Niko, Bill, Paul und Niklas, wir sitzen hier in einem alten Luftschutzbunker in Hannover Linden-Nord, der Proberaum eurer Band „Ich Kann Fliegen“. Welche Bedeutung hat dieser Ort für euch?
Niko: Das ist ein sehr besonderer Ort, weil wir hier erst seit zwei Monaten sind. Wir hatten vorher einen anderen Proberaum – da war alles scheiße, da hat es reingeregnet und der Vermieter war blöd . Aber hier ist alles gut. Wir proben in dem Stadtteil, in dem wir auch leben. Das ist ideal. Ich war die letzten zwei Wochen jeden Tag hier, um den Gesang für unseren Auftritt beim Bundesvision Song Contest zu üben. Da ist es schon wichtig, dass man sich wohlfühlt.
Bill: Und der neue Vermieter ist auch super! (lacht)
Beim Bundesvision Song Contest tretet ihr am 28. September für euer Heimatland Niedersachsen an. Bei der Show wird nur der Gesang live sein, die Musik kommt vom Band. Sehr ernüchternd für eine Band, die live überzeugen will und seit sechs Jahren live unterwegs ist?
Niklas: Ich find’s nicht schlimm. Wir spielen ja sonst immer und überall live, da können die Leute sich das angucken. Und dass wir bei einer Show in dieser Dimension nicht live spielen können, ist für mich nur logisch. Es geht ja vor allem darum, eine coole Show abzuliefern und nicht darum, herauszufinden, welche Band ihre Instrumente nun beherrscht und welche nicht.
Niko: Es ist logistisch einfach nicht anders möglich, sagen wir mal so. Wenn da 16 Bands hintereinander wegspielen, kann man nicht immer alles auf- und abbauen und dann auch noch gut klingen lassen. Deshalb machen die nur ein bis zwei Mikrofone scharf, das ist schon Aufwand genug.
Im Vorfeld habt ihr euch und euren Song „Mich kann nur Liebe retten“ in Stefan Raab’s Show „TV Total“ dem Publikum vorgestellt. Wie habt ihr euren ersten großen Fernsehauftritt erlebt?
Niko: Es war natürlich irgendwo aufregend, aber im Endeffekt war es auch nur ein ganz normaler Auftritt. Im Studio saßen vielleicht 200 Leute, also das war nicht so schlimm. Man denkt in so einem Moment nicht an die Millionen Leute, die vielleicht gerade vor dem Fernseher sitzen.
Paul: Stefan Raab war wirklich entspannt und auch die Atmosphäre in dem Team sehr angenehm. Das hat Spaß gemacht. Ich war am Ende viel weniger aufgeregt, als ich gedacht hätte.
Wenn man sich die Ergebnisse der letzten Jahre ansieht, haben ausschließlich Bands den Contest gewonnen, die bereits vorher bekannt waren: Tim Bendzko, Unheilig, Peter Fox oder Subway to Sally. Sollte man den Wettbewerb nicht ausschließlich unter Newcomer-Bands ausrichten?
Bill: Ich unterstütze es total, dass Newcomer gegen ein paar etablierte Künstler antreten, denn so werden einfach mehr Leute auf diese Show aufmerksam. Erst dadurch entsteht ja eine große Plattform für Newcomer wie uns, von der wir dann im besten Fall auch wieder profitieren. Der erste Platz ist vielleicht immer fest in der Hand von etablierten Bands, aber im letzten Jahr hat dann der bis dahin relativ unbekannte Soul-Sänger Flo Mega einfach mal so den zweiten Platz abgeräumt. Auch das ist also möglich.
Und wie schätzt ihr eure Chancen ein?
Niko: Wir würden uns natürlich über eine sehr gute Platzierung freuen, aber am wichtigsten ist, dass wir alle dort einen tollen Tag haben, an den man sich noch lange erinnern kann.
Bill: Wir stehen auch nicht wirklich unter Druck, da jetzt unbedingt in die Top 10 zu kommen. Wir wollen eine tolle Performance abliefern. Am Ende werden wir dann sehen, wie die Zuschauer abstimmen.
