Herr van Veen, Sie sind heute einer der wichtigsten deutschsprachigen Liedermacher und Entertainer – wann haben Sie eigentlich damit angefangen, vor Leuten auf der Bühne ihre persönlichen Geschichten zu erzählen?
van Veen: Das geht zurück auf die Zeit, die ich am Konservatorium in Utrecht studiert habe. Denn da habe ich mich beim Singen von Mozart, Schubert oder beim Spielen von Vivaldi auf der Geige eigentlich unwohl gefühlt. Ich fand diese Musik zwar sehr schön, aber da konnte ich nichts Persönliches einbringen. Als ich dann fertig war mit meinem Studium und das erste Mal mit meinem eigenen Programm auftrat – was eher durch einen Zufall geschah – war die Kombination für mich perfekt. Auf der einen Seite mein musikalisches Können, auf der anderen das Einbringen persönlicher Erfahrungen.
Und was war das für ein Zufall?
van Veen: Am Ende meiner Studienzeit sollte es ein Abschlussfest geben, wo die Studenten etwas aufführen sollten – aber niemand hatte Lust, sich zu beteiligen. Da haben dann mein Freund Erik van der Wurff ein Programm zusammenstellt, das wie eine Reise war, durch unsere fünf Studienjahre und durch die klassische Musik. Wir haben eigene Lieder mit eigenen Texten gemacht, darüber, wie wir das Studium empfunden haben. Und eigentlich waren unsere Erfahrungen nicht viel anders als die unserer Kommilitonen – es war nur für Erik und mich klar, dass wir in der klassischen Musik keinen Weg sahen für unsere weitere Entwicklung. Und sozusagen per Zufall haben wir an diesem Abend dann entdeckt: man kann mit dem, was wir am Konservatorium gelernt haben, auch etwas anderes tun.
Aber das Bedürfnis, mit zum Teil sehr persönlichen Texten vor ein Publikum zu treten, wo kam das her?
van Veen: Das entstand eigentlich auch zur gleichen Zeit. Ich merkte an diesem Abend, dass ich durch diese sehr persönliche Musik Kontakt haben kann mit dem Publikum. Wesentlich mehr Kontakt, als wenn Hermann van Veen eine Partita von Bach spielt, was ja eigentlich nur eine Demonstration ist, des eigenen Könnens auf dem Instrument. Als ich aber nun anfing, auf der Bühne über meinen Vater zu plaudern oder meine Mutter – da hatte ich auf einmal das Gefühl, dass ich Kontakt bekomme mit den Leuten, sozusagen unter vier Augen. Weil jeder hat einen Vater und eine Mutter.
Mich hat sowieso bei den Komponisten immer auch die Biografie sehr interessiert. Schubert zum Beispiel, wie er einmal zu seinem Bruder sagte, „Ich habe kein Geld, leide an Syphilis, habe Probleme mit den Eltern…“ Ich habe Schuberts Leben gelesen und durchgespielt und gemerkt, wie er seine Empfindungen durch die Musik ausgedrückt hat. Ich mache das heute auch, ich drücke aus, was ich empfinde. Wobei ich mich mit so einem großen Komponisten nicht vergleichen will, ich bin eher ein Unterhalter, Liedermacher oder auch ein Clown.
Hat denn das umfangreiche Liedschaffen Schuberts bei Ihrer Arbeit eine prägende Rolle gespielt?
van Veen: Absolut. Von der Struktur her und auch was Harmoniewahl anbelangt. Das ist bei ihm alles unwahrscheinlich logisch, und bei meiner Musik hoffentlich auch. Die ist zwar viel einfacher, weniger genial, aber in derselben Tradition. Ich sehe mich als ein Reisender, der durch die Welt reist, seine Erfahrungen besingt und seine Ideen äußert, auf eine Art und Weise, die sehr persönlich ist.
Schubert hat über 500 Lieder komponiert – auch wenn wir den direkten Vergleich nun nicht bemühen wollen: wissen Sie, wie viele Lieder Sie insgesamt schon geschrieben haben?
van Veen: Ja, ich weiß es, weil ich alle bei einem Verlag veröffentlicht habe. Es sind ungefähr 3000.
