Jason Reitman, Ihr neuer Film "Young Adult" neigt streckenweise zum Zynismus. Wie konnte das passieren?
Reitman: Ich bin mir nicht sicher, ob er so zynisch ist. Ich denke, der Film ist vor allem menschlich. Ich verstehe ihn als angemessenes Portrait eine Frau, die geliebt und verstanden werden will, aber auf dem Weg zu diesem Ziel immer die falsche Richtung einschlägt. Ich weiß nicht, wo da der Zynismus steckt.
Sie geben dem Publikum nicht den kleinsten Hinweis, dass es Mavis eines Tages besser gehen könnte. Sie betrachten sie wie in einem Käfig, aus dem sie nie herauskommen wird.
Reitman: Oh. Spielt das eine Rolle? Ist es schon zynisch zu sagen: Die Menschen werden sich nie ändern?
In diesem Fall: Ja.
Reitman: Sie könnten Recht haben. Aber ich halte den Film eher für wahrhaftig. Die Menschen bekommen ständig die Gelegenheit, sich zu ändern und tun es trotzdem nicht. Wenn es zynisch ist, das zu sagen, dann ist der Film in der Tat zynisch.
Würden Sie sich selbst noch als "Young Adult", also als "Jungen Erwachsenen" bezeichnen?
Reitman: Nein. Ich konnte gar nicht schnell genug "richtig erwachsen" werden. Ich war eher das Gegenteil von Mavis. Mit 16 bin ich von zuhause ausgezogen und habe bei meiner Freundin gewohnt, die damals 26 war. Ich habe permanent versucht, möglichst erwachsen zu sein.
Ist irgendwas an Ihnen noch "jung"?
Reitman: Ja, meine Essgewohnheiten. Ich esse immer noch am liebsten Pizza und lauter ungesundes Zeug. Ich bin noch nicht bereit für den Bioladen.
Haben Sie schlechte Erinnerungen an die High-School?
Reitman: Ja, alles war schlecht damals. Mit jedem Jahr seit der High-School ist mein Leben immer besser geworden.
Erinnern Sie sich daran, was Ihre Klassenkameraden für Sie zum Abschluss in Ihr Jahrbuch geschrieben haben?
Reitman: Da haben nicht viele Leute reingeschrieben, ich hatte nicht viele Freunde.
Mit der Drehbuchautorin Diablo Cody haben Sie bereits bei "Juno" zusammengearbeitet. Was hat Sie an ihrer "Young Adult"-Geschichte gereizt?
Reitman: Die letzten drei Szenen. Wer das Ende nicht verraten bekommen will, sollte jetzt lieber weghören, aber Mavis‘ emotionaler Zusammenbruch auf der Baby-Party, die Liebesszene mit ihrem Klassenkameraden und wie dessen Schwester auf sie einredet, sich bloß nicht zu ändern – für mich war der ganze Film nichts weiter als eine Vorbereitung dieser letzten Szenen. Ich habe sowas noch nie in einem Film gesehen. Ich wusste, es erfordert Mut, so etwas zu schreiben und dass es wirklich gute Schauspieler braucht, um so etwas zu spielen. Ich liebe die Idee, dass Mavis in diesem Moment, wenn sie sich selbst gegenüber zum ersten Mal wirklich ehrlich ist, tatsächlich die Chance erhält, sich zu ändern.
Was sie nicht tut.
Reitman: Nein. Sie steigt ins Auto und fährt nach Hause. Ich habe das im echten Leben so oft gesehen, aber niemals auf der Leinwand. Das war der Grund, den Film zu machen. Ich wollte dem Publikum einen Hieb in den Magen verpassen. Und dafür sorgen, dass sie ihn wirklich spüren. So war es auch in "Up in the Air". Der Film verletzt dich, du gehst verwirrt nach Hause und bist gezwungen, über dein eigenes Leben nachzudenken, über die Entscheidungen, die du getroffen hast, über das, was du vom Leben willst. Darin lieg für mich ein großes Potential. Es ist nicht mein Job, das Publikum fröhlich zu machen.
Wie wichtig war es, eine Drehbuchautorin zu haben, um diese Geschichte aus weiblicher Perspektive erzählen zu können?
Reitman: Dass sie eine Frau ist, hat keine besondere Rolle gespielt. Ich bin zum Beispiel sehr stolz darauf, wie ich die Rolle der Assistentin von George Clooney in "Up in the Air" geschrieben habe. Es ist entscheidender, dass Diablo einen anderen Blick auf das Leben hat. Wenn ich nicht die Möglichkeit hätte, ihre Drehbücher zu verfilmen, wäre mein Beruf weitaus weniger interessant. Sie erzählt Geschichten, auf die ich nie kommen würde.
Die Menschen bekommen ständig die Gelegenheit, sich zu ändern und tun es trotzdem nicht.
Warum haben Sie für die Hauptrollen Charlize Theron und Patton Oswalt ausgewählt?
Reitman: Ich brauchte eine Schauspielerin, die mutig genug war, aus dieser Rolle nicht einfach jemanden zu machen, der nur dumm ist. Ich wusste Charlize kann das. Ich mag ihren Humor, der ganz schön düster sein kann und ihre Professionalität. Sie kann sich am Set jederzeit an- und ausschalten, so wie sie es braucht. Und Patton ist ein toller, schnell schaltender Schauspieler und vor allem hat er einfach die perfekte Stimme für diese Rolle. Er kam für eine Leseprobe zu mir nach Haus und von all den Schauspielern, die sonst noch für die Rolle vorgesprochen haben, war er derjenige, der diese Figur wahrhaftig werden ließ. Das ist schließlich der Job eines Regisseurs, Wahrhaftigkeit herzustellen.
