Jan Hofer

Berufsjugendlicher wollte ich nie werden

Tagesschau-Sprecher Jan Hofer über den deutschen Oberlehrer, die Kommunikation mit den Zuschauern und die Rolle der Krawattenfarbe

Jan Hofer

© NDR/Holde Schneider

Herr Hofer, Sie haben in diesem Jahr ein Buch mit Zuschauerzuschriften herausgegeben. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Hofer: Ich habe Freunden des Öfteren erzählt, was ich so für Zuschriften bekomme. Die meinten dann, das sei so unglaublich, dass ich das aufschreiben sollte. Irgendwann rief mich dann ein Agent an und wollte mit mir so eine „Promi-schreibt-Buch“-Sache anbahnen. Ich lehnte zuerst ab, da ich für so etwas keine Zeit habe, aber mit meiner Sammlung von Zuschauerbriefen war er auch einverstanden

Sprache und die Kleidung der Tagesschausprecher sind für die Zuschauer, so entnimmt man es Ihrem Buch, der Hauptanlass für Zuschriften. Wieso?
Hofer: Vielleicht mag da der deutsche Oberlehrer eine Rolle spielen. (lacht) In Bezug auf die Sprache erreichen uns jeden Tag Kommentare von Seiten der Zuschauer. Erst neulich schrieb mir ein Zuschauer, er wäre kürzlich in Budapest gewesen und hätte dort festgestellt, dass die Stadt „Budapescht“ ausgesprochen wird. Wie wir denn dazu kämen, „Budapest“ zu sagen, fragte er. Ich habe dann zurückgeschrieben und erklärt, dass man auch in Russland nicht „Moskau“ und in Polen nicht „Warschau“ sagt und wir eben auch die ungarische Hauptstadt eingedeutscht haben. Aber lassen Sie mich jetzt lieber nicht in die Tiefe gehen und erklären, warum wir „Bratislava“ und nicht „Pressburg“ sagen.

Gibt es denn auch auch Kritik an den Inhalten der „Tagesschau“, z.B. dass Zuschauer die inhaltliche Schwerpunktsetzung kommentieren?
Hofer: Das kommt vor, aber wesentlich seltener. Das liegt glaube ich daran, dass die Menschen sich häufig zu aktuellen Themen noch keine Meinung gebildet haben. Ich möchte das an einem Beispiel, das mich persönlich sehr beschäftigt hat, verdeutlichen: Als wir den Golfkrieg in den 90er Jahren besprachen, gab es Demonstrationen und ein großes öffentliches Interesse. Beim Jugoslawien-Konflikt, der direkt vor unserer Haustür stattfand, bekamen wir aber ständig Briefe, ob wir das Thema nicht mal lassen könnten.

Woran lag das Ihrer Meinung nach?
Hofer: Es ist immer ein schmaler Grat dazwischen, die Grauen des Krieges zu zeigen ohne ethische Grenzen zu verletzen, ihn aber gleichzeitig nicht zu verniedlichen. Und wie Nachrichten aufgenommen werden, hat komischerweise sehr viel mit der aktuellen Gefühlslage zu tun. Jugoslawien hat die Menschen einfach nicht interessiert. 

Kommunizieren Zuschauer und Medienmacher heute anders miteinander?
Hofer: Absolut, wenn Sie überlegen, wie aufwändig es früher war sich zu beschweren. Sie mussten eine Adresse herausfinden, per Hand oder mit Maschine schreiben, aufgrund von Fehlern evtl. mehrfach, eine Marke besorgen und zur Post gehen. Eine Mail habe ich heute oft schon, bevor ich den Satz zu Ende gesprochen habe. Leider ist auch der Ton mittlerweile deutlich rauer.

Wie erklären Sie sich das?
Hofer: Ich erkläre mir das mit der Erwartungshaltung. Die Leute müssen heute für alles bezahlen, auch für das Fernsehen. Daraus erwachsen Erwartungen, oft unberechtigte auch ideologische. Das heißt, wenn sie positiv über einen SPD-Politiker berichten, beschwert sich der CDU-Anhänger und umgekehrt. Das trifft für alle Arten von Einstellungen zu, die Nachrichten berühren können.

Gibt es auch produktive Auseinandersetzungen zwischen Zuschauern und Fernseh-Machern?
Hofer: Ich versuche sie in Gang zu setzten, zum Beispiel indem ich mich schriftlich mit den Menschen austausche, auch weil ich nicht bereit bin, bestimmte Pauschalurteile stehen zu lassen. Sätze wie „Ihre überbezahlte Riesenredaktion wird doch in der Lage sein, das rauszufinden“, kann ich nicht zulassen. Wir kämpfen um jede Planstelle und wer in die öffentlich-rechtlichen Sender kommt, rechnet nicht mit dem großen Geld.

Internet und Web 2.0 haben auch die Nachrichtenwelt verändert. War es für Sie persönlich schwierig, sich den Gegebenheiten der digitalen Gesellschaft zu öffnen?
Hofer: Nein, gar nicht. Das liegt daran, dass ich schon immer sehr technikinteressiert war. Ich bin wohl einer der wenigen Väter in meinem Alter, der seinem Sohn den Computer reparieren kann. Ich war auch der erste in unserer Redaktion, der vor Jahren ein Faxgerät hatte.
Als die Tagesschau am 26. Dezember 1952 zum ersten Mal gesendet wurde, gab es eine Umfrage, die besagte, dass 44% der Deutschen ein Fernsehgerät strikt ablehnen, das kommt ihnen nicht ins Haus. Bei der Einführung des Internet war die Ablehnung sicher noch höher. Heute ist das gar keine Frage mehr. Wer sich verschließt, ist vielleicht ein glücklicherer Mensch, aber er nimmt nicht am wirklichen Leben teil.