Dreitausend?
van Veen: Ja, Sie haben richtig gehört. Das kommt aber auch daher, dass ich viele Lieder schreibe, die ich am Ende nicht selber singe. Ich schreibe viel für Kinder, fürs Fernsehen, ich habe viele Theaterstücke geschrieben, in denen Lieder vorkommen. Manchmal schreibe ich auch nur den Text oder nur die Musik eines Liedes… Letzten Endes wäre es wohl fair, zu sagen: Ich bin an 3000 Liedern mit schuld.
Wenn man überlegt, dass Sie bereits 40 Jahre auf der Bühne stehen, kommt man auf 75 Lieder pro Jahr, macht in etwa ein Lied alle halbe Woche. Wie gehen Sie da vor?
van Veen: Das weiß ich ehrlich gesagt selbst noch nicht so ganz. Es ist eben nicht so, dass man sich einfach hinsetzt und ein Lied schreibt. Man schreibt einen Satz auf, oder ein Wort – nur man weiß am Anfang nie, was am Ende daraus wird. Vielleicht bietet der Satz einen Rhythmus an, oder es ergibt sich rein zufällig ein Reim, dann wird es vielleicht ein Gedicht oder ein Lied. Manchmal kann es auch ein Film werden oder ein Buch.
Wissen Sie, ich bin vor kurzem aus Afrika wiedergekommen. Und als ich meinen Koffer auspackte, merkte ich, dass ich auf Rechnungen, auf Speisekarten, auf Zeitungsartikel, auf allerlei Sachen geschrieben habe, aber ohne Plan. Ich habe keinen Plan, sondern das schreibt sich eigentlich alles von selber.
Und auf welcher Sprache schreiben Sie als Erstes?
van Veen: Immer zuerst auf Holländisch. Dann übersetze ich es grob in Französisch, Englisch oder Deutsch, je nachdem, wo ich mich gerade befinde. In Frankreich, kann ich mich erinnern, saß ich einmal auf einer Parkbank neben einem Penner. Wir haben ein langes Gespräch geführt, welches ich dann auf Französisch aufgeschrieben und am Abend in meinem Konzert auf Französisch vorgetragen habe.
Nun ist für einen Liedermacher die Sprache ein ungemein wichtiger Faktor. Wie wirkt sich dieser Faktor aus, wenn Sie die Sprache wechseln?
van Veen: Also, mein Französisch zum Beispiel ist verständlich, aber überhaupt nicht perfekt. Ich versuche auch gar nicht erst, perfekt Französisch zu sprechen, sondern ich versuche, mich einfach über ganz bestimmte französische Worte auszudrücken. Ein Beispiel: Ich bin verheiratet mit einer französisch sprechenden Frau und ihr Großvater benutzt immer das Wort „plaît-il“. Das ist eine unwahrscheinlich vornehme, alte Form von „Pardon?“. Nun stehe ich auf der Bühne des Pariser Konzertsaals „Olympia“, mein Französisch klingt gerade mal ein bisschen besser als das eines Durchschnitts-Touristen…
… aber dann verwenden Sie jenes Wort…
van Veen: Genau! Jemand im Saal rief irgendetwas und ich fragte daraufhin: „Plaît-il?“ – Da ist der Saal vor Lachen umgekippt. Weil alle dachten ja, dass mein Französisch schlecht sei und jetzt waren sie total verwirrt. Die dachten nun, ich spreche fantastisch Französisch, weil so etwas wie „plaît-il“ verwendet sonst nur jemand, der auf Französisch schon Gott weiß was gelesen hat.
Gab es für Sie im deutschsprachigen Raum schon ähnliche Fälle?
van Veen: Nun, hier trete ich natürlich schon viel länger auf, insofern habe ich in der deutschen Sprache schon eine Vergangenheit.
Gibt es im Deutschen ein Wort, das Sie besonders mögen?
van Veen: Ich glaube, dass allerschönste Wort in der deutschen Sprache ist für mich „warten“. Ich weiß nicht warum, aber für mich hat das eine wahnsinnige Ruhe. (spricht langsam:) „Worauf warten Sie?“ – Das ist sooo schön