Jannik Schümann

Ich wollte keinen verkleideten Jungen spielen.

Im TV-Film „Mein Sohn Helen“ spielt Jannik Schümann den 16-jährigen Finn, der nach einem Auslandsjahr beschließt, als Frau zu leben. Im Interview spricht Schümann über die Angst vor Unbekanntem, die Beschäftigung mit Transgendern, Silikon-Unterhosen und was er sich von „Mein Sohn Helen“ erhofft.

Jannik Schümann

© ARD Degeto/Britta Krehl

Jannik, in den vergangenen Monaten sind Menschen in Hamburg, Stuttgart und Hannover auf die Straße gegangen, um gegen Bildungspläne zu demonstrieren, nach denen Schüler über sexuelle Vielfalt aufgeklärt werden sollen. Wie erklärst du dir diese Angst?
Jannik Schümann: Der Mensch hat allgemein Angst vor dem Unbekannten, vor dem Anderssein und vor dem Fremden. Er ist ein Gewohnheitstier. Ich glaube, die meisten dieser Protestler sind einfach nicht richtig aufgeklärt und denken immer noch, dass man zum Transgender werden kann, nur weil man hört, dass es das gibt. Diese wirren Gedanken schwirren dann in den Köpfen der „besorgten Eltern“ umher.

Im ARD-Film „Mein Sohn Helen“ spielst du den 16-jährigen Finn, der nach einem Auslandsjahr in San Francisco als Helen wiederkommt und beschließt von nun als Frau zu leben. Wie hast du dich diesem Thema genähert?
Schümann: Ich habe die Biographie von Hannah Winkler gelesen. Sie kam als Dennis zur Welt und lebt heute mit Mitte 20 ein zufriedenes Leben als Frau. Doch ihr Weg dahin war sehr hart. Sie ist der Alkoholsucht verfallen, weil sie ihren Schmerz betäuben wollte. Sie durfte nicht mehr nach Hause und wurde in den Internaten, in denen sie gelebt hat, gemobbt. Die Menschen dort haben sie nicht akzeptiert. Wenn man so fühlt, muss man ja erst mal mit sich selbst zurechtkommen. Das ist schon schwierig genug. Wenn man dann auch noch von der Gesellschaft verstoßen wird, hat man ein großes Problem. Aus Angst vor den Reaktionen hat Hannah Winkler dann ihre echte Identität versteckt, ist aber immer wieder aufgeflogen. Das ist natürlich furchtbar.

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Viele Menschen kommen nie in Berührung mit bestimmten Randgruppen.

Jannik Schümann

Wann ist dir zum ersten Mal das Thema Transgender begegnet?
Schümann: Es gibt natürlich Referenzfilme, wie zum Beispiel „Tootsie“ mit Dustin Hoffman aus den 80er Jahren, oder „Mrs. Doubtfire“ mit Robin Williams aus den 90ern. So kommt man schon als Kind mit diesem Thema in Berührung, auch wenn es da eher um Travestie geht. Auf Transgender wurde ich eigentlich erst durch den Leichtathleten Balian Buschbaum aufmerksam, der als Yvonne Buschbaum sehr erfolgreich im Stabhochsprung war. Heute lebt er als Mann und man würde niemals auf die Idee kommen, dass er mal eine Frau war. Das hat mich damals sehr interessiert, schon allein von der Optik her, was da passiert ist. Heute trauen sich immer mehr Menschen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Das wird von den Medien dann natürlich aufgegriffen, weil es etwas Aufregendes, Spannendes ist, was die Welt erst mal erkunden und erforschen muss, bis sie es dann hoffentlich als normal anerkennt.

Als Finn im Film als Helen auftritt, reagiert sein Umfeld zunächst mit Unverständnis und großer Ablehnung. Inwiefern hast du Verständnis für diese Reaktionen?
Schümann: Man wünscht sich natürlich, dass Toleranz in der Gesellschaft großgeschrieben wird, aber viele Menschen kommen nie in Berührung mit bestimmten Randgruppen, insofern sollte man diese Intoleranz in gewisser Weise auch tolerieren, weil man selbst sonst wieder intolerant wird. Man sollte versuchen diesen Menschen zu zeigen, dass das nichts mit falsch oder richtig zu tun hat, sondern mit einem angeborenen Gefühl.

