die Frage ist nur: Wen? Was da nicht so eine Rolle spielt für mich, ist so etwas wie „Weltfrieden“. Den kann man leicht fordern, aber es ist ganz praktisch nicht mehr als ein schönes Wort. Deswegen wähle ich das, was das Beste für mich selbst ist. Ganz egoistisch. Ich weiß nur nicht, was das ist… …wahrscheinlich doch der Weltfrieden.

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