Jean Asselborn

Jetzt ist der Staat gefragt.

Luxemburgs Vizepremier- und Außenminister Jean Asselborn über die Rolle Europas in Bezug auf die internationale Finanzkrise, Populismus in Österreich und den EU-Vertrag

Jean Asselborn

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Herr Asselborn, wo ist denn DIE europäische Antwort auf die derzeitige internationale Finanzkrise?
Asselborn: Ich bin Sozialdemokrat. Ich glaube fest daran, dass der Staat die Möglichkeit haben muss, zu regulieren und zu schützen. Das ist mein erster Gedanke. Wenn wir in den letzten Jahrzehnten als Sozialdemokraten für den starken Staat plädiert haben, wurde uns entgegengehalten, der Staat soll schlank und leicht sein und sich überall raushalten; man soll so wenig wie möglich Steuern bezahlen, und der Staat soll sich nicht in Wirtschaftsangelegenheiten einmischen. All diese Leute werden jetzt Lügen gestraft. Ob das in Amerika ist, in Asien oder in Europa.

Dieser Casino-Kapitalismus ist etwas äußerst Abscheuliches. Heute mag das vielleicht anders verpackt sein. Aber dieser Drang, schnellstmöglich viel Geld zu verdienen auf Kosten anderer, ist heute immer noch derselbe wie am Anfang des 19. Jahrhunderts.

Darum gibt es nur eine Antwort, und das ist eine Lektion für das ganze 21. Jahrhundert: Der Staat muss stark sein und braucht Mittel – gesetzgeberische wie auch finanzielle –, um auf solche Krisen reagieren zu können. Jetzt ist der Staat gefragt.

Inwiefern ist da Europa gefordert?
Asselborn: Europa ist gefragt, um Maßnahmen zu treffen angesichts dieser Auswüchse und Spekulationen, der total übertrieben Gehälter der Bankiers und vielleicht auch der Arroganz der Banker, die eine dominante Rolle in der Wirtschaft gespielt haben und diese Rolle manchmal sehr, sehr schlecht gespielt haben.

Wer mir in dieser Frage bis jetzt am meisten imponiert hat, ist der britische Premierminister Gordon Brown. Er hat schon sehr früh gefordert, ein Frühwarnsystem aufzubauen, damit wir in der europäischen Gesetzgebung Möglichkeiten schaffen, eine Kontrolle auszuüben und die Machenschaften verschiedener Finanzinstitute, die nur auf Spekulationen aus sind, einzuschränken. Ich hoffe, dass wir das auch in der EU fertig bringen.

Welche Lehren ziehen Sie aus den jüngsten Wahlergebnissen in Bayern und in Österreich für die Wahlen in Luxemburg 2009?
Asselborn: Zu den Bayern darf ich als Luxemburger sagen: Wenn eine Partei mehr als 43 Prozent hat, ist das sehr, sehr hoch. In anderen europäischen Ländern wäre das eine Ausnahme. Dass die Alleinherrschaft jetzt gebrochen ist, trägt auch zu mehr Demokratie bei. Jetzt ist auch in Bayern Normalität eingezogen.

Ein Wort zu Deutschland im Allgemeinen: Deutschland ist der Hauptpfeiler der Europäischen Union. Das muss man klar sehen. Eine große Koalition ist ja nur immer ein Übergang. Aus meiner Sicht gibt es an dieser großen Koalition auch sehr gute Seiten.

Beispiel ist der gemeinsame Einsatz von beiden Koalitionspartnern, beim Europäischen Vertrag eine Lösung zu finden, aber auch das Engagement Deutschlands in Afghanistan.

Ich weiß nicht, ob das ohne die große Koalition so einfach gewesen wäre. Also in der europäischen Außen- und Innenpolitik ist die große Koalition sehr positiv, um die Probleme zu lösen. Speziell in den schwiergen Zeiten, die wir jetzt haben und die in den nächsten Monaten auf uns zukommen. Ich sehe also durchaus die positiven Seiten und bin gespannt, wie das weitergeht in Deutschland.

