Frau Berben, in unserem letzen Interview vor neun Jahren sagten Sie, Sie würden gerne „ein paar tausend Jahre leben“. Jetzt sind Sie in dem Familienfilm „Tiger Team“ als Chefin einer Kosmetikfirma auf der Suche nach einem Elixier der Unsterblichkeit. Hat das Eine irgendwas mit dem Anderen zu tun?
Berben: Nein, hat es nicht. Aber selbstverständlich würde ich dieses Elixier gerne haben. Weil ich natürlich 1000 Jahre alt werden möchte. Aber nicht, um ewig jung zu sein, sondern um weiter dieses Leben hier mitzukriegen. Ich bin neugierig, wie die nächsten Generationen die nächsten gesellschaftlichen und politischen Fragen beantworten – da hätte ich Lust drauf, zu erfahren, wie das wohl weitergeht.
Was wäre das ideale Alter für das ewige Weiterleben?
Berben: Kann ich nicht sagen. Im Moment fühle ich mich sehr wohl mit den 60 Jahren, die jetzt kommen. Weil man einfach viel fähiger ist, Zusammenhänge zu erkennen, weil man sich selbst auch sehr viel genauer kennt, die eigenen Vorlieben, auch das, was einem nicht gut tut. Das ist ein schöner Zustand.
Ich wüsste jetzt kein Alter, in dem man am besten stehen bleibt, um die nächsten 5000 Jahre zu leben. Es ist natürlich schön, wenn man Analyse betreiben kann, wenn man weiß, es gehört ein bisschen mehr zum Leben, als nur das erste kindliche Staunen. Das Ältere ist schon spannender.
Wie haben sich im Laufe der Jahre Ihre Interessen verlagert?
Berben: Ich weiß gar nicht, ob sich die Interessen wirklich verlagert haben. Der Film ist es geblieben, die Neugierde, die unterschiedlichen Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Figuren und den Regisseuren um sich herum. Also, das Interesse an diesem Prozess, das ist geblieben.
Eigentlich hat sich nicht viel geändert. Man lässt vielleicht weniger mit sich geschehen, man ist selbst derjenige, der sagt: „Das ja, dies nicht, das möchte ich und das möchte ich nicht mehr machen.“ Das weiß man genauer, da selektiert man mehr.
Könnten Sie sagen, für wen Sie Filme machen?
Berben: Für mich natürlich. Jetzt nicht um meiner Eitelkeit willen, sondern weil das eine Form des Lebens geworden ist, die mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin. Der Film prägt mich. Das, was ich durch Rollen lernen musste, durch das Arbeiten mit dem Film hat mir auch einen breiteren und genaueren Zugang zu meinem Leben gegeben. Natürlich sind Film oder Fernsehen auch eine Industrie, die man bedienen kann. Und natürlich will ich Menschen damit erreichen. Aber auch das fällt am Ende wieder auf mich zurück, da gibt es Auseinandersetzungen, die geführt werden, denen man sich stellen muss oder vor denen man wegläuft.
Also, der Film mischt sich schon sehr genau in meinem Leben ein. Filme zu machen ist sicher meine Lebensform.
Eine Form, die Ihnen sogar gestattet, mit dem Beruf alt zu werden.
Berben: Ja, das ist schön, dass man das kann. Früher wurde es einem ja noch ein bisschen eingeredet, dass es eigentlich irgendwann aufhört, speziell bei Frauen in einem ganz bestimmten Alter. Doch es hört überhaupt nicht auf, es verlagert sich noch nicht mal. Es ist dein eigenes Spektrum, das breiter wird, du hast andere Möglichkeiten und man wird wirklich alt damit. Das ist herrlich.
Haben sich Ihre Rolleninteressen verändert?
Berben: Das denke ich schon, es sind jetzt die ‚erwachseneren’ Filme. Wobei das jetzt wahrscheinlich ein bisschen paradox ist…
„Tiger Team“ ist dann eben eine Ausnahme.
Berben: Ja, eine schöne Ausnahme.
Ansonsten reizen einen aber die erwachseneren Themen mehr. Wo du weißt, es gibt Schnittstellen zwischen dir und den Figuren, in Bezug auf Gefühle, Verletzungen, Kämpfe…
Sie meinen Ihre Rollen in „Krupp“ und der „Buddenbrooks“-Verfilmung?
Berben: Ich rede da auch von „Silberhochzeit“ oder „Es kommt der Tag“. Den mochte ich zum Beispiel, weil es da um die Generation der 68er ging, die ich so miterlebt habe.