Aber warum sollte man in Filmen "die Wahrheit über die Menschen" erzählen wollen, wenn man nicht daran glaubt, dass Menschen sich auch ändern können?
Reitman: Ich glaube schon, dass sich die Menschen ändern könnten. Aber sie tun es nicht. Man schaut einen Dokumentarfilm über die Fleischindustrie und wird Vegetarier, aber nur eine Woche lang. Man ändert sich nicht wirklich. Vielleicht zu 5%. Aber in Filmen drehen sie die Menschen normalerweise um 180 Grad. Nach 90 Minuten sind sie plötzlich komplett andere Wesen. Aber im Leben gibt es sowas nicht.
Es sollen sehr viele Menschen, die "Eating Animals" von Jonatha Safran Foer gelesen haben, dauerhaft Vegetarier geworden sein. Macht sie das neidisch?
Reitman: (Lacht) Ich will die Menschen gar nicht ändern. Das würde mich wirklich sauer machen. Wenn jemand nach "Thank You For Smoking" zu mir gekommen wäre und gesagt hätte. wegen ihres Films fange ich wieder mit dem Rauchen an, oder: Ich höre mit dem Rauchen auf, würde mich das aufregen. Das ist nicht der Sinn meiner Filme. Ich hoffe nur, dass ich das Leben gerade noch interessant genug reflektiere, dass die Zuschauer nach dem Film nochmal über ihr eigenes Leben und ihre Entscheidungen nachdenken.
"Young Adult" könnten einen zum Beispiel von der Entscheidung abbringen, heiraten zu wollen.
Reitman: Welche Szene bringt Sie denn dazu?
Dieses junge kleinstädtische Familienleben, das sie zeigen, sieht ähnlich trostlos aus, wie das von Mavis.
Reitman: Aber Sie leben doch in Berlin, der wahrscheinlich kosmopolitischsten Stadt der Welt. Warum sollte Sie da nicht heiraten wollen?
Weil Ihr Film nahelegt, dass das Familienleben ein einziger Käfig ist, egal, ob man in der Großstadt wohnt oder nicht.
Reitman: Ach, es gibt dich genug Pro-Heirat-Filme. Eigentlich machen alle Filme Werbung für das Heiraten. Nur meine Filme wollen die positiven Zeiten des Alleinseins zeigen (lacht).
Wie kamen Sie eigentlich darauf, solche kleinen persönlichen Filme zu drehen? Wollten Sie nie solche Filme drehen, wie sie Ihr Vater Ivan Reitman gemacht hat – "Ghostbusters" zum Beispiel?
Reitman: Nein. Diese kleinen Filme sind einfach das, was ich gerne sehen und selber mache. Sie sollten vielleicht mal meinen Vater fragen, warum er nicht solche kleinen Filme macht.
Ihnen werden doch bestimmt größere Filmprojekte angeboten…
Reitman: Aber warum sollte ich sie machen, wenn ich von vornherein keine Lust dazu habe? Wenn Sie ein kleines tolles Italienisches Restaurant führen, mit gutem, handgemachten Essen, mit den besten Zutaten, was würden Sie tun, wenn jemand zu ihnen sagte: "Warum betreiben sich nicht 20 McDonalds-Filialen? Da können sie Millionen Dollar machen, jede Woche. "Da würde man doch sagen: "Nein dank, ich habe ein tolles Restaurant. Ich mache Kunst für den Mund." Und der sagt dann: "Nein nein, Sie verstehen nicht: Ich meine zwanzig McDonalds-Filialen!!! 100.000 Cheeseburger!!!"
Okay. Botschaft verstanden. Ich dachte, Sie mögen ungesundes Essen? Reitman: Ja klar, ich esse gerne Fastfood. Aber als Koch würde ich sowas nicht machen wollen.
Wie schwierig ist es, Geldgeber für Ihre Art von Filmen zu finden?
Reitman: Sehr schwer, aber ich selbst hatte einfach Glück. Alle meine Filme haben viel mehr Geld eingebracht, als sie gekostet haben, also denken, die Leute, ich weiß, wie es geht. Tatsächlich habe ich keine Ahnung. Aber sie lassen mich deshalb "Young Adult" drehen, einen komplizierten manchmal düsteren Film. Der ist ein echtes Glücksspiel, obwohl wir ihn so günstig gemacht, dass er sicher nicht zum Verlustgeschäft wird.
Wie wichtig war Ihr Vater für Ihren beruflichen Weg?
Reitman: Mein Vater ist mein Vater, der mich als Person geformt hat. Also war er sehr wichtig. Und er hat mich überzeugt, mit dem Filmemachen überhaupt anzufangen. Ich wollte eigentlich Psychologe werden.
Nicht die schlechteste Voraussetzung für einen Regisseur…
Reitman: Ja, es geht darum die Menschen zu verstehen, zu verstehen, warum sie handeln, wie sie handeln. Es geht darum, die Schauspieler zu überzeugen, etwas in sich zu finden, was mit ihrer Rolle zu tun hat und dass sie bereit sind preiszugeben. Eigentlich haben Psychologen und Regisseure den gleichen Job.