Inga Humpe

Das Schlechte finde ich nicht besingenswert.

Inga Humpe im ausführlichen Gespräch mit Ralf Krämer über die Unterschiede von Berlin und Los Angeles, ihre Eltern, Kitsch, eine Begegnung mit Heiner Müller und "Achtung fertig", das siebte Album von 2raumwohnung

Inga Humpe

© Das Kowalski Komitee

Frau Humpe, am Schluss des letzten Albums von 2raumwohnung war eine Zither zu hören, ein klassisches Volksmusikinstrument. Ihr neues Album „Achtung fertig“ ist geprägt von elektronischer Clubmusik. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Inga Humpe: Der Weg von der Zither zu einem elektronischen Instrument ist gar nicht so weit, wie man vielleicht denken könnte. Der Abstand zwischen Berlin, wo ich wohne, und Los Angeles, wo wir unser neues Album zum größten Teil aufgenommen haben, macht eher den Unterschied zwischen beiden Platten aus.

Das heißt, Musik unterscheidet sich für Sie weniger stilistisch, sondern in ihrem Kontext?
Humpe: Wie entsteht überhaupt Musik? In dem man sie im Moment des Fühlens und Erlebens zulässt. Wenn man sich einen Raum der Wahrnehmung schafft, wo man auch einen anderen Menschen wahrnimmt, da entsteht – unter anderem – Musik.

Sie sagen, Sie hätten in Los Angeles nach einem „druckfreien Raum“ für Ihre neue Platte gesucht. Eigentlich kommen doch Musiker aus aller Welt nach Berlin, um hier einen solchen freien Raum zu finden…
Humpe: Ja, aber ich lebe schon so lange in Berlin. Hier kam ich mir vor wie in einer Furche, in die man immer wieder reinfällt. Andere kommen eben hier her, um ihre eigenen Furchen loszuwerden.

Wofür steht diese Furche?
Humpe: Für festgefahrene Strukturen, für alles, was man unter Leistung versteht und unter einem Plan, den man meint, erfüllen zu müssen. Das ist ja auch nicht nur schrecklich, es kann auch mal ganz gemütlich in der Furche sein. Berlin ist im Verhältnis zu L.A. ja eigentlich auch der angenehmere Ort zum Leben, wesentlich offener und freier. Aber damit etwas entstehen konnte, musste ich da raus. L.A. ist sehr inspirierend, allein schon, weil da 140 Nationen zusammen leben. Viel sind dort auch auf einem spirituellen Trip, das ist auch interessant. Und dann gibt es da auch noch das Grammy-Museum.

Mit den Grammys werden in den USA die Musiker des Jahres gekürt. Was ist das schönste Exponat im Grammy-Museum?
Humpe: Man kann da die einzelnen Tracks von Songs hören, zum Beispiel von „My Sweet Lord“ von George Harrison. Da hörst du dann seine Stimme solo. Mich hat das umgehauen. Da ist soviel Gefühl drin und Sehnsucht und Rauswollen und Verzweiflung und Liebe und Mut, da kann ich mich gar nicht beruhigen drüber. Man fängt wirklich an zu weinen. Man sieht in dem Museum auch den ganzen Kampf, der Musik auch ist, das ganze Durchwühlen durch den Dschungel von Ideen, wie viele Menschen da eine Rolle spielen.

Sind die Grammys nicht vor allem ein kommerzielles Aushängeschild der Musikindustrie?
Humpe: Da ist man so ein bisschen europäisch verdummt, wenn man nur so denkt. Natürlich ist es ein kommerzielles Museum, es ist für alle zugänglich, aber es gibt wirklich einen tollen Einblick in die Entstehung von Musik.

Man möchte sich ein deutsches Pendant, ein Echo-Museum nicht wirklich vorstellen…
Humpe: Nee, lieber nicht. Die Amerikaner haben oder hatten einfach eine andere Beziehung zum Musik-Businenss. Es wurde von vielen besonderen Persönlichkeiten geprägt, auch hinter Plattenfirmen steckten Menschen, man begegnete sich. Heute geht es doch nur noch um Monopolbildung. Überall werden Leute eingeschleust, die ausschließlich Disney-Künstler fördern. Aber in dem Grammy-Museum geht es ja vor allem um die Zeit der 60er, 70er Jahre und davor, es geht um echte Personen, nicht um die knallharte Wirtschaft.

Zitiert

Alle Erlebnisse von Frust, Krampf, Panik und Versagensangst kommen bei uns nicht vor. Sie sind da, aber ich singe nicht darüber. Ich singe ja auch nicht über Fürze.

