Von der deutschen Presse kaum beachtet, läuft seit dem 13. Mai in deutschen Kinos der russische Film „Sobibor“. Es ist – nach „Flucht aus Sobibor“ – die zweite Spielfilm-Adaption des Aufstandes im Vernichtsungslager Sobibór von 1943. Regie führte Konstantin Khabensky, der gleichzeitig Hauptdarsteller ist. Der Film wurde erstmals in Russland am 29. Januar 2018 im Beisein von Wladimir Putin und Benjamin Netanjahu gezeigt. Die deutsche Premiere fand am 09. Mai in Berlin statt, anwesend waren neben Khabensky die deutschsprachigen Darsteller Philip Reinhardt, Dirk Martens und Wolfgang Cerny sowie die Botschafter von Russland, Kasachstan, Moldawien, Polen und Armenien. Wenige Stunden zuvor gaben Khabensky, Reinhardt, Martens und Cerny eine Pressekonferenz im Russischen Haus in Berlin.
Im Folgenden Auszüge aus der Pressekonferenz:
Herr Khabensky, in Ihrem Film „Sobibor“ zeigen Sie eindrücklich die Brutalität der Nazis. Jedoch haben mich zwei Punkte irritiert: Zum einen steht der russische Kulturminister Wladimir Medinksi in den Film-Credits als „Author of Idea“. Zum anderen ist einer Ihrer Produzenten Gleb Fetisov, der von den USA verdächtigt wird, zum engen Kreis um Wladimir Putin zu gehören. War der Film „Sobibor“ also eine Auftragsarbeit?
Konstantin Khabensky: Also, ich beschäftige mich nicht… zudem es mein Regiedebüt war, hatte ich nicht den Wunsch, einen Auftragsfilm zu drehen. Dass das Kulturministerium diese Geschichte, diesen Film unterstützt hat, ist eine große Stärke des Kulturministeriums. Und dass Leute, die in verschiedenen Ländern auf verschiedenen Listen stehen, die vaterländische (russische) Filmkunst unterstützen, die auch international gezeigt wird, ist ebenfalls eine große Stärke dieser Menschen.
Und dass, zu meiner Freude, dieser Film keinerlei politische Aussage hat, ist eine große Stärke dieses Films
Hat sich durch die Arbeit am Film etwas bei Ihnen verändert?
Konstantin Khabensky: Weil es mein Regie-Debüt war habe ich eine Menge Entdeckungen gemacht, im Hinblick auf die Filmproduktion. Aber da die Arbeit am Film noch nicht beendet ist – heute sind wir weiter auf Premierentour – kann ich Ihnen noch nicht sagen, welchen Einfluss der Film auf mein Leben hat.
Philippe Reinhardt: Es gab am 06. Mai eine Premiere des Films in Zürich. An dem Tag war ich tagsüber beim Arzt, den habe ich spontan zu der Vorführung eingeladen. Am nächsten Tag war ich nochmal bei ihm und da sagte er zu mir, dass er zehn Angehörige verloren hat, drei davon in Sobibor, Großvater, Großmutter usw. Er hat diesen Film gesehen. Da meinte ich zu ihm: Es tut mir leid, dass ich Sie eingeladen habe. Aber da hat er gesagt, dass er diesen Film allen Leuten zeigen will, an Schulen, vielen Menschen – weil die die Brutalität des Films, die Gnadenlosigkeit erst den Menschen das Thema näher bringt. Weil es viele Menschen da draußen gibt, die das nicht verstehen, die ignorant sind – damit diese Menschen auch verstehen, dass sich gewisse Dinge nicht wiederholen dürfen und wohin Ignoranz führt.
Die Erinnerungskultur in Deutschland und Russland unterscheidet sich. Was kann das deutsche Publikum aus dem Film „Sobibor“ mitnehmen, hinsichtlich der Erinnerungskultur Russlands an diese Zeit (des Zweiten Weltkriegs)?
Konstantin Khabensky: Erinnerungskultur kann in Zahlen ausgedrückt werden – in kalten Zahlen, die in die ein oder andere Richtung variieren können – oder aber in Gefühlen, in Emotionen. Wir haben versucht, uns auf die Gefühle, auf die Emotionen zu konzentrieren, um etwas auszudrücken. Denn jedem normalen Menschen ist verständlich, wie sich Schmerz anfühlt, Angst, Hunger oder Liebe. Diese emotionale Sphäre lässt sich Gott sei Dank nicht in mathematischen Parametern ausdrücken.