Bis auf Niklas, der mittlerweile Diplom-Meteorologe ist, seid ihr alle neben der Musik auch noch an der Universität eingeschrieben. Könntet ihr euch vorstellen das Studium für die Band zu schmeißen?
Niklas: Nein, auch wenn ich noch nicht fertig gewesen wäre, hätte ich natürlich nicht abgebrochen. Man war so lange dabei, dann muss man das auch durchziehen.
Bill: Ich habe erst vor einem Jahr angefangen zu studieren und werde es irgendwie versuchen weiter zu machen. Das dauert dann halt alles ein bisschen länger und wird aufgrund dieser beschissenen Studiengebühren auch ganz schön teuer, aber das ist halt der einzige Weg sich ein zweites Standbein neben der Musik aufzubauen. Das ist uns allen wichtig.
Niedersachsen ist neben Bayern das einzige Bundesland, welches noch Studiengebühren erhebt…
Niko: Wir mögen Niedersachsen sehr gerne, aber das ist wirklich eine der größten Schanden dieses Landes.
Bill: Vielen Dank an die Landesregierung! Das geht gar nicht!
Ihr habt eine klare politische Meinung, aber die Songs auf eurem Debütalbum „Ich Kann Fliegen“ handeln von den klassischen Themen Liebe, Freundschaft und Sinnsuche. Ist eure Musik bewusst unpolitisch?
Dass wir bei einer Show wie dem Bundesvision Song Contest, in so einer Dimension, nicht live spielen können, ist für mich nur logisch.
Bill: Gesellschaftskritik gerne abends beim Bier, aber nicht in der Musik.
Niko: Man sollte einfach wählen gehen, damit dieser ganze braune Kram nicht weiter nach oben kommt. Aber ich will mir nicht herausnehmen, jemandem zu sagen, was er politisch zu vertreten hat. Natürlich machen wir uns auch unsere Gedanken über Politik, aber eben nicht mit und in unserer Musik.
Wenn man sich junge Künstler der letzten Jahre anhört, fällt auf, dass viele unpolitische Musik machen: Silbermond, Revolverheld, Tim Bendzko, Philipp Poisel, um nur einige zu nennen. Die deutsche Musikszene scheint sich zunehmend zu entpolitisieren…
Bill: Ich denke, dass zwischenmenschliche Gefühle viel stärkere Gefühle sind, als die, die entstehen, wenn du über politische Themen nachdenkst oder singst. Deshalb werden über Liebe und Freundschaft auch mehr Songs geschrieben, die dann von den Leuten auch besser aufgenommen werden.
Paul: Es liegt sicherlich auch am Radio. Bei „Wir sind Helden“ wurden ja im Endeffekt auch nur die Liebeslieder gespielt. Vielleicht haben die Radiosender auch einfach Angst politische Songs zu spielen.
Niko: Politik ist eine Meinung, aber wir singen eher über Erfahrung. Ich habe keine Erfahrung in der Welt der Politik, deswegen schreibe ich darüber auch keine Songs.
Es gab in den letzten Jahren eine große Debatte über die sogenannte Deutschquote im Radio. Der Deutsche Bundestag sprach sich im Dezember 2004 für eine deutsche Musikquote aus. Sender sollen sich selbst dazu verpflichten, einen Anteil von 35 Prozent deutscher Künstler und Musik zu spielen. Wie steht ihr dazu?
Niko: Man kann doch dem Radio nicht vorschreiben, was es zu spielen hat. Aber natürlich wäre es schön, wenn die sich einfach mal mehr trauen würden. Ich bin kein großer Radiohörer, aber das liegt natürlich auch daran, dass da selten der Kram kommt, den ich gerne höre.
Bill: Jeder Radiosender hat ja das gute Recht auszuwählen zu spielen, was er will.
Die Songs auf eurem Debütalbum klingen nach solider Rockmusik. Musikalische Experimente bleiben aus. Steckt dahinter auch die Angst, etwas völlig Neues zu machen, um dann am Ende nicht vom Radio wahrgenommen zu werden?
Niko: Ich finde schon, dass wir etwas machen, was so noch nie da war. Das ist unser erstes Album und einfach unsere Musik. Mir ist es völlig egal, ob andere Leute unsere Musik als was Neues oder als etwas schon Dagewesenes bewerten. Man muss ja nicht das Rad neu erfinden, um tolle Musik zu machen.