Inga Humpe

Zurück zu den Furchen. Wo merken Sie die in Ihrer Arbeit? Kommen Ihnen Ihre Ideen dann altbekannt vor? Werden Sie ungeduldig im Detail?
Humpe: Wenn ich in so einer Furche bin, fühle ich mich manchmal eher wie ein Pferd. Es tritt dann eine gewissen Abgestumpftheit zutage. Wenn ich offener sein kann, kommen viel mehr Ideen, dann ist alles recht spielerisch. Alles kommt in Bewegung und die Gedanken gehen wieder mehr in die Richtung: Worüber ist es eigentlich wert, gesungen zu werden? Welche Sounds habe ich lange nicht mehr gehört, welche haben bei mir was ausgelöst?

Sie waren Mitte der 1970er Jahre zum ersten Mal in Los Angeles. Wie hat sich die Stadt seither verändert?
Humpe: Für mich hat sich das gar nicht so verändert, nur, dass ich damals als Tourist in den USA war und mir die ganzen neuen tollen Punk-Bands angesehen haben, vor allem in New York. Jetzt konnte ich in diese Welt tiefer rein gehen. Da sind diese alten Studios in L.A., die sehen von außen nur wie irgendwelche Kästen aus. Dann steht da „Sunset Studio“ drauf und wenn du guckst, wer da so aufgenommen hat: Prince, alle Beatles…

Das klingt aber eher nach einem Nostalgie-Trip – obwohl Sie auf Ihrem neuen Album fordern, dass „alte Gedanken ins Museum wandern“ sollten…
Humpe: Das sind gar keine alten Gedanken, das sind ja sehr viele neue Eindrücke, Sichtweisen und Möglichkeiten. Wir waren in L.A. in so einem kleinen versteckten Laden, der voll von den tollsten Synthies und alten Mellotronen war. Da stand auch immer dran, für welche Filmmusiken die verwendet worden waren. Wir haben da unsere kleinen Synthesizer gekauft, die wir jetzt „Rosa Kakerlake“ nennen. Einer davon ist auf unserem neuen Albumcover zu sehen.

Wenn Sie ein neues Instrument kaufen, lesen Sie dann erst die Gebrauchsanweisung?
Humpe: Nee, die sind ja so simpel. Da sind acht Knöpfe drauf. Das kann auch ein Dreijähriger bedienen und es gibt trotzdem tolle Sounds.

Ihre Musiker-Kollegin Beate Bartel hat mal gesagt, Berlin sei nicht so wie Los Angeles, weil Berlin „auf Blut aufgebaut“ sei. Worauf ist Los Angeles aufgebaut?
Humpe: Auf Wüste. Und L.A. hat etwas wahnsinnig Militärisches, da ist alles so quadratisch praktisch gebaut, unheimlich weitläufig. Das ist nichts, was man lieblich nennt. Wenn du dann aber von den Hollywood Hills auf die Stadt runterschaust, kannst du schon den Eindruck kriegen, dass all die Träume in dieser Stadt auch anwesend sind.

Eben sprachen Sie aber eher von der knallharten Wirtschaft, die in dieser Stadt so präsent sei. Das klingt eher wie ein Albtraum.
Humpe: Diesen Kampf der Giganten, in dem sich die großen Firmen gegenseitig versuchen, aus dem Weg zu räumen, den spürt man – aber in dessen Schatten finden eben auch starke kreativen Prozesse statt. Hier in Berlin gleicht das Leben eher den Ferien auf dem Bauernhof und der Bauer macht eben ab und zu mal ein Liedchen. (lacht) Dort ist der Kampf ums Überleben spürbar, da krabbeln alle wie rosa Kakerlaken durch den heißen Wüstensand und wollen unbedingt bei dem neuen Album von Rihanna oder von Pharrell Williams mitmachen. Da arbeiten dann achtzig Leute an einem einzigen Album, in sechs Studios. Rihanna wandert von einem zum nächste und singt mal hier und mal da.

Was machen diese achtzig Leute?
Humpe: Das System ist einfach viel strikter aufgeteilt, als hier. Da gibt es einige Leute, die nur an den Texten schreiben, andere machen nichts anderes, als den Beat zu programmieren. Und du kannst noch um halb vier in der Nacht mit dem Finger schnippen und sagen: „Ich will jetzt ein Cello“. 1000prozentig findest du zwölf Leute, die dir das in dem Moment einspielen würden. Sowas gibt es hier nicht.

Wünschen Sie sich manchmal selbst so ein System oder wäre Ihnen das unheimlich?
Humpe: Ich will das gar nicht bewerten. Das ist da eben so. Das kann einen auch wahnsinnig machen, es gibt ja genug Leute, denen genau das passiert ist. Aber wenn man 30 ist und davon träumt, 70 Millionen zu verdienen, dann muss man unbedingt da hingehen.

