Horst Haitzinger

Ich bin meine eigene Partei.

Der Karikaturist Horst Haitzinger spricht im Interview über den Wahlkampf, Trump-Karikaturen, den deutschen Michel und warum gezeichnete Anspielungen oft nicht mehr funktionieren.

Horst Haitzinger

© Roland Eckl

Herr Haitzinger, seit Jahrzehnten zählen Sie hierzulande zu den führenden Zeitungskarikaturisten – aber wählen immer noch in Österreich?
Haitzinger: Ja, das stimmt.

Dann begleiten Sie den deutschen Wahlkampf sozusagen aus der Außenperspektive.
Haitzinger: Ich muss ehrlich sagen, dass mich die österreichische Innenpolitik nicht besonders „peitscht“. Die deutsche interessiert mich einfach mehr.

Die politische Karikatur peitschte Sie aber schon früh. Was war denn die Initialzündung?
Haitzinger: Der Prozess geschah etwas schleichend. Ich kam 1957 auf die Akademie in München. Schon ein Jahr später trug ich quasi tonnenweise Karikaturen in die Redaktion des „Simplizissimus“. Das war der Anfang meiner Berufslaufbahn. Dem Chefredakteur Otto Iffland verdanke ich sehr viel. Durch ihn wurde ich sehr schnell Mitarbeiter und produzierte auch Ideen für andere Karikaturisten, und ich durfte dann auch mal etwas Eigenes veröffentlichen.

Zur Belohnung?
Haitzinger: Ja. Wenn ich das Zeug heute sehe, dann graust es mich natürlich. Na gut, ich war auch erst 19 Jahre alt. Die erste Tageszeitung, die sich für mich interessiert hat, waren dann 1963 die Nürnberger Nachrichten. Über die Jahre wurden es erheblich mehr.

Als jemand, der unter Adenauer anfing und fast alle Wahlkämpfe begleitet hat – mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den aktuellen Bundestagswahlkampf?
Haitzinger: Mit gelassenen. Ich gehe ja mittlerweile stramm auf die 80 zu, und wenn man das so lange macht, bringt es einen gewissen Gewöhnungseffekt mit sich. Was soll an diesem Wahlkampf denn so gravierend anders sein? Ich halte die Frau Merkel für eine gute Bundeskanzlerin – und glaube auch, dass der Schulz das genauso gut könnte. Sich in einen hysterischen Lagerwahlkampf hineinzusteigern, halte ich für unsinnig. Hoffentlich wirke ich jetzt nicht allzu altersmilde – aber ich bin froh, dass diesen Job des Spitzenpolitikers überhaupt noch jemand machen will. Weil ich den grauenhaft finde.

Würden Sie eine Prognose wagen?
Haitzinger: Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sich der Schulz­-Hype bis zum Wahltermin verbrauchen wird.

Wie stark soll man als Zeichner die eigene Meinung betonen? Steht einem da manchmal auch die Chefredaktion im Weg?
Haitzinger: Die eigene Überzeugung ist doch der Antrieb, aus dem ich das Ganze überhaupt mache, für mich kommt überhaupt nichts Anderes in Frage! Da hat mir noch nie irgendeinen Redakteur hineingepfuscht. Wenn er das, was ich da produziere, nicht druckt, dann kann ich eben nichts machen. Aber ganz ehrlich: Ich habe mich noch nie an anderen Meinungen orientiert.

Hatten Sie bei manchen Karikaturen Bauchschmerzen? Gab es welche, die Sie gerne zurückgenommen hätten?
Haitzinger: Das hat’s natürlich öfter mal gegeben, dass man nach ein, zwei Tagen sagt: „Da habe ich mich aber vergaloppiert.“ Ich kann aber beim besten Willen jetzt kein konkretes Beispiel nennen. Manchmal hat man Wut im Bauch oder man hat etwas einfach falsch bewertet.