In einem Pressetext zu „Tiger Team“ heißt es, bei der Besetzung der Lady Q, einer machtbesessenen Konzernchefin die nebenbei Kampfsport betreibt, hätten alle Beteiligten sofort an Iris Berben gedacht. Das hat mich etwas verwundert…
Berben: Ich habe das erst auch nicht so gesehen, auch nicht in Bezug auf den Schwertkampf, denn das ist so weit von mir entfernt, diese Beweglichkeit und Körperlichkeit hat mir eher Angst gemacht, zumal ich ein absoluter No-Sportler bin. Dann sah ich das Stunt-Team, die schon ein Vierteljahr die ganze Choreografie einstudiert hatten und es hieß, das sei nicht so schlimm, ich müsse jetzt nur noch die Choreografie mitlernen – also, das war die Herausforderung schlechthin. Aber nach diesen ersten Schrecksekunden hat es mir dann auch Freude gemacht und mich gereizt.
Ich mochte auch diese überspitzte Figur und die Idee, so eine Art James Bond für Kinder zu machen. Mit leicht überspitzten Figuren, die aber alle möglich sind und mit Kindern, die in ihrem Jargon reden und auch in den Möglichkeiten agieren, die sie sonst auch haben.
Filme zu machen ist sicher meine Lebensform.
Verbinden Sie mit einem Film für Kinder ein soziales Anliegen?
Berben: Nein. Ich habe ja auch sonst kein soziales Anliegen, wenn ich Filme mache. Dass du manchmal Dinge transportieren kannst, weil sie vielleicht eine gesellschaftspolitische Frage beinhalten, ist angenehm. Das kann Kunst ja immer, sie kann zu Diskussionen führen – aber sie hat nicht den Anspruch, zu verändern. Ich glaube auch nicht, dass man einen Film mit dem Bewusstsein und dem Bedürfnis machen sollte: „Ich will eine Haltung oder eine Welt verändern.“
Schön ist es, wenn sich manchmal die Erwartung erfüllt, dass man Gespräche anregt, die dann bestimmte Fragen aufwerfen.
Worauf muss man achten, wenn man Filme für Kinder macht?
Berben: Da habe ich noch nicht so viel Erfahrung. Ich glaube, dass es wichtig ist, die Sprache der Kinder zu sprechen, dass man sie ernst nimmt, in dem wie sie sind. Dass man ihnen nicht das Papierdeutsch gibt, eine Sprache, die sie gar nicht sprechen. Mir hat hier auch gefallen, dass man den Kindern ihre Möglichkeiten zu spielen gegeben hat, sie waren nicht eingeengt von Erwachsenen sondern konnten auf ihrer Spielwiese agieren.
Ich könnte Ihnen aber nicht sagen, was heute einen Kinderfilm ausmacht. Wo sind da Grenzen? Was ist noch der Kinderfilm, was Jugendfilm, Familienfilm? Das verschwimmt ein bisschen, auch weil die Kinder so überfüttert werden, mit allem was schon möglich ist und weil die Kontrolle im Fernsehen und im Internet natürlich nicht in der Weise stattfindet wie sie stattfinden soll.
Wo sehen Sie denn Grenzen, was sollte man zeigen, was nicht?
Berben: Sicherlich sollte man Kindern keine Gewalt zumuten, mit der sie nicht umgehen können. Da wird auch ganz streng drauf geachtet, da gibt es ja auch immer ein Zertifikat, was du dir holen musst, was ich auch richtig finde.
Ansonsten denke ich, sollte man Kinder eigentlich immer wieder bestärken, ihre Phantasie einzusetzen, die zu nutzen und auszuprobieren. Ihnen sagen, dass Anderssein nicht schlecht sein muss, dass es nichts Außergewöhnliches ist, andere Interessen zu haben. Man sollte sie auch bestärken, individuell zu sein, sich Freiräume zu nehmen, auch Nein sagen zu können. Vermitteln, dass nicht jede Institution, nur weil sie in einer Machtposition ist, auch Recht hat. So ist es ja auch in diesem Film, die Kinder suchen sich ihren Weg, sie haben einen gewisses Selbstbewusstsein und eine Neugierde – ich denke, das ist etwas, was man unterstützen kann.
Als Sie als Kind Filme geguckt haben war das Ganze wahrscheinlich noch nicht so kommerzialisiert, oder?