© Das Kowalski Komitee

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War die musikalische Ausrichtung des neuen 2raumwohnung-Albums noch offen, als Sie nach Los Angeles gingen?

Humpe: Nee, es war schon vorher klar, dass es elektronischer werden würde, ein bisschen Dance- und Beat-orientierter, ein bisschen mehr in Richtung unserer Anfänge, als wir alles zu zweit gemacht haben. Damals, 2000 und 2001 wurde diese Art Musik im Radio ja gar nicht gespielt, heute ist das anders. Vielleicht ist das jetzt ja der Moment, in dem wir mit unserer Musik im Radio auf neue Hörer treffen werden.

Wenn man bedenkt, wie populär viele 2raumwohnug-Songs sind, erstaunt in der Tat, wie vergleichsweise mäßig Ihr Erfolg in den Charts war. Keine Ihrer Singles hat es jemals in die deutschen Top 20 geschafft…
Humpe: Anfang der 2000er hörte man solche Musik nicht im Radio. Uns war immer wichtig, dass die Leute trotzdem unsre Songs kannten. Jetzt ist ja auch das neue Album von Daft Punk auf Platz 1 gelandet, das war früher doch undenkbar. Da hast du sowas nur in Clubs, wie dem Tresor gehört. Da sieht man, selbst in der Musik gibt es eine Evolution.

Ich in einem Ihrer früheren Interviews mit Planet Interview haben Sie gesagt, einen Songtext wie „Ich singe lalala, das Glück ist so nah…“ könnten Sie nicht selbst schreiben, weil Sie noch zu sehr „eine Mischung aus Lehrerin und Sekretärin“ in sich hätten.
Humpe: Das ist wahr. Das berührt auch eine zentrale Sache. Bei mir geht es immer wieder um Befreiung, dass man sich immer wieder löst aus Gewohnheiten. Der Text, den sie zitieren, ist ja von Daniel Barth, nicht von mir. Ich hatte wirklich eine Bewunderung für dieses Unverblümte, Einfache, deshalb habe ich diesen Text ja auch gesungen.

Auf Ihrer neuen Platte singen Sie nun Zeilen wie „Auf der Skala 1 bis 10 / Bei dir bin ich 10“. Sind Sie nun Ihre „Lehrerin und Sekretärin“ losgeworden?
Humpe: (lacht) Ja, das hoffe ich. Und den General in mir habe ich hoffentlich auch in L.A. gelassen, da kann er jetzt die langen Straßen auf und ab marschieren.

Woher haben Sie all diese Prägungen?
Humpe: Das sind wohl Entwicklungen, die man zwischendurch macht, um sich zu schützen. Man erzählt sich da ja so alles mögliche, wie man sein müsste, um irgendwie toll zu sein und glaubt das dann auch noch. Es ist gut, wenn man das im Lauf der Zeit wahrnehmen und hinterfragen kann. Aber sie wieder wegzulassen, das ist bei einer Prägung, die man sich selbst zugeführt hat, gar nicht so leicht.

Ein nahe liegender Gedanke wäre jetzt gewesen, dass Ihr Vater Bundeswehrgeneral und Ihre Mutter Lehrerin oder Sekretärin waren.
Humpe: Falsch. Mein Vater war Konditormeister und meine Mutter war Hausfrau und Orgelspielerin. Ich komme zwar nicht von der Kirchenmusik, aber Musik hat trotzdem meine Kindheit geprägt. Meine Mutter wurde Frau Mozart genannt, weil sie ständig Klavier spielte, nur ernste Musik. Mein Vater konnte auch so manches Beatles-Lied pfeifen…

In der Konditorei geht es um die Verschönerung der Welt…
Humpe: Nee, da geht’s ums Essen. Und ich bin mit Zucker und diesem ganzen Quatsch aufgewachsen. Das war alles noch nicht verboten.

Zucker ist verboten?
Humpe: Naja, er wurde eine zeitlang zumindest ziemlich schlecht gemacht.

So begrüßenswert die Korrektur schlechter Ernährungsgewohnheiten auch ist – die Art, wie wir uns derzeit mit unserem Essen beschäftigen, hat doch schon den Charakter einer Ersatzreligion.
Humpe: Ja und das führt dazu, dass sich die einen immer schlechter ernähren und die anderen so extrem gut und bewusst, dass sie gar nicht mehr in der Lage sind, den Moment, in dem sie gerade leben, wirklich zu spüren. Wenn ich angesichts einer Melone nur noch drüber nachdenke, wie viel Zucker sie enthält und nicht mehr wahrnehme, wie einzigartig sie aufgebaut ist, wie sie schmeckt, dann verpasse ich doch das Leben.

Was kann man dagegen tun?
Humpe: Man muss auch mal den Mut haben, nichts zu wollen. Man sollte sich gezielt vornehmen, nur über etwas nachzudenken, was sich auch lohnt. Man sollte eine Haltung entwickeln und sich nicht wie von einem wild gewordenen Pferd durch die Gegend reißen lassen, wie das die Gedanken ja normalerweise machen.

Einerseits wünschen Sie sich gedankliche Leichtigkeit, andererseits suchen Sie in Ihrem neuen Lied „Was sagt das Universum?“ nach jemanden, mit dem Sie „zusammen denken können“. Das klingt anstrengend.
Humpe: Finden Sie? Das ist doch total toll. Gerade solche Widersprüche sind doch ein Gewürz im Leben, die sind das, was einen bewegt. Deswegen möchte man sich doch begegnen. Ich finde Widersprüche immer wieder sehr inspirierend. Der Austausch mit Menschen macht doch viel mehr Sinn, als alleine vor sich hin zu grübeln. Sich zu öffnen ist natürlich immer wieder ein Kraftakt, aber wir haben die Energie dazu. Schließlich nutzen wir angeblich nur zehn Prozent unseres geistigen Potenzials.

Mit dieser These von Albert Einstein wirbt auch die Scientology-Kirche für sich.
Humpe: Oh je. Mit der ist es in Los Angeles ja ganz schlimm. Die ist da so extrem präsent…

Was ist da schief gelaufen?
Humpe: Ich glaube, die Menschen möchten Verantwortung für ihr Leben abgeben. Es muss schlimm sein, wenn du dann irgendwann stirbst und vielleicht merkst, dass du sie abgegeben hast. Das möchte ich nicht erleben. Ich möchte die Verantwortung für mein Leben eigentlich mehr und mehr haben, behalten, vergrößern…

Was spricht dagegen?
Humpe: Ängste, zum Beispiel.

2raumwohnung wirken immer so sorgenfrei…
Humpe: Das ist ja nur das, was wir rauslassen. Alle Erlebnisse von Frust, Krampf, Panik und Versagensangst kommen bei uns nicht vor. Sie sind da, aber ich singe nicht darüber. Ich singe ja auch nicht über Fürze. (lacht)

Eine letzte Frage. Heiner Müller…
Humpe: Den habe ich mal kennengelernt, im Diener, das ist so eine Kneipe in Charlottenburg. Er durfte damals schon in den Westen.

In einem Film von Harun Farocki, in dem Sie mitspielen, wird Heiner Müllers Gedicht „Bilder“ zitiert. „Das Schöne bedeutet das mögliche Ende der Schrecken“ heißt es da. Ist das so etwas wie das Leitmotiv von 2raumwohnung?
Humpe: Im Unterbewusstsein ganz sicher. Als ich Heiner getroffen habe, war er betrunken. Wir haben „Hallöchen“ gesagt. Aber ich war beeindruckt von ihm. Und von seinen Texten sowieso. Und dass am Ende Schönheit uns für einen Moment rettet, ist natürlich war.

Farockis Film entstand 1979 und beschäftigte sich mit der Berichterstattung über den Vietnamkrieg.
Humpe: Der ist schön. Am Ende erschieße ich da Bruno Ganz. „Etwas wird sichtbar“ heißt er. Ist auch ein schöner Titel. Könnte ich eigentlich mal ein Lied draus machen.

Wäre es für Sie nochmal denkbar, sich künstlerisch mit Schattenseiten auseinanderzusetzen, statt sich ausschließlich dem Eskapismus und der Leichtigkeit zu widmen?
Humpe: Es ist ja eine bewusste Reduzierung, sich auf Schönheit und Leichtigkeit regelrecht zu beschränken. Ich habe das für mich als Weg gewählt. Und ich werde dafür ja auch angegriffen und als naiv und kindlich bezeichnet. Es gibt eben Leute, die das nicht verstehen und das muss man in Kauf nehmen.

Ihrer Musik Kitsch vorzuwerfen, würde Sie nicht treffen?
Humpe: Nein, das ist total okay. Das Schlechte finde ich nicht besingenswert. Ich will auch nicht über Bushido singen. Dafür haben wir ein paar Lieder über den Tod gemacht, auch wenn das dann nicht so riesengroß drauf steht. Das sind eben die Themen. Schönheit und Tod.

Naja, der Song „Wir werden singen“ von Ihrem ersten Album handelt offenbar vom Tod eines Freundes. Aber eigentlich ist er auch nur ein Vorwand, um die nächste Party einfach ins Jenseits zu verschieben, „wo wir uns alle wiedersehen“…
Humpe: Das ist gut gesagt. Das Lied ist eine Unverschämtheit, oder?

Könnte man so sagen.
Humpe: So lieb‘ ich mich. (lacht)

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