Wie stehen Sie zur Cover-Karikatur des „Spiegel“, welche Donald Trump als Henker der Freiheitsstatue zeigte?
Haitzinger: Grenzwertig. Das geht gerade noch. Aber an so etwas wie den Trump kann ich mich in meiner ganzen Laufbahn nicht erinnern. Dass man da auch publizistisch schwere Geschütze auffährt, ist schon legitim.

Die Karikatur stellte Trump auf eine Stufe mit IS-Henkern. Gießt man mit solch einer Zeichnung nicht Öl ins Feuer?
Haitzinger: Ja, da haben Sie leider Gottes Recht. Ich gehöre übrigens auch zu den Wenigen in der Branche, die das Böhmermann-Gedicht kritisiert haben. Da war eine Grenze zwischen Satire und Geschmacklosigkeit überschritten. Irgendeinen Kabarettisten habe ich sagen hören: „Geschmack hat in der Satire nichts zu suchen.“ Da bin ich völlig anderer Meinung, Geschmack sollte überall zuhause sein. Anderes Beispiel: Charlie Hebdo. Selbstverständlich muss man seine Meinung sagen dürfen, ohne an Leib und Leben gefährdet zu sein. Aber was die gemacht haben, war ebenfalls geschmacklos. Ich erinnere mich an ein Turban-Gesicht mit Penis als Nase (der Penis lies sich erkennen, wenn man die Karikatur auf den Kopf stellte, Anm. d. Red). Da dachte ich: Was soll denn das transportieren? Sind die noch in der Pubertät?

Charlie Hebdo ist allgemein religionsfeindlich, was auch mit dem traditionellen Säkularismus in Frankreich zu tun hat. Aber an das Thema Islam trauen sich seitdem immer weniger heran.
Haitzinger: Leider Gottes war es keine gute Kritik am Islam. Die bitter nötig wäre.

Wie sind Sie selber mit dem Reizthema umgegangen?
Haitzinger: Bei dem dänischen Karikaturen-Streit vor zehn Jahren habe ich viel dazu gemacht und mich um das Thema nicht herumgedrückt. Aber man darf nicht einfach nur draufhauen und dann hinterher schauen: Was habe ich eigentlich getroffen?

Hatten Sie bei Islam-Karikaturen mal Angst, dass es wirklich gefährlich wird?
Haitzinger: Ich weniger, meine Frau schon eher.

Die politische Karikatur ist in Deutschland weitgehend links. Sogar FAZ oder Focus drucken linke Karikaturen…
Haitzinger: Wissen Sie, ich habe ein halbes Leben gedacht, ich müsste parteipolitisch irgendwo dazugehören. Was Innen- oder Sicherheitspolitik betrifft, bin ich erzkonservativ. Andererseits unterstützte ich die Politik Willy Brandts mit glühender Begeisterung. An meinen Karikaturen kann man erkennen, wo ich bei den jeweiligen Problemen stehe. Unterm Strich muss ich sagen: Ich bin meine eigene Partei.

Ihr Kollege Dieter Hanitzsch sagte einmal: „Der Haitzinger ist ein echter Grüner.“
Haitzinger: Bei deren Gründung dachte ich seinerzeit, ich hätte da meine Heimat gefunden, weil ich immer sehr im Naturschutz engagiert war. Die Grünen wurden mir aber schnell durch die Jutta-Ditfurth-Richtung vergrault. Vom Umweltthema haben sie sich dann immer mehr entfernt, bis es irgendwann nur noch um Multikulti und dergleichen ging. Dafür kann ich mich nur dosiert begeistern.

Es gibt ja im Spektrum noch die meinungslose lllustrations-Karikatur – von jenen Zeichnern, die in möglichst vielen Zeitungen erscheinen wollen.
Haitzinger: Ich bin froh, dass ich meine Meinung ausdrücken kann, allerdings kann man natürlich nicht jeden Tag Weltanschauung produzieren. Deshalb braucht es ab und zu durchaus etwas Illustratives. Aber ausschließlich…?

