Herbert Feuerstein

Ich habe kein Bedürfnis, Spuren zu hinterlassen.

Im Alter von 83 Jahren ist der Journalist und Entertainer Herbert Feuerstein verstorben. Hier gibt es ein bislang unveröffentlichtes Interview aus dem Jahr 2005: Feuerstein spricht über das "Loser-Prinzip", Maoismus bei Mad, Humor-Nischen, Narrenfreiheit, Demut und eine Fluchtburg in Kenia.

Herbert Feuerstein

© Maika Gregori

+++ Das folgende Interview wurde 2005 im Auftrag des Magazins Galore geführt, wo es jedoch nie erschienen ist. +++

Herr Feuerstein, stimmt es, dass Sie es früher nicht ausstehen konnten, wenn in Ihrer Gegenwart über andere gelacht wurde: die Leute sollten über Sie lachen?

Feuerstein: Nein, das muss ein Missverständnis sein. Ich habe eher früher in meiner Kulturkampfzeit darunter gelitten, dass Leute Dinge komisch fanden, die ich eigentlich ernst meinte. Erst später habe ich herausgefunden, dass das ja ein Machthebel ist, dass man eigentlich alles haben kann, wenn man die Leute zum Lachen über sich selber bringt, also das sogenannte „Loser-Prinzip“. Über Helden lacht man ja nicht, sondern man lacht über den Verlierer. Und wenn man sich von vornherein in diese Position gibt, wird über einen gelacht, die Leute sind aber gleichzeitig auf deiner Seite, weil ja 99 Prozent der Menschheit eh Verlierer sind. Man ist also Kumpel und Zielscheibe gleichzeitig.

Und so kommt es, dass Sie beispielsweise für eine Ihrer Reise-Dokumentationen mit Kostüm auf der Bühne einer Transvestiten-Bar in Thailand stehen, vor einer Gruppe Touristen.

Feuerstein: Ja, das geht vor der Kamera. Normalerweise würde ich da noch nicht mal als Zuschauer reingehen. Aber vor der Kamera ist das dein Job, das ist deine Rolle und in der Rolle ist alles legitim. Vielleicht würde ich sogar als Pornodarsteller auftreten, es hat mich nur bisher niemand dazu eingeladen. In dem Fall bin ich ja virtuell, das bin ja nicht ich.

Ihre Erscheinung in den Medien war also immer nur die Rolle?

Feuerstein: Ja, das ist für die Medien so ein Heilmittel, dass man teilt zwischen sich und der Rolle, die man spielt.

Auch als Medienmacher? Sie haben ja lange Zeit das Satire-Magazin „Mad“ geleitet.

Feuerstein: Also, in der Mad-Zeit – das war ja damals auch die 68er Zeit – waren wir sehr maoistisch. In dem Sinn, dass ich allen verboten habe, sich selbst darzustellen. Wir haben alle immer nur ganz klein im Impressum firmiert und nie groß mit Namen geprotzt.

Für die Redaktion eines Spaß-Magazins klingt das relativ strikt.

Feuerstein: Das ist es ja auch gewesen. Man hat damals zwar gehofft und suggeriert, dass wir so eine wüste, grölende Mannschaft sind, die nachmittags um vier zusammenkommt, sich irgendwie ankifft und dann Humor kreiert. Das gab es aber überhaupt nicht. Die meisten Mitarbeiter kannte ich gar nicht, weil ich niemanden zu mir gelassen habe. Ich habe Mad in einem Haus in Unterfranken gemacht, tief im Wald, im zweiten Stock, wo auch meine Familie nicht rauf durfte. Und der Kontakt ist nur über Post, Telefon und Fax gelaufen. Die meisten Geschichten kamen ja eh aus Amerika und mit den deutschen Mitarbeitern habe ich nie persönlich kommuniziert.

Sie mussten also im Grunde eine amerikanische Zeitschrift ins Deutsche transferieren.