Deswegen denke ich dass dieser Aspekt der Erinnerungskultur eine sehr gute Ergänzung ist, zu den Fakten und Zahlen, was den Zweiten Weltkrieg, was Konzentrationslager usw. betrifft. Ich würde aber nicht sagen, dass dies eine russische Erinnerungskultur ist, sondern es ist eine menschliche.
Dirk Martens: Ich gehöre einer Generation an, die von der vierten Schulklasse bis zur 12. Klasse jedes Jahr die Geschichte der Zeit 1933-45 durchgenommen hat, das ist eingebrannt in meiner Erziehung und mein Leben. Heute sind wir wieder in einer Zeit, wo die Bundesregierung wieder einen Beauftragten für Antisemitismus bestellt hat. Das ist ein Signal, dass man ernst nehmen muss, wenn wir solch einen Beauftragten überhaupt wieder brauchen. Als ich davon gehört habe, war ich schockiert. Da müssen sich kluge Köpfe gute Gedanken machen, damit es im deutschen Volk nicht annähernd eine Form von Antisemitismus gibt, der uns wie ein Schatten im Rücken liegt, seit es die Bundesrepublik gibt.
Es ist wichtig, aus der Geschichte zu lernen, wichtig in Deutschland, wo Antisemitismus nach wie vor existiert. Doch wie ist es in Russland mit den Straflagern, die nach wie vor existieren? Hierzulande hört bzw. liest man darüber schreckliche Berichte, von ehemaligen Häftlingen. Haben Sie eine Hoffnung, dass diese Lager eines Tages geschlossen werden und man dazu übergeht, Häftlinge nicht zu brechen sondern zu resozialisieren?
Konstantin Khabensky: Und diese Frage entstand bei Ihnen, nachdem Sie „Sobibor“ gesehen haben?
Ja, denn Sie zeigen im Film auch ein Lager. Selbstverständlich ist es ein Unterschied, im Film ist es ein Tötungslager. Doch man sieht im Film ja auch, wie Menschen psychisch gebrochen werden – und genau das berichten auch ehemalige Insassen von russischen Straflagern.
Konstantin Khabensky: Ich bin nicht so tief in diesem Thema wie Sie, was diese Lager betrifft. Ich habe von solchen Straflagern gehört, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese sich auf dem Territorium des Landes befinden, in dem ich lebe.
Lassen Sie uns… ich komme im Juni zu einem Gastspiel nach Wien („Eugen Onegin“), bis dahin werde ich mich ernsthafter auf Ihre Fragen vorbereitet haben.
Alexander Petscherski (den Khabensky im Film darstellt, Anm. d. Red) ist aus dem Konzentrationslager Sobibor geflohen, in die Freiheit. Inwiefern sind Sie heute ein freier Mensch?
Konstantin Khabensky: Ich lebe mit der Illusion, dass ich ein freier Mensch bin.
Inwiefern gibt es Unterschiede zwischen den Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus und den Menschen heute?
Dirk Martens: Grundsätzlich glaube ich nicht, dass die menschliche Empfindung für Leid oder für genommene Würde sich heute erheblich unterscheidet von damals. Aber ich kann mir vorstellen, dass durch die digitalisierte Welt, in der wir uns aufhalten, wo wir von allen Seiten 100.000fach am Tag mit Verbrechen und schlimmen Dingen des menschlichen Lebens konfrontiert werden, dass wir unsensibler werden. Weil wir von morgens bis abends mit schlechten Nachrichten von menschlichen Gräueltaten konfrontiert werden.
Wolfgang Cerny: Ich glaube, dass wir uns – abgesehen von der Technik und von dem Fortschritt, den wir durchlebt haben – von den Menschen damals fast nicht unterscheiden. Die Emotionen sind dieselben. Der einzige Unterschied ist, dass die Menschen damals durch die Propaganda leichter beeinflussbar waren, als wir heute, weil wir mehr Informationen [unverständlich] haben. Andererseits leben wir im Zeitalter von Fake-News und Bildbearbeitung, also läuft es am Ende auf dasselbe hinaus. Ich glaube, dass wir leider, wenn wir nicht aus der Geschichte lernen, verdammt sind, sie zu wiederholen. Deshalb sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass der Mensch leider zu so etwas fähig ist.