Als jemand, der mit Wehner, Strauß und Kohl groß geworden ist: Empfinden Sie die Politiker von heute als zu glatt?
Haitzinger: Glatt? Nein – es muss jemand nur lange genug im Geschäft sein, dann wird er seiner eigenen Karikatur immer ähnlicher (lacht). Und diesem Strauß-Wehner-Gepöbel trauere ich absolut nicht nach. Das war keineswegs immer geistreich, sondern oft nur plump und kindisch. Nehmen Sie den Ausspruch von Wehner, der den Jürgen Todenhöfer mal Hodentöter geschimpft hat – ich bitte Sie! Gut, dass so was nicht mehr möglich ist. Mit Todenhöfer habe ich mich in den letzten drei Jahren mehrmals getroffen. Ein interessanter und mutiger Typ – obwohl ich ihm nicht überall Recht geben kann.

Wie stehen Sie zu Cartoon-Elementen? Der Kollege Klaus Stuttmann zeichnet Donald Trump nur noch mit Entenschnabel, wie Donald Duck.
Haitzinger: Ähnliches habe ich auch schon gemacht. Das finde ich absolut legitim. Karikatur sollte immer verständlich sein und einen halbwegs intelligenten Gedanken transportieren. Nur keine Bilderrätsel!

Das bringt uns zum Thema Stil und Handwerk. Man hat den Eindruck, dass sich viele Zeichner wenig Mühe beim Porträtieren geben. Oder haben die einfach zu wenig Talent?
Haitzinger: Bei vielen jungen Kollegen frage ich mich tatsächlich: „Kann der nicht anders oder will der nicht anders?“ Und das wird offenbar auch gar nicht mehr erwartet. Vor einiger Zeit habe ich von der Sächsischen Zeitung einen Preis für mein Lebenswerk bekommen – damit verbunden war eine Ausstellung mit vielen Kollegen: Witzige Sprechblasen und gute Gags, aber zum Teil grauenvoll gezeichnet. Und das Publikum, soweit ich beobachten konnte, schien es nicht zu stören. Kein Gedanke, dass es auch ein kleines Kunstwerk sein könnte.

Die Österreicher scheinen mehr opulentere Stilisten hervorzubringen. Sie, Manfred Deix, Gerhard Haderer…
Haitzinger: Deix ist ja leider verstorben. Gerhard Haderer treffe ich übrigens in der nächsten Woche und freue mich darauf, ihn endlich mal kennenzulernen. Wir kommen ja aus derselben Schule. Der Mann ist ein Könner zum Niederknien, der quasi jede Woche einen „Alten Meister“ abliefert. Aber so eine Lucas-Cranach-Qualität kann natürlich nicht absoluter Standard sein, das ist klar.

Ihre großen Aquarelle, die über 25 Jahre für die „Bunte“ entstanden, waren aber auch sehr opulent! Wie lange haben Sie dafür gebraucht?
Haitzinger: Zwei Tage. Es wäre vielleicht noch schneller gegangen, aber das habe ich mir so auferlegt. Am ersten Tag zeichnen, am zweiten feilen und korrigieren.

Warum wurde das denn eingestellt?
Haitzinger: Irgendwann wollte die Bunte nicht mehr – sie wollten einsparen, außerdem passe eine politische Zeichnung nicht mehr recht zur Boulevard-Linie des Blattes. Ich habe das übrigens genauso empfunden.

Wie sieht die Zukunft der Karikatur aus – auch angesichts veränderter Lesegewohnheiten?
Haitzinger: Schon vor Jahren habe ich mich aufgeregt, dass viele Anspielungen auf Literatur, Balladen, biblische Geschichten oder Märchen kaum noch funktionieren. Aber wissen Sie was? Wenn ich mir anschaue, was meine Enkel im Gymnasium für ein Stoff-Volumen haben! Dazu kommt dieser ganze Computerkram. Da braucht man sich auch nicht zu wundern, dass sie den „Erlkönig“ nicht mehr aufsagen können.