Was war für dich die größte Herausforderung bei diesem Film?
Schümann: Am schwierigsten war es, einen Mädchentyp zu kreieren, der nicht in die Travestie abrutscht. Ich wollte keinen verkleideten Jungen spielen, sondern wollte ein richtiges Mädchen darstellen. Das ist ein sehr schmaler Grat, auf dem man sich da bewegt. Außerdem ist es sehr schwer sich in das andere Geschlecht hinein zu fühlen. Man kann natürlich die Beine übereinander schlagen, doch das ist ja nur des Gestus. Aber wie fühlt ein Mädchen? Das kann ein Junge ja eigentlich gar nicht.

Welche typisch weiblichen Eigenschaften wolltest du deiner Rolle mitgeben?
Schümann: Ich kann nur von dem Mädchen sprechen, dass ich in dem Film dargestellt habe. Man kann Mädchen ja nicht verallgemeinern. Ich wollte Helen mit einen bestimmten Gang ausstatten. Außerdem beschäftigen sich viele Mädchen ständig mit ihren Haaren, fummeln die von einer auf die andere Seiten, flechten sich einen Zopf, sind mit ihren Strähnen beschäftigt. Das habe ich auch übernommen.

Für die Rolle bist du in Frauenkleider geschlüpft und hast eine Perücke getragen. Wie schwer fiel es dir, nach Drehschluss dieses Kostüm abzulegen?
Schümann: Ich habe morgens das Kostüm angezogen und als ich es nach Drehschluss ausgezogen habe, war ich natürlich nicht sofort wieder Jannik. Man muss sich vorstellen, dass ich wahnsinnig viele Silikon-Unterhosen übereinander anhatte, um eine weibliche Hüfte zu bekommen. (lacht) Und ich hatte auf einmal Brüste und lange Haare, die mir hochgesteckt wurden. Dazu die Kleider. Da bewegst du dich automatisch anders.

 

© ARD Degeto/Britta Krehl

Szene aus „Mein Sohn Helen“  © ARD Degeto/Britta Krehl


Verstehst du Frauen nach dieser Rolle besser als vorher?
Schümann: Nicht bewusst. Ich habe ja nicht gedacht wie ein Mädchen. Aber man merkt zum Beispiel, dass es schon schwierig ist, sich mit einem Kleid hinzusetzen. Jetzt verstehe ich, warum vielen Frauen in der U-Bahn ständig an ihren Kleidern rumzuppeln, damit es richtig sitzt. (lacht)

Wie haben die Frauen am Set auf dich reagiert?
Schümann: Die fanden das toll. Die waren neidisch auf meine Haare und fanden meine Kleider schön. (lacht)

Eine Schlussfrage: Inwiefern kann dieser Film für eine stärkere Akzeptanz von Transgender-Menschen sorgen?
Schümann: Er kann vor allem für Aufklärung sorgen. Die Akzeptanzfrage muss dann jeder für sich beantworten, aber der Film kann Leute auf diese Randgruppe aufmerksam machen. Es reicht ja schon, wenn ein Ehepaar diesen Film sieht und sich darüber unterhält. Sie müssen sich ja gar nicht die Frage stellen, wie sie reagieren würden, wenn ihr Sohn auf einmal als Frau vor ihnen stehen würde, das kann man sich ja nicht ausmalen. Aber ich möchte erreichen, dass sie darüber nachdenken, und Helen vielleicht auch sympathisch finden und ihre Verhaltensweisen verstehen können. Vielleicht freuen sie sich auch darüber, dass Helens Vater sein Kind akzeptiert und sehen ihn als Vorbild, wenn sie selbst einmal in so einer Situation sind oder auch nur einem Transgender gegenüber stehen. Das wäre schön.