Und in Österreich?
Asselborn: Anders in Österreich. Dass der Populismus der beiden sogenannten freiheitlichen Parteien so stark zum Tragen kommen kann – daran ist natürlich stark das schlechte Funktionieren der dortigen großen Koalition schuld, die das auch provoziert hat.

Was mich als Europäer hier interessiert, ist der ganze Wirbel mit dem Referendum zum EU-Vertrag. Ich sage Ihnen hier klar meine Meinung. Österreich hat sich immer dafür eingesetzt, wie wichtig die Erweiterung der EU auf dem Balkan ist, und hat gleichzeitig immer Probleme mit der Türkei gehabt. Aber man muss wissen, dass die Türkei – und ich glaube, das sieht auch Österreich – eine sehr, sehr wichtige Rolle spielt, man denke an Israel, Syrien, Irak, Iran und den Kaukasus.

Eine Türkei, die europäisch eingestellt ist und mit Europa und der EU zusammenarbeitet, würde die Europäische Union stärken. Ich bin überzeugt, dass dies auch in Österreich eingesehen wird, auch wenn es vielleicht noch zehn Jahre dauert. Darum bin ich weniger verkrampft, was diese Position der Sozialdemokraten angeht.

Ich will nur an etwas ganz Einfaches erinnern. Da haben doch Bundeskanzler Gusenbauer und Herr Faymann diesen Brief an die Kronenzeitung geschrieben, wo drinsteht, dass ein Vertrag, der doch eine gewisse Wichtigkeit hat, dem Referendum unterzogen werden soll.

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Dieser Drang, schnellstmöglich viel Geld zu verdienen auf Kosten anderer, ist heute immer noch derselbe wie am Anfang des 19. Jahrhunderts.

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Damit aber ein Vertrag zustandekommt, müssen 27 Regierungen Ja sagen. Wenn eine Regierung zu einem Vertrag Ja gesagt hat, dann ist es nur logisch, dass sich die Regierung in einem Referendum hinter dieses Ja stellt und dieses Ja verteidigt. Ja sagen heißt ja nicht nur, in Brüssel eine Unterschrift zu leisten. So muss eine österrechische Regierung ganz klar Farbe bekennen und sagen: Wir haben das unterschrieben, wir wollen, dass das Volk jetzt dazu auch Ja sagt.

Wir in Luxemburg beispielsweise haben uns wirklich eingesetzt für den Lissabon-Vertrag, der unter schwierigsten Bedinungen im Referendum angenommen wurde. Da gibt es kein Wenn und Aber. Das ist der Punkt. Ich hoffe, dass die Sozialdemokratie in Österreich – sie will doch auch die europäische Integration – sich dazu bekennt und dass die Regierung bei einem Referendum klar Posiition bezieht.

Obwohl ja SPÖ-Chef Werner Faymann, der vermutlich der nächste Bundeskanzler wird, ein großer Skeptiker bleibt.
Asselborn: Ich kenne ihn noch nicht. Aber ich bin überzeugt, dass er in seinem politischen Handeln die Wurzeln der Sozialdemokratie in Sachen EU klar einzuschätzen weiß.

Wenn es darum ging, die Österreicher mehr für Europa zu interessieren, dann sehe ich das positiv. Ich sehe es aber negativ, wenn man in einem Land ein Referendum organisiert, um einen negativen Ausgang zu provozieren. Das ist gegen Europa gearbeitet.

Mir ist aber nicht bange. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass ein österreichischer Bundeskanzler, egal wie er heißt, einen Vertrag mit unterschreibt und dann zum Volk sagt: Macht, was Ihr wollt, ich halte mich da raus.

Die leidige Frage: Was kann die EU tun, um ihr Image zu verbessern?
Asselborn: Ich würde diese Frage, mit der wir dauernd konfrontiert sind, einfach umdrehen. Beispiel Georgien und Russland. Ohne die selbst erarbeitete Position der Europäischen Union, die im Gegensatz zu jener der Amerikaner stand, hätten wir nie mit den Russen verhandeln können.