Zitiert

Als die Tagesschau 1952 zum ersten Mal gesendet wurde, gab es eine Umfrage, die besagte, dass 44% der Deutschen ein Fernsehgerät strikt ablehnen.

Jan Hofer

Nutzen Sie selbst soziale Medien?
Hofer: Noch kommuniziere ich über die sozialen Medien. Jedoch bereitet mir Facebook zunehmend Unbehagen, weil es zu sehr in mein Privatleben hineinwirkt. Ich werde ständig fotografiert, damit lebe ich. Ich weiß aber oft nicht, wer neben mir steht. Manchmal finde ich dann Bilder, die ich selbst so nicht veröffentlicht hätte. Ich bin öffentlich, ich lebe von all diesen Menschen, aber es bedeutet noch lange nicht, dass man sich ausziehen muss.

Die Medien sind häufig auf die Oberfläche, auf Unterhaltung und Quote fixiert. Hat Ihnen persönlich diese Ausrichtung je zu schaffen gemacht?
Hofer: Eigentlich nicht. Ich hatte glücklicherweise auch immer Menschen, die mir die richtigen Wege gewiesen haben. Und ich danke jeden Morgen meinem Herrgott, dass ich nicht in der Unterhaltung gelandet bin. Denn da müsste ich in meinem Alter jetzt Schlager ansagen und bunte Klamotten tragen. Berufsjugendlicher zu werden – das habe ich nie gewollt.

Sie haben Ihr Alter lange Zeit verheimlicht?
Hofer: Naja, mehr oder weniger. Es war nie ein Thema für mich. Ich habe, glaube ich, das große Glück, immer relativ frisch auszusehen.

Sind Sie eitel?
Hofer: Wer in den Medien arbeitet und behauptet, er sei nicht eitel, lügt. Eine gewisse Portion Exhibitionismus gehört dazu, sonst kann man nicht in den Medien arbeiten. Es ist eine Entscheidung, öffentlich zu sein oder nicht.

Apropos Äußerlichkeiten, in Ihrem Buch gibt es viele Kommentare zu Ihrer Kleidung. Suchen Sie alles selbst aus?
Hofer: Ja, schon immer. Es gibt keine Dienstkleidung. Im Unterschied zu den privaten Sendern bezahlt einem das auch niemand. Aber ich habe mich immer gerne gut angezogen. Wenn man jetzt natürlich Sendungen aus den 80ern sieht, dann fragt man sich heute, was an den Klamotten gut war.

Eine farbige Krawatte hat Ihnen auch mal eine besondere Zuschrift eingetragen…
Hofer: Es war eine rote Krawatte. Eine Dame schrieb, wenn ich sie noch einmal trüge, wäre dies der Hinweis, dass ich sie gern kennenlernen möchte. Sie würde zum Funkhaus kommen, ich sollte dort auf sie warten. Gerade gestern bekam ich einen ähnlichen Brief: Da schrieb auch eine Dame, ich hätte neulich so traurig geguckt, wenn ich eine Schulter zum Anlehnen benötigte, wäre sie bereit.

Sie müssen viele unerfreuliche Nachrichten verlesen. Trotzdem bezeichnen Sie sich als „zukunftsgläubigen“ Menschen. Wirkt sich diese Einstellung auch auf Ihre Arbeit bei der Tagesschau aus?
Hofer: In der Tagesschauredaktion fragen wir uns immer wieder, wie wir das, was wir tun noch besser den Menschen nahe bringen können. Zwar bleibt die vertraute Anmutung der „Tante Tagesschau“ bestehen, denn sie sichert unseren Erfolg. Aber im Grund ändern wir uns ständig. Zum Beispiel wünschen wir unseren Zuschauern seit einiger Zeit „einen schönen Abend“ und geben auch nicht mehr „zurück nach Hamburg“, sondern nennen den Namen des betreffenden Korrespondenten oder Redakteurs. Das sind Kleinigkeiten, aber die sind uns wichtig.

Im Dezember wird die Tagesschau 60 Jahre alt. Welche Veränderungen wird es bis dahin geben?
Hofer: Wir planen gerade ein neues Studio, um mit Touchscreens und interaktiven Elementen arbeiten zu können. Darauf ist unser altes Studio nicht eingerichtet und man kann sich dem nicht verschließen. Das Design bleibt unverkennbar der „Tagesschau“ verpflichtet, wird aber deutlich moderner und zeitgemäßer. Lassen Sie sich überraschen.

Als im September fälschlicherweise berichtet wurde, die „Tagesschau“ erhalte eine neue Melodie, war der Aufschrei in der Bevölkerung und den Medien groß. Können Sie schon etwas über den Klang der überarbeiteten Titelmelodie verraten?
Hofer: Keine Bange, Sie werden die „Tagesschau“-Melodie wiedererkennen. Die Melodie ist alle paar Jahre dem Zeitgeschmack angepasst worden, man kann das sehr schön auf tagesschau.de nachhören. Diesmal wird die Melodie erneut einer Frischzellenkur unterzogen und was ich besonders schön finde: Das Erkennungszeichen der Tagesschau wird wieder von echten Musikern gespielt, nämlich den Virtuosen des NDR-Sinfonieorchesters. Das ist ein gutes Zeichen für Qualität aber auch Tradition – und diesen beiden Merkmalen fühlen wir uns verpflichtet.

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