Und wenn in heutigen Karikaturen der „deutsche Michel“ auftaucht, unsere etwas tumbe Nationalfigur mit der weißen Zipfelmütze — viele Leser wissen vermutlich nicht mehr, wer das sein soll…
Haitzinger: Stimmt, aber man muss doch nur ein Mal in seinem Leben nachfragen, und dann weiß man’s. Darauf verlasse ich mich dann einfach (lacht). Dass der Michel eine total antiquierte Figur ist, das ist mir bewusst, aber er ist ja auch nur ein Symbol. Ich weiß auch, dass ein Unternehmer nicht ständig mit Zigarre und Melone herumläuft, aber wir zeichnen ihn trotzdem so. Stereotypen dienen einfach der Verständlichkeit.

Es gibt von keinem Politikzeichner so viele Bücher wie von Ihnen. Wie hoch ist die Gesamtauflage?
Haitzinger: Mein Verleger hat mir vor ein, zwei Jahren zur Million gratuliert – das scheint mir aber doch ein wenig zu hoch gegriffen! (lacht). 1972 erschien mein erstes Karikaturenbändchen im Bruckmann Verlag, als Werbung für die Münchner „tz“. Was ursprünglich nur für den internen Hausgebrauch gedacht war, entwickelte sich mit der Zeit zu einen jährlichen erscheinenden Buch, und die Auflage liegt seit langem bei etwa zehntausend.

Ich besitze eins von 1981. Ältere sind nicht zu bekommen.
Haitzinger: Ja, für mich auch nicht! Auf die Siebziger-Bände bin ich ziemlich scharf, weil ich die auch nicht mehr habe.

Als Student der Malerei damals, wollten Sie da nie freier Künstler werden?
Haitzinger: Ursprünglich durchaus. Aber es ließ sich mit der Karikatur dann so erfolgreich an, dass ich dachte: Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.

Aber Sie nahmen sich zwischendurch immer wieder Zeit, Gemälde anzufertigen, Stilrichtung „Phantastischer Realismus“.
Haitzinger: Stimmt, wenn das Kind irgendeinen Namen haben muss, dann diesen… Der Output war aber stets gering, weil ich im wahrsten Sinne des Wortes ein Sonntagsmaler bin – und die Bilder sehr präzise und gegenständlich. Deshalb arbeite ich an einem Bild schon mal ein oder zwei Jahre. In meinem Atelier in stehen zurzeit etwa 14 oder 15 Bilder.

Haben Sie ein Erfolgsgeheimnis?
Haitzinger: (überlegt lange) An meinem beredten Schweigen können Sie erkennen, dass ich darüber noch nie richtig nachgedacht habe. Gemessen an meinen jugendlichen Erwartungen hatte ich Erfolg, und ich hab mich immer bemüht, alles so gut ich konnte zu machen. Das ist alles.

Und nie ans Aufhören gedacht?
Haitzinger: Immer! (Lacht) Aber in dem Moment, wo ich mir ein Limit setzte, macht das Arbeiten keinen Spaß mehr. Ich entscheide das irgendwann – von einem Tag auf den anderen.

4 Kommentare zu “Ich bin meine eigene Partei.”

  1. Paul Boldt |

    Guten Tag,
    Ihre Karikatur im Solinger Tageblatt: ein Volltreffer!!

    Alle Welt quatscht naiv über Digitalisierung und ein Schüler stellt das System
    teilweise auf dem Kopf.
    Ihre Darstellung zeigt das in aller Deutlichkeit – Spitze!

    Mit freundlichen Grüßen
    Paul Boldt

    Antworten
  2. Chrille |

    Hallo, könnten Sie mir sagen bitte, ob es die Interview App auch fürs IPhone gibt? danke

    Antworten
    1. Chrille |

      Hallo

      Antworten
  3. Martin Scholz |

    In ein paar Tagen ist Bundestagswahl in Deutschland.
    Und ihr interviewt einen Österreicher.
    Merkt ihr was?

    Antworten

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