Bill: Wir haben uns nie zum Ziel gesetzt, musikalisch etwas völlig Neues zu entwickeln. Wir machen einfach das, was uns gefällt. Und wenn da am Ende klassische Rockmusik bei rauskommt, dann ist es genau das, was wir mögen. Wenn das Radio unsere Songs spielt, freuen wir uns darüber, aber wir schreiben unsere Songs nicht bewusst radiotauglich. Ich kann jedem nur raten, nicht zwanghaft zu versuchen, etwas Neues zu erfinden, sonst klingt das am Ende wie Kraut und Rüben.
Eure Songs sind komplett deutschsprachig. Könntet ihr euch vorstellen auch englischsprachige Musik zu machen?
Niko: Paul und ich haben vor der Gründung von „Ich Kann Fliegen“ vor sechs Jahren englischsprachige Songs geschrieben und gesungen. Da hat man dann halt über irgendwas geschrieben. Im Endeffekt war es aber egal, was gesungen wird, weil eh keiner genau zugehört hat.
Paul: Ich konnte auf Englisch nie genau das ausdrücken, was ich eigentlich sagen wollte, was mir so im Kopf herumschwirrte. Das fällt mir auf Deutsch wesentlich leichter.
Der „Kettcar“-Sänger Marcus Wiebusch hat kürzlich in einem Interview erzählt, dass es sehr schwer sei gute Liebeslieder zu schreiben, weil diese Gelände so vermint wäre. Hat er Recht?
Niko: Das ist oft ein schmaler Grad, das stimmt. Und bei vielen Songs haben wir schon sehr lange an bestimmten Zeilen gefeilt, damit das am Ende auch gut klingt.
Niklas: Ich würde sagen: Wir sind durchs Mienenfeld durchgegangen, haben uns aber für bestimmte Zeilen entschieden, auch wenn sie auf den ersten Blick vielleicht etwas kitschig wirken. Wir haben uns da nicht ständig gebremst.
Bill: Wir wollen mit unseren Songs einfach sagen, was Sache ist. Und wenn du dann das Wort Liebe benutzt, dann ist das halt so. Das ist kein Problem. Ständig nur um den heißen Brei herumzureden und irgendwelche Bilder zu kreieren, macht ja irgendwie auch keinen Sinn.
Wie wichtig ist es im Musikbusiness ein Image zu haben?
Bill: Das Wort Image ist ja schon so was ausgedachtes. Ich finde es viel wichtiger, dass man authentisch ist. Es ist doch albern sich hinzusetzen und zu überlegen: „Wie wollen wir denn jetzt wirken? Lass uns doch mal versuchen so oder so rüberzukommen.“ Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es am meisten Sinn macht, sich keine Gedanken über ein Image zu machen, sondern einfach das zu machen, was man für richtig hält. Dann löst sich die Image-Frage von alleine.
Niklas: Man mag ja seine Bandmitglieder auch so, wie sie sind, und will nicht, dass die sich plötzlich verändern. (lacht)
Niko: Vielleicht haben wir auch ein Image, aber das kennen wir selbst halt nicht.
Ihr seid sehr aktiv im Web 2.0, postet regelmäßig Neuigkeiten auf Facebook und Twitter. Wie wichtig ist der Kontakt zu den Fans?
Niklas: Sehr wichtig, aber genauso wichtig ist es auch mit Leuten auf Konzerten zu quatschen, wie sie den Auftritt fanden und so. Das läuft bei uns also nicht nur über das Internet. Wir stehen nach den Konzerten auch selbst am Merchandising-Stand und verkaufen unsere CD’s. Da kommt man mit vielen Leuten ins Gespräch.
Bill: Wir haben jetzt etwa 8.700 Fans auf Facebook. Das ist noch relativ überschaubar, aber wenn du dann irgendwann erstmal zehntausende Menschen mit Neuigkeiten belieferst, und die sich dann auch noch alle zurückmelden, wird es sicher schwer, auf alle Kommentare einzugehen.
Niko: Ich hoffe, dass wir sowas erleben. Wir werden dann auf jeden Fall alles geben, um mit unseren Leuten in Kontakt zu bleiben. (lacht)