5 Kommentare zu “Ich wollte keinen verkleideten Jungen spielen.”

  1. Anastasija |

    Zuallerst – ich habe den Film erst die letzten Tage angesehen und wusste nicht mal das er existiert.. Ich bin selber als Mann geboren worden 1970 und habe damals sehr schnell gemerkt das ich kein „Junge“ bin, von daher kann ich jede Sekunde im Film bejaen.. Mein Kompliment an Jannick Schürman der Helen sehr bewusst spielt. Ich wuchs in der ehem. Sowjetunion auf wo solche Themen – anders wie im Westen, fast an Landesverrat grenzten, also konnte und durfte ich mich nie „outen“. Mein Outing kam dann als meine Eltern mit mir in den Westen flohen 1983.. 23 Jahre später.. Meine Mutter wusste es schon immer – für meinen Vater war es ein Schock als aus Alexej Anastasija wurde.. Ich lebe seid 1992 als vollständige Frau – auch von den Papieren her was damals nicht so einfach war wie heute. Es war noch schwieriger und „Tunte“ oder „Transe“ war das Mindeste was man täglich hörte…

    Und es stimmt was Markus hier schreibt.. Die Authentischen (wie mich und andere die ich kenne aus meiner Selbsthilfe Gruppe in München – für die ich seid 15 Jahren tätig bin) erkennst Du auf offener Straße nicht.. Die die sich auf dem Weg befinden schon eher.. Und ich möchte daher alle die dies lesen sollten bitten diesen Menschen gegenüber sich normal zu verhalten! Wenn ein Kind im falschen Körper aufwächst ist dies immer die Hölle, hierzulande und heutzutage muss das bitte nicht mehr sein!

    Schlimm aber das der Film die derzeitige Situation ziemlich gut widerspiegelt in Deutschland, hier wäre die Politik gefordert, und nicht die Psychiatrie.. Es gehören Gesetze abgeschafft und neue müssen her, welche die diese Menschen nicht belastet sondern „befreit“ Ich kenne die nur zu gut und von vielen Betroffenen in meiner Gruppe über die Jahre..

    Nochmal zum Thema: Schade das Jannick Schürman keinen Preis erhalten hat für seine grandiose Darbietung und sich rein versetzens.. Aus Ihm wäre ohne Zweifel auch eine sehr schöne Frau geworden… *lacht*

    Grüsse! Anastasija

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  2. Alois Huber |

    Ich habe gerade (19.11.2015) den Film „Mein Sohn Helen“ gesehen und ich bin begeistert. Begeistert vom Thema, von der Umsetzung des Regisseurs und besonders von der schauspielerischen Leistung von Heino Ferch und dem Talent Jannik Schümann, wobei ich den gesamten Film sehr emotional empfand.
    Ich wünsche Jannik eine sehr erfolgreiche Zukunft und allen „Betroffenen“ viel Verständnis in seinem/ihrem Leben.

    A. Huber

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  3. chris |

    Great movie. Loved every moment. Just wished i could speak german to understand it.

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  4. P.Richter |

    Endlich mal ein gelungener Film zu diesem Thema! Besonders Helen kam sehr sympathisch als Mädchen rüber, was leider bei einigen Transgendern im richtigen Leben nicht so authentisch wirkt, obwohl die plastische Chirurgie heutzutage schon wahre Wunder vollbringt – wie kann das sein?

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    1. Markus |

      Lieber P.Richter, Du fragst, warum Transgender im richtigen Leben nicht so authentisch wirken? Darauf gibt es zwei Antworten: 1) Die Transgender, die authentisch wirken, erkennst Du nicht. Es laufen auf der Straße viel mehr herum, als Du denkst. 2) Die Transgender, die (noch) nicht authentisch wirken, sind noch auf ihrem Weg. Du musst Dir vorstellen, als 40- oder als 50-Jährige(r) erstmals Deine wahre Pubertät zu erleben, die Du vielleicht mit 13 oder 14 oder 15 hattest. Dann entdeckst Du Deinen Körper, bist zickig, weißt Dich nicht in die Gesellschaft/in die Umwelt einzufügen und musst erst Deinen Platz finden. Bis Du Hormone nehmen kannst und die Hormone Dich verändert haben (und ggf. die Operationen abgeschlossen sind) und das juristische Anerkennungsverfahren durch ist, d. h. bis Du Deine Pubertät durchlaufen hast, vergehen Jahre. Aber anschließend erkennt Dich niemand mehr als Transgender, denn Du bist voll angekommen bei Dir selbst. Markus

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