Philippe Reinhardt: Ich finde, dass Kulturschaffende ein bisschen eine Aufgabe haben, nicht nur Unterhaltung zu machen. Manchmal macht man Filme, die Unterhaltung sind, um Geld zu verdienen… Natürlich will man mit „Sobibor“ auch Geld verdienen, aber es gibt halt gewisse Filme, die mehr sind, die eine gewisse Aussage haben. Ich finde, dass wir als Kulturschaffende verbinden sollten. Ich merke das extrem, weil ich bestimmte Vorurteile selbst erlebe. Mich fragen Leute „Du drehst jetzt in Russland, lebst du noch?“ Entschuldigung, aber wir sind doch Menschen. Wir machen Filme in Russland, vielleicht auch in Deutschland, da geht es nicht um Nationalität. Immer diese Barrieren von Kulturen! Ich finde es viel interessanter zu gucken: Was sind andere Kulturen? Was sind andere Menschen? Dass man Barrieren durchbricht, finde ich sehr wichtig.
Ich finde es auch wichtig, dass man Filme macht, die ein bisschen wachrütteln, die nicht nur an der Oberfläche bleiben. Und die Menschen in Moskau und Zürich waren sehr berührt von „Sobibor“, ich habe es noch nie gesehen, dass Menschen so berührt waren von einem Film. Und das finde ich wichtig, dass die Leute nicht immer nur lächelnd aus dem Kino laufen sondern auch mal verstehen, was passieren kann.
Deutschland fahndet auch heute immer noch nach früheren NS-Wachmännern der Konzentrationslager, und man findet immer noch Schuldige, die heute über 90 Jahre alt sind. Ist diese Fahndungsarbeit Ihrer Meinung nach noch sinnvoll?
Konstantin Khabensky: Ich denke schon. Es kann natürlich sein, dass diese Menschen ihr ganzes nachfolgendes Leben der Selbstkasteiung gewidmet haben. Aber es gibt auch den Grundsatz, dass jedes Verbrechen bestraft wird, dass ein Mensch nicht ungestraft mit einem Verbrechen davon kommt. Für diejenigen Menschen, die noch kein Verbrechen begangen haben, aber in der Vorbereitung sind, die ein Verbrechen planen, ist es eine gute Erinnerung daran, dass man nicht ungestraft davon kommt.
Wolfgang Cerny: Unbedingt. Mord verjährt nicht. Und es war ein abgrundtiefes Verbrechen, eine menschliche Tiefe, die geahndet werden muss, bis nach dem Tod.
Zu dem was Konstantin gesagt hat: Es wäre ehrbar, wenn diese Menschen sich der Selbstkasteiung gewidmet haben, ich glaube das aber nicht. Oft haben sich diese Menschen in Südamerika ein neues Domizil aufgebaut und dort mit der gleichen Ideologie weitergemacht. Das muss bestraft werden.
Philippe Reinhardt: Ich habe von einem SS-Mann gelesen, der heute 90 Jahre alt ist und jetzt verhaftet wurde. Da haben die Medien geschrieben: „Oh, der ist viel zu alt für den Knast“. Da sage ich: Tut mir leid, egal ob er 90, 95 oder 97 ist, man sollte so etwas nicht durchgehen lassen. Und ich glaube, es wird nicht nur in Deutschland nach solchen Leuten gefahndet, sondern es gibt noch sehr viel Kriegsverbrecher auf der ganzen Welt. Und leider Gottes immer wieder neue.
Es wurde (von Philippe Reinhardt) erwähnt, dass Künstler auch Barrieren brechen sollten. Nun haben in der jüngeren Vergangenheit über 500 russische Künstler mit ihrer Unterschrift die Ukraine-Politik von Wladimir Putin unterstützt, und damit die Annexion der Krim. Was können russische Künstler tun, um zur Versöhnung zwischen der Ukraine und Russland beizutragen?
Konstantin Khabensky: Mein Antwort darauf ist ganz einfach: Künstler sollten weiterhin miteinander befreundet bleiben. Künstler können weiterhin gemeinsam an Projekten arbeiten, gemeinsame Vorstellungen und Phantasien entwickeln. Das wird sehr lange erhalten bleiben, alle anderen Missverständnisse werden vom Winde verweht und vom Regen weggespült.
Kommt der Teufel zum Schauspieler, bietet an; Du kannst alle Preise gewinnen, alle Rollen spiele, und sonst erfülle ich Dir auch jeden Wunsch.
Fragt der Schauspieler; was ist der Preis.
Sagt der Teufel, Du musst mir Deine Seele verkaufen.
Fragt der Schauspieler: „Wo ist der Haken?“