Ohne EU wäre es nicht zu einem Stopp der Kriegshandlungen gekommen. Ohne die EU hätten wir keine humanitäre Hilfe leisten können, wäre jetzt keine EU-Mission in Georgien vor Ort und würde keine Geberkonferenz stattfinden, um Georgien wirtschaftlich wieder auf Trab zu bringen. Das heißt, die EU hat hier wirklich etwas gemacht, was allein sie machen konnte.

Unsere Pflicht ist es zu sagen: Eine politische Konfrontation mit Russland bringt uns wirklich nicht weiter. Wir müssen mit Russland versuchen, alles zu tun, die Konfrontation durch eine Kooperation zu ersetzen. Es gibt nur diesen Weg.

Der Weg, den die Amerikaner eingeschlagen haben, war ein Weg der Konfrontation und der totalen Blockade. Die Amerikaner und Russen waren nicht mehr fähig. miteinander zu reden. Wir als EU sind eingesprungen, wir Europäer haben es fertig gebracht, dass das einzige Dokument, das eine Unterschrift von Georgiens Präsident Saakaschwili und Russlands Präsident Medwedew trägt, von uns vorbereitet wurde.

Darum will ich Ihnen nicht auf die Frage antworten. Jeder, der wissen will, warum wir Europa brauchen, der kann es lesen, im Internet sehen, im Fernsehen oder auf Diskussionsabenden.

Selbstverständlich müssen wir auch die Fehler, die in der EU gemacht werden, erklären. Dass wir Fehler machen, ist evident. Es ist extrem schwierig, mit 27 Ländern einen Konsens zu finden. Das ist in der Außenpolitik das Allerschwierigste. Es gibt kein anderes Feld, wo das schwieriger ist als in der Außenpolitik. Jedes Land hat seine eigene Kultur, seine Geschichte, seine Affinitäten mit seiner Nachbarschaft und so weiter.

Sie werden am 18. Oktober auf dem Sonderparteitag der SPD in Berlin, wo die neue Führung besiegelt wird, als Gastredner auftreten. Was erwarten Sie von Ihrem Freund Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat der SPD?
Asselborn: Steinmeier ist ein Mann, der nicht – wie so manche andere große Männer in Europa – jeden Tag aufsteht und beim Rasieren daran denkt, Bundeskanzler zu werden. Er wird das mit viel Ernst, Engagement und Energie angehe; er weiß, worum es geht.

Die SPD ist ja eine schwierige Maschine, so wie alle sozialdemokratischen Parteien schwierige Maschinen sind. Sogar so kleine wie die in Luxemburg sind es. Aber das ist ja auch der Charme unserer Bewegung. Das kennzeichnet uns. Wir sind keine Parteien, wo man oben auf den Knopf drückt und unten alles funktioniert.

Außenpolitisch hat Steinmeier, das erleb ich ja täglich, sehr viel Kompetenz. Sein Wort wird in Brüssel gehört. Ich hoffe, dass er das Gleichgewicht schafft zwischen dem, was er bis jetzt war, nämlich ein stiller Mann, der in seiner Arbeit wenig darauf achten musste , seine Person nach außen zu verkaufen, und seiner neuen Funktion. Dieser Übergang vom stillen Arbeiter im Hintergrund gleichsam zum Marktschreier ist nicht so einfach. Ein Leader muss sich aber so profilieren. Er wird sehr gut sein – viel besser, als man glaubt -, wenn die SPD geschlossen ist.

Wenn die SPD wirklich geschlossen hinter ihm steht, ist das nicht nur für die SPD gut, sondern auch gut für die Demokratie in Deutschland als wichtigstem Land in Europa und als Hauptpfeiler in der Europäischen Union. Man muss das so klar sagen: Für uns als Sozialdemokraten ist die SPD die Referenzpartei schlechthin!

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