Feuerstein: Ja, und das war schon eine sehr intensive Arbeit. Ich habe von Albert Feldstein der damals der amerikanische Chefredakteur war, diese Grafiksprache gelernt. Also, das wird jetzt wahrscheinlich ein bisschen kompliziert: das Deutsche ist – wenn Sie es übersetzen – um etwa ein Drittel länger als das Amerikanische. Sie haben aber vorgegebene Sprech-blasengrößen und vorgegebene Schriften. Es gibt also manchmal ganz kleine Blasen für Sprüche, die im Amerikanischen halt sehr schnell gehen. Das heißt, Sie müssen langfristig eine eigene Terminologie entwickeln. Und ich glaube schon, dass mir das gelungen ist. Ich war auch damals – das war ja noch die Vor-Computer-Zeit – ganz stolz auf meine etwas kompliziertere Schreibmaschine. Die hatte Proportionalschrift, das heißt, die „i“ waren schmal, die „m“ waren breit und dazwischen gab es Abstufungen. Nur damit konnte man wirklich Texte schreiben, die passten. Ich habe die Texte immer auf Maß geschrieben, das diszipliniert die Sprache – und das verändert sie auch. Und ich glaube, dass wir in den 20 Jahren mit der „Mad“-Sprache etliche Impulse gegeben haben für die spätere Werbung, für die Überschriften und Kalauer, die Sie heute auch in den Zeitungen finden.

Aber das, was Sie übersetzt haben, der amerikanische Humor – war der nicht ein anderer?

Feuerstein: Den Humor musste man teilweise natürlich transferieren. Ich war immer relativ stolz, wenn Leute nach einer USA-Reise zu mir gekommen sind und sich beschwert haben, wir würden alles nur vom amerikanischen Mad abkupfern. Viele wussten ja gar nicht, dass wir eine primär-amerikanische und transferierte Zeitschrift sind.

Sie haben für Mad jedenfalls keine eigenen Texte verfasst.

Feuerstein: Nein. Das gehörte ja zu meinem sehr formalistischen Prinzip, dass ich nicht kreativ beitrage. Dazu war ich auch damals schon zu alt und Mad war ja eine junge Zeitschrift. Ich habe nur die Sprache einheitlich gemacht, die ganze Zeitschrift sollte organisch sein. Deshalb habe ich jeden Text nach meinem Maß umgeschrieben, auch deutsche Original-Texte. Kein Text kam so ins Heft, wie er vorher war. Insofern waren das alles meine Texte – aber es war nichts original von mir. Genauso hat das der Feldstein in Amerika gemacht und dadurch bekam das Mad eine homogene Aussage.

Und wenn Sie sich heute die alten Hefte angucken…

Feuerstein: Ich schaue mir das heute nicht mehr an. Was war, das war, ist tot.

Wie hat sich denn der Humor gewandelt bis heute?

Feuerstein: Der Humor ändert sich im Prinzip nicht. Die Grundlage des Humors, das Lachen, hat ja die gleichen Wurzeln. Es gibt den Lifestyle-Humor, den Tageshumor… und es gibt eben die Nischen. Mit Mad hatten wir so eine Art Oberschul-Nische besetzt. Der riesige Vorteil war, dass wir durch die Besetzung dieser Oberschul-Nische auch in bestimmte Berufsgruppen reingekommen sind: das war die Werbung, das waren die Medien und alles was damit zusammenhängt. Ich kenne heute niemanden in der Medienbranche, der nicht mit Mad aufgewachsen ist. Und ich halte den Einfluss von Mad immer noch für enorm, fast in allen Humorrichtungen, ob das jetzt die Comedy-Serie „Schillerstrasse“ ist, oder ob das bei Harald Schmidt stattfindet.

Wann und warum haben Sie mit Mad aufgehört?

Feuerstein: Ich habe Mad noch zwei Jahre parallel zu „Schmidteinander“ gemacht, nur irgendwann ging das einfach nicht mehr zusammen. Mein letztes Mad-Heft erschien glaube ich im Frühjahr 1992. Aber ich muss auch sagen, die letzten zwei Jahre habe ich Mad eigentlich nur wegen der Kohle gemacht. Der Verleger war immer sehr großzügig zu mir, der hat mich tatsächlich sehr lange mit Geld vom Markt ferngehalten. Ich habe bei Mad ja das Gehalt eines Stern-Chefradakteurs bekommen. Das durfte nur niemand wissen, weil Mad sah ja aus wie ein Nischenblatt.

Haben Sie den Abschied denn damals bereut?

Feuerstein: Also, ich hatte mich sehr wohl gefühlt in dem Gerüst des Mad und ich hatte eigentlich nie das Gefühl, dass man das Blatt verändern sollte. Ich wusste aber schon relativ früh, dass jedes gute Satire-Blatt ein Blatt der Generationen ist. Das heißt: irgendwann muss das sterben. Sie können einen „Simplicissimus“ nicht verewigen, sondern so ein Heft ist immer, wenn es gut ist, maßgeschneidert für eine Generation, oder mehrere verwobene Generationen. Das ist ein Zyklus, der 15, 20 Jahre dauert und nicht viel länger. Das muss man einfach wissen. Sie erleben ja in den Medien ständig diese Tragödien. Schon bei jedem Film, den man dreht: sechs Wochen hat man sich ewig geliebt a la Freundschaft für alle Zeiten, dann ist der Film abgedreht, man geht in Tränen auseinander – und sieht sich nie wieder. Beim Theater dauert das ein halbes Jahr und bei den Zeitschriften halt 15 Jahre.

Als Sie Anfang der 90er zum Fernsehen gewechselt sind – wie haben Sie sich das erste Mal auf dem Bildschirm erlebt?

Feuerstein: Das war ja eigentlich sehr spät. Meine Abitur-Kollegen waren um die Zeit praktisch schon in Rente, die waren Hofräte oder Generäle, waren immer noch mit derselben Frau verheiratet und hatten im Grunde schon mit dem Leben Schluss gemacht. Für mich war das so eine Art Alters-Exhibitionismus. Es kommt ja vor, dass sich Rentner im Park entblößen, weil sie sich einfach sagen: in dem Alter kriege ich höchstens (auf) Bewährung. Es ist auch so, dass man im Alter relativ ehrlich wird und bei mir fand dieser Prozess wahrscheinlich im Fernsehen statt.

Schmidteinander war mit die erste Sendung einer neuen Comedy-Welle zu Beginn der 90er. Hatte man da im Fernsehen noch eine große Narrenfreiheit?

Feuerstein: Also, die Narrenfreiheit hat man immer, jeder kann ja im Prinzip machen, was er will. Man muss dann allerdings auch die Chancen richtig nutzen. Der Raab zum Beispiel hat sie eine Zeitlang genutzt, wobei er irgendwann stehen geblieben ist in seiner Entwicklung. Das ist auch sein gutes Recht, weil jeder muss für sich entscheiden: will ich jetzt spielen oder will ich reich werden? Und es ist durchaus legitim sich für das Letztere zu entscheiden.

Aber die Vorraussetzung für so eine spontan improvisierte Sendung wie „Schmidteinander“ sind heute auch nicht mehr gegeben, oder?

Feuerstein: Ja, zugegebenermaßen ist es bei den öffentlich-rechtlichen inzwischen so gut wie unmöglich, mit Narrenfreiheit zu arbeiten, außer man trickst die alle aus, was wir bei Schmidteinander auch gemacht haben. Die Schwierigkeit ist heute vor allem die Produktionsweise, weil man ja nicht mehr Sendung für Sendung macht, sondern immer eine (ganze) Staffel dreht. Da geht sehr viel Experimentiermaterial und Entwicklungspotential verloren. Wir sind mit Schmidteinander damals in so eine Lücke gesprungen, wo ein ursprüngliches Konzept nicht funktioniert hat …

Welches ursprüngliche Konzept?

Feuerstein: Das war mehr so ein Stand-Up-Comedy-Konzept von Schmidt alleine, also in etwa so, wie er es heute macht. Das habe ich ihm damals noch erfolgreich ausgeredet, nur auf die Dauer geht das offenbar nicht. Schmidt ist ein Monolith und Monolithen kann man halt schwer verschieben. Das ist auch gut so, deswegen hat er heute ja seine eigene Definition.

Aber wenn man sich heute die alten Schmidteinander-Folgen anguckt, fällt auf, dass Schmidt schon damals eine ganz ähnliche Art von Stand-Up-Humor gepflegt hat, wie heute.

Feuerstein: Sicher, das ist ja auch seine Stärke, die gilt es zu benutzen. Was aber glaube ich verschwunden ist, das ist der elitäre Anspruch. Noch beim Mad wurde mir oft genug vorgeworfen, wir würden uns nur an ein Bildungspublikum wenden und wir wären nicht massentauglich. Bei Schmidteinander hatten wir manchmal auch diesen Kunstanspruch drin, so in der schlingensiefschen Auffassung: zum Beispiel, wenn wir in der Sendung Schubert-Lieder gespielt haben, dann haben wir immer versucht, den Textsinn real zu interpretieren. Ich erinnere mich an das „Jägers Liebeslied“, wo in den ersten vier Zeilen vier Tiere erschossen werden. Also sind beim Singen diese Tiere aufgetaucht und Schmidt hat sie erschossen – und am Ende natürlich mich. Oder wir haben den „Erlkönig“ nachgespielt, Schmidt als Vater, ich natürlich als Kind und Udo Jürgens war damals der Erlkönig, der mich am Schluss erwürgt hat.

Würden Sie so eine Sendung heute gerne noch einmal machen?

Feuerstein: Das wäre eine Wiederholung. Aber ich mag das halt, es ist mein ganz persönlicher Humor. Und ehrlich gesagt: mir fehlt das. Ich wünschte, es gäbe irgendwo eine Experimentier-Nische, wo jemand konsequent so eine Sendung macht. Bei Schmidt tauchen solche Kunst-Elemente auch hin und wieder auf, wenn er dann zum Beispiel eine Sendung nur auf Lateinisch macht. Aber ich hätte das natürlich gerne in einem noch größeren Rahmen.

Verfolgen Sie denn auch sonst die aktuelle Humorentwicklung im TV?

Feuerstein: Nein, das interessiert mich überhaupt nicht. Das hat mich auch nie wirklich interessiert, weil jeder sein ganz eigenes Humorverständnis hat. Ich mag auch nicht noch mehr altern als ich es ohnehin schon tue, in dem ich Sendungen anschaue und mir sage: das haben wir früher besser gemacht. Dem entziehe ich mich lieber durch Nicht-Wissen. Ich gehe hin und wieder in die Sendung „Genial daneben“, die gefällt mir gut, weil sie meinem Bedürfnis entspricht, etwas spontan und live zu machen. Was ich aber nicht mag, sind diese Fake-Comedy-Geschichten, wo man vorher von den Autoren gefüttert wird. Das schlimmste Beispiel ist für mich „7 Tage, 7 Köpfe“, wo die alle ihre Zettel liegen haben und die Pointen vorher alle geprobt werden. Das ist gar nicht meine Welt.

Viele der heutigen Comedy-Formate leiden heute darunter, dass sie nur noch auf die Quote hin konzipiert sind.

Feuerstein: Das muss man ja, das ist unvermeidlich, weil Sie immer einen Markt bedienen müssen. Comedy an sich ist ja immer eine Nische, das heißt, Sie werden – außer für die ganz plumpen, flachen Sachen – nie eine Majorität finden. Sie können ja niemandem vorschreiben, worüber und aus welchen Gründen er lacht. Also können Sie immer nur hoffen, ein möglichst breites Publikum für ihre eigene Nische zu finden. Mit meiner persönlichen, spezifischen Nische würde das aber so nicht funktionieren. Ich finde zwar immer ein sehr gebildetes Publikum, auch ein sehr dankbares, wo sich Leute mit leuchtenden Augen noch an bestimmte Gags im „Mad“-Heft erinnern. Das macht mich auch irgendwie froh, das ist eine schöne Sache. Aber für ein Fernsehprogramm, für einen Markt ist das undenkbar. Ich brauche das auch nicht…

…weil Sie heute Bücher schreiben.

Feuerstein: Ja, da habe ich ein neues Publikum gefunden. Das war natürlich nicht ganz einfach, weil man als Fernsehmensch natürlich erst mal als knalldoof gilt und die Leute denken, das Buch hat eh ein anderer geschrieben. Aber inzwischen ist das wirklich eine tolle Lesergemeinde, ich habe jetzt schon über 100 Lesungen gemacht und werde das auch weiterhin mit großer Freude tun.

In einem Ihrer Reisebücher erfährt man, dass Sie längere Zeit in Afrika verbracht haben. Wie kam das?

Feuerstein: Das geht jetzt natürlich ein bisschen ins persönlich-biografische, weswegen ich nicht so wahnsinnig Lust habe darüber wirklich ehrlich zur reden.

Liest man Ihre Bücher, bekommt man aber einen anderen Eindruck.

Feuerstein: Das klingt in den Büchern relativ ehrlich, aber das ist schon gefiltert und mit einem humoristischem Lack überzogen. Die wahren Schmerzen sind abgedämpft – und ein paar Dinge stimmen einfach nicht. Weil manchmal, wenn man in der Vergangenheit wühlt, weiß man ja selber nicht, was letzten Endes stimmt. Ich habe das an einigen merkwürdigen Beispielen erlebt, dass man jahrelang eine Geschichte erzählt und dann plötzlich Zeitzeugen trifft, die beweisen können, dass das eigentlich ein bisschen anders verlaufen ist.

Aber zurück zu Afrika.

Feuerstein: Also, das begann für mich Mitte der 80er. Ich war gerade in der kritischen Endphase meiner vorletzten Ehe, und da baut man sich dann so Fluchtburgen auf. Ich bin jemand, der relativ isoliert lebt, auch in nahen Beziehungen. Ich brauche immer eine Welt für mich und in die dringt dann auch nur sehr wenig ein. Und wenn es Spannungen gibt in einer Beziehung, dann hat halt jeder seine eigene Mechanik, damit umzugehen. Die einen haben heimlich eine Freundin, die anderen fangen an zu saufen… Und in meinem Fall war es einfach dieser Fluchtgedanke, abzuhauen und irgendwo anders neu anzufangen.

In Kenia.

Feuerstein: Richtig, ich hatte Kenia durch die Fliegerei sehr gut kennen gelernt, ich hatte früher ja einen Pilotenschein und damals war das noch ein relativ freizügiges Land. Man konnte kleine Flugzeuge chartern und das Land intensiv durchfliegen. Geografisch kenne ich Kenia daher vielleicht besser als die meisten Kenianer.
Ich habe dann irgendwann so ein verrücktes Paar kennen gelernt, einen Norweger und eine schwarze Sängerin, die nur gestritten haben, die ganze Zeit. Aber die hatten so ein kleines Häuschen, das ganz paradiesisch war, aber nicht mal Stromanschluss hatte und das habe ich denen einfach abgekauft. Damit hatte ich dann meinen Fluchtpunkt. Der war einfach da, als Möglichkeit, auch wenn ich ihn kaum genutzt habe. Die längste Zeit, die ich mal dort war, waren vielleicht drei Wochen. Aber ich habe unheimlich viel investiert, da ist ein prächtiges Haus entstanden, mit Pool und Garten, ich habe dann auch noch ein zweites Grundstück dazu gekauft – mir gehört heute ein ganzer Hektar Afrika. Und ein Hektar ist groß. Gehen Sie mal 100 Meter …

Aber wenn man es nicht nutzt?

Feuerstein: … dann könnte man auch Australien besitzen, das ist richtig. Was heißt „nutzen“? Es ist da. Was „nutzt“ man denn alles? Es gibt Leute, die haben sinnlose Wohnungen weiß Gott wo und warum. Für mich war das so ein Gelegenheits-Ding, das kostete ja auch nicht besonders viel. Und Afrika war für mich sowieso mehr eine Projektion, die ich letzten Endes nie richtig verwirklicht habe.

Warum eigentlich nicht?

Feuerstein: Wissen Sie, es ist manchmal besser, eine Illusion zu nähren, als sie auszuleben. Das ist eine absolute Lebensweisheit. Wenn Sie öfters in solchen Ländern sind, egal ob in Afrika, Asien und Südamerika, werden Sie feststellen, dass Aussteiger dort keine Wurzeln finden. Wenn, dann erst ab der dritten Generation oder später. Es gibt zwar diese Robinson-Typen, die einfach zufrieden sind, wenn sie in Sandalen die ganze Zeit am Strand entlang laufen können. Aber wenn Sie mit irgendetwas verwurzelt sind, kreativ arbeiten zum Beispiel – dann funktioniert das nicht. Sie sehen da ziemlich viele Wracks rumlaufen, viele Säufer, viel Elend.

Haben Sie heute denn noch Illusionen, die Sie vielleicht noch gerne ausleben würden?

Feuerstein: (überlegt lange) …. Nein… Also, die großen Illusionen hat man als Kind. Und wenn man realistisch lebt, wird man sie mit der Zeit los. Oder aber die Illusionen plagen und quälen einen bis zum Tode. Man kennt ja genug Leute, die mit Illusionen leben, von denen sie gar nicht wissen, dass es eben nur reine Illusionen sind – das ist ein qualvolles Leben.
Die Dinge, die ich wollte, die habe ich eigentlich alle ausgelebt. Natürlich gibt es immer so Gigantomanien, ich könnte mich jetzt fragen „warum hast du noch keinen Film gemacht? Warum inszeniert der Schlingensief in Bayreuth und nicht du?“ usw. Aber das ist unrealistisch, das ist auch nicht diskutabel. Ich glaube, ich bin auch ein demütiger Mensch. Ich habe kein Bedürfnis, Spuren zu hinterlassen, weil die Spuren letzten Endes auch vollkommen bedeutungslos wären. Das ganze Leben besteht ja nur aus einer Illusion der eigenen Wichtigkeit, wahrscheinlich könnte man sich selbst sonst auch gar nicht ertragen. Alle Leute gehen durch’s Leben und denken, sie müssten beachtet werden. Manche machen darum auch noch großen Wirbel, damit es ein bisschen mehr auffällt. Aber am Ende ist das alles so unglaublich bedeutungslos, weil die Welt einfach aus sozialem Lärm besteht. Wir sind alle unvollkommene Nichtse – und damit müssen wir uns abfinden. Ich würde mir jedenfalls nicht anmaßen zu sagen: „Menschheit, hier sind meine Fußabdrücke, schaut sie euch an und lernt daraus.“

Aber haben Sie nicht in einem Ihrer Bücher geschrieben, dass Sie eines Tages Ihre gesammelten Erinnerungen veröffentlichen wollen?

Feuerstein: Ja, gut, das ist zum Amüsement der Leute. Ich bin es ja als Journalist gewohnt, für einen Leser zu schreiben, ich sehe mich da als Unterhalter. Ich schreibe natürlich in meinem eigenen Maßstab, was mir gefällt, wo ich mir aber auch denke, das könnte auch einem Publikum gefallen. Und natürlich, wenn jemand will, kann er etwas daraus lernen. Aber wenn nicht, dann reicht es mir auch, wenn er nur kurz lacht.

5 Kommentare zu “Ich habe kein Bedürfnis, Spuren zu hinterlassen.”

  1. Andrea Ge |

    Großartiges Interview, und ein großer Mann, möge er in Frieden ruhen.

    „Wissen Sie, es ist manchmal besser, eine Illusion zu nähren, als sie auszuleben.“

    „Das ganze Leben besteht ja nur aus einer Illusion der eigenen Wichtigkeit, wahrscheinlich könnte man sich selbst sonst auch gar nicht ertragen.“

    Ja, so ist es wohl

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  2. prinzchen |

    Warum wird das Interview denn 15 Jahre später veröffentlicht? Ist ja jetzt bisschen alt.

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  3. prinzchen |

    Unsachlich sind hier aber ehrlich gessagt die meisten Kommentare, auch wenn sie nicht beleidigend sind :-)

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  4. Rechtschreibhilfe ;-) |

    Psst, meinte Feuerstein tatsächlich Looser-Prinzip oder nicht eher Loser-Prinzip?
    Schöne Grüße
    (Du kannst diesen Kommentar gerne löschen, wenn der Fehler behoben ist.)

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    1. Jakob Buhre Artikelautor|

      Kommentare werden hier nur gelöscht, wenn sie unsachlich/beleidigend sind. Danke für den Hinweis! Ist geändert.

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