Berben: Nein, natürlich nicht. Die 50er Jahre, das ist die Märchenwelt gewesen, meine Großeltern haben mir das auch sehr schön vermittelt. Wenn es für mich das Wort „heile Welt“ gibt, dann war es das sicher dort. Vertrauen zu haben, vorgelesen zu bekommen, angenommen zu werden…
Heute leben wir in einer ganz anderen Welt, viele Eltern haben gar nicht mehr die Möglichkeit, ihren Kindern diesen Schutz zu geben oder ihnen zu vermitteln, was wichtig ist, weil sie häufig selber so wenige Perspektiven für ihr eigenes Leben haben. Alles was man einfordern müsste, was im Elternhaus stattfinden soll, das kann man ja nicht mehr. Und dadurch ist es wirklich eine andere Zeit. Heute sitzen Kinder stundenlang vorm Fernseher weil sie damit beschäftigt werden und so werden sie wahrscheinlich in Welten eingeführt, die sie nicht verkraften oder nicht verstehen können.
Und sie haben heute freien Zugang zu allem – damit muss man auch umgehen.
Wie sind denn Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Internet?
Berben: Ich war noch nie im Internet. Mein Sohn ist da natürlich drin, mein Büro auch, aber ich bin es nicht.
Möchten Sie sich da nicht reinarbeiten, in die Technik – oder ist das eher eine Art Schutz?
Berben: Ich schütze mich. Das ist auch meine Form von Freiheit. Ich habe ein wunderbares Büro und alles, was wichtig ist, lasse ich mir holen, ich selbst möchte mich dort möglichst wenig hineinbegeben. Ich weiß ja schon jetzt nicht, wie ich meine Zeit einteilen soll. Die vielen Lesungen, das Drehen, jetzt die Präsidentschaft der Filmakademie – das ist viel.
Die Möglichkeiten des Internets sind natürlich sensationell, aber ich glaube, in diesem Spiel der Möglichkeiten, ständig alles zu erfahren, kann man schon auch versinken. Deswegen ist es im Moment noch so, dass ich diese Verweigerung als meine Form von Freiheit sehe.
Im Hinblick auf Ihre Filmografie, auf Vergangenes, auch Zukünftiges – werden Sie mit der Zeit eitler? Oder weniger eitel?
Berben: Eitler. Ich war früher beliebiger. Meine Eitelkeit ist heute, dass ich genauer sondiere und genauer weiß, was ich machen möchte. Das hat wieder damit zu tun, dass man immer besser benennen kann, was einem gut tut und was nicht. Ich bin früher unbedachter an manches Angebot rangegangen. Darüber denke ich heute schon genauer nach, da ist die Eitelkeit größer, dass man sagt: „Nee, es sollte dir nicht mehr all zu viel passieren.“ Wobei einen auch das immer noch nicht feit, letztlich fällst du doch noch in so manche Falle.
Haben Sie manchmal noch Sorge um die öffentliche Person, die öffentliche Erscheinung?
Berben: Nee! Um die nicht mehr! Da wird man wirklich lockerer, weil man denkt: „Jetzt, nach 42 Jahren, nein.“ Man kommt so ein bisschen in die Liga, ein Klassiker zu sein. Es ist jetzt nicht mehr so, dass jemand kommen könnte und sagt: „Oh Gott, jetzt muss man ihre Karriere beenden, weil…“ Dafür steht dann schon zu viel da. Wenn ich heute einen Ausrutscher habe, dann ist das einfach ein Teil der Biografie, aber nicht mehr etwas, wo man sich denkt: „Oh, mein Güte, wie stehe ich jetzt in der Öffentlichkeit da, welche Konsequenzen hat das?“ – Diese Gedanken habe ich nicht mehr.
Seit wann?
Berben: Kann ich Ihnen nicht genau sagen.
„Tiger Team“ ist ein Abenteuerfilm. War Ihr Einstieg ins Filmgeschäft eigentlich auch ein Abenteuer?
Berben: Ja. Am Anfang schon. Am Anfang war es so eine Welt, die man überhaupt nicht kannte. Speziell nach diesen langen Internatszeiten war Film für mich sehr aufregend und spannend, das war viel Abenteuerlust, da mitzulaufen. Zuerst war es tatsächlich auch nur ein Mitlaufen-Wollen, ich habe überhaupt nicht gedacht, dass ich beim Film jemals bleiben würde. Ich habe das einfach so mitgenommen, weil ich es toll fand, aber nicht weil ich dachte: „Ah, das ist das wo du hinwillst.“
Und wann wussten Sie, wo Sie hinwollen?
Berben: Das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, das war ein langer Prozess. Auch als ich schon eine ganze Menge Sachen gemacht hatte, dachte ich immer noch: „Du gehörst eigentlich gar nicht so dazu.“ Aber ich durfte sie halt alle mitmachen. Das ist in den Jahren einfach gewachsen, bis ich irgendwann begriffen habe, was für eine Möglichkeit diese Arbeit bietet, auch für mich selber. Und heute bin ich froh, dass es dahin